- Betongrab -
written by: Ianus Callidus
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Dunkel.
„Diese Schmerzen! Was ist passiert?“
Verworrene Gedankenstränge, Erinnerungsfetzen zogen an seinem inneren Auge vorbei, blass und schemenhaft. Er versucht sich zu bewegen, versucht klare Gedanken zu formen. Ein lautes Poltern und Krachen, explodierender Schmerz in den Beinen, weiße Lichter... Eine tiefe, schmerzlindernde Schwärze umfängt ihn.
Dunkel.
Er blinzelt, spürt seine trockenen, gerissenen Lippen.
„Gott, ich lebe!“
Der Schmerz holt ihn zurück. Jeder Knochen in seinem geschundenen Körper fühlt sich gebrochen an, die Luft schmeckt staubig und verbraucht. Dann, plötzlich, ein schwacher Erinnerungsfetzen...
Er sitzt in seinem Büro an seinem Schreibtisch und trinkt genüsslich einen heißen Becher schwarzen Kaffee, den er sich vorher noch selbst gemacht hat. Er schaut auf seine Tabellen am Computer und spürt seine Unlust zum Arbeiten. Doch er resigniert bei dem Gedanken an den gestrigen Tag, da hatte er nämlich eine Abmahnung von seinem Chef bekommen, weil er zu spät zur Arbeit kam, das Problem aber war, das sein Vorgesetzter ihm den Stau nicht glaubte.
„José,“, sagte sein Arbeitgeber,“du weißt ich kann dich jederzeit ersetzen, also tanz mir nicht auf der Nase herum!“
In Gedanken fluchend springt José von seinem Bürostuhl auf, ein Kaffeefleck breitet sich direkt auf seiner neuen Hose aus; an einer sehr unpassenden Stelle. „Na toll, das hat mir gerade noch gefehlt...“
Dunkel.
„Was ist danach passiert?“,
überlegt er angestrengt. Er versucht die Worte laut auszusprechen, doch aus seiner ausgedörrten Kehle kommt nur ein leises Krächzen. Er bewegt seine Arme, merkt das sie frei liegen. Langsam tastet er seine Umgebung ab.
„Ist das Beton?“,
denkt er. Das konnte doch nicht sein, wurde er etwa gefangen gehalten? Er versucht sich zu drehen um in eine etwas angenehmere Haltung zu kommen, plötzlich explodiert wieder der Schmerz in seinen Beinen, ein stummer Schrei quält sich über seine ausgetrockneten Lippen und Lichter tanzen vor seinen Augen. Doch die erlösende Ohnmacht bleibt aus. Eine Zeit lang wimmert er leise und denkt über seine Situation nach.
„Wo bin ich?“,
fragt er sich immer wieder. Seine Hände tasten umher und auf einmal fühlt er Holz auf seiner rechten Seite, glatt poliert und kühl...
„Willst du dich nicht lieber umziehen?“, fragt José's Freund Miguel.
„Wie denn? Da müsste ich erst ganz nach Hause und der Chef hat im Moment eh was gegen mich, das fällt also leider aus...“
„Na gut, dann eben nicht, ich wollte es ja nur mal vorschlagen. Hmmm, ich glaube so langsam sollte ich auch mal wieder los, meine Pause ist gleich vorbei. Ich würde sagen wegen dem Treffen nächste Woche telefonieren wir noch!“
„Okay, wir sehen uns dann!“
Schon ist Miguel weg und José sitzt allein da. Seine Finger wandern über den schweren Holztisch im Aufenthaltsraum und den Linien im Holz folgend, spürt er das glatte, kalte Holz unter seinen Fingerspitzen. Er freut sich auf das Treffen mit Miguel, sie hatten schon länger nichts mehr gemeinsam unternommen. Zu seiner abgewetzten alten Tasche greifend fällt ihm ein leichtes Zittern im fast noch vollen Kaffeebecher auf, kleine Wellen die sich vom Mittelpunkt des Bechers aus konzentrisch nach Außen zum Gefäßrand bewegen. Auf einmal hört er aus den Schränken an der Wand ein leises Klirren und Klappern. Verwundert über diesen seltsamen Zustand bewegt er sich langsam und vorsichtig zu einem Schrank und öffnet ihn behutsam, als könnte ihn etwas daraus anspringen.
„Was ist da denn los?“,
fragt er sich. Auch die Teller und Tassen im Schrank zittern, der Kaffee in seinem Becher auf dem Tisch schwappt indes immer schneller hin und her.
„Was zum....“
Dunkel.
„Was ist dann geschehen?“
Sollte er wirklich entführt worden sein? Aber wieso dann die unerträglichen Schmerzen, wieso das kleine Gefängnis? Verwirrt tastet er weiter umher, sorgsam darauf bedacht den Körper dabei nicht zu bewegen, er spürt Kanten, Ecken und Bruchstücke mit den Händen.
„Oh Gott, ich muss verschüttet sein!“
Der Gedanke schießt ihm quälend durch den Kopf. Auf einmal Schmerz im Daumen der rechten Hand. Klebrige, warme Flüssigkeit rinnt den Arm herunter. Mit seiner Hand hat er einen Nagel gestreift, dieser hatte mit seiner spitzen Seite seinen Finger verletzt. Fast instinktiv nimmt er den Daumen in den Mund und innerhalb von Sekunden überfällt ihn die Erinnerung an sein Unglück mit unbeugsamer Härte...
„Gott, was wackelt denn da so?“
Hört José ein Kollegin fluchen. Auf einmal ein gut vernehmliches Grummeln das von tief unter dem Gebäude zu kommen scheint, wie ein unterirdisches Gewitter. Innerhalb von Sekunden wird aus dem Zittern und Grummeln ein Wanken und Donnern, José hat das Gefühl als würde die Welt aus den Fugen geraten, alles ist wild am Beben, die Teller fallen aus dem nun offenen Schrank und zerbersten laut klirrend auf dem Boden, sein Kaffeebecher verschüttet seinen Inhalt über den mächtigen Holztisch. Eine unbegreifliche Angst erfasst ihn, ein schlimmes Gefühl der absoluten Hilflosigkeit als er die Gefahr erkennt.
„ERDBEBEN!“,
kann er gerade noch laut in den Arbeitsraum schreien, denn im nächsten Moment rettet er sich unter den schweren Holztisch, eine Entscheidung die nicht besser hätte seien können. Vor Angst zitternd und in Fötusstellung unter dem Tisch liegend, hört er ein lautes und durchdringendes Knirschen, dann ein unbeschreibliches Bersten und kleine Putzteilchen die langsam auf den Boden sinken. Betonstaub begräbt die kleinen Teilchen unter sich. Er registriert das Geschrei seiner Kollegen und dann noch ein Bersten, die Schreie verstummen. Der Schock in ihm sitzt tief, langsam sinkt sein Bewusstsein, mit all seinen Gedanken, in ein großes schwarzes Loch, immer tiefer und tiefer. Dann nichts mehr.
LICHT.
Erschrecken.
„Mein Gott!...“
Zu mehr Gedanken ist er nicht fähig, jedoch weiß er jetzt, wo er sich befindet und wie er dort hingekommen ist, in dieses klamme Betongrab. Ein Teil der Decke aus dem Aufenthaltsraum erklärte ihm auch seine schmerzenden Beine. Sollte er noch zu hoffen Wagen? Hoffnung macht ihm nur noch der dünne Lichtstrahl, der rechts von ihm durch den Holztisch brach und die stickige Luft erhellte. Kleine Staubpartikelchen glänzten im Licht und und seine Hoffnung wuchs von Sekunde zu Sekunde, denn der Lichtschimmer war neu. Vorher war der nicht da, da war er sich sicher. Könnte das Rettung bedeuten? Stimmen riefen und Maschinen brummten. Plötzlich hörte er dicht an dem Loch, durch das der Lichtstrahl kam eine männliche Stimme die jemandem etwas zurief.
Das Licht verschwand, stattdessen kam jetzt eine Stimme durch das Loch, sie sagte etwas in einer Sprache, die José nicht verstand, aber es klang beruhigend. Jetzt hörte er eine Stimme in derselben Sprache antworten und schon vernahm er das Geräusch einer Axt, die sich durch schweres Holz arbeitet. Das Letzte was er hört, während er in eine selige Ohnmacht fällt, ist das Bersten des Holzes.
Wieder ein schwarzes Loch, seine Gedanken trudeln langsam hinein und sein Bewusstsein ebenso... Sein letzter klare Gedanke ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl.
Dann wieder durchdringende Schwärze.
- ENDE -
Copyright © Jan-F. Leissner, 2010
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Danke fürs Lesen
Kritik ist gerne gesehen!
(Den Text hab ich mal für den Deutschunterricht geschrieben, zum Thema 'Haiti'. Das Ende ist bewusst offen gelassen!)