Lautete das Gebot soeben noch 2000 Sesterzen, hob es sich nur einen Herzschlag später bereits auf 3000. Chyou verstand nicht viel von der römischen Währung, wusste jedoch, dass eine solche Summe nur von wohlhabenden Menschen aufgebracht werden konnte. Weiter zitterte sie am ganzen Leib und mit Mühe hielt sie ihren Atem ruhig. Dann fiel Titus' Hammer und ihr Schicksal war besiegelt. Kein Sklavenhändler hatte sie erworben, sondern der unscheinbar gekleidete Mann mit der auffallend athletischen Frau an seiner Seite. Es fiel Chyou schwer, die Regungen seiner Gesichtszüge ob des Triumphs in dem Bieterstreit zu lesen. Zwar hatte sie die Sprache zu beherrschen gelernt, die Mimik der Römer blieb ihr indes auch nach solch langer Zeit oft fremd.
Eine Hand legte sich auf Chyous Rücken und schob sie bestimmt in Richtung der Treppe, die zur aufgeregt schwatzenden Menge hinab führte. Dabei suchten die schwieligen Finger ihren Weg hinab, bis zum Rand ihres gefallenen Gewands. Eine Berührung, die Chyou nur allzu vertraut und wahrlich nicht mit angenehmen Erinnerungen verbunden war. Sie spürte den warmen Atem von Titus' Helfer im Nacken, lauschte den wenigen, geflüsterten Worten und wenn es denn möglich war, dass ihre helle Haut noch weißer wurde, geschah es in jenem Augenblick. Bevor die Bilder ihre düsteren Gedanken jedoch überwältigen konnten, hörte sie eine so sanfte wie entschlossene Stimme, die befahl, man möge ihr die Fesseln abnehmen. Der Mann des Sklavenhändlers leistete der Anordnung unmittelbar Folge, das ohnehin lose Seil fiel auf die hölzernen Planken des Podests und Chyous Gewand, bisher von den überkreuzten Armen getragen, folgte ihm. Ein Raunen ging durch die Menge, hier und da erklang ein aufreizendes Lachen und Chyou versank in Scham. Sie schloss die Augen, um zu beten, sie möge auf der Stelle im Nichts verschwinden und sich ihren Vorfahren zur Seite stellen. Der Wunsch wurde nicht erfüllt.
Geld raschelte, als Titus Tranquillus die Sesterzen mit breitem Grinsen entgegen nahm und in seiner Kiste verstaute. Die raue Wirklichkeit zog Chyou zurück in die Gegenwart. Sie sah die fremde Frau an, die sie 'mein Kind' genannt hatte und starrte auf die Kleidung in der ihr angebotenen Hand. Frisch gewaschen, frei von Löchern und mit einem Gürtel von solcher Qualität, wie Chyou es für sich nicht kannte. Sie zögerte, witterte eine Falle, doch die Qual, den Blicken der Menschen nackt ausgesetzt zu sein, besiegte das Misstrauen. Sie griff zu, im Grunde viel zu schnell für eine Sklavin, und warf sich die Tunika über den Kopf. Den Gürtel noch im Griff, schenkte sie ihrem vormaligen Besitzer, dem Sklavenhändler Titus Tranquillus, einen letzten Blick und ihre mandelförmigen Augen ließen wenig Zweifel darüber, dass sie seinen Optimismus über ihr 'Glück' nicht unbedingt teilte. Dann fiel sie zu Boden, denn auch wenn Luna sich als Sklavin vorgestellt hatte, stand sie in der Rangfolge doch sich über ihr. Die Stirn auf dem Stein der Straße, die Arme von sich gestreckt, erwies sie ihrer Herrin in der Weise Ehrerbietung, wie sie es als Kind gelernt hatte. "Ich danke dir vielmals, Domina, für deine Güte", sagte Chyou mit kaum zu überhörendem Akzent und fügte nach kurzer Überlegung hinzu: "Mein Name ist Chyou" - sie sprach es Schi-ow aus.