Beiträge von Valeria Casca

    Diesmal konnte Casca ein leichtes Zusammenzucken nicht unterdrücken, als er davon sprach, dass sie sich in den Schlaf weinte. Jede Nacht war übertrieben, aber das war ihm ebenso klar wie ihr. Es ging auch gar nicht darum, wie oft sie tatsächlich weinte des Nachts. Oder wie oft sie schlicht wach lag, mit trockenen Augen, aber einsamem Herzen. Es ging darum, dass er überhaupt darum wusste. Sie schloss für einen Augenblick die Augen. "Du gehst, Marcus." Ihre Lider hoben sich wieder. "Denk nicht an mich. Denk an deinen Wunsch, den du dir erfüllst. Da sollten dir nicht Gedanken um deine Mutter im Weg sein." Sie versuchte zu lächeln, konnte dadurch aber nicht kaschieren, dass sie ihm nicht widersprochen hatte. Dass sie wie zuvor nicht abgestritten hatte, dass sie nicht wirklich glücklich war, nicht auf die Art, die sie nachts ruhig schlafen ließ. Wieder sah sie aus dem Fenster, und als ihr Blick diesmal zurück zu ihrem Sohn glitt, enthielt er eine leise Verblüffung. "Eines Senators oder Patriziers?" Dass er das für möglich hielt, ließ vorübergehend sogar die leichte Verlegenheit darüber verschwinden, dass sie mit ihm überhaupt über dieses Thema sprach. Sie wollte noch etwas sagen, aber seine weiteren Worte erstickten das. Sie wusste, wen er meinte. Und wieder empfand sie eine vage Trauer, diesmal darüber, dass Marcus offenbar tatsächlich der Meinung war, dass sie ihr Leben vergeudete. War es denn Vergeudung, seine Ehe nicht aufgeben zu wollen? Sie sagte es nicht laut, wusste sie doch, dass es ihm gar nicht darum ging, die Ehe gänzlich aufzugeben – obwohl zumindest er wohl kaum etwas dagegen gehabt hätte. Dennoch ließen sie seine Worte grübeln, darüber, ob sie ihr Leben wirklich vergeudete, wie Marcus meinte. War es denn richtig, eine Ehe so zu führen, wie sie es tat? "An deinen Vater", vollendete sie schließlich seinen Satz, als er es nicht tat. Aber was sie sonst noch dazu sagen sollte, könnte, wollte ihr nicht einfallen.


    Vielleicht hatte er ja tatsächlich Recht. Vielleicht sollte sie etwas tun – nicht unbedingt sich einen Liebhaber nehmen, obwohl auch dieser Gedanke, einmal tatsächlich offen ausgesprochen, an Reiz gewann. Aber mehr ausgehen. Menschen kennen lernen. Sich Rom ansehen… Es gab viel, was sie schon lange nicht mehr gesehen hatte, und viel, was sie noch nie gesehen hatte. Sie könnte auch Ausflüge in andere Städte unternehmen. Sie könnte… Ihre Gedanken wurden unterbrochen durch Marcus, der plötzlich wieder das Wort ergriff. Dieses Mal musste sie verlegen schmunzeln, als sie seine Vorschläge hörte. "Und du meinst, das funktioniert? Etwas fallen lassen auf dem Markt? Oder in den Thermen… Ich glaube, danach würde ich erst mal kein vernünftiges Wort mehr hervorbringen. Nicht geeignet um jemanden zu beeindrucken." Dann wurde sie wieder etwas ernster. "Marcus… Ich weiß, was du meinst. Und es freut mich, dass du denkst…" Was? Ein Senator könnte sie als Geliebte wollen? "… dass ich so viele Möglichkeiten habe. Ich werde die Augen danach offen halten." War es die Lüge einer Mutter, die ihren Sohn beruhigen wollte? Oder meinte sie es tatsächlich ernst? Casca wusste es selbst nicht so genau zu sagen.

    Casca musterte Tiberius, erwiderte seinen Blick und beobachtete ihn dann dabei, wie er sich zu ihr setzte, wie er seine Augen dann von ihr abwandte. Einen Augenblick ruhten die ihren noch auf ihm, dann wandten auch sie sich ab und wanderten hinunter, sahen zu den Händen, die auf ihren Beinen ruhten, musterten die schmalen Finger, die übereinander lagen. Sie war froh gewesen, als sie gehört hatte, dass er den Feldzug heil überstanden hatte, froh, dass er zurück gekommen war. Er mochte ihr in all den Jahren fremd geworden sein, und sie konnte inzwischen nicht mehr sagen, wie nahe sie sich wirklich gewesen waren, früher, in den ersten Jahren ihrer Ehe – aber sie schätzte ihn dennoch als Mensch ebenso wie als ihren Mann. Sie wusste, dass es in ihrem Verwandtenkreis jene gab, die an der Echtheit ihrer Trauer gezweifelt hätten, wäre Tiberius nicht zurückgekehrt, und sie konnte nicht einmal sich selbst davon überzeugen, dass sie um Tiberius getrauert hätte, wie eine Frau um ihren Mann trauern sollte –aber nichtsdestotrotz hätte sie um ihn getrauert. Einen Moment blieb ihr Blick noch auf ihren Händen haften, dann hob sie den Kopf, als Tiberius auf Marcus zu sprechen kam. "Natürlich war es richtig, ihn nicht gehen lassen." Ihre Stimme war ruhig, aber voller Überzeugung. "Ich war froh darüber, dass du ihm verweigert hast mitzugehen." Auch wenn das das Verhältnis zwischen euch nur verschlechtert hat, fügte sie stumm hinzu. Marcus hatte nicht verstanden, warum er nicht mit in den Krieg hatte ziehen dürfen. Wohl hatte er verstanden, warum sie es dagegen gewesen war, aber nicht, warum sein Vater es ihm verweigert hatte. Und nicht sie war es, die entscheiden konnte, was Marcus zu tun hatte, sondern Tiberius. Casca dachte lieber nicht darüber nach, wie Marcus heute zu ihr stehen würde, hätte sie es entscheiden können und ihm seinen Wunsch abgeschlagen – auf der anderen Seite hätte sie kaum Nein gesagt, hätte ihr Sohn sie wirklich darum gebeten.


    Für einige Momente lang wurde sie ernst, als Tiberius von der dezimierten Legion sprach – wobei er taktvoll ausließ, was wohl der Grund dafür war. Er war zurückgekehrt aus dem Krieg, aber viele andere nicht, und Casca fühlte mit denen, die einen Menschen verloren hatten. "Ich kann mir vorstellen, dass es nicht ganz einfach ist, wenn es weniger sind als normal – vor allem, wenn gerade viele gehen." Anschließend heiterte sich ihr Gesicht wieder auf. "Oh, ich werde mich hüten, Avitus etwas davon zu sagen. Der Familienfrieden muss schließlich gewahrt bleiben, nicht wahr?" Sie lächelte, während sie das sagte. Dann neigte sie den Kopf leicht zur Seite und sah ihn etwas überrascht an. Von seinem Vorhaben, das zweite Examen abzulegen wusste sie genauso wenig etwas wie davon, dass der Legat nun sein Patron war. Aber es war auch kein Wunder, verbrachte Tiberius doch die meiste Zeit dort, wo er einfach hingehörte – bei seiner Legion. "Wirklich? Wann wird das Examen stattfinden? Und meinen Glückwunsch – den Legat als Patron zu gewinnen, dafür musst du einiges geleistet haben." Sie hielt inne, überlegte. Ihr wollte nicht wirklich etwas einfallen, was sie sagen könnte. Viel Aufregendes ereignete sich in ihrem Leben nicht, und Banalitäten wollte sie ihm nicht erzählen. Daran hatte er sicher kein Interesse. Einen Moment noch schwieg sie, dann meinte sie: "Marcus hat mir erzählt, dass er jetzt zu den Stadtkohorten geht." Im nächsten Moment wünschte sie sich, nicht davon angefangen zu haben – nicht etwa weil Tiberius diesen Kommentar als Vorwurf werten könnte, warum er das erlaubt hatte, sondern weil sie nun daran denken musste, wohin das Gespräch mit ihrem Sohn nur allzu bald abgeschweift war. Aber davon konnte Tiberius ja nichts wissen. "Er ist glücklich darüber, und so stolz… Du hättest ihn sehen sollen, als mir davon erzählt hat."

    Was für Gedanken beschäftigten Casca? Wie Blitze leuchteten verschiedene Momente ihres Lebens auf – Nächte, in denen sie mit Tiberius das Bett geteilt hatte, und so viel mehr, in denen sie sich gewünscht hatte, er möge kommen. Weil sie seine Frau war. Weil es so sein sollte, zwischen Eheleuten. Weil sie sich nach Nähe gesehnt hatte, nach Wärme und Zuneigung. Das hatte ihr irgendwann die Gegenwart Marcus’ gegeben, aber ein Sohn, ein Kind war nun einmal etwas anderes als der Ehemann. Und immer war ihr im Vordergrund gestanden, ihren Sohn nicht zu belasten. Nie mehr zu fordern, als er zu geben bereit war. Irgendwann war auch der Wunsch verschwunden, dass Tiberius kommen möge, aber der Wunsch nach Zuneigung war geblieben.


    Als sie Marcus’ Antwort hörte, wünschte sie sich fast, sie hätte nicht gefragt. Er hörte sie nachts? Jetzt biss sie sich auf die Unterlippe. Sie fühlte sich einsam, zuweilen. Und gerade nachts, wenn sie sich im Halbschlaf befand, aber nicht zur Gänze einschlafen konnte, konnte sie gegen das Gefühl der Einsamkeit nicht immer ankämpfen – und nachts, wenn sie allein war, sah sie auch nicht immer den Sinn darin. Sie wollte schon antworten, etwas Beschwichtigendes, aber Marcus sprach bereits weiter, und sie schwieg, hörte ihn zu Ende an – und wünschte sich erneut, sie hätte ihn unterbrochen. Nein, sie wünschte sich nicht, nicht mehr, dass Tiberius kam. Daher spielte es für sie auch nicht wirklich eine Rolle, was er mit seiner Sklavin in Mantua machte. Aber dass sie selbst sich ebenfalls einen Sklaven "nahm", wie Marcus dies ausdrückte, stand ihr ebenfalls fern. Es war nicht ihr Stil, und obwohl auch ihr dann und wann dieser Gedanke gekommen war, hatte sie ihn immer recht schnell fort geschoben. Weil sie eine gute Ehefrau und Mutter war, wie sie dachte. Wenn sie ehrlich zu sich selbst wäre, müsste sie sich eingestehen, dass sie auch Angst hatte, Angst, sich zu öffnen, Angst, sich auf einen anderen einzulassen, Angst vor der Reaktion. Aber das gestand sie sich nicht ein.


    Sie wollte beschwichtigen, wollte abwiegeln. Wollte ihm die Sorgen um sie nehmen. Aber sie erkannte, dass es dafür zu spät war. Er hatte mehr gesehen als sie ihn hatte sehen lassen wollen, und das konnte sie nicht mehr rückgängig machen. In ihren Augen war eine leise Trauer zu erkennen, als sie ihren Sohn ansah. "Es scheint, du kennst mich besser als ich dachte. Verzeih mir, Marcus. Ich habe immer versucht, meine Sorgen von dir fern zu halten." Sie wandte den Kopf und sah aus dem Fenster hinaus, und ihr Blick schien für Momente in weite Ferne zu schweifen. "Dass dein Vater kommt… nein. Diesen Wunsch hege ich schon lang nicht mehr. Und wenn wir schon ehrlich sind, er wohl genauso wenig." Sie forstete in sich nach den Gefühlen, die dieser Satz in ihr auslöste. Es stach, weil ihre Ehe an diesen Punkt gekommen war – aber es schmerzte nicht mehr. Hatte es je geschmerzt, wegen Tiberius? Oder war es immer nur die Ehe gewesen, diese Institution, und ihr Unvermögen als Ehefrau, die sie getroffen hatte? Sie sah Marcus wieder an. "Ich weiß, warum seine Sklavin in Mantua ist." In erster Linie weil sie seine Vertraute war. In jeder Hinsicht. "Einen Sklaven… Marcus, ich…" Jetzt machte sich wieder etwas Verlegenheit breit. Sprach sie hier gerade mit ihrem Sohn darüber, sich einen Liebhaber zu nehmen? Schließlich meinte sie ruhig: "Es ist nicht so, dass mir nicht hin und wieder der Gedanke gekommen wäre. Aber du kennst mich. Es ist nicht… meine Art. Ich habe nie gelernt, worauf es dabei ankommt. Genauso wenig habe ich gelernt, wie man Menschen kennen lernt…" Sie seufzte. "Vielleicht hast du Recht."

    Die Einbrüche hatten Casca durchaus beunruhigt, auf der anderen Seite hatte sie sich darauf verlassen, dass die Casa gut genug geschützt wurde. Sie fuhr sich über die elegante Tunika, die sie trug, strich ein paar Falten glatt, die der Stoff geworfen hatte, und umfasste dann ihre Arme mit den Händen. "Nun, was heißt beunruhigt. Sicher war es kein angenehmes Gefühl zu wissen, dass in unmittelbarer Nachbarschaft Einbrüche stattgefunden haben. Aber man kann sich nicht vor allem schützen, auch wenn man sich bemüht. Das hat man bei dem Feuer gesehen."


    Sie folgte seiner Aufforderung und ließ sich auf der Bank nieder, raffte zuvor die Tunika, um sie nicht schmutzig zu machen. Als sie saß, legte sie in einer lockeren Geste die Hände in den Schoß, während ihr Rücken aufrecht blieb und kaum die Lehne in Anspruch nahm, die Stütze gewähren sollte. "Was ist mit dir? Was macht deine Arbeit – und wie lange wirst du in Rom bleiben können?"

    Sie wollte gerade einen weiteren Schluck Wein nehmen, um ihre Überraschung zu verbergen, als Marcus das Wort Liebhaber in den Mund nahm. Casca verschluckte sich und unterdrückte den Hustenreiz, während Marcus weitersprach, aber schließlich ging es nicht mehr. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und beugte sich leicht nach vorn, während sie hustete. "Einen Liebhaber?!?" Das war eines der wenigen Themen, womit Casca aus der Fassung gebracht werden konnte – zumal wenn ihr Sohn es war, der es anschnitt. All die Jahre hatte sie nie daran gedacht, sich einen Liebhaber zu nehmen. Sie hatte es sich sogar verboten davon zu träumen, die Tagträume jedenfalls, die sie beeinflussen konnte. Sie spürte, wie sie rot wurde. "Ich. Ähm. Wie… wie kommst du darauf? Marcus, du…" Sie wurde sich bewusst, dass sie gerade stotterte, und hätte sich am liebsten erneut hinter dem Weinbecher verkrochen, aber sie hatte Angst, sich dann erneut zu verschlucken. Und was sollte sie schon sagen? Dass sie verheiratet war? Dass sie eine Mutter war, seine Mutter? Oder dass sie nicht so allein war? Sie starrte ihn weiter an, und nach und nach erst ging ihr auf, was er noch gesagt hatte. Dass es sie sonst zugrunde richten würde. Ihre Augen weiteten sich noch etwas. "Wie kommst du auf die Idee, es könnte mich zugrunde richten?"

    Hätte Casca geahnt, welcher Art die Sorgen waren, die ihr Sohn sich um sie machte, sie wäre erschrocken gewesen – erschrocken darüber, dass wie viel mehr sie scheinbar offenbarte. Sie war mit Sicherheit nicht der Auffassung, dass sie an Einsamkeit zugrunde gehen würde. Aber dass sie einsam war, konnte sie nicht bestreiten, nicht wenn sie ehrlich war. Nur war sie der Meinung, diese Tatsache, wie so viele andere, tief in sich verschlossen zu haben, so tief, dass niemand etwas davon bemerkte, und wie so viele Mütter war sie der Auffassung, dass ihr das auch bei ihrem Sohn gelungen war. Sie hätte sich Vorwürfe gemacht, hätte sie gewusst, dass dem nicht so war.


    Sie wusste allerdings nichts davon, und sie erwiderte nur sein angedeutetes Schmunzeln, hob ebenfalls ihren Becher und trank dann einen Schluck Wein. Nur ihrer Beherrschung hatte sie es zu verdanken, dass sie bei seinem Trinkspruch nicht zusammenzuckte, und sie verkniff sich ebenfalls den Kommentar, dass sie die Götter anflehen würde, dass ihr Sohn niemals in die Situation geriet, in der er die Bereitschaft, sein Leben zu geben, tatsächlich unter Beweis stellen musste. Bei seinen anschließenden Worten allerdings konnte sie ihre Überraschung nicht verbergen. "Ich muss was?" Verständnislos sah sie ihn an. Sie kannte Marcus so gut, aber in diesem Moment wusste sie nicht in seinem Gesicht, seiner Haltung, zu lesen. "Jemanden suchen? Wofür?"

    Sie musterte ihn, wie er aufsprang, kaum dass er den ersten Laut gehört hatte, wie sein Körper fast schon unbewusst, wie ihr schien, jene stramme Haltung annahm, die Soldaten im Dienst zueigen war. Sie fragte sich, ob es an den langen Jahren lag, die er nun schon Soldat war, dass er diese Haltung selbst im privaten Raum zunächst einnahm – oder ob es an ihr lag. Das leichte Lächeln, das sich auf ihre Züge gelegt hatte ohne ihre Augen zu erreichen, wurde kurzzeitig schwächer, als sein strenger Blick sie traf. Sie hätte sich auf die Unterlippe gebissen, hätte sie sich diese Art von Regungen in der Gegenwart anderer erlaubt. Wie schon so oft in den letzten Jahren stellte sie fest, dass sie nicht sagen konnte, was in ihm vorging, und wie schon so oft zuvor fragte sie sich wieder, woran es liegen mochte. Ob Fortuna ihr nicht hold gewesen war. Ob es ihr Schicksal gewesen war. Oder ob sie einfach eine schlechte Ehefrau gewesen war. War letzteres der Fall, dann hatte sie ohnehin nichts anderes verdient. Aber sie wusste es nicht – sie konnte nicht sagen, wann in ihrer Ehe der Punkt gekommen war, an dem sie angefangen hatten mehr aneinander vorbei zu leben als miteinander. Sie war aufgeregt gewesen, damals – wie alt war sie gewesen? Fünfzehn, als sie versprochen worden war, sechzehn, als sie geheiratet hatte. Sie war aufgeregt gewesen, so aufgeregt, und sie hatte sich vorgestellt, wie ihre Ehe verlaufen würde, sie hatte sich so viele Szenarien vorgestellt, aber keine von ihnen hatte eine Situation wie diese beinhaltet. Dass sie eines Tages ihrem Mann gegenüber im Garten stehen würde und sich vorkam, als ob sie zwei Fremde wären. Sie hatte sich vorgenommen, eine gute Ehefrau zu sein, zu etwas anderem war sie nicht erzogen worden – aber irgendetwas war trotzdem schief gegangen, und sie konnte nicht sagen was.


    Ebenso steif wie er stand sie da, erwiderte seinen Blick ruhig. Erst als sein Gesichtsausdruck freundlicher wurde, entspannte auch sie sich etwas. Das leichte Lächeln kehrte wieder zurück, und diesmal erreichte es wenigstens ansatzweise auch ihre Augen. Tiberius war ein guter Ehemann. Er hätte sich von ihr trennen können, als sie die Fehlgeburten gehabt hatte. Er hätte sich von ihr trennen können, in den Jahren danach, in denen die Distanz zwischen ihnen immer größer geworden war. Er könnte sich auch selbst jetzt noch von ihr trennen. Aber er hatte es nicht getan, sondern hatte immer dafür gesorgt, dass es ihr an nichts mangelte. Sie neigte leicht den Kopf, als sie seine Worte hörte. Im Gegensatz zu ihm dachte sie sich nichts dabei – sie fühlte sich oft unbeholfen in seiner Gegenwart, auch wenn sie es zumeist irgendwie schaffte, sich nichts anmerken zu lassen. Dass es ihm ebenso gehen könnte, fiel ihr im Traum nicht ein. Eine liebevollere Begrüßung als diese hatte sie kaum erwartet, hätte sie eher überrascht – auch wenn es ein weiteres Zeichen dafür war, wie es mit ihnen stand. Aber sie hörte die Sorge, die seine Worte ausdrücken sollten. "Danke. Es war ein Glücksfall, dass wir nicht hier waren. Ich war zu diesem Zeitpunkt gar nicht in Rom, sondern habe Bekannte besucht, die in Ostia leben. Nur kurz, für drei Tage", fügte sie noch hinzu, fast so, als müsste sie sich rechtfertigen dafür. "Es war ein Schock, zurückzukehren und alles… zerstört vorzufinden." Ein Schock, den sie im Grunde immer noch nicht wirklich verarbeitet hatte. Sie ließ nicht zu, dass die Angst hochkam und sie möglicherweise lähmen könnte, was aber dazu führte, dass sie sie, wie so vieles andere, in ihren Träumen heimsuchte.

    Langsam schlenderte Casca durch den Garten, genoss die sich langsam abkühlende Abendluft und angenehmen Strahlen der schon tiefstehenden Sonne auf ihrer Haut. Sie liebte diese Zeit, wenn die Hitze des Tages langsam abklang, wenn Tiere und Pflanzen genauso wie Menschen aufatmeten, weil es sich leichter atmen ließ in lauerer Luft und die sich ankündigende Nacht noch mehr Erleichterung versprach. Ebenso liebte sie es, mit sich und ihren Gedanken allein zu sein. Sie brauchte diese Zeit für sich, brauchte sie, um nachzusinnen über das, was sie beschäftigte, was sie erlebt hatte, um es zu sortieren und ablegen zu können in ihrem Kopf, so dass sie damit umgehen konnte und nichts davon nach außen drang, was sie nicht wollte. Sie merkte es, wenn sie einige Tage lang keine Zeit dafür hatte, sich zu sammeln. Es wurde dann schwerer, die Contenance zu bewahren, vor allem wenn es um Dinge ging, die sie belasteten. Für ihren Geschmack kam das ohnehin zu oft vor, also achtete sie darauf, sich die Zeit zu nehmen. Jeden Tag war sie abends hier draußen, wenn sie es einrichten konnte, hatte ihr persönliches kleines Ritual daraus gemacht, das nur selten gestört wurde, war um diese Tageszeit doch nur noch selten jemand unterwegs im Haus.


    An diesem Abend jedoch blieb sie nicht allein. Sie war bereits einige Zeit im Garten gewesen, vielleicht eine halbe Stunde, als sie leise Stimmen hörte und danach Schritte. Einen Moment verharrte sie still, unschlüssig, was sie tun sollte. Dann bewegte sie sich ebenso leichtfüßig wie leise in die Richtung, aus der sie die Stimmen gehörte, bis sie zu einer Bank kam, auf der jemand saß. Im Licht der Abendsonne erkannte sie ihren Ehemann. Wieder zögerte sie einen kurzen Augenblick, dann legte sie die wenigen Schritte zurück, die sie noch von der Bank trennten. "Tiberius." Ruhig war ihre Stimme, der Ton undeutbar, neutral. Selten hatten sie sich gesehen in der letzten Zeit. Er hatte mit seiner Legion gegen die Parther gekämpft, und nach Ende des Krieges war er zurückgekehrt nach Mantua, wo er stationiert war. Aber sie war es nicht anders gewöhnt. Ihre Ehe hatte schon immer eine gewisse… Distanz besessen. Und es hatte auch schon immer Zeiten gegeben, in denen er Rom gänzlich fern geblieben war. Sie musterte ihren Mann, und die Andeutung eines Lächelns legte sich auf ihre Züge. "Ich grüße dich."

    Die Trauer verschwand wenigstens für Momente gänzlich, als Marcus sie in den Arm nahm. Ihre Augen strahlten, unsichtbar für ihren Sohn, während sie dessen Umarmung erwiderte und leicht mit einer Hand über sein Haar fuhr. Am liebsten wäre sie noch länger in dieser Haltung verharrt, hätte sich noch länger von ihm halten lassen, so wie sie ihn all die Jahre gehalten hatte… Aber um nichts in der Welt wollte sie, dass bei ihrem Sohn der Gedanke aufkam, sie wäre zu anhänglich. Um nichts in der Welt wollte sie ihm zur Last fallen. Also lösten sich ihre Arme, kaum dass sie das geringste Anzeichen dafür wahrgenommen hatte, dass Marcus die Umarmung beenden wollte.


    Immer noch lächelnd beobachtete sie ihn dabei, wie er sich in einen der Sessel fallen ließ. Für sie war ihr Sohn seit jeher die Anmut in Person, Anmut, so weit dieses Wort auf einen Mann überhaupt anwendbar. Es war schlicht seine Art sich zu bewegen, die schon immer von großer, wenn auch in frühen Jahren unbewusster Körperbeherrschung gesprochen hatte. Vielleicht hatte er das von ihr übernommen, der Körperbeherrschung ebenfalls so wichtig war – stets in voller Kontrolle über sich selbst zu sein, jede Geste gezielt zu setzen, keine überflüssigen zu machen. Jede ihrer Bewegungen, sei sie auch noch so klein, machte den Eindruck als sei sie genau so gewollt gewesen von ihr. Ob nun von ihr oder nicht, Marcus nannte diese Eigenschaft ebenfalls sein eigen, schon seit er ein Kind war, so zumindest ihre Sichtweise. In den letzten Jahren hatte sich jedoch einiges verändert. Er hatte trainiert, lange und hart, das wusste sie, und dieses Training hatte sich ausgezahlt. Seine Körberbeherrschung war bewusster geworden, und das machte etwas aus – in der Tat war es sogar ein großer Unterschied, ob eine Geste unbewusst gewollt wirkte oder tatsächlich gezielt eingesetzt wurde. Und die gewisse Lässigkeit, kombiniert mit Eleganz, die schon seit längerem immer mal wieder zum Vorschein gekommen war, schien nun dauerhaft aus seiner Haltung zu sprechen. Aber vielleicht waren es auch nur ihre Augen, die das so sahen, die sicher nicht die objektivsten waren.


    Sie ging ebenfalls hinüber zu der Sitzgruppe, schenkte zwei Becher Wein ein – unverdünnt, das gebot schon allein der Anlass, selbst wenn es nicht Abend gewesen wäre –, reichte einen davon ihrem Sohn und setzte sich dann ebenfalls. "Nein, Avitus habe ich noch nicht getroffen." Erneut flog ein Lächeln über ihr Gesicht, halb stolz, halb gerührt, dass er sich derart Sorgen um sie machte. "Ich bin mir sicher, dass er sich um mich kümmern wird." Zu den Worten über seinen Vater schwieg sie. Sie wusste, wie er zu ihm stand – und sie war nicht begeistert darüber. Familiäre Probleme dieser Art ließen sich kaum lösen, aber sie würde sich wünschen, Marcus würde die Abneigung, die er gegen seinen Vater hegte, nicht zu deutlich zeigen. Tiberius war ihr Mann und sein Vater. Es hatte Schwierigkeiten gegeben, aber diese mussten nicht nach außen getragen werden, nicht einmal im kleinsten Kreis. Also schwieg sie, nur um dann schmunzelnd auf seine nächsten Worte einzugehen. "Etwas Gefährliches? Marcus, du kennst mich. Das mit Abstand Gefährlichste, was ich in letzter Zeit unternommen habe, war eine Bootsfahrt auf dem Tiber. Aber ich werde dir schreiben, solange du keinen Ausgang hast – und wenn ich der Meinung bin, dass du mich zu selten besuchst, werde ich das auch weiter tun." Wieder ein Lächeln, ein neckisches diesmal, dass sie plötzlich um Jahre jünger wirken ließ. Dann hob sie ihren Becher, um mit ihm anzustoßen. "Auf dich, Marcus. Und auf deine Träume, von denen einer nun in Erfüllung gegangen ist. Du hast es dir wirklich verdient."

    Marcus erwiderte ihr Lächeln, entfernte sich dann von ihr, um sich vor das Fenster zu stellen. Im Gegenlicht der Abendsonne konnte erschienen seine Gesichtszüge ihr verdunkelt, dennoch erkannte sie den Stolz, der in seinen Augen aufblitzte. Er verlässt mich, blitzte es durch ihren Kopf, den Bruchteil eines Augenblicks, bevor Marcus zu sprechen begann. Ihr Herz zog sich zusammen, begriff sie doch schon bei seinen ersten Worten, was sie bedeuteten. Sie musste ihren Sohn nicht so gut kennen, wie sie es tat, um zu wissen wovon er sprach – war doch das, was er meinte, bereits seit Jahren ein Thema. Immer hatte er zur Legion gewollt, und obwohl sie stets die Hoffnung genährt hatte, er möge sich im Zuge des Erwachsenwerdens anders besinnen, hatte sie doch gleichzeitig nie etwas anderes getan, als ihn ernst zu nehmen. Es hatte für sie keinen Unterschied gemacht, ob Marcus als Fünfjähriger vor ihr gestanden hatte oder als Fünfzehnjähriger. Sie hatte seine Wünsche nie als die Hirngespinste oder Träumereien eines Kindes abgetan. Sie hatte ihn immer ernst genommen.


    Und jetzt würde er gehen. Was für einen Aufstand hatte es gegeben, als Tiberius sich geweigert hatte, ihrem Sohn die Erlaubnis zu geben, am Krieg gegen die Parther teilzunehmen! Und obwohl sie stets zu Marcus gehalten hatte, hatte sie ihm in diesem einen Punkt ihre Unterstützung verweigert. Sie hätte es nicht ausgehalten, ihn zu verlieren. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie die Angst ausgehalten hätte, die sie um ihn gehabt hätte, wäre er in den Krieg gezogen. Sie hatte sich zurückgehalten, bei dem Streit – sie äußerte ihre Meinung stets zurückhaltend, selbst wenn sie mit ihrem Mann allein war. Marcus hatte ihr verziehen, so hoffte sie, dass sie ihn in diesem Fall nicht unterstützt hatte, ihn nicht hatte unterstützen können – aber sie vermutete, dass es so war. Er wusste, wie viel er ihr bedeutete. Er wusste auch, worin dies, teilweise wenigstens, begründet lag. Und er hatte es nie ausgenutzt. Sie konnte nur ahnen, gemessen an der Dringlichkeit seines Wunsches, beim Militär zu dienen, die bis heute nicht abgenommen hatte, wie sehr er sich hatte zusammenreißen müssen, um sie nicht um Fürsprache zu bitten – hätte er das getan, sie hätte nicht gewusst, ob sie ihm diesen Wunsch hätte abschlagen können, auch wenn ihr Herz dabei geblutet hätte. Aber er hatte sie nicht gebeten, hatte sie nicht gezwungen, sich zu entscheiden. Und er war hier geblieben, voller Zorn. Sie hatte gewusst, schon damals, dass der Tag kommen würde, an dem Tiberius ihm nicht mehr würde verweigern können zu tun, was er wollte, aber sie hatte es verdrängt. Und nun war es soweit.


    Für Momente stand sie da und musterte Marcus, während seine Worte zu ihr durchdrangen und Erinnerungen durch ihren Geist zogen. Ihr Herz wurde schwer. Ihr Sohn. Ihr Junge. Aber sie wusste auch, dass er nicht mehr der kleine Junge war, den sie beschützen konnte. Und die Stadtkohorten waren immerhin nicht die Legion. Er würde in Rom bleiben. Und er würde nicht kämpfen müssen, wenn es einen neuen Krieg gab… Sie zwang sich zu einem Lächeln, das eine seltsame Mischung war aus Trauer, die sie nicht zeigen wollte, und Freude, weil es sein Wunsch war, der nun in Erfüllung ging, nach so langer Zeit. Und sie freute sich aufrichtig, solange sie an ihn dachte, was es ihm und für ihn bedeutete, und nicht daran, was ihm zustoßen könnte, und erst recht nicht daran, dass er gefährdeter war als andere seines Alters. Und sie empfand auch Stolz, dass er hartnäckig geblieben war und sich durchgesetzt hatte, dass er sich durch seine Krankheit nicht abhalten ließ, zu tun was er wollte. Mehr und mehr versuchte sie, die negativen Gefühle zurückzudrängen, um sich mit ihm freuen zu können. Etwas anderes hatte Marcus nicht verdient. "Das sind wirklich gute Neuigkeiten." Sie trat wieder näher zu ihm. Zögerte einen Moment. Er hatte verdient, dass sie sich für ihn freute, aber er verdiente auch die Wahrheit. "Du weißt… wie ich darüber denke. Aber ich möchte, dass du weißt, wie sehr ich mich für dich freue. Das ist schon so lange dein Wunsch, und du hast ihn nie aufgegeben… Ich bin stolz auf dich." Sie wies auf die kleine Sitzgruppe in der Nähe des Fensters, wo auch Getränke bereit standen. "Darauf sollten wir anstoßen, meinst du nicht?"

    Die Valeria war gerade dabei gewesen, sich umzuziehen – sie achtete immer auf ihr Äußeres, auch wenn sie nur im Haus unterwegs war, aber es war doch noch einmal etwas anderes, in ihren Augen zumindest, wenn sie vorhatte sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Es mochten Kleinigkeiten sein. Aber es war ihr wichtig. Ihre Sklaven hatte sie hinaus geschickt. Auch das war ihr wichtig – Handgriffe selbst zu erledigen. Nicht immer und überall, verstand sich, aber so weit es Dinge wie Ankleiden betraf und sie die Zeit dazu hatte, machte sie das lieber selbst. Es ließ ihr die Illusion der Kontrolle. Sie wusste, dass es nur eine Illusion war, hatte sie doch schon vor langer Zeit die Erfahrung gemacht, dass so etwas wie Kontrolle nur in begrenztem Ausmaß ausgeübt werden konnte, gerade von einer Frau. Dennoch, oder gerade deswegen, erfreute sie sich an den Kleinigkeiten, die tatsächlich in ihrem Einflussbereich lagen – auch wenn sie bereits die Zeit kommen sah, in der jener ebenfalls kleiner werden würde, je älter der Körper wurde, den sie ihr eigen nannte. Aber noch war es weit bis dahin, wenn die Götter ihr gewogen waren – was zugegebenermaßen nicht immer der Fall gewesen war in ihrem Leben, aber deswegen gab sie noch lange nicht die Hoffnung auf.


    Die Sklaven hatte sie also hinausgeschickt, im Vertrauen darauf, dass sie wussten, was zu tun war, um den Spaziergang vorzubereiten, und im Vertrauen darauf, dass sie mögliche unerwartete Besucher vertrösten würden – daher war sie überrascht, als die Tür schwungvoll aufging und ihr Sohn ihre Gemächer betrat, gerade als sie ihre Tunika abgelegt hatte und sich eine neue, aufwändigere hatte aussuchen wollen. Ihre Augenbrauen hoben sich etwas, aber sie kannte ihn – sie wusste, dass er sich von keinem Sklaven etwas sagen ließ. Dann huschte ein Schmunzeln über ihre Züge, als Marcus sich fast verschämt umdrehte, während das eine Wort, mit dem er sie begrüßte, ihr Herz wärmte. Das hatte es immer getan. Sie konnte sich noch heute an den Tag erinnern, an dem er zum ersten Mal Mama gesagt hatte zu ihr – tatsächlich gesagt, in dem Wissen, was es bedeutete, und nicht nur die Wiederholung einer simplen Silbe. Wie er sie dabei angesehen und gelacht hatte. Sie konnte sich daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Und bis heute liebte sie es, wenn er sie so ansprach. Mutter. Mit Marcus war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen – nicht nur der Wunsch, ihrem Mann ein Kind, einen Sohn zu schenken, sondern der Wunsch nach einem Kind. Einem Kind, das lebte. Ruhig griff sie nach der Tunika, die sie eben noch getragen hatte und die nun über einem Sessel hing, um sie sich wieder anzuziehen, dann überbrückte sie die kurze Distanz zu ihrem Sohn. Sacht legte sie ihm die Hand auf die Schulter und drehte ihn zu sich, dann legte sie ihm eine Hand an die Wange und hauchte ihm einen Kuss auf die andere. "Marcus." Sie lächelte ihn an und trat einen Schritt zurück. Ihr Tonfall war liebevoll und leicht, beschwingt, und die Freude, dass ihr Sohn vorbei gekommen war, war deutlich zu hören. "Es ist schön, dich zu sehen. Von welchen Neuigkeiten sprichst du? Ich hoffe, es sind gute."

    Salve!


    Ich würde gern mitspielen, und zwar als Valeria Casca.


    Stand: Bürgerin
    Wohnort: Rom


    Familienbeziehung, wenn das den Beteiligten recht ist :) : verheiratet mit Tiberius Artorius Imperiosus sowie Mutter von Marcus Artorius Menas. Was den Platz im Stammbaum der Valerier angeht - wenn ich aufgenommen werde, würde ich mich danach orientieren, was Valeria Amatia am Geeignetsten hält.