Beiträge von Gaius Germanicus Nero

    Beweglich und kräftig war Nero ganz sicher, dazu war er auch mit einer einwandfreien Sehkraft gesegnet. Doch auch wenn er die Zeichen auf der Tabula problemlos erkennen konnte, war das Lesen nicht die größte Stärke des Germanicers. "Der E...qu...es rei...tet auf Patrou...Patrou...lle", begann er schleppend und mit angestrengter Miene. Ein Schweinebauer musste eben hauptsächlich anpacken und nicht Bücher wälzen können. "Der Cen...turio brü...llt quer über den Cam...pus. Die ver...verschwi...schwitzte Tu...ni...ka mufft. Ein Tiro be...kommt w...wenig Sold." Nero war erleichtert, dass er diese Tortur hinter sich hatte, ließ sich aber nichts anmerken und wahrte seinen kühlen Gesichtsausdruck. Er war allerdings guter Dinge, denn der Umgang mit dem Gladius war für einen Legionär wohl weitaus wichtiger als der Umgang mit dem Wort. Zumindest nach dem zu urteilen, was Nero gehört hatte.

    Nero blickte zunächst etwas skeptisch drein und fragte sich, ob der Diensthabende tatsächlich eine Antwort verlangte. Mit seinem Befehl machte er allerdings eine Stellungnahme hinfällig, sodass sich Nero seiner Tunika entledigte, sich umdrehte und zu den Kniebeugen ansetzte. Dann begab er sich auf den Boden und begann die Liegestütze. "Nein, keine Krankheiten", entgegnete Nero währenddessen bestimmt. Zumindest gab es keine in seiner Ziehfamilie.

    Mit einem stummen Nicken signalisierte Nero dem Diensthabenden, dass seine Daten bereits im Rekrutierungsbüro aufgenommen worden waren und reichte ihm die Tabula, die man ihm mitgegeben hatte.


    LEGIO II GERMANICA
    MUSTERUNGSAKTE


    Name: Gaius Germanicus Nero
    Vater: Quintus Patuleius Mela
    Herkunft: Mogontiacum
    Alter bei Eintritt: 23


    Körperliche Verfassung:




    Bei Musterung festgestellte Leiden:




    Musterungsergebnis:

    "Ich bin ein neuer Rekrut und soll mich hier einer gesundheitlichen Prüfung unterziehen.", entgegnete Nero ebenso direkt dem Diensthabenden. Der schroffe Tonfall war ihm nicht völlig fremd, denn auch sein Ziehvater Brigio hatte einstweilen zu einem sehr harten Befehlston geneigt. Ohnehin war es nichts, woran sich Nero störte. Er konnte direkten und klaren Worten weitaus mehr abgewinnen als ausschweifendem Gerede.

    Dem Befehl des Optios entsprechend machte sich Nero zum valetudinarium auf, wo wohl seine Gesundheit überprüft werden sollte. Auf dem Schweinehof hatte Nero Brigio schon im Alter von zehn Jahren unterstützen müssen - viele körperliche Arbeiten hatte er in der zurückliegenden Zeit schon vollständig selbst übernommen, da sein Ziehvater älter und gebrechlicher wurde. Dementsprechend machte er sich keine Gedanken, dass bezüglich seiner Fitness oder seiner Gesundheit irgendetwas im Argen liegen sollte. Selbstbewusst schritt Nero also mit seiner Tabula ins Krankenhaus und wartete ab, bis sich jemand um ihn kümmerte.

    "Mogontiacum", entgegnete Nero knapp hinsichtlich seiner Herkunft. Eigentlich befand sich der Schweinehof von Brigio irgendwo zwischen Borbetomagus und Mogontiacum, aber das war wohl kaum von Interesse. Da der Optio nicht wegen seiner Abstammung nachgehakt hatte, war wohl auch die genaue Herkunft kaum von Interesse. Lästige Bürokratie. "23", verriet Nero dann noch sein Alter und hoffte, dass der förmliche Teil der Rekrutierung bald abgeschlossen war.

    Nero hatte Fragen zu seiner Herkunft erwartet und sich dementsprechend darauf vorbereitet. Lydia hatte ihm einen Siegelring aus Bronze gegeben, den sie von seiner Mutter zur Aufbewahrung bekommen hatte. Nero schritt etwas näher zum Optio und streckte seine Hand aus. Auf dem Siegelring war ein Falke abgebildet, das Wappenzeichen der Gens. "Ich bin der Sohn einer Germanica", stellte er das fest, was ihm noch vor einem Jahr unbekannt gewesen war und ihm noch immer befremdlich erschien. "Mein Vater hieß Quintus Patuleius Mela." Das war natürlich erfunden. Nero kannte seinen Vater nicht. Lydia hatte ihm nur erzählt, dass er römischer Bürger gewesen war. Ob das stimmte? Nero wusste es nicht und würde es dereinst herausfinden. Aber für den Moment musste dieser Name reichen - und da für den Optio wohl aufgrund der Namensgebung bereits alles offensichtlich war, sprach Nero ganz offen und nüchtern heraus: "Ich bin ein Bastard." Er schämte sich dafür nicht. Warum auch? Vor einem Jahr hatte er noch geglaubt, er wäre ein einfacher Schweinebauer. Nun war er ein römischer Bürger, der die Möglichkeit hatte, in die Legion einzutreten. Ob Bastard oder Edelmann, in allen Legionären floss dasselbe Blut.

    Zielstrebig schritt Nero die via praetoria entlang zur principia, nachdem er an der porta eingelassen worden war. Auf der Hauptstraße des Lagers herrschte lebhaftes Treiben, das Nero schier überrumpelte. Er hatte für Brigio schon viele Male in Mogontiacum Schweinefleisch ausgeliefert oder für Lydia Besorgungen auf dem Markt gemacht, die Geschäftigkeit im Legionslager aber stets nur erahnen können. Und auch wenn die neue Umgebung ihn zunächst überforderte, fühlte er sich wohl. Vielleicht konnte das Lager tatsächlich seine neue Heimat werden.


    Für den Moment schob er die vielen Eindrücke beiseite und suchte zielstrebig den Weg zum Rekrutierungsbüro. Ein Schritt nach dem anderen. Dort angelangt öffnete er die Tür und positionierte sich aufrecht vor dem zuständigen Soldaten. Nero war großgewachsen und muskulös. Man sah ihm deutlich an, dass er kein Knabe mehr war. Am Leibe trug er schmutzige Lumpen - die Reise hatte Spuren hinterlassen. "Salve", grüßte er in gängiger ziviler Manier. "Ich bin Gaius Germanicus Nero. Ich will mich verpflichten", trug er sodann sein Anliegen ebenso wortkarg wie kühl vor - so wie es für ihn ganz typisch war.

    "Hier sind wir.", sprach der Händler, der Nero zwischen Borbetomagus und Mogontiacum aufgelesen und ihm einen kostenlosen Transport auf seinem Karren angeboten hatte. Nero sprang vom Karren und dankte dem Fremden, ehe er sich zum Lagertor begab. Dort angekommen positionierte er sich aufrecht vor der Wache und äußerte sein Anliegen. "Salve, ich möchte mich für den Dienst bei der Legion verpflichten."

    Tief in der Provinz Germania Superior, irgendwo zwischen Mogontiacum und Borbetomagus, lag der Hof des Schweinebauers Brigio und seiner Frau Lydia. Der Schweinehof des Brigio war einer der wenigen landwirtschaftlichen Betriebe, die nicht unter den Fittichen eines römischen Großgrundbesitzers standen. Brigio züchtete nun seit über dreißig Jahren Schweine. Die ersten Jahre waren hart gewesen und er lebte mit seiner Frau von der Hand in den Mund. Mittlerweile hatte er sich einen Ruf erarbeitet und pflegte gute Beziehungen in den römisch-germanischen Städten, die ihm zu einem geregelten Einkommen verhalfen. Er besaß über hundertfünfzig Schweine, die er nachts in Ställen hielt und die tagsüber in einem großen Eichenwald weideten. Sein Fleisch lieferte er bis nach Italia im Süden, Britannia im Norden und Gallia im Westen. Tagein tagaus ging das Leben auf dem Hof seinen geregelten Gang. Brigio war zufrieden und schätzte das einfache Leben auf dem Land - genauso wie seine Frau Lydia, die ihn nicht nur tatkräftig bei der Schweinezucht unterstützte, sondern sich auch um die Erziehung ihres gemeinsamen Ziehsohns Nero kümmerte.


    Heute jedoch nahm dieser geregelte Gang eine vorhersehbare Wendung. Es war der Tag gekommen, an dem Nero den Schweinehof verließ und in neue Welten aufbrechen wollte. Viele Jahre hatten Brigio und Lydia ihrem Ziehsohn seine Herkunft verschwiegen, denn sie waren glücklich gewesen. Es war wohl das schlechte Gewissen, dass sie vor etwa einem Jahr dazu bewegte, ihm die Wahrheit zu erzählen. Wochenlang hatte Nero daraufhin kein Wort mit Brigio oder Lydia gewechselt. Er war wütend gewesen. Später reifte in ihm jedoch die Erkenntnis, dass er womöglich genauso gehandelt hätte. Vielleicht war es egoistisch, vielleicht war es auch der natürliche Schutzinstinkt von Eltern, die ihr Kind wie das Eigene großgezogen hatten. Neros ‚wahre‘ Familie hatte sich nie für ihn interessiert. Er kannte nun den Namen seiner Mutter, die ihn weggegeben hatte, als er wenige Monate alt gewesen war. Über seinen Vater dagegen hatten Brigio und Lydia geschwiegen – vielleicht, weil sie es nicht besser wussten, vielleicht, weil sie ihm noch immer nicht die ganze Wahrheit anvertrauen wollten.


    Für Nero war es zunächst ein Schock gewesen. Er hatte sich mit dem einfachen Leben auf dem Schweinehof arrangiert und hatte sich aufgrund der Annahme, ein einfacher Bauer zu sein, auch nie zu höheren Aufgaben berufen gefühlt. Er sollte dereinst den Hof von Brigio übernehmen und eine stattliche Frau heiraten, die ihm Kinder gebar und mit der er gemeinsam die Tradition des Schweinebauers fortführen konnte. Nun gestaltete sich aber alles anders. Es hatte viele Monate gedauert, bis Nero sich über seinen weiteren Weg bewusst geworden war. Kurzzeitig hatte er sich mit dem Gedanken angefreundet trotz alledem auf dem Schweinehof zu bleiben. Letztlich siegte jedoch das zehrende Verlangen, einen neuen Weg zu beschreiten und seine Herkunft zu ergründen.


    Der Abschied war emotional gewesen. Wenngleich Nero seine bitterkühle Mine wahrte, war er innerlich berührt gewesen. Unter Tränen hatte sich Lydia entschuldigt und Nero hatte sie beschwichtigt, denn sein anfänglicher Zorn über diese Lüge hatte sich in Dankbarkeit gewandelt. Selbst Brigio, ein Bär von einem Mann mit kräftiger Statur und langem schwarzen Bart, hatte die ein oder andere Träne vergossen. Nero hatte angekündigt zurückzukehren, sobald es seine neuerlichen Pläne zuließen und war von dannen gezogen.


    Mit etwas Proviant und der Kleidung, die er am Leibe trug, schritt Gaius Germanicus Nero nun über Feldwege und Wälder nach Mogontiacum, wo er ein neues Leben beginnen wollte.