Ein Sklave trat heran und tischte alle möglichen Sorten Obst, sowie Dörrfleisch und eine Karaffe mit Wein auf. Der würzige Duft der Speisen stieg Laeva in die Nase und liess ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Noch einmal warf sie einen kurzen Blick ihrem Onkel zu, so als ob sie um Erlaubnis bitten wollte, dann streckte sie die Hand aus, zupfte eine der saftigen, dunkelroten Trauben vom Strauch und schob sie sich in den Mund. Ein süsser, leicht säuerlicher Geschmack entfaltete sich auf ihrer Zunge und Laeva schloss für einen Moment geniesserisch die Augen. Anschliessend griff sie auch nach dem Trockenfleisch, obwohl sie sich in der Vergangenheit nie als grosse Liebhaberin von Fleischwaren erwiesen hatte. Dennoch schmeckte das zähe, mit Kräutern eingeriebene, trockene Stück Wild vorzüglich, sodass sie einen zweiten Bissen nicht verschmähte.
Als allerdings Proximus eine Erklärung auf die Ausgangssperre gab und dabei den Tod des Kaisers und seiner Familie erwähnte, vergass Laeva jäh das Kauen: „Was?!“ Hastig presste sie die Hand vor den Mund, um den Hustenreiz zu unterdrücken, als ihr das Stück Trockenfleisch in den falschen Hals geriet, und schluckte anschliessend mehrere Male, bis sich der unangenehme Druck auf ihren Kehlkopf verflüchtigte. „Der Kaiser und seine Familie … sind tot? Götter, wie schrecklich!“ Laeva zeigte sich ehrlich bestürzt. Sie war zwar nicht sonderlich bewandert in politischen Angelegenheiten, aber eins wusste sie ganz genau: Der Tod des Kaisers und seines Nachfolgers bedeutete Chaos in der ganzen Stadt und darüber hinaus! Und Chaos war eines der vielen Dinge, vor denen sich Laeva fürchtete und die sie zu meiden versuchte. „Aber … wie? Und wer? Weshalb? Wie kann das nur ...“ Sie sprach die Worte mehr zu sich selbst und merkte nicht, wie ihre Stimme bebte und ihr Blick von einer Ecke des Raums zur nächsten irrte. Ihr Verhalten glich dem eines witternden Rehs, das sich einer Gefahr gegenübersah, aber nicht wusste, wohin es fliehen sollte.
Laeva spürte, wie ihr übel wurde, und sie zwang sich, die bittere Galle, sowie das beklemmende Angstgefühl niederzukämpfen, was ihr sogar halbwegs gelang. Du bist hier in Sicherheit, Laeva. Niemand wird dir etwas antun. Proximus ist da. Er wird auf dich aufpassen! Die junge Iulierin hob den Blick und sah zu ihrem Onkel. „Entschuldige“, hauchte sie beschämt und nahm den Becher mit Wein, den er ihr hinhielt, entgegen. „Die Nachrichte kommt nur etwas … überraschend und …“ Sie geriet abermals ins Stocken und beschloss, nicht weiter auf das Thema einzugehen. Bestimmt hatte Vater Proximus gegenüber erwähnt, dass sie von sehr zartem Gemüt war und mit Ereignissen derart grossen Ausmasses nur schwer zu Recht kam. Falls nicht, so hatte ihr Onkel es gerade selbst mitbekommen.
Mit leicht zitternden Fingern hob sie den Becher an die Lippen und nippte an der verdünnten, purpurroten Flüssigkeit. Misenischer Landwein … Laeva versuchte sich daran zu erinnern, was Nikos ihr unterwegs alles über Weine beigebracht hatte. Er hatte sich nämlich auch in dieser Angelegenheit als Kenner erwiesen und sie bei der einen oder anderen Rast über die verschiedenen Traubenbuketts unterrichtet. Allerdings war Laeva mehr damit beschäftigt gewesen, die malerische Landschaft zu bewundern, als den Ausführungen über Aromen, Noten und Traubensorten Gehör zu verleihen.
Sie nahm einen zweiten kleinen Schluck, nickte dann anerkennend und lächelte schüchtern: „Vielen Dank, Onkel. Der Wein ist vorzüglich. Und es würde mich freuen, dich einmal auf dein Gut begleiten zu dürfen.“ Das entsprach sogar der Wahrheit. Auch ihr Vater besass die ein oder andere Plantage in Spanien, und ihre Mutter hatte früher immer wieder lange Spaziergänge mit ihren Kindern durch die Weinberge unternommen. Die Vorstellung, wieder einmal in einem Wald aus Reben umherstreifen zu können, erfüllte Laeva mit einem vertrauten Gefühl. Es war etwas, das sie an zuhause erinnerte.
Proximus Frage, was sie denn nun in Rom zu tun gedenke und welche Pläne sie habe, unterbrach sie in ihren Gedankengängen und liess sie verwirrt blinzeln: „Ich dachte, du würdest …“ Laeva sprach den Satz nicht zu Ende, sondern schloss den Mund wieder und runzelte die Stirn. Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Sie hatte es auch nicht für nötig gehalten, sondern geglaubt, ihr Vater hätte bereits alles arrangiert und an ihrer Stelle den Plan für das Leben seiner Tochter in den nächsten paar Jahre ausgearbeitet. Den Rest würde Proximus für sie übernehmen. Schliesslich räusperte sie sich und stellte den Weinbecher auf das kleine Beistelltischen neben der Kline: „Nun ja, mir … mir wurde gesagt, ich solle in der Malkunst unterrichtet werden. Das war zumindest der Vorwand, unter dem mich Vater weggeschickt hat.“ Da ihr die Antwort ein wenig zu knapp erschien, fügte sie der Höflichkeit halber noch hinzu: „Aber ich bin sicher, ich kann hier noch viel mehr lernen als nur die Malerei. Und sollte ich dir irgendwie behilflich sein können, lieber Onkel, so werde ich mich natürlich darum bemühen, deinen Anweisungen Folge zu leisten! Ach und, bevor ich es vergesse: Ich soll mich nach einem gewissen Marcus Iulius Licinus erkunden und ihm die Grüsse meines Vaters übermitteln.“ Sie legte die Fingerspitzen aneinander und blickte Proximus aufmerksam in die Augen: „Ist der besagte denn in Rom ansässig?“
Entschuldigung für die verspätete Antwort!