*KLIRR*
Der kleine Becher zerbrach in eine Unzahl von Einzelteilen. Die Scherben, sowohl große als auch kleine, sprangen von der Wand ab. Einige landeten direkt unter der Einschlagstelle und bildeten dort einen traurigen Scherbenhaufen, während andere quer durch den Raum flogen und auf ihrer Bahn fast unaufhaltsam waren.
"Aber Herrin..." Ein leichtes Zittern war in der Stimme der jungen Sklavin zu hören, als ihre Worte dadurch erstickt wurden, dass sie sich ängstlich wegduckte um einer der Scherben auszuweichen.
*KLONG*
Der Teller, der als nächstes lernte die Schwerkraft zu überwinden und sich in die Lüfte zu schwingen, konnte diesen Flug nicht lange genießen, denn auch im sprang eine Wand in die Flugbahn. Da der Teller jedoch, im Gegensatz zum zuvor zerborstenen Becher und diversen anderen Gegenständen in den vergangenen Minuten, durch den Werkstoff, aus dem er gefertigt war, nicht sonderlich zerbrechlich war, landete er lediglich mit einem lauten Scheppern auf dem marmornen Bodenbelag.
"Herrin, das solltest du nicht tun." Der stämmige Sklave,
der einige Schritte neben der Zimmertür stand, hatte deutlich weniger Angst als seine junge Artgenossin. Vor allem aber kannte er das, was hier vor seinen Augen geschah, bereits aus früheren Aufführungen und war dementsprechend etwas abgebrühter.
Doch auch seine Worte drangen in diesem Moment erst einmal nicht dorthin durch, wo sie dringend gehört werden mussten. Und so erhoben sich, in Ermangelung weiterer lautstark zerbrechender oder scheppernder Gegenstände, mehrere Kissen, die eigentlich auf zwei clinen und einem Bett ihren Platz hatten, in die Lüfte und segelten quer durch den Raum.
Auch wenn die Kissen, ob ihrer wenig aerodynamischen Form, etwas merkwürdig ungezielt durch die Luft flogen, erreichten sie dennoch ihr Ziel. Diese war, anders als bei den vorherigen fliegenden Objekten, allerdings keine Wand. Stattdessen segelten die Kissen durch ein Loch (man könnte es auf Fenster nennen) in einer solchen und verschwanden in der morgendlichen Seeluft.
"Herrin, bei allem Respekt, aber selbst wenn du jeden einzelnen Gegenstand in diesem Raum zerstörst oder zum Fenster hinaus befördesrt, so wird das alles nichts ändern. Du wirst ihn nicht umstimmen können." In der Stimme des Sklaven lag soviel Ruhe wie er in diesem Moment noch aufbringen konnte, nachdem er nun seit einer guten Stunde zugesehen hatte, wie seine Herrin wütete und dabei die Räumlichkeiten, die sie in den letzten Jahren bewohnt hatte, immer weiter verwüstete.
Die Versuche der beiden Sklaven ihre Herrin zu beruhigen, waren bisher von wenig Erfolg gekrönt und fast hätte man das Gefühl kriegen können, dass sie mittlerweile nur noch darauf warteten, dass sie sich selbst beruhigte oder einfach müde wurde.
Doch noch schien weder das eine, noch das andere geschehen zu wollen. Auf die Worte des Sklaven hin trat die, vor Wut fast schnaubende, Dame mit wenigen, sehr aufgebracht energischen Schritten direkt vor ihren Sklaven und starrte ihn an. In ihren Augen brannte ihre Wut, auch wenn der Sklave jetzt, da er sie direkt aus der Nähe sah, ziemlich sicher war, dass ihre Verärgerung langsam abklang.
"Wie kann dieser kleine, rückgratlose, wimmernde Wurm sich das nur wagen? Was, bei den Göttern, denkt er eigentlich wer er ist?" Herrschte die Dame ihren Sklaven an und setzte, ohne im auch nur den Hauch einer Chance für eine Antwort zu lassen, direkt nach: "Und was glaubt er eigentlich wer ich bin? Hat er überhaupt eine Ahnung, was er mir zu verdanken hat? Ich fasse es nicht,
wie undankbar dieses niederträchtige, nutzlose Nagetier ist. Dieses kleine rotgesichtige, Rindvieh. Und dann traut der feige Wicht sich noch nicht einmal selbst hier zu erscheinen?
Wenn ich dieses mickrige, müffelnde Mistvieh in die Finger kriege."
Sie wandte sich von ihrem Sklaven ab und schaute sich im Zimmer um, offenbar auf der Suche nach weiteren Dingen, die sie herumwerfen konnte. Während die junge sich schon wieder nach einer geeigneten Deckung umsah, nutzte der Sklave die Gelegenheit das Wort an seine Herrin zu richten: "Herrin, wenn du erlaubst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der junge Herr davon ausgeht, dass er der Herr dieses Hauses ist.
Und das, wie mir scheint völlig zu recht. Und Herrin, ich bin mir sicher, dass er auch genau weiß, was er dir zu verdanken hat. Aber der Herr ist jung und wie du weist,
ist die Jugend häufig nicht mit einer sonderlich großen Einsicht versehen und auch Dankbarkeit ist ihnen meist eher fremd." Sicherlich würde der Sklave seiner Herrin nicht sagen, was er tatsächlich dachte, denn er hing viel zu sehr an seinem Leben und jedem einzelnen Teil seines Körpers. Hätte er seiner Herrin gesagt, dass der junge Verwandte ihres, nicht mehr unter den Lebenden weilenden, Gatten völllig richtig handelte, wenn er die alte Frau vor die Tür setzte, so hätte er im Leben vermutlich keinen schönen Moment mehr gehabt.
Die Dame machte, nachdem seine Worte zu ihr durchgedrungen waren, ein schaubendes,
fast schon grunzendes, Geräusch und wandte sich wieder dem Sklaven zu. "Trotzdem hätte er zumindest den Mut aufbringen können selbst hier zu erscheinen. Ich finde, dass wäre das Mindeste, was ich verdient hätte. Er hätte selbst herkommen und mir sagen können, dass ich in diesem Haus nicht mehr erwünscht bin. In diesen Haus, dass ich erst zu einem richtigen Heim für ihn und seine buckelige Sippschaft gemacht habe. Ohne mich wäre das hier noch immer nicht mehr als ein Kuhstall mit einer Wohnkammer. Und ohne mich wären er und seine jämmerlichen Verwandten schon längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Nichts hätten sie ohne mich erreicht."
Hätte er nur ein kleines Bisschen weniger Selbstbeherrschung an den Tag gelegt, hätte der Sklave seine Herrin in diesem Moment vermutlich ausgelacht. All die großen Erfolge, die sie da für sich verbuchte, waren weit hergeholt und zeugten davon,
dass die alte Frau in ihrem Geist sicherlich einen ganz anderen Papyrus abrollte als der Rest der Welt. Die Familie, die sie da als buckelige Sippschaft abkanzelte war nicht weniger bedeutend als ihre eigene und sicherlich war ihr Erfolg weniger auf die alte Dame als auf den eigenen Namen zurückzuführen. Allein der Klang des Familiennamens, Valeria,
hatte für den Sklaven etwas besonderes und deutete für ihn auf Würde, Ehre und Macht hin. Nicht dass der Name der Familie seiner Herrin, Flavia, weniger einnehmend und eindrucksvoll war, aber irgendwie versaute die Tatsache, dass er seine Herrin so gut kannte, wie er sie kannte, den romantischen Hauch des flavischen Ansehens.
"Herrin, ich glaube nicht dass der junge Herr dich vor den Kopf stoßen wollte. Er ist nur sehr beschäftigt und ist heute bereits bei Sonnenaufgang aufgebrochen und wird erst in ein paar Tagen zurückkehren. Er wollte dir aber sicherlich trotzdem die Möglichkeit geben möglichst rasch mit den Vorbereitungen deines Aufbruchs zu beginnen. Immerhin ist die Reise zu dieser Jahreszeit auch nicht mehr ganz so angenehm und je baldiger du aufbrichst, desto schneller erreichst du das Ziel und hast vielleicht noch Glück mit dem Wetter."
In Wirklichkeit, da war der Sklave sich sicher, hatte der junge Hausherr einfach nur keine Lust darauf gehabt ihr selbst zu sagen, dass sie verschwinden sollte, da er sicherlich genau wusste, wie ihre Reaktion aussehen würde.
Die Flavierin schnaubte erneut und blickte sich noch einmal im Raum um. Da sie erneut nichts entdecken konnte, das sie kaputtschmeissen konnte, nickte sie leicht.
"Vermutlich hast du Recht." Es war so, wie der Sklave es schon oft erlebt hatte, auf den heftigsten Sturm folgte, völlig ohne Vorwarnung und ohne großes Abklingen, fast aus dem Stand heraus ein Umschwung ihrer Laune und sie war wieder sanft wie ein Lamm. "Wir sollten mit den Vorbereitungen beginnen." sagte sie und wandte sich an die Sklavin. "Fang an zu packen.
Wir gehen heim. Zurück nach Rom."