Beiträge von Ove

    Nach einem höchst vergnügten Zug durch die Gassen, in dessen Verlauf sie einen Teil ihres unverhofften kleinen Vermögens in Unerlässlichkeiten wie geröstete Schweinefüße, Nussküchlein, Gagelbier und Met investiert hatten, waren die beiden Askaleuda vom Strom der Menge schließlich auf das Forum gespült worden. Der Anblick einer Einheit der Ala Numidia, ihrer künftigen Zweitfamilie, hatte sie sofort in kindlichen Jubel ausbrechen lassen. Vor allem der schon merklich angesoffene Ratnar war nicht müde geworden, roma victrix und augustus vivat zu brüllen. Auch Ove hatte sich bereitwillig von der aufgeladenen Stimmung mitreißen lassen, wenn auch nicht ganz so lautstark wie sein Vetter. Ohne den leisesten Schimmer von Zweck und Anlass der Veranstaltung zu haben, waren die beiden allmählich zum Zentrum des Geschehens vorgedrungen, erwartungsfroh, rotwangig, kichernd wie Milchmägde. Dann hatte man die Seherin aufs Forum gezerrt.


    Eine knappe Hora später, als die geschundene Frau längst abgeführt worden war, standen Ove und Ratnar noch immer in der erregt murmelnden Masse und starrten auf die Richtstätte. Dass noch weitere Gefangene ihrem Schicksal harrten, nahmen sie nur am Rande wahr und es war ihnen auch ziemlich egal.


    „Das war nicht recht.“, zischte Ratnar immer und immer wieder zornig vor sich hin. Ove konnte dem weder widersprechen noch zustimmen. Die römische Ordnung war ein Segen für ihre Sippe, und morgen schon würden sie ihren Eid darauf ableisten, diese Ordnung gegen alle Angriffe von außen zu verteidigen. Unter Einsatz ihres Lebens und ohne Rücksicht auf eigene Befindlichkeiten. Allein deshalb waren sie hier. Dass sie als Peregrini stets Soldaten zweiter Klasse bleiben würden, war Ove völlig klar. Damit konnte er leben, zumal es in der jüngeren Geschichte der Askaleuda nie anders gewesen war. Aber er erwartete im Gegenzug zumindest ein gewisses Maß an Respekt. Nicht nur ihm selbst sondern vor allem den Sitten und Gebräuchen seiner Sippe gegenüber, die seit Generationen an der Seite Roms gekämpft und gelitten hatte. Eine von den alten Göttern auserkorene Seherin auspeitschen und brandmarken zu lassen widersprach diesen Sitten und Gebräuchen zutiefst, auch wenn es im Namen der gepriesenen römischen Ordnung geschah.


    „Das war einfach nicht recht.“ wiederholte Ratnar zum gewiss zwanzigsten Mal. Ove konnte es allmählich nicht mehr hören. „Es war rechtens. Punktum.“ stieß er seufzend aus, in der Hoffnung, dem Gemaule seines Vetters damit ein Ende zu setzen. Der aber ließ sich davon nicht beeindrucken und brauste nun erst recht auf.
    „Du findst das richtig?“
    „Hab ich das gesagt? Aber du hast doch selbst gehört, was man ihr vorwirft.“
    „Bullenscheiße! Zauberei. Verbrechen gegen Rom. Im Leben nicht. Ne Seherin verliert ihre Gabe wenn sie se missbraucht .. weißt du so gut wie ich!“


    Ove war beeindruckt. Für Ratnars Verhältnisse war das eine geradezu epische Ansprache, und er schien noch nicht fertig zu sein. „Die spucken auf unsere Art zu leben! Aber wehe, irgendjemand fasst eine von ihrn Priesterinnen an. Wenn das Dankrun gewesen wär, hättst du das dann auch in Ordnung gefundn?“
    „Ich find es nicht in Ordnung!“ keifte Ove zurück, nun seinerseits in Wallung geraten. „Leg mir nichts ins Maul, was ich nicht gesagt habe! Du bist sternhagelblau, das ist das Problem!“
    „Ach so?“ lallte Ratnar entrüstet, „Das is das Problem? Die veranstalten hier so ne Sauerei .. aber das Problem bin natürlich ich .. oder was?“


    Ove streckte die Waffen. So hatte das keinen Sinn. Wenn Ratnar besoffen war, und das war er nicht gerade selten, gab es nur wenige Wege, um zu seinem Sturschädel vorzudringen. Einer davon führte durch seine brachliegenden Lenden.
    „Ist ja gut jetzt. Willst du die paar verbliebenden Stunden mit Streitereien verschwenden? Schau dich mal um. Zarte Rehlein Saftige Lämmchen. Fällt dir dazu nix ein? Denk dran, ab morgen gehören unsere Ärsche der Ala.“


    Das zeigte nun endlich die erhoffte Wirkung. Ratnars Zornesfalten glättetet sich und ein lüsternes Lächeln blühte auf. „Mein Arsch können se haben .. den Rest aber nich.“


    Fast hatte es den Anschein als sei ihre Excursio doch noch gerettet. Die sorglose Ausgelassenheit jedoch, mit der sie das Forum betreten hatten, wollte sich nicht mehr so recht einstellen.

    Oves Geduld, und ganz sicher auch die Ratnars, wurden im Laufe der folgenden Stunden auf eine harte Probe gestellt. Ob Thrasea die Sache mit dem Amüsieren wirklich ernst gemeint oder vielleicht schon wieder vergessen hatte, musste sich erst noch weisen. Was er zweifellos ernst gemeint hatte – bitter ernst – war die Besichtigung des Municipiums, oder besser gesagt, die nervtötend belehrende Führung durch die Errungenschaften der germanoromanischen Zivilisation. Gewiss, Ove war schon beeindruckt von der Größe der Ansiedlung, den repräsentativen Bauten und Denkmälern und der wohlgeordneten Unordnung, die das ganze Gemeinwesen zusammenhielt. Auch was Thrasea so alles über die Historie Mogontiacums im Speziellen und die des Imperiums im Allgemeinen zu sagen hatte, vermochte ihn durchaus für eine Weile zu fesseln, aber alles hatte seine Grenzen.


    Zumal sich der ansonsten äußerst zugängliche Thrasea im Verlauf ihrer Exkursion zusehends in einen gestrengen Lehrmeister verwandelte, der ganz selbstverständlich davon ausging, dass jedem seiner Worte so viel Gewicht beigemessen wurde als handle es sich dabei um eine Offenbarung der Götter. Diese Seite an Thrasea mochte Ove überhaupt nicht, ließ sie ihn doch mehr denn je daran zweifeln, lediglich einen römischen Händler vor sich zu haben. So lange er ihn kannte – knapp achtzehn Jahre, sein ganzes Leben also – war er nie so wirklich schlau aus dem Römer geworden. Trotzdem stapfte er dem alten Freund seines Vaters lange folgsam hinterher und lauschte.
    Erst als ihm nach Stunden des Lauschens, Glotzens und Latschens endlich aufgegangen war, warum Thrasea das alles tat, blieb er seufzend stehen und gab dem Römer mit einem müden Kopfschütteln zu verstehen, dass es reichte.


    „Lass gut sein, Thrasea. Ich habs kapiert.“


    Thrasea blieb ebenfalls stehen. Seine Hand fuhr flüchtig über den mittlerweile erschlafften Weinschlauch, und was sie da ertastete, ließ die ohnehin schon ernste Miene des Römers noch weiter versteinern.


    „Ach, wirklich? Bist du sicher?“ fragte er skeptisch.


    Ganz sicher, musste sich Ove eingestehen, war er nicht. Vielleicht hörte sich Thrasea einfach nur gerne reden oder er wollte den jungen Barbaren mit der Führung durch die Stadt die Rückständigkeit ihres Heimatdorfes demonstrieren. Beides passte allerdings so gar nicht zu dem unprätentiösen Mann, den Ove zeitlebens kannte.


    „Du willst uns vor Augen führen, was wir alles verteidigen, wenn wir Rom verteidigen. In Ordnung. Ist angekommen.“


    Anstatt endlich ein befriedigtes Lächeln aufzusetzen, wie Ove es erhofft hatte, blieb Thrasea weiter ernst und fixierte den bislang schweigenden Ratnar mit einem bohrenden Blick.


    „Bei dir auch?“


    „Glaub schon.“


    Dann erst nickte Thrasea. Nicht freundlich und auch nicht sonderlich zufrieden, aber er nickte wenigstens.


    „Das hier ist nur ein kleiner Teil von dem, wofür ihr in Zukunft kämpfen werdet. Euer Dorf und eure Weiden gehören ebenso dazu wie das ewige Roma selbst. Das ist eure Zukunft und die eurer Nachkommen. Fortschritt. Prosperität. Rechtssicherheit. Güter, die einem nicht einfach in den Schoß fallen. Sie müssen jeden Tag aufs Neue erstritten und verteidigt werden. Fortschritt, Prosperität, Rechtssicherheit, merkt euch das, und am Ende Frieden und Wohlergehen für uns alle. Wenn ihr dafür nicht bereit seid, mit ganzer Leidenschaft zu kämpfen, fließt kein Blut durch eure Adern, sondern Pisse.“


    Ein Standpauke auf offener Straße. Ove war wenig angetan. Zudem hatte er das alles schon dutzende Male gehört. Von den Sippenältesten, von seinem Großvater, von seinem Vater und auch von Thrasea selbst. Immer die gleiche Leier. War er blöd, dass man ihm das unentwegt vorkauen musste? Oder ehrlos? Oder was?


    „Schon gut. Wie ich bereits sagte: Ich habs kapiert. Zweifelst du etwa an unserer Gesinnung?“


    Das schien für den Römer eine Art Stichwort zu sein. Seine Brauen schoben sich erwartungsvoll in die Höhe


    „Hab ich denn Grund dazu?“


    Ove atmete scharf ein. Das war keine Frage, sondern eine Frechheit. „Frag das meinen Vater, wenn du den Mumm dazu hast. Die Askaleuda stehen seit Generationen loyal zu Rom, das weißt du vermutlich besser als ich!“


    „Ja, das weiß ich tatsächlich besser als du. Genau darum geht es. Es ist wahr, die Askaleuda sind seit den Zeiten deines Ahnen Guntwin verlässliche Socii des Reiches. Sie sind es unter deinem Großvater Baltram und werden es auch unter deinem Vater noch sein. Aber irgendwann, in hoffentlich noch ferner Zukunft, wirst voraussichtlich du es sein, der das Geschick deiner Sippe bestimmt. Deswegen solltest du dir eines klar machen, je früher desto besser: Die Askaleuda können nur an der Seite Roms überleben. Sich gegen das Reich zu stellen, wäre ihr Untergang. Vergiss das nie. In Raetia mag alles ruhig wirken, zwischen Rhenus und Visurgis aber rumort es schon seit Monaten. Gut möglich, dass ihr als Equites eines Tages blutsverwandten Stämmen gegenübersteht. Spätestens dann darf es nicht den Hauch eines Zweifels mehr geben, wo euer Platz ist. Verhelft Rom zum Sieg und ihr sichert die Existenz der Euren.“


    Das klang nicht mehr nach bloßer Belehrung sondern vielmehr nach einer unverhohlenen Drohung. Wenn Thrasea damit beabsichtigt hatte, Ove einzuschüchtern, so war ihm das voll und ganz gelungen. „Roma victrix.“ kam es ihm kleinlaut über die Lippen. Zynisch hätte es eigentlich klingen sollen, tat es aber nicht.


    Dann geschah plötzlich etwas, womit Ove schon nicht mehr gerechnet hatte. Thraseas verkniffene Züge lösten sich von einem Augenblick auf den anderen und ließen ein breites Grinsen aufleuchten.


    „Mir scheint, jetzt hast du es tatsächlich kapiert. Na gut, Thema durch. Höchste Zeit, euch mal ein wenig rausschwimmen zu lassen. Ich nehme an, ihr werdet nicht gerade flennen, wenn ihr den Rest des Tages auf meine Gesellschaft verzichten müsst, oder?“


    Ove wollte es erst gar nicht glauben. „Dein Ernst?“


    Thraseas Lachen war so leise wie Geraschel im Stroh. „Sicher ist das mein Ernst. Hab heute meinen ernsten Tag. Ich dachte, das merkt man.“


    Das war nun wieder ganz der alte Thrasea, oder zumindest fast, denn der Glaube, es mit einem römischen Händler zu tun zu haben, war Ove zwischenzeitlich vollends abhanden gekommen. Noch immer etwas misstrauisch folgte sein Blick Thraseas Pranke, die zielstrebig an den Gürtel glitt, den ledernen Geldbeutel löste und ihn vor die Nasen der staunenden Suebi hielt. „Hier. Ob ihr es euch einteilt oder im Unverstand verjubelt, ist eure Sache. Was weg ist, ist weg.“


    Weder Ove noch Ratnar trauten sich zunächst, nach dem prallen Beutel zu greifen. Dann griffen beide danach. Ratnar war einen winzigen Tick schneller. Ove sollte es recht sein. Dankbar starrten sie Thrasea an, den das offenkundig amüsierte.


    „Jetzt glotzt nicht so kälbisch. Ist von Halvor, nicht von mir. Spätestens morgen früh zum Ientaculum erwarte ich euch bei Luscinus. Ist das klar?“


    Das Nicken der Beiden hätte eifriger kaum sein können. Klar war das klar. Und ob das klar war. Glasklar.


    „Ihr findet doch wohl hin, oder?“


    Das mit dem Nicken ging wider Erwarten doch noch eine Idee eifriger. Selbstverständlich würden sie da wieder hinfinden. Das Haus von Magius Luscinus, wo sie Pferde und Gepäck zurückgelassen hatten, lag auf halber Strecke zwischen dem Südtor und der verlängerten Via Praetoria des Legionslagers – war also gar nicht zu verfehlen.


    „Gut. Dann haut jetzt ab. Ich hab noch einiges zu erledigen. Außerdem ist mein Weinschlauch leer, was ausgesprochen scheiße ist. Ich hasse sowas.“


    Der letzte Satz Thraseas drang den Suebi schon nicht mehr ins Bewusstsein. Die waren nur noch darum bemüht, möglichst schnell möglichst viel Raum zwischen sich und ihren römischen Aufpasser zu bringen, bevor der es sich noch einmal anders überlegen und sich an ihre Fersen heften konnte.

    Nicht anfassen, hätte Ove dem leutseligen Riesenmiles am liebsten entgegen gefaucht, riss sich aber zusammen. Wenn es tatsächlich Thraseas Plan war, sich in der Stadt zu amüsieren, dann wollte er sich wegen einer derben Pranke auf dem Rücken mal nicht so haben.


    Der Römer bedankte sich höflich bei den Wachsoldaten und führte sein Pferd voraus durchs Tor. Die beiden Suebi folgten ihm schweigend und mit brennenden Schulterblättern. Erst als er die Milites außer Hörweite wähnte, richtete Ove das Wort an Thrasea.


    „Täusch ich mich oder haben die uns gerade hochgenommen?“


    Thraseas Erheiterung war ein deutliches Indiz dafür, dass Ove mit seiner Vermutung genau richtig lag.


    „Da kannst du einen drauf lassen. Ihr zwei seid aber auch dankbare Objekte für sowas, bei Juventas. Im Ernst, Junge, du musst unbedingt an deinem Auftreten arbeiten, sonst bekommt ihr unter den ganzen Raubeinen bei der Truppe kein Bein auf den Boden.“


    „Ja, ich weiß.“ murmelte Ove betreten. Thrasea hatte natürlich recht. In Arweds langem Schatten hatte er sich noch allerlei Dämlichkeiten erlauben können, aber das war vorbei. „Sag mal.“ grinste er tapfer gegen die Beklommenheit an, „Den Bast vom Geweih scheuern, war das ernst gemeint? Ich meine, davon hast du vorhin noch nichts gesagt.“


    Thrasea nickte amüsiert. „Nun ja, das wäre jedenfalls eine Option. Es sei denn, ihr brennt dermaßen darauf, von eurem künftigen Ausbilder durch den Dreck gejagt zu werden, dass ein bisschen Spaß euch nur unnötig aufhalten würde.“


    „Sicher nicht.“ krächzte Ratnar unvermittelt auf. „Ganz sicher nicht.“ Dann verfiel er wieder in stille Kontemplation.

    Ove musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um vor dem garstigen Miles nicht zurückzuweichen. Bei den Nornen, was hatte der für eine Laune. Vermutlich Hämorrhoiden. Onkel Walram litt auch unter Hämorrhoiden. Wenn der von einem längeren Ritt zurückkam, war er immer ähnlich mies gelaunt wie der Wachsoldat. Allerdings hatte er keinen Reiter vor sich, sondern einen Legionarius. Also waren es wohl eher Hühneraugen. Was es auch sei, Ove hatte dem Burschen jedenfalls nichts getan, war nicht mal unhöflich gewesen. Und was redete der von vielen Freunden?


    „Was denn für Freunde?“ fragte er verdutzt, „Die meisten unserer Freunde tun mittlerweile Dienst bei der Auxilia, der Rest ist zuhause an der Dalslang geblieben. Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.“



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    Sextus Vedius Thrasea


    „Wenn ich das mal eben aufklären dürfte.“ brummte Thrasea und trat nach vorn. Wie erwartet hatte es Ove mal wieder völlig falsch angefangen. Überhaupt neigte der junge Spund dazu, um Ecken zu denken, wo gar keine waren. Das musste er sich noch abgewöhnen. Schleunigst.


    „Es ist ganz simpel, Miles. Diese beiden linkischen Damhirsche sind hier, um ihren Dienst bei der Numidia anzutreten, und bevor sie das tun, sollen sie sich nochmal so richtig amüsieren. Den Bast vom Geweih scheuern, wenn du verstehst, was ich meine. Und was unsere Begleiter betrifft, die stehen zwar in meinem Dienst, übernachten aber außerhalb der Stadt in den Canabae. Vermag dich das zu beruhigen?“

    Tja, was wollten sie in der Stadt? Die Frage war sicher berechtigt, zumal von einer Torwache. Trotzdem brachte sie ihn etwas aus dem Konzept. Was genau sie in der Stadt wollten, wusste er selbst nicht so recht. Unwillkürlich wanderte sein Blick nach hinten zu Thrasea, aber der schmunzelte nur vielsagend und schien ansonsten auf die Antwort ebenso gespannt zu sein wie der übellaunige Miles. Von Ratnar kam auch nur das Übliche, nämlich nichts. Mit einem verlegenen Räuspern wandte sich Ove wieder dem Posten zu.


    „Naja, uns umsehen. Die Stadt angucken. Was essen vielleicht. Und übernachten .. nehm ich mal an.“

    Mit mehr als eineinhalb Jahren Verspätung hatten Ove und Ratnar Mogontiacum schließlich doch noch erreicht. Die Freude darüber, das Reisziel endlich vor Augen zu haben, hielt sich allerdings in deutlichen Grenzen. Vielmehr war die Stimmung gedrückt. Je näher die Stadtmauern rückten, desto stiller wurde es unter den Reisenden. Darüber, wie ihre erste Reise im vorletzten Sommer geendet hatte, verlor keiner ein Wort. Nicht Ove, nicht Ratnar, und auch nicht Thrasea, der die beiden jungen Suebi mit zwei seiner schweigsamen Reiter den ganzen Weg von Raetia herauf begleitet hatte.
    Erst als sie den Schwanz einer schwatzenden Schlange von Passanten erreicht hatte, spülte Thrasea das Schweigen mit einem herzhaften Schluck aus seinem Weinschlauch hinunter und setzte ein säuerliches Grinsen auf.


    „Da wären wir also. Ich hoffe, ihr störrischen Windelnässer seid stolz auf euch.“


    Ratnar glotzte nur abwesend auf die Stadtmauern, und auch Ove ließ Thraseas Spitze unkommentiert, lenkte sein Pferd stattdessen schweigend auf die Wartenden zu und hing dabei seinen Gedanken nach. Mit Stolz hatte das nicht viel zu tun. Eher mit Selbstachtung und, zugegeben, einer gehörigen Portion Trotz. Zumindest hatte er fürs erste erreicht, was er wollte. Ein leichtes Gefühl der Genugtuung durfte man sich da schon gönnen. Gewiss, auch er fühlte sich schuldig am Tod seines älteren Bruders. So wie sich alle irgendwie schuldig fühlten. Sein Vater Halvor, seine Mutter Tilrun, sein Großvater Baltram, vielleicht sogar der Gode Throals, ganz sicher aber Thrasea. Alle, die damals mitentschieden hatten, die Jungmannen gen Norden zu schicken, fühlten sich auf eine völlig blödsinnige und unnütze Art schuldig. Sich aber in dumpfer Trauer die Haare zu raufen, machte Arwed nicht wieder lebendig, und genau deswegen waren Ove und Ratnar jetzt hier. Sie würden das zu Ende zu bringen, weswegen sie in jenem staubtrockenen Sommer aufgebrochen waren. Zu Arweds Ehre und Gedenken sozusagen, und natürlich, um der Sippe zu zeigen, dass sie ebenso stur sein konnten wie die Alten.


    Halvors Vorschlag, ihn und seinen Vetter nun doch bei der Zweiten Flavia im heimatnahen Aquileia unterzubringen, hatte Ove kategorisch abgelehnt. Er wollte nicht in Daunen gepackt werden. Nicht mehr. Einen Winter, einen Sommer und noch einen Winter hatte es gebraucht, bis die beiden Vettern Halvor und seinem Vater, dem Sippenhaupt Baltram, die Erlaubnis abgetrotzt hatten, den Militärdienst am Rhenus anzutreten, und das auch nur unter der Bedingung, dass Halvors römischer Freund und Geschäftspartner Thrasea die beiden bis an die Tore des Castellums, und wenn es sein musste, bis in ihre Baracken eskortieren würde. Um nicht auch noch den dümmeren und leichtsinnigeren seiner Söhne begraben zu müssen, wie Halvor sich ausgedrückt hatte.


    Das Castellum der Zweiten Numidia hatten sie dann aber rechts liegen lassen, weil Thrasea die Auffassung vertrat, zwei unbedarfte Waldschrate wie sie sollten sich zuerst die Stadt anschauen. Einfach so, um mal eine gesehen zu haben, bevor sie ins Gras bissen. Ove war das bei weitem nicht so unrecht wie er vorgab. Er befürchtete nur, dass Thrasea ihnen bei der Exkursion keinen Schritt von der Seite weichen würde. So dankbar er dem kantigen Römer für Schutz und Rat auch war, langsam wurde es Zeit, sich auf die eigenen Beine zu stellen.


    Bevor Thrasea sich wie üblich an die Spitze setzen konnte, um bei den Torwachen die Formalitäten zu erledigen, stieg Ove von seinem Dreijährigen, bedeute ihm mit einem Zungenschnalzer, ihm zu folgen und schritt entschlossen auf die Wachsoldaten zu.


    „Salvete, Milites. Ich bin Marcus Fraxinus von den Askaleuda. Der hier ist mein Vetter, jener dort ist Sextus Vedius Thrasea und die beiden da ..“


    Von Thraseas Begleitern war plötzlich nichts mehr zu sehen. Die waren weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Wieder einmal. Ove kannte das schon. Sich von einem Augenblick auf den anderen in Luft aufzulösen war deren Spezialität.


    „Äh ja. Wir kommen aus Raetia und möchten in die Stadt.“

    Salvete.


    Um wieder aufzuspringen wo ich meinem armen Ghostwriter einst abgesprungen bin, bitte ich geläutert um Einlass.


    Name: Ove
    Stand: Peregrinus
    Wohnort: Mogontiacum