Beiträge von Iulia Laeva

    Ein Sklave trat heran und tischte alle möglichen Sorten Obst, sowie Dörrfleisch und eine Karaffe mit Wein auf. Der würzige Duft der Speisen stieg Laeva in die Nase und liess ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Noch einmal warf sie einen kurzen Blick ihrem Onkel zu, so als ob sie um Erlaubnis bitten wollte, dann streckte sie die Hand aus, zupfte eine der saftigen, dunkelroten Trauben vom Strauch und schob sie sich in den Mund. Ein süsser, leicht säuerlicher Geschmack entfaltete sich auf ihrer Zunge und Laeva schloss für einen Moment geniesserisch die Augen. Anschliessend griff sie auch nach dem Trockenfleisch, obwohl sie sich in der Vergangenheit nie als grosse Liebhaberin von Fleischwaren erwiesen hatte. Dennoch schmeckte das zähe, mit Kräutern eingeriebene, trockene Stück Wild vorzüglich, sodass sie einen zweiten Bissen nicht verschmähte.


    Als allerdings Proximus eine Erklärung auf die Ausgangssperre gab und dabei den Tod des Kaisers und seiner Familie erwähnte, vergass Laeva jäh das Kauen: „Was?!“ Hastig presste sie die Hand vor den Mund, um den Hustenreiz zu unterdrücken, als ihr das Stück Trockenfleisch in den falschen Hals geriet, und schluckte anschliessend mehrere Male, bis sich der unangenehme Druck auf ihren Kehlkopf verflüchtigte. „Der Kaiser und seine Familie … sind tot? Götter, wie schrecklich!“ Laeva zeigte sich ehrlich bestürzt. Sie war zwar nicht sonderlich bewandert in politischen Angelegenheiten, aber eins wusste sie ganz genau: Der Tod des Kaisers und seines Nachfolgers bedeutete Chaos in der ganzen Stadt und darüber hinaus! Und Chaos war eines der vielen Dinge, vor denen sich Laeva fürchtete und die sie zu meiden versuchte. „Aber … wie? Und wer? Weshalb? Wie kann das nur ...“ Sie sprach die Worte mehr zu sich selbst und merkte nicht, wie ihre Stimme bebte und ihr Blick von einer Ecke des Raums zur nächsten irrte. Ihr Verhalten glich dem eines witternden Rehs, das sich einer Gefahr gegenübersah, aber nicht wusste, wohin es fliehen sollte.


    Laeva spürte, wie ihr übel wurde, und sie zwang sich, die bittere Galle, sowie das beklemmende Angstgefühl niederzukämpfen, was ihr sogar halbwegs gelang. Du bist hier in Sicherheit, Laeva. Niemand wird dir etwas antun. Proximus ist da. Er wird auf dich aufpassen! Die junge Iulierin hob den Blick und sah zu ihrem Onkel. „Entschuldige“, hauchte sie beschämt und nahm den Becher mit Wein, den er ihr hinhielt, entgegen. „Die Nachrichte kommt nur etwas … überraschend und …“ Sie geriet abermals ins Stocken und beschloss, nicht weiter auf das Thema einzugehen. Bestimmt hatte Vater Proximus gegenüber erwähnt, dass sie von sehr zartem Gemüt war und mit Ereignissen derart grossen Ausmasses nur schwer zu Recht kam. Falls nicht, so hatte ihr Onkel es gerade selbst mitbekommen.


    Mit leicht zitternden Fingern hob sie den Becher an die Lippen und nippte an der verdünnten, purpurroten Flüssigkeit. Misenischer Landwein … Laeva versuchte sich daran zu erinnern, was Nikos ihr unterwegs alles über Weine beigebracht hatte. Er hatte sich nämlich auch in dieser Angelegenheit als Kenner erwiesen und sie bei der einen oder anderen Rast über die verschiedenen Traubenbuketts unterrichtet. Allerdings war Laeva mehr damit beschäftigt gewesen, die malerische Landschaft zu bewundern, als den Ausführungen über Aromen, Noten und Traubensorten Gehör zu verleihen.


    Sie nahm einen zweiten kleinen Schluck, nickte dann anerkennend und lächelte schüchtern: „Vielen Dank, Onkel. Der Wein ist vorzüglich. Und es würde mich freuen, dich einmal auf dein Gut begleiten zu dürfen.“ Das entsprach sogar der Wahrheit. Auch ihr Vater besass die ein oder andere Plantage in Spanien, und ihre Mutter hatte früher immer wieder lange Spaziergänge mit ihren Kindern durch die Weinberge unternommen. Die Vorstellung, wieder einmal in einem Wald aus Reben umherstreifen zu können, erfüllte Laeva mit einem vertrauten Gefühl. Es war etwas, das sie an zuhause erinnerte.


    Proximus Frage, was sie denn nun in Rom zu tun gedenke und welche Pläne sie habe, unterbrach sie in ihren Gedankengängen und liess sie verwirrt blinzeln: „Ich dachte, du würdest …“ Laeva sprach den Satz nicht zu Ende, sondern schloss den Mund wieder und runzelte die Stirn. Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Sie hatte es auch nicht für nötig gehalten, sondern geglaubt, ihr Vater hätte bereits alles arrangiert und an ihrer Stelle den Plan für das Leben seiner Tochter in den nächsten paar Jahre ausgearbeitet. Den Rest würde Proximus für sie übernehmen. Schliesslich räusperte sie sich und stellte den Weinbecher auf das kleine Beistelltischen neben der Kline: „Nun ja, mir … mir wurde gesagt, ich solle in der Malkunst unterrichtet werden. Das war zumindest der Vorwand, unter dem mich Vater weggeschickt hat.“ Da ihr die Antwort ein wenig zu knapp erschien, fügte sie der Höflichkeit halber noch hinzu: „Aber ich bin sicher, ich kann hier noch viel mehr lernen als nur die Malerei. Und sollte ich dir irgendwie behilflich sein können, lieber Onkel, so werde ich mich natürlich darum bemühen, deinen Anweisungen Folge zu leisten! Ach und, bevor ich es vergesse: Ich soll mich nach einem gewissen Marcus Iulius Licinus erkunden und ihm die Grüsse meines Vaters übermitteln.“ Sie legte die Fingerspitzen aneinander und blickte Proximus aufmerksam in die Augen: „Ist der besagte denn in Rom ansässig?“


    Sim-Off:

    Entschuldigung für die verspätete Antwort!

    Die junge Iulierin folgte dem Beispiel ihres Onkels und nahm auf der Kline ihm gegenüber Platz, drückte die Schultern durch und legte die Handflächen auf die Oberschenkel. Sie war sich gewöhnt an diese gerade, fast schon ein wenig steif anmutende Sitzhaltung. Man hatte ihr beigebracht, stets aufmerksam darauf zu achten. Dass man in familiärer Gesellschaft jedoch durchaus legerer und vor allem bequemer auftreten durfte, war allerdings irgendwie in ihrer Erziehung untergegangen. Sowieso hatte Laeva Mühe damit, sich in Gesprächen mit anderen Personen zu entspannen, und sie beneidete all jene, die sich ungeniert nach Lust und Laune frei von der Seele reden konnten. Dennoch versuchte sie, wenigstens einigermassen ungezwungen zu wirken, und die gutmütige, aufgeschlossene Weise, auf die Proximus sie ansah und mit ihr sprach, machte ihr es um einiges leichter, sich in seiner Gegenwart wohl zu fühlen. Er schien ein grossherziger Mann zu sein, zumindest, was sie betraf, und bereits jetzt wusste sie, dass ihr Onkel nicht ihrer Vorstellung eines machtgierigen, arroganten römischen Bürgers entsprach.


    Laeva war so vertieft darin, die Gesichtszüge ihres Onkels zu studieren, dass sie beinahe vergessen hätte, auf seine Fragen zu antworten. Sie blinzelte ein wenig zerstreut, dann nickte sie, als Proximus sich nach ihrem ‚Bauchgefühl‘ erkundigte. Diesmal schaffte sie es sogar, das Knurren ihres Magens ganz zu unterdrücken: „Nunja, ich … könnte vielleicht einen Bissen ertragen.“ Sie erinnerte sich daran, dass sie die letzte richtige Mahlzeit am Vorabend der heutigen Tagesreise zu sich genommen hatte. Morgens war ihr dann vor Nervosität, Heimweh und Ungewissheit so schlecht gewesen, dass sie nicht einmal die köstlichen, in Honig eingelegten Trauben, die sie sonst so mochte, geniessen konnte und sich leeren Magens auf den Weg gemacht hatte. Seitdem hatte sich eine dumpfe Übelkeit in ihrem Unterleib breit gemacht, der sie aber bis jetzt wenig Beachtung geschenkt hatte.


    „Die Reise verlief soweit ganz gut“, begann Laeva, noch ehe ihr Bauch ein weiteres Mal Gelegenheit hatte, zu protestieren. Sie überlegte angestrengt, wie sie Proximus davon überzeugen konnte, dass sie gerne nach Rom und zu ihm gekommen war und sich darauf gefreut hatte, die Reise anzutreten. Das Problem war nur, dass das alles nicht zutraf - und Laeva war eine miserable Lügnerin. Also beschloss sie, sich möglichst kurz und sachlich zu halten: „Vater hat sich Mühe gegeben, mir den Weg so einfach wie möglich zu bereiten. Ihm geht es übrigens gut, aber er ist eben ein vielbeschäftigter Mann und …“ Laeva schüttelte den Kopf, als sie merkte, wie sie vom Thema abschweifte: „Er lässt dich jedenfalls herzlich grüssen. Zurück zu meiner Reise … Was gibt es denn noch zu erzählen? Ach ja, mein Dienstmädchen wurde unterwegs krank und musste in Massalia zurückgelassen werden. Seitdem verlief die Reise recht eintönig. Nicht, dass ich mir ein Abenteuer gewünscht hätte, im Gegenteil. Aber mit den Gardisten an meiner Seite liess es sich ja schlecht über Frauenangelegenheiten diskutieren.“ Sie verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln, ehe sie ein wenig ratlos die Schultern zuckte.


    „Und … was meine Begleiter angeht“, fuhr Laeva fort und biss sich kurz auf die Unterlippe, ehe sie die Nase hochzog und bedauernd den Kopf schüttelte: „Wir wurden von der Wache am Stadttor aufgehalten. Mich liessen die Soldaten passieren, aber Nikos und der Griesgram … ich meine, die beiden Sklaven, die mich begleitet haben …“ Sie presste die schöngeschwungenen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und warf ihrem Onkel einen vorsichtigen Blick zu: „Ich werde sie wohl nicht wiedersehen. Jedenfalls nicht, bis diese Ausgangssperre aufgehoben ist … und bis dahin werden die beiden wohl längst ihres Weges gezogen sein.“


    Mit einem leisen Seufzen schwang sie nun doch die Beine auf die Liege, legte sich auf die Seite und stützte den Kopf auf den Handballen auf. Ihre Finger verschwanden in den hellblonden, weichen Locken, die über ihre Schultern fielen. Zwei kleine Zöpfe, die jeweils bei jeweils einer Schläfe begannen und sich im Hinterkopf miteinander verflochten waren, bändigten die verirrten Haarsträhnen, die ihr sonst in ihr schmales Gesicht gefallen wären.
    Noch immer ruhte Laevas Blick auf Proximus, dann runzelte sie die Stirn und richtete sich in ihrer Position ein wenig auf: „Wenn du mir die Frage erlaubst, Onkel … was hat es mit diesem Ausgehverbot auf sich?“

    Geistesabwesend verlor sich Laevas Blick im glasklaren Wasser des rechteckigen impluvium in der Mitte des Innenhofs. Ein zartes Kräuseln brachte die ansonsten spiegelglatte Wasseroberfläche zum Erzittern, und die junge Iulia verspürte jäh das drängende Bedürfnis, die hochgeschnürten Sandalen auszuziehen und die Füsse ins kühle Nass zu tauchen. Sie beugte sich vor, kniete sich am Rand des Beckens nieder und streckte die Hand aus. Fasziniert beobachtete sie, wie die Wassertropfen von ihren Fingerkuppen perlten, als sie die Hand hob und ins Licht hielt, das durch die Dachöffnung ins Innere des Atriums fiel. Die Sonnenstrahlen fingen sich in den Tropfen und liessen sie wie kleine, funkelnde Kristalle glitzern. Das sollte man malen, befand Laeva und fragte sich, ob ihr Onkel ihr wohl ein eigenes, kleines Atelier zur Verfügung stellen würde. Natürlich konnte sie eine solche Güte nicht von ihm erwarten, immerhin war es schon genug, dass er sie bei sich aufgenommen hatte. Andererseits … sie sollte doch gefördert werden, oder? Ob man ihr wohl einen Mentor arrangieren würde, der sie in der Malkunst unterrichtete? Oder würde man sie in die Schule der schönen Künste schicken? Vielleicht würde man sie aber auch gar nicht weiterbilden! Vielleicht war alles nur ein Vorwand, um ihr Rom schmackhaft zu machen! Vielleicht …


    Gerade als sie anfing, sich über das Vielleicht und das Was wenn den Kopf zu zerbrechen, wurde irgendwo eine Tür geöffnet und rasche Schritte näherten sich dem Atrium. Keine Sekunde später stand ihr in nächster Nähe ein hochgewachsener Mann mittleren Alters mit maskulinen Gesichtszügen gegenüber. Laeva erhob sich eine Spur zu hastig und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren, rettete sich in einem ungeschickten Schritt rückwärts und plumpste in derselben Bewegung zurück auf die Kline, die man ihr hergerichtet hatte. Ein wenig überrascht, als müsse sie sich zuerst über den kleinen Patzer bewusst werden, zog sie die Stirn kraus und sah an sich herab, ehe sie sich abermals eiligst, aber deutlich vorsichtiger aufrichtete, ihrem Onkel entgegentrat und sich eine kurze, dezente Musterung desselben erlaubte.


    Als erstes fielen ihr die blauen, freundlich dreinblickenden Augen auf, die ihr, zu ihrem eigenen Erstaunen, sofort ein vertrautes Gefühl gaben. Dann erklang seine warme, wohlwollende Stimme, als er ihr zuvorkam und sie begrüsste. Wie von selbst machte Laeva noch einen Schritt auf Proximus zu, nahm seine dargebotenen Hände und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrem Onkel die zwei ordnungsgemässen Küsschen auf beide Wangen zu hauchen, wie es sich für eine anständige Begrüssung ziemte. Anschliessend löste sie sich von ihm und sah aus ihren seltsam veilchenblauen Augen zu ihm auf: „Sei gegrüsst, lieber Onkel.“ Ein zärtliches, wie immer leicht melancholisches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Die Reise war …“


    Einen ganzen Moment lang überlegte sie, wie sie antworten sollte. Die Wahrheit war nämlich, dass der Weg bis nach Rom zwar unproblematisch, aber auch nicht gerade vergnüglich verlaufen war. Nicht selten hätte sie die unfreiwillige Wanderschaft gerne einfach abgebrochen. Aber das konnte und wollte sie ihrem Onkel nicht auf die Nase binden. „…angenehm“, vervollständigte sie also ihren Satz und verzog die Mundwinkel ein wenig. Wenn Proximus aufmerksam genug war und die Allüren eines Mädchens in ihrem Alter kannte, dann würde er diesen kleinen Wink vielleicht wahrnehmen und ihn sogar verstehen. Und wenn nicht … auch gut.

    Während der dunkelhäutige Torwächter sie mit sanfter Gewalt vor sich her schob, schweifte Laevas Blick über Decke und Wände des kurzen Korridors, den sie entlang gingen. Bereits hier war deutlich erkennbar, dass sehr viel Wert auf die Innenausstattung der Villa gelegt worden war. Und als sie schliesslich das Atrium betrat, kam Laeva kaum mehr aus dem Staunen heraus.


    „Meine Güte“, hauchte sie gebannt, die kunstvollen Fresken an den Wänden betrachtend. Fasziniert schaute sie sich um, folgte mit ihren Augen den eleganten Säulen, deren Kapitelle aus perfekten Voluten gebildet worden waren, über die vereinzelten, exotisch wirkenden Pflanzen bis hin zu den Lararien, die den Schutzgöttern der Iulier gewidmet waren. Auch der Boden, auf dem sie lief, war stilvoll aus kleinen Mosaiksteinen, die im Sonnenlicht in ihrer Farbpracht schillerten, gelegt worden. Da und dort waren Ahnenbilder aufgestellt, von Vorfahren, die Laeva völlig unbekannt waren. Als sie an einer der aus blütenweissem Marmor gefertigten Statuen vorbeilief, die wie stumme Zuschauer in jeweils einer Ecke des Wohnraums standen, konnte sie nicht anders, als die Hand auszustrecken und mit den Fingerspitzen den kühlen, glattgeschliffenen nackten Schenkel der Figur aus Stein zu berühren. Sie blieb stehen und betrachtete das Standbild einige Augenblicke lang, untersuchte jede Kerbe im Stein mit ihren prüfenden Blicken, wie sie es immer tat, wenn sie einem Kunstwerk gegenüberstand. Ihre Finger strichen über die feingearbeiteten Furchen, welche bei den Zehen den Nagel von der umliegenden Haut trennte. Wundervoll, dachte sie, ehe ein leises Räuspern sie herumfahren liess.


    Der Sklave, der nun vor sie trat, lächelte sie freundlich an und geleitete sie zu einer der bequem anmutenden Sitzliegen, auf die sich Laeva gerne niedersinken liess. Erst jetzt bemerkte sie, wie müde ihre Glieder von der langen Reise waren, und ihr wurde bewusst, dass sie lange nicht mehr richtig gut geschlafen hatte. Als sich der Sklave danach erkundigte, ob sie hungrig oder durstig sei, meldete sich ihr Magen zu Wort und sie presste rasch die Handfläche auf den Bauch, damit dieser zu knurren aufhörte. Der Bedienstete schmunzelte amüsiert und verschwand daraufhin ohne ein weiteres Wort.


    Gespannt und noch immer voll und ganz eingenommen von Architektur, Wandmalerei und Plastik des Atriums, wartete sie darauf, dass ihr Onkel sie in Empfang nahm. Gleichzeitig machte sie sich angestrengt Gedanken darüber, was Proximus überhaupt für ein Mann war. Denn, abgesehen davon, dass er ihr Onkel war, wusste sie von ihm … nichts. Sie hatten sich nie persönlich kennen gelernt, oder zumindest konnte Laeva sich nicht daran erinnern. Vielleicht war sie damals noch ein Kleinkind oder gar ein Säugling gewesen. Nun, jedenfalls konnte ihr Onkel kein schlechter Mann sein - sonst hätte ihr Vater sie nicht zu ihm geschickt, damit Proximus sie als seinen Schützling bei sich aufnahm.


    Trotzdem kamen ihr die Zweifel. Und das lag nicht einmal an ihrem Onkel, sondern ganz und gar an ihr selbst. Es war diese Ungewissheit, die ihr nicht behagte, das Gefühl, schutzlos einem praktisch Fremden ausgeliefert zu sein, nirgendwohin fliehen zu können. Eine Charaktereigenschaft, die viele ihrer Freunde den Kopf schütteln liess oder ihnen eine spöttische Bemerkung entlockte. Einige versuchten auch, hinter das Geheimnis dieser Besonderheit zu gelangen, was allerdings noch keiner geschafft hatte, auch Laeva selbst nicht. Sie war schon immer ein ‚Fluchttier‘ gewesen, schon als Kind. Und vermutlich würde das auch immer so bleiben.

    Der Schreck fuhr Laeva in alle Glieder, als die Tür geöffnet wurde und sie von einem Augenblick zum nächsten einem Koloss von Mann gegenüberstand. Mit einem leisen Keuchen wich sie vor dem Mann zurück, der einen so krassen Kontrast zu ihrer eigenen Gestalt bildete: Seine Haut war so dunkel wie seine Augen, die sie streng musterten. Wie ein Berg erhob er sich vor ihr, und wären seine Schultern nur eine Winzigkeit breiter gewesen, so wäre er im Türrahmen stecken geblieben.


    „Ich …“, begann Laeva, schluckte nervös und zwang sich dazu, dem Wächter aus ihren grossen, ängstlichen Augen direkt anzusehen. „I-ich bin Iulia Laeva, die Nichte von … von Marcus Iulius Proximus. Er hat mich … ich meine, ich …“ Als sie merkte, wie sie ins Stottern geriet, schoss ihr die Röte in die Wangen und sie kniff die Augen zu. Konzentrier dich, Laeva. Ordne deine Gedanken! Wie es dir beigebracht worden ist.
    Sie überlegte einen Moment lang, dann hob sie den Blick und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken: „Ich … bin auf Wunsch meines Vaters hier, um mich in die Obhut meines Onkels zu begeben.“

    Nun war sie also am vermeintlichen Ziel ihrer Reise.
    Laeva stand vor der schweren Pforte der Casa Iulia und starrte unschlüssig auf den kunstvoll gefertigten Türklopfer in Form einer Taube, die auf dem grauen, eisernen Hintergrund beinahe schon zerbrechlich wirkte. Laeva hob die Hand, hielt dann aber inne und warf nochmals einen Blick zurück.


    Von dem Soldaten, der sie bis hierhin begleitet hatte, war nichts mehr zu sehen. Vermutlich war er bereits wieder am Stadttor angelangt und hatte seinen Platz in den Reihen der Stadtwache ordnungsgemäss eingenommen, um die sich stauenden Reisenden in Schach zu halten. Noch immer hatte Laeva das Bild der unruhigen Menschenmasse vor Augen, hörte die verärgerten, unwirschen Stimmen, das Mahlen von Pferdezähnen und das verschreckte Röcheln des schwarzen Hengstes, auf das eine schneidende Zurechtweisung seines Reiters folgte. Und dann sah sie vor ihrem inneren Auge zwischen all den anderen verschwommenen Gesichtern klar und deutlich das von Nikos, dem Stalljungen. Man hatte Laeva nicht die Zeit gelassen, sich von ihm, ihrer Stute und dem Leibwächter angemessen zu verabschieden. Ein kurzes ‚Lebewohl‘ war das einzige, was ihr über die Lippen gekommen war, und Nikos hatte zum Abschied nur traurig, aber zuversichtlich gelächelt. Anschliessend war Laeva am Arm gepackt und nicht ganz sanft ins Innere der Stadtmauern bugsiert worden. Ein letzter Blick über die Schulter, dann schlossen sich die Tore hinter ihr.


    Auf dem Weg zum Anwesen der Iulier hatten Laeva und der Soldat, der sie begleitete, kein Wort miteinander gewechselt. Dennoch war sie ihm dicht auf den Fersen geblieben, aus Angst, ihren Führer bei der kleinsten Unachtsamkeit aus den Augen zu verlieren. Die Sorge war berechtigt: Anfangs hatte sie sich noch vorgenommen, sich den Weg zu verinnerlichen, doch schon hinter der dritten oder vierten Biegung verlor sie den Faden und gab den Versuch auf. Das Gewirr aus Nebensträsschen und Seitengässchen glich einem Labyrinth, aus dem sie nie wieder herausfinden würde, sollte sie sich eines Tages darin verlaufen. So zumindest kam es ihr vor.
    Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Gestank von menschlichen Ausscheidungen waren überwältigend. Aber was Laeva viel mehr beunruhigte, war die gespenstische Stille, die wie eine unsichtbare Decke über diesem Teil der Stadt lag. Während sie die Häuserreihen passierten, war ihnen kaum ein Mensch begegnet, und die wenigen, die aus den Fenstern ihrer Häuser auf die Strasse hinabsahen, kamen Laeva wie Geister vor. Die beobachtenden Blicke, die sich in ihren Rücken bohrten, liessen sie frösteln, und zuletzt hatte sich die junge Frau dazu gezwungen, den Kopf zu senken und diese lebenden Spukgestalten zu ignorieren, so gut es eben ging.
    Als sie dann endlich die auf dem Esquilin erbaute Villa der Iulier erreichten, geleitete sie der Wachmann noch exakt bis vor die erste Stufe jener Treppe, die zum Eingangsportal hinaufführte, legte ihr Gepäck ab und kehrte Laeva anschliessend den Rücken, ohne ein Wort des Abschieds oder gar des Glückwunschs.


    Nun war sie allein, und obwohl der Soldat bei Weitem nicht die angenehmste Gesellschaft war, die sie sich hätte vorstellen können, wünschte sie sich einen Moment lang, der Mann möge zurückkommen und in ihrer Nähe bleiben.
    Laeva schluckte und sah auf das Bündel mit den wenigen Habseligkeiten hinab. Es war nicht viel, was sie von zuhause mitgenommen hatte: Wechselkleidung, die notwendigsten Hygieneartikel, eine Reiselektüre, die sie kaum angerührt hatte. Kein Schmuck oder sonstige Gegenstände von grösserem Wert, die Banditen hätten anlocken können. Mit dem Luxus, der ihr auf der Reise verwehrt geblieben war, würde man sie in Rom gerade so überschütten, hatte ihr ihre langjährige Kinderfrau vorgeschwärmt. Beim Gedanken daran verzog Laeva die Lippen und liess ihren Blick skeptisch über den Türrahmen gleiten: Luxus. Den wollte sie gar nicht. Schmuck, Gold, Edelsteine, neuste Mode, teure Weine, Delikatessen, Sklaven, die ständig um sie herumschwirrten … das alles brauchte sie doch nicht!
    Das, was ihr am meisten am Herzen lag, waren Pinsel, Spatel, Bindemittel, Farbe und eine freie Fläche, die ihr zum Malen diente. Und Ruhe. Und vielleicht eine schöne Gartenlandschaft, die ihr kreatives Wesen anregte. Aber doch nicht Luxus.


    Mit einem leisen Seufzen hob Laeva abermals die Hand, griff nun endgültig nach dem taubenförmigen Klopfer und stiess ihn gegen die Tür, zuerst zögerlich, dann fester.

    Wenn es dem Soldaten daran gelegen hatte, noch einschüchternder zu wirken, als er es ohnehin schon tat, so war ihm das meisterhaft gelungen. Zumindest, was Laeva betraf. Sie sank noch ein wenig mehr in sich zusammen, senkte den Blick und versteckte sich so gut als auch nur möglich hinter dem Rücken des Stallburschen. Wie gerne sie sich jetzt doch in Luft aufgelöst hätte!
    Nikos schien nicht im Geringsten beeindruckt. Im Gegenteil: Mit einem frechen, beinahe schon grossspurigen Funkeln in seinen dunklen Augen tat er es dem Soldaten gleich und warf sich in die Brust. Gleichzeitig stellte er sich auf die Zehenspitzen, um noch etwas grösser zu wirken. „Mal abgesehen davon, dass meine Domina gar keiner Legitimation bedürfte“, begann Nikos und schwelgte dabei wie ein Hahn in seinem Stolz, „haben wir tatsächlich eine Urkunde, die den Aufenthalt meiner Herrin in Rom bewilligt.“ In einer unglaublich theatralisch wirkenden Bewegung - er hätte Schauspieler werden sollen, nicht Stallbursche - überreichte Nikos dem Soldaten den Brief von Laevas Onkel und fügte mit einem triumphierenden Lächeln hinzu: „Ausgestellt von Marcus Iulius Proximus.“


    Während die Wache das Dokument entfaltete und zu lesen begann, wandte sich Nikos zu Laeva um und schenkte ihr dasselbe siegesbewusste Grinsen wie zuvor dem Soldaten, wurde dann aber schlagartig ernst, als er ihren verschreckten Gesichtsausdruck wahrnahm: „Alles in Ordnung mit dir, Domina? Du siehst ein wenig … blass aus.“
    Laeva starrte ihn völlig perplex an. Ob alles in Ordnung war? DAS fragte er sie allen Ernstes? Sie spürte, wie sich zu Angst und prickelnder Nervosität auch noch Ärger mischte, sodass sie vor innerer Anspannung zu platzen drohte. Doch auch wenn ihr danach war, auch wenn sie am liebsten laut losgeschrien oder geweint hätte, sie tat es nicht. Wie immer verdrängte sie das, was sie fühlte, konzentrierte sich darauf, das Brodeln in ihrem Körper zu besänftigen, sodass zuletzt nur noch ein dumpfes Gefühl leichter Übelkeit zurückblieb, das viel leichter zu ertragen war. „Du bist verrückt“, stiess sie kaum hörbar hervor und suchte in seinen Augen nach etwas, das wenigstens ansatzweise nach Einsicht aussah.
    Nikos zuckte die Achseln: „Mag sein, aber wenigstens bist du dann in der Stadt. Und jetzt tu mir den Gefallen und lächle, Domina! Das wird dir später noch von Nutzen sein, wenn ich nicht mehr an deiner Seite bin.“
    Sie stutzte: „Was soll das heissen: ‚Wenn ich nicht mehr an deiner Seite bin‘?“
    Eine von Nikos dichten Augenbrauen rutschte in die Höhe und er sah sie auf eine Weise an, die Laeva nicht gefiel. Schliesslich schüttelte Nikos nur den Kopf und deutete mit einem kurzen Nicken auf die Torwache und die Urkunde, die sie in Händen hielt: „Das Dokument deines Onkels ist für dich, Domina. Von meiner Wenigkeit ist darin keine Rede.“


    Laeva öffnete den Mund und wollte gerade protestieren, doch Nikos hob rasch den Finger und legte ihn ihr auf die Lippen. Die Berührung liess Laeva innehalten. Sie vergass, was sie soeben hatte sagen wollen, sah gebannt in die dunkelbraunen Augen des jungen Pferdeknechts, dessen eindringlicher Blick ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte. „Es ist gut so“, sagte Nikos ruhig, aber entschieden, und Laeva nickte, eingenommen von der festen Überzeugung, die der junge Grieche ausstrahlte. Dann, ohne dass sie es eigentlich beabsichtigt hatte, umspielte ein mattes Lächeln ihre Lippen.

    Zufrieden liess Nikos seine Hand sinken und wandte sich ohne ein weiteres Wort wieder der Stadtwache zu. Er sah nicht, dass das Lächeln auf Laevas Lippen ebenso schnell verblasste, wie es erschienen war - und auch nicht, dass seine Herrin, die ein Mädchen von siebzehn oder weniger Sommern war, mit den Tränen zu kämpfen begann.

    „Au! Verdammt, das war mein Fuss, du dummes Balg!“


    „Habt ihr keine Augen im Kopf?“


    „He, nun passt doch auf, ihr - “



    Laeva schloss die Augen und zählte innerlich von eins aufwärts, um den gehässigen Blicken der Umstehenden zu entgehen, während Nikos sie ungeachtet des misslaunigen Murrens gnadenlos hinter sich her zog. Er umschloss ihr Handgelenk so fest mit seinen kräftigen Fingern, dass sie das Gefühl hatte, ihr Arm befände sich in einem Schraubstock. Es tat weh, und hätte Laeva die Courage dazu gehabt, so hätte sie diesem griechischen Pferdeknecht ihre Hand entrissen und ihm mit derselben für seine Dreistigkeit eine schallende Ohrfeige verpasst!
    Nein … das hätte sie nicht getan. Selbst wenn sie den Mut dazu aufgebracht hätte, sie mochte den vorwitzigen, aber liebenswürdigen Knaben viel zu sehr. Und überhaupt: Laeva schlug nichts und niemanden. Nie. Selbst dann nicht, wenn man sie in eine derart unangenehme Situation brachte wie die, in der sie gerade steckte.
    Wieder rammte man ihr einen Ellenbogen in die Rippengegend, wieder wurde sie grob zur Seite geschubst. Ob beabsichtigt oder nicht, sie wollte gar nicht darüber nachdenken. Noch immer hatte sie die Augen geschlossen, stolperte vorwärts, und nur Nikos Arm bewahrte sie vor einem Sturz auf den von Schuhsohlen und Pferdehufen schlammig getretenen Untergrund.


    Dann, als sie im Zählen gerade bei sechzehn angelangt war, liess Nikos ihre Hand plötzlich los und sie blieb stehen. Vorsichtig öffnete sie die Augen, blinzelte - und sah sich mit Schrecken einem Brustpanzer aus blank polierter Bronze gegenüber! Die Stadtwache, vor der sie stand, sah aus den Augenschlitzen ihres Helms auf sie herab und fixierte sie mit dem scharfen Blick eines Falken, der im Begriff war, eine kleine, hilflose Maus mit seinem spitzen Schnabel zu packen. Rasch wollte Laeva zurückweichen, die zartgeschwungenen Lippen in einem erstickten Laut des Erschreckens ein wenig geöffnet, doch hinter ihr schloss sich die schmale Gasse, die Nikos ihnen gebahnt hatte, wieder und die übellaunige Menge der Wartenden versperrte ihr den einzigen Fluchtweg, den es gab.


    Es war wiederum Nikos, der die Bestürzung in Laevas Augen bemerkte, und er legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter. Jedem anderen hätte diese Geste Vertrauen eingeflösst, und zumindest eine wenig Trost gespendet, aber Laeva fühlte sich dadurch nur noch elender, und im Angesicht dieses grimmig dreinschauenden Soldaten, der wie ein Riese aus Metall vor ihr aufragte, wurde ihr speiübel vor Furcht.
    Schliesslich verlor Nikos die Geduld, verdrehte die Augen und schob sich zwischen Laeva und die Wache vor dem Stadttor. Obwohl der Stallbursche für sein Alter recht hochgewachsen war, überragte sein Gegenüber ihn dennoch um mindestens einen halben Kopf. Ausserdem hatte Nikos noch die Statur eines Knaben, nicht die eines Mannes, und so wirkte er neben dem Soldaten wie eine Vogelscheuche, bei der fleissig an Füllung gespart worden war.
    Umso mehr erstaunte Laeva der gefasste, fast schon ein wenig trotzige Ausdruck auf Nikos Gesicht. Er schien vollkommen ruhig und unbeirrt, als er die Hände in die Hüften stemmte, gerade Haltung einnahm und das Kinn reckte: „Meine Domina, Laeva von den Iuliern, erbittet Einlass nach Rom! Öffnet die Tore für meine Herrin!“


    Mit einem Gemisch aus Überraschung und masslosem Entsetzen starrte Laeva den Stallburschen von der Seite her an. Ihr Blick sprach mehr als tausend Worte, die sie noch so gern aus vollem Hals herausgeschrien hätte: Bist du verrückt geworden? Willst du dich umbringen? Und mich gleich mit dazu? Bei Iupiter und allen anderen Göttern, hast du den Verstand verloren?
    Natürlich brachte Laeva keinen Mucks heraus. Die Gedanken rasten hinter ihrer Stirn, bildeten ein wirres Wollknäuel aus Befehlen, die ihr Gehirn an ihre Glieder weiterschickte, angespornt durch die Stimme der Vernunft, die mit ihrem Geschrei alle anderen Gedanken übertönte: Verschwinde von hier! Sofort! Auf der Stelle! Doch Laeva blieb wie angewurzelt stehen, sprachlos, unfähig, auch nur einen kleinen Zeh zu rühren.

    Sim-Off:

    :* NPCs, die in späteren Postings nicht mehr erwähnt werden



    Als in der Ferne das in die mächtige Ringmauer eingebaute Stadttor in Sicht kam, wusste sie nicht, um welchen der vielen Durchlässe, die in die Stadt hineinführten, es sich handelte. War es die Porta Collina? Oder die Porta Quirinalis? Es war ihr ein Rätsel. Längst hatte sie die Übersicht verloren und den Versuch aufgegeben, sich die vielen Namen auf dem Plan, den man ihr mitgegeben hatte, einzuprägen. Irgendwann würde sie sich ja doch verlaufen.


    So ging es schon die ganze Reise lang. Seit ihrem Aufbruch befand sich Laeva in einem Zustand melancholischer Wahrnehmungslosigkeit, die an Nostalgie grenzte. Ja, Laeva hatte Heimweh - und das nicht zu knapp. Als man ihr vor ein paar Monaten sagte, sie würde nach Rom geschickt werden und dort für unbestimmte Zeit bei ihrem Onkel leben, hatte sie sich überrascht nach dem ‚Warum?‘ erkundigt. Es sei eine Möglichkeit, ihre Fertigkeiten in der Malerei zu schulen, hatte man ihr geantwortet. Sie würde Künstler kennen lernen, die ihr Wissen erweitern und sie in den verschiedensten Techniken unterweisen würden. Und vielleicht würde man in Rom auch Gefallen an ihren eigenen Werken finden.


    Das war jedoch nicht der einzige Grund, und Laeva wusste das. Viel eher hatte ihr Vater die Geduld verloren und die Aufgabe, einen anständigen Ehemann für seine Tochter zu finden, einem anderen übertragen, nämlich ihrem Onkel. Laeva war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen oder grämen sollte. Vermutlich nichts von beidem, denn es änderte ja kaum die derzeitige Situation. Aber die Tatsache, dass sie eine lange Reise antreten musste, die sie zu Verwandten bringen würde, die sie kaum kannte, machte ihr Angst. Sie war eine Person, die den Zustand ruhiger Ereignislosigkeit dem Abenteuer vorzog, und die Aussicht auf ein anderes Leben in einer anderen Stadt, auf neue Menschen und eine neue Ordnung war beunruhigend. Dieses Rom, diese Stadt, dieses Zentrum der Macht … das war kein Ort für sie.


    Und doch hatte Laeva den Entscheid ihres Vaters gehorsam hingenommen und war mit einer kleinen Garde und ihrer einzigen Dienerin von Tarraco in Spanien aufgebrochen. Von der anfangs zehn Mann starken Truppe, die man ihr als Schutz mitgegeben hatte, war nunmehr nur noch dieser eine, mürrisch dreinblickende Hüne mit dem übermässigen Bartwuchs übrig geblieben, der in Laeva nicht das geringste Vertrauen weckte. Der Rest der Garde hatte sich auf dem Weg in alle Winde zerstreut, da ihnen von Lucius Iulius Flavianus noch andere Aufgaben zugeteilt worden waren. Und auch Laevas Gespielin musste sie unterwegs zurücklassen, denn das Mädchen litt an einer üblen Magenverstimmung und klagte über stechende Bauchschmerzen. Nun waren nur noch der genannte Wächter*, dessen Herkunft sie nicht kannte, und ein junger, gesprächiger Stallbursche, dessen Name Nikos* auf seine griechische Abstammung hindeutete, an Laevas Seite.


    Eben dieser Stallbursche machte als erster auf die näherkommende Stadt aufmerksam und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach vorne: „Seht nur, Domina! Wir sind am Ziel unserer Reise!“ Er klang fröhlich, beinahe schon euphorisch. Laeva hob müde den Kopf und nickte stumm, während sie versonnen mit ihren schlanken Fingern durch die weiche Mähne ihrer Schimmelstute strich. Kalliope, so nannte sie das Pferd, hatte sich zu Laevas Erleichterung als sehr liebes, genügsames Tier erwiesen, das nicht im Geringsten schreckhaft oder störrisch war. Sie mochte nicht die schönste Stute sein, aber sie war durchaus für eine unerfahrene Reiterin wie Laeva geeignet. Brav trottete sie auf der Strasse kontinuierlich vorwärts, hob von Zeit zu Zeit den Kopf, spitzte die Ohren, schnaubte und liess das Haupt wieder sinken.
    „Aber … was soll das denn?“


    Wieder war es Nikos Stimme, die Laeva aus ihren Gedanken riss. Sie richtete ihren Blick nach vorne und erkannte, was die Aufmerksamkeit des Jungen erregt hatte: Vor ihnen am Tor, das zu Laevas Erstaunen geschlossen war und von einer Reihe gut ausgerüsteter Soldaten bewacht wurde, tummelte sich eine ganze Menge Menschen unterschiedlichen Standes und Berufs. Da war dieser Händler, dessen Töpferwaren noch eingepackt auf seinem Karren lagen. Dort der stattliche Ritter auf seinem Pferd, das ungeduldig auf der Trense herumkaute, sodass gelblicher Schaum aus seinen Mundwinkeln troff. Der Rappe ragte wie ein dunkler Fleck aus braunen, wabernden Masse der Anwesenden heraus, die allesamt durcheinander redeten, hier und da empörte Laute und Rufe von sich gaben. Einige redeten heftig gestikulierend auf die Wachen am Tor ein, die sich allerdings keinen Schritt von der Stelle rührten.


    Laevas Blick aus den grossen, veilchenblauen Augen irrte über die Köpfe der Präsenten, hielt Ausschau nach einem bekannten Gesicht. Doch da war niemand, den sie auch nur ansatzweise als Mitglied der Iulier erkannt hätte. Nikos brachte die Schimmelstute zum Stehen. Der Leibwächter mit dem verbissenen Ausdruck tratneben sie, schloss seine Pranken um Laevas Taille und half ihr vom Rücken des Pferdes. Sie schwankte ein wenig, als sie wieder festen Boden unter den Füssen spürte und hielt sich einen Moment lang am Arm des Hünen fest, ehe sie zu ihm aufsah und sich zu einem freundlichen Lächeln zwang: „Danke.“ Der Wächter antwortete wie erwartet - nämlich gar nicht.


    Laeva wandte sich nach vorne, der Menge zu und versuchte, einen Blick auf die Tore zu erhaschen, was angesichts der dichtaneinander stehenden Leute nicht einfach war. Nikos tippte derweil einem Mann auf die Schulter und zeigte auf das geschlossene Stadttor. Laeva konnte nicht verstehen, was er mit dem Fremden beredete, doch nach einem Moment kam Nikos zurück und machte ein saures Gesicht: „Sieht nicht gut aus, fürchte ich.“
    „Was ist denn los?“, wollte Laeva wissen. Nikos verzog die Mundwinkel, atmete tief ein und aus und schüttelte den Kopf: „Anscheinend wurde eine Ausgangssperre verlegt. Niemand kommt rein oder raus.“
    Laeva machte grosse Augen: „Eine Ausgangssperre? Aber weshalb?“
    „Das weiss ich nicht, Domina.“
    „Und wie lange dauert dieser Zustand noch?“
    Nikos hob ratlos die Schultern: „Keine Ahnung. Ein paar Tage. Vielleicht Wochen.“


    Laeva verlor resignierend an Haltung und sah hinüber zu den Soldaten, die noch immer unverrückbar an derselben Stelle standen. Das fängt ja fabelhaft an, ging es ihr durch den Kopf, und ein Ausdruck der Verzweiflung stahl sich in ihr Gesicht. Tage, Wochen. Wo sollte sie denn solange bleiben? In irgendeinem Gasthaus ausserhalb der Stadtmauern? Bestimmt waren diese bereits überfüllt. Und wenn sie noch ein freies Bett finden würde, hatte sie überhaupt noch das Geld dazu, sich selbst, ihre zwei Begleiter und das Pferd unterzubringen? Kaum. O Götter, musste das denn nun wirklich sein?


    Nikos schien ihren Unmut zu spüren, überlegte einen Augenblick lang und nickte dann bestimmt: „Hast du den Brief deines Onkels noch, Domina? Das Dokument, das er ausgestellt hat?“
    Laeva nickte zögerlich: „Ja, natürlich. In Kallipes Satteltaschen.“
    Nikos trat an die Stute heran, kramte in ihrem Gepäck und zog schliesslich ein zusammengefaltetes Stück Pergament heraus. Mit einem zuversichtlichen Grinsen hielt er es Laeva unter die Nase und ergriff ihre Hand: „Wir bringen dich schon irgendwie in die Stadt, Domina.“
    „Aber wie willst du das anste …“, begann Laeva, wurde allerdings sofort unterbrochen: „Lass mich nur machen, Herrin.“ Ohne dass sie Zeit gehabt hätte, ihm ihre Hand zu entziehen, zog Nikos sie hinter sich her und drängte sich durch die Menge - direkt auf die Wachen am Tor zu.



    Sim-Off:

    Hiermit ersuche ich eine mehr oder weniger gnädige Stadtwache um Teilnahme am Posting und um Eskorte zur Casa Iulia!

    Salve Licinus,



    Erstmal Danke für die Aufnahme!
    Übrigens, was den Wohnort betrifft ... da bin ich flexibel! Falls es dir lieber ist, bzw. bessere Startmöglichkeiten für mich bietet, dann kann 'Roma' auch geändert werden.
    Ansonsten werd' ich bis Januar eben warten! ;)


    Liebe Grüsse

    Wie schon angekündigt, wende ich mich jetzt mal der Anmeldung von Iulia Laeticia zu:


    Name: Iulia Laeticia
    Gens: Iulia
    Wohnort: Roma


    Zusätzliche Informationen:
    Die junge Laeticia hat ein sehr zärtliches, aber schüchternes Wesen und sie neigt dazu, sich alles recht schnell zu Herzen zu nehmen. Nebst ihrer verletzlichen Seite zeigt das Mädchen ein ausgeprägtes Talent in Malerei und in der Bearbeitung und Verzierung von Kleidungsstücken.

    Interessant fände ich, wenn sie nicht der Hauptfamilie sondern eventuell einem weniger bedeutendem Nebenstamm angehören würde, jedoch von ihren einflussreicheren Verwandten zur Förderung ihrer Künste und/oder auf Wunsch ihres Vaters (der so ein verträumtes Ding kaum unter die Haube bekommt) als Mündel aufgenommen wird.


    ;) Na, dann bin ich mal gespannt, was jetzt kommt!