Beiträge von Brion

    Ich konnte schon die Münzen unter meinen Fingern genau spüren, konnte förmlich das das Konterfei des Kaisers darauf ertasten. In mir wollte sich sogar schon das wohlige Gefühl breitmachen, nach all dem Pech der letzten Wochen, wenigstens einen kleinen Triumph eingefahren zu haben. In Zukunft würde ich wieder viel mehr auf meine innere Stimme hören, schwor ich mir. "Nicht schlecht", meldete es sich dann auch gleich, sich selbst lobend. "Das langt locker für eine Nacht in einem richtigen Bett. Davon hast du in letzter Zeit doch nur träumen können." Auch meine Mundwinkel wollten sich bei diesem Gedanken schon zufrieden nach oben ziehen. Doch all diese Bemühungen fanden abrupt ein jähes Ende, als ich plötzlich eine Stimme hinter mir vernahm. Ruckartig, nein schreckhaft hielt meine Hand inne. Sie verlor mit einem Mal den Kontakt zu den Münzen auf dem Tisch. Schnell zog ich sie unter die Tischplatte, wo sie sich im Verborgenen von ihrem Schrecken erholen konnte. Mein Gesicht war plötzlich wie eingefroren. "Scheiße" dachte ich, "meine innere Stimme ist ein Arschloch!" Leider kam diese Erkenntnis ein bisschen zu spät. Schade eigentlich!


    Sachte drehte ich mich zu jenem Individuum hin, welches mich soeben angesprochen hatte. Ein fröhlich dreinblickender Gesell in römischer Uniform sah auf mich herab. Das willst du net wirklich, hatte es… er gesagt. Gleich erkannte ich darin den Akzent der Einheimischen hier. Der war mir inzwischen vertraut geworden, auch wenn er manchmal noch etwas gewöhnungsbedürftig klang. Und auch wenn sich mein neuer "Freund" noch so anstrengte, würde er diesen für diesen Landstrich typischen Akzent nie ganz ablegen können. "Wenigstens ein Germane!", dachte ich. "Wenn auch einer in einer verdammten römischen Uniform, pah!"
    Wieso war der Kerl mir eigentlich nicht vorher aufgefallen. Wahrscheinlich hatte er sich gerade in dem Moment dünne gemacht, als ich noch mit meinem Scheißpuls auseinandergesetzt hatte.
    Schwer zu sagen, ob mit ihm gut Kirschen essen war, oder ob ich gleich in hohem Bogen aus der Taverne flog und die halbe Garnison hinter mir her war.
    "Ich wollte die Münzen nur in Sicherheit bringen… Dein Freund… der war auf einmal weg… mit der Alten… äh der Kleinen ", stammelte ich verschmitzt in meinem, für mich so typischen britannischen Akzent. "Nicht, das es hinterher weg ist... das Geld meine ich… Läuft ja so viel Gesocks überall rum." Ich verlangte mir sogar auch noch ein Grinsen ab. Keine Ahnung, ob er mir das abnehmen würde.

    Tja, geschmiert hatte sie ihm keine. Aber für meinen Geschmack verduftete sie ganz schnell, so als hätte sie es mit der Angst gekriegt. Mit ihrem Po hatte sie mir einen kleinen Rempler versetzt. Schon wollte ich losnörgeln, aber dann sah ich ihre Rundungen, die sich in Richtung Tür verdünnisierten. Wirklich... nett!
    Damit hatte der Helmträger garantiert nicht gerechnet. Sah ziemlich verdeppert aus. "Geschieht ihm Recht! Verdammter Besatzer!", dachte ich grinsend, als endlich ein dampfender Napf Puls und ein Becher Cervisia vor mir abgestellt wurde. "Na endlich!", sagte ich und begann gierig zu löffeln.
    Scheiße, war das heiß! Meine Zunge hatte das gleich zu spüren bekommen. "Mift!", zischte es aus meinem Mund, begleitet von einigen Brocken des Pulses.
    Nebenan hatte es der Helmträger plötzlich ziemlich eilig. Anscheinend wollte er der Kleinen nach. Mir war das aber ziemlich egal. Ich war mit Wichtigerem beschäftigt.Schnell versuchte ich meine verbrühte Zunge mithilfe der Cervisia zu kühlen. Bevor er ihr nachhechtete, ließ er eilig vor sich einige Münzen klimpern. Dann war er weg.
    Das süße Geräusch der aneinanderschlagenden Münzen machte mich wieder hellhörig und meine schmerzende Zunge tat -oh Wunder- gar nicht mehr weh. Ich schluckte den Gerstensaft hinunter und richtete meine Augen direkt zu den Münzen, die schräg gegenüber auf dem Tisch lagen. Die konnte ich jetzt wirklich gut gebrauchen! Doch im gleichen Atemzug fiel mein Blick auf die anderen Legionäre, die etwas weiter weg von mir saßen. Ob die was merkten, wenn ich mich mal kurz bei den Münzen ihres Kollegen bediente? Wahrscheinlich beachteten die mich gar nicht. Die waren alle so ausgelassen und tranken, was das Zeug hielt und ihr Geldbeutel hergab.
    "Na los! Trau dich, Brion!", sagte eine innere Stimme zu mir. Aber ich war noch unschlüssig. Sollte ich wirklich? Wenn mich einer erwischte. Ich wollte nicht schon wieder Ärger mit irgendwelchen Legionären haben. "Na los, du Schlappschwanz! Worauf wartest du noch? Das ist die Chance!" meinte die innere Stimme weiter. "Na schön", dachte ich und schob meine rechte Hand ganz unauffällig über die Münzen. Langsam ließ ich die Hand zur Tischplatte sinken und schob sie und die darunter befindlichen Münzen wieder zu mir zurück. "Na siehste, das war doch einfach gewesen!", hörte ich es wieder in meinem Kopf und wollte schnell die Münzen in meinem Beutel verschwinden lassen.


    Sim-Off:

    Wer will, der darf!

    Sim-Off:

    Ich darf doch? Wenn nicht, ignoriert mich einfach!


    Im Grunde glich diese Stadt fast jeder anderen, die ich bisher gesehen hatte. Jede Menge geschäftiger Leute, die unterwegs waren, um das eine oder andere zu erledigen. Auch die Häuser und die Läden hätte man in jeder anderen Stadt wieder finden können. Und zwischen all den Häusern und all der Geschäftigkeit traf man hie und da auf einen Tempel für irgendeinen Gott, eine Taverne aus es manchmal verlockend roch, ein Lupanar vor dem die Huren die Feier mit ihren Rufen lockten oder auf ein anderes Heiligtum für irgendwelche anderen Götter.


    Allmählich begann mein Magen zu knurren. Außerdem fühlte sich meine Kehle wie ausgetrocknet an. Zum Glück befanden sich noch einige wenige Münzen in meinem Beutel, den ich immer sicher unter meiner Tunika zu tragen pflegte. Für ein warmes Essen, was zu trinken und ein unkomfortabeles Strohlager für die Nacht konnte es vielleicht noch reichen. Also steuerte ich den erstbesten Laden an, was sich womöglich auch als handfeste Fehlentscheidung herausstellen konnte, was mir aber zu diesem Zeitpunkt ziemlich am Arsch vorbeiging.


    Ich trat ein und sagte artig: "Tach, äh Salvete!" Mannomann, wann begriff ich endlich, dass ich nicht mehr zu Hause war?! Aber hallo, wo war ich denn hier gelandet? Ein Haufen Helmträger, die sich’s hier gemütlich machten. Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht wieder kehrt gemacht, denn mit den Kerlen vom Militär hatte ich es nicht so. Dennoch zögerte ich nicht und setzte mich an einen freien Platz.Der Hunger und Durst treibt uns manchmal zu Dingen an, die man besser gelassen hätte.
    Ich bestellte mir eine Cervisia und eine Schale Puls. Während ich so auf mein Essen wartete, beobachtete ich die anderen Leute, die sich hier so herumtrieben. Dabei ließ es sich nicht vermeiden, der einen oder anderen Unterhaltung zuzuhören. Der Kerl neben mir zum Beispiel, einer der Helmträger, prahlte vor einer Schönheit, was für ein toller Hecht er doch war. Ja ja, angeben konnten sie, diese Römer! Ich zog nur meine rechte Augenbraue hoch und dachte mir meinen Teil. Verdammmich, jetzt küsste er sie auch noch! Und die Kleine? Ging sie dem Kerl auf den Leim? Oder scheuerte sie ihm eine (so wie es bei mir immer passierte, wenn ich eine küsste)? Sie schien etwas unsicher zu sein.

    Der Fuhrmann, der mich in Bingium aufgelesen hatte, trieb seine Ochsen an. Auch er wollte möglichst noch vor Sonnenuntergang die Stadt erreichen. Allerdings beeindruckte das die beiden Viecher nicht wirklich. Sie liefen schön brav in ihrem Trott weiter. Auch ich war nicht abgeneigt, die kommende Nacht mal wieder in einem richtigen Bett oder wenigstens auf einer Strohmatte zu verbringen. In letzter Zeit war ich weit davon entfernt gewesen, Fortunas Liebling zu sein. Entweder hatten sich die Leute in den Civitates alle so furchtbar lieb oder niemand wollte mir einen gescheiten Auftrag geben, der etwas Zaster einbrachte. Je länger ich darüber nachdachte, schlich sich die leise Vorahnung ein Antwort B könnte zutreffend sein. Bildete ich mir das nur ein, oder waren die Leute hier irgendwie anders? So misstrauisch gegen Fremde, wie mich zum Beispiel. Im Gegenzug dazu, schien es fast so, als kämen sie ganz prima mit den elenden Besatzern aus. Pfui! Na, das musste man vielleicht auch nicht wirklich verstehen.


    Vor uns tauchten allmählich die Umrisse Mogontiacums auf und man konnte sich langsam ein Bild davon machen, wie groß die Stadt war. Auf dem Fluss herrschte geschäftiges Treiben. Zum Glück war es noch früh im Jahr, sonst wäre man mit großer Wahrscheinlichkeit von hunderttausenden von marodierenden Stechmücken heimgesucht und aufgefressen worden. So hatte ich es jedenfalls im letzten Sommer erlebt, als ich mich nichtsahnend in den Auen des Rhenus aufgehalten hatte. Damals hatte ich gelernt, wenn man sich mit Schlamm einschmiert, hatte man Ruhe vor den Plagegeistern. Allerdings stank man dann wie ein Iltis und besonders bei der weiblichen Bevölkerung hatte man noch weniger Chancen.
    Hach ja, die Frauen! Über dieses Kapitel in meinem Leben schweige ich am liebsten, denn es gibt nichts Heldenhaftes davon zu berichten. Vielleicht war meine Mutter der Grund, weshalb ich schon in meiner Jugend Hemmungen hatte, ein Mädchen auch nur anzusehen, geschweige denn anzusprechen. Selbst wenn ich mich in die Nähe eines Lupanars gewagt hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, gleich meiner Mutter zu begegnen. Obwohl sie nie in einem Lupanar gearbeitet hatte! Sie war all die Jahre selbstständig und stolz darauf gewesen. Die Huren ihrerseits lästerten nur über mich, ich sei ein Schlappschwanz. Als ich jünger war, hatte ich mich gefragt, ob etwas nicht mit mir stimmt. Inzwischen versuche ich, darüber zu stehen. Mal mit mehr oder weniger Erfolg.


    Die Stadt rückte näher und näher, bis man schließlich das Stadttor schon deutlich erkennen konnte. Der Fuhrmann verlangsamte seine Fahrt, was seinen Ochsen sehr entgegen kam. Er freute sich bereits auf seinen Besuch in den Thermen, gab er mir händereibend zu verstehen. Ich lächelte nur nickend. Noch hatte ich keinen Plan, worauf ich mich freuen sollte, oder was ich hier überhaupt tun sollte. Vielleicht sollte mein Aufenthalt in Mogontiacum auch nur ein weiterer Punkt auf meiner Reise entlang des Rhenus werden. Nur die Götter wussten das, wenn überhaupt. Aber womöglich waren selbst die mit dieser Frage heillos überfordert.

    Immer wenn ich etwas über mich erzählen soll, dann weiß ich nie, wo genau ich anfangen soll. Also fang ich am besten ganz vorne an. Mit meiner Geburt. Dummerweise kann ich mich daran aber gar nicht mehr so genau erinnern, hahaha. Tschuldigung! Kleiner Scherz!
    Manche behaupten ja, ich sei ein hoffnungsloser Fall. Was die wohl meinen? Ja sicher, bisher habe ich mich immer zurückgehalten, wenn es um ehrliche Arbeit und Frauen ging. Aber eines Tages, irgendwann, ja! Dann werdet ihr´s sehen! Naja, bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit. Ähm, wo war ich doch gleich stehen geblieben? Ach ja, mein Leben…


    Also, ich bin so was, was man auch als "Besatzungsschaden" bezeichnet. Das kam daher, dass meine Mutter eine Begegnung der ziemlich unfreiwilligen Art hatte. Mit so einer dahergelaufenen Hakennase, äh Legionär. Neun Monate später kam ich dann auf den Plan. Na schön, meine Mutter gehörte nicht unbedingt zu den tugendhaftesten unter den Frauen. Irgendwie musste sie ja ihr Geld verdienen. Trotzdem war das damals eine handfeste Vergewaltigung, sagte sie.


    Als ich dann da war, suchte sich meine Mutter ein anderes Gewerbe. Nur ihre guten Kunden, die auch was dafür bezahlten, empfing sie noch gelegentlich. Ich musste in der Zeit dann immer auf der Straße spielen. Kein Wunder, dass ich dann irgendwann mit den falschen Jungs zusammentraf.
    Ach ja, aufgewachsen bin ich in Calleva. Das liegt in Britannien. Naja, dazu gibt’s nicht viel zu erzählen. Meine Mutter und ich lebten dort in einer kleinen Bruchbude. Aber wir hatten immer was zu essen auf dem nichtvorhandenen Tisch, was durchaus auch meinem zeitweiligen Verhandlungsgeschick als Inkasso-Schläger zu verdanken war. Zeitweilig deshalb, weil ich eines Tages ganz schön großen Mist gebaut hatte. Dummerweise hatte ich mir den Falschen vorgeknöpft. Nämlich den, der die Kohle abgedrückt hatte, damit ich mir mal seinen ehemaligen Kompagnon vornahm. Tja, dumm gelaufen!


    Übrigens, der Kerl, der meine Mutter vor Jahren vergewaltigt hatte, ließ sich nie wieder bei uns blicken. Schade eigentlich! Kein Wunder also, dass wir nicht gerade gut auf die Römer zu sprechen waren. Und nicht nur das. Die Römer, die sich in der Stadt breitgemacht hatten, nachdem sie nach der Zerstörung durch Bouadicca wiederaufgebaut worden war, behandelten uns "Eingeborene" wie den letzten Dreck. "Britunnculi" titulierten sie uns verächtlich. Diese aufgeblasenen Hakennasen! Dem letzten, der mich so genannt hatte, hatte ich seinen Scheiß-Gladius scheißlangsam in seine Scheiß-Brust gejagt, was dazu geführt hatte, dass ich Calleva in einer Nacht-und-Nebel Aktion verlassen musste. Nicht mal meiner Mutter konnte ich Lebewohl sagen. Aber die war sowieso gerade beschäftigt gewesen.


    Die ersten Tage tauchte ich in Londinum unter. Aber die Togaträger fanden es echt nicht lustig, wenn einer der ihren plattgemacht wurde. Und dann auch noch von einem wie mir. Deshalb schiffte ich mich einige Tage später auf einem Handelsschiff ein, um schweren Herzens meine Insel zu verlassen.

    Die Acheron, so hieß der Kahn, war der letzte Seelenverkäufer und machte ihrem Namen alle Ehre. Aber der Kapitän hatte nicht viel verlangt für die Überfahrt.
    Langsam schipperte sie die Tamesis hinunter, bevor sie das Mare Germanicum überquerte und schließlich in die Mündung des Rhenus erreichte. Scheiße Mann, war mir übel geworden, als wir auf See waren. Ich hatte tagelang nur gereihert. Mir war erst wieder richtig wohl, als ich festen Boden unter den Füßen spürte. Von da ab tingelte ich in den Städten entlang des Flusses umher, ohne wirklich zu wissen, wohin ich eigentlich wollte und was ich machen sollte. Geradeso hielt ich mich über Wasser. Gelegentlich konnte ich einen Auftrag ergattern. Es gab immer und überall Leute, die jemanden wie mich suchten. Genauso wie es unliebsame Zeitgenossen gab, die man eher tot als lebendig sah. Und wenn es an einem Ort für mich zu heiß wurde, dann zog ich einfach weiter.
    Und genau auf diese Weise erreichte ich schließlich die Tore Mogontiacums...