Beiträge von Satibarzanes

    "Bündnisse kann man auch mit Verträgen schließen, jemanden bestechen oder sich adoptieren lassen. Manche Leute verkaufen sogar Adoptionen."


    Was er genau so unsinnig fand wie eine Heirat, aber danach musste man wenigstens nicht im selben Haus wohnen und Zuneigung heucheln, sondern hatte nur einen neuen Namen, zumindest stellte er sich das so vor. Zu der Behauptung, es gäbe Zuneigung und Liebe, sagte er nichts, weil ihm bewusst war, dass seine Begrifflichkeiten da nicht mit denen anderer Leute übereinstimmten. Wenn Liebe das war, was er so alles unter diesem Wort erlebt hatte, fragte er sich, wo der Unterschied zu Abneigung war. Leute, die sich liebten, stritten mehr als Leute, die es nicht taten. Leute, die ihr Herz an jemanden verloren hatten, behandelten denjenigen schlimmer als seinen ärgsten Feind. Er hatte erlebt, dass ein Freier eine Lupa erwürgt hatte, weil er sie liebte und eben diese Lupa hatte zuvor jedes Jahr ihr geliebtes Baby erwürgt und dann zu den anderen Kindern in die Latrine geworfen und das im Vollrausch jedem unter Tränen mitgeteilt, der es nicht hören wollte - auch Satibarzanes, der dann den nächsten Liebesschwur abbekam, weil er so einfühlsam und ein guter Zuhörer wäre, ganz anders als die anderen Männer. Am nächsten Tag kannte sie nicht einmal seinen Namen. Vermutlich war es Satibarzanes, mit dem etwas nicht stimmte, weil er diese Dinge nicht im Mindesten verstand. Er konnte sie nur verwundert zur Kenntnis nehmen. Wobei Viridomarus ihm da noch verhältnismäßig logisch erschien, er sprach von einer Zweckehe und nicht von Liebe, auch wenn der Zweck für Satibarzanes verschlossen blieb.


    "Hast du schon mal jemanden geliebt? Es ist freundlich, dass du mich nach Thrakien mitnehmen wirst", sagte Satibarzanes, ohne daran zu glauben, dass Viridomarus es ernst meinte. "Ich freue mich darauf." Ja, Thrakien würde ihm gefallen, könnte er jemals dorthin gelangen, denn die Thraker waren den Eraviskern recht nah. "Und Persien oder Parthen oder wie das heißt würde ich auch gern mal sehen." In seiner Vorstellung lag das ganz in der Nähe von Thrakien. Er legte den Kopf etwas in den Nacken und schaute nach oben zu Viridomarus, der an seinen Haaren arbeitete.


    "Haben sie dir das nicht gesagt? Ich bin ... war ... ein Lupo." Mit 23 war er für diesen Beruf steinalt und sein Übergewicht und seine Körperbehaarung passten auch nicht in das Bild, das man gemeinhin von dieser Berufsgruppe hatte. Genau darauf legte er es ja auch an. "Ich bin aus dem Ganymed weggelaufen, falls du das kennst. Ich glaube nicht, dass Kyriakos das gut findet."

    "Der Schutzgott von Mesembria ist Apollon, der Gott der sittlichen Reinheit und Mäßigung?", wiederholte Satibarzanes ungläubig. "Kein Wunder, dass du ausgewandert bist."


    Satibarzanes, der nie irgendwelche Erziehung genossen hatte, fand moralisches Gerede suspekt. Für ihn hatte zeit seines Lebens das Gesetz der Straße gegolten. Was sollte ein Sittengott nützen? Wem? Und wie?


    "Dass du mich mitnehmen willst, ist freundlich, aber ich glaube, du blamierst dich mit mir. Ich kenne so ein feines Leben nicht. Außerdem weiß ich nicht, ob ich in der Casa Leonis bleiben darf. Wenn ja, dann kann es sein, dass die Hausherren mich nicht gehen lassen. Und wenn nicht, muss ich auf die Straße zurück, dann sehen wir uns vermutlich nicht wieder."


    Abgesehen davon hielt er das Angebot nur für eine freundliche Floskel, denn was sollte Viridomarus mit einem Barbaren im Gepäck, der nichts konnte, was nicht jeder Edelsklave dieses reichen Mannes hundert Mal besser würde erledigen können? Die Welt brauchte ihn nicht, am allerwenigsten brauchte ihn ein feiner Herr wie Viridomarus. Dass Satibarzanes die Stadt gern besucht hätte, spielte keine Rolle, wenn der Traum unerfüllbar war. Als Viridomarus von seiner Frau sprach, zuckte Satibarzanes mit den Schultern. So gern er hörte, wie es sich in einer Familie lebte, so fremdartig und bizarr erschien ihm das Ganze.


    "Ich wüsste nicht, wozu eine Heirat gut sein sollte. Alles, was man dadurch bekommt, kann man auch einfacher haben. Besonders, wenn man reich ist. Rom ist voll von schlechten Ehemännern und frustrierten Ehefrauen. Da muss man nicht noch mehr Schlechtes in die Welt bringen."


    Oft genug hatte ein Betrunkener Satibarzanes sein Leid geklagt und glückliche Ehemänner kannte er keine, denn die kamen nicht ins Lupanar, weshalb er davon ausging, dass sie nicht existierten. Und auf der Straße hielten Beziehungen nicht lange, oft endeten Auseinandersetzungen blutig. Satibarzanes wusste, wovon er sprach, er hatte all das erlebt. Satibarzanes war trotz seiner Unsicherheit weit davon entfernt, sich schutzsuchend an andere Leute zu klammern, denn wenn es hart auf hart kam, war man allein. Satibarzanes hatte die Augen wieder offen und schaute sich unruhig um.


    "Ich weiß nicht, ob man mich sucht", sagte er leise, "weil ich weggelaufen bin."


    Und wenn die Nacht hereinbrach, war Viridomarus fort, aber Terpander noch im Haus. Drinnen wie draußen war die Nacht voller Gefahr.

    Satibarzanes, der den Großteil seines Lebens damit zugebracht hatte, anderen Menschen eine angenehme Zeit zu machen, ohne Rücksicht auf sein eigenes Wohl, genoss es, nun einmal selbst umsorgt zu werden. Die angenehme Stimme von Viridomarus plätscherte dazu wie das Murmeln eines Baches.


    "Berichte mir von Mesembria", bat Satibarzanes, der durch einen kleinen Spalt seiner Lider erfreut feststellte, dass Viridomarus die erste Strähne zur Hand nahm, um die verkokelte Mähne zu verlängern. "Wie lebt man dort, wie sieht es da aus? Und erzähle mir von deinen Eltern und deinen Brüdern. Wie habt ihr gelebt?"


    Da Satibarzanes als Waise aufgewachsen war, obwohl weder Mutter noch Vater tot waren, hörte er gern, wie es war, eine Familie zu besitzen. Er konnte dieses Leben nicht nachfühlen, es blieb ihm fremd, aber er ließ sich diese Geschichten erzählen wie fantasiereiche Fabeln, die man gern hörte, obgleich man wusste, dass es weder Monster noch Helden gab und erst Recht keine Liebe. Es gab nur Dreck und Verrat und zwischendurch, hin und wieder, einen Traum, der alsbald wieder verging.

    Die Augen schloss Satibarzanes von ganz allein, als er die Flüssigkeit in die Kopfhaut einmassiert bekam. Davon entspannte er sich und seine Kopfschmerzen flauten ab, auch wenn sie nicht ganz verschwanden. Das vorsichtige Kämmen im Anschluss tat ihm gut und er ließ die Lider geschlossen, selbst nachdem Viridomarus sagte, er dürfe die Augen wieder öffnen.


    "Erzähl mir was", bat Satibarzanes, der vom vielen Reden eine Pause brauchte. "Warum hast du Thrakien verlassen? Vermisst dich dort niemand? Oder hast du deine Familie einfach mitgenommen?"

    "Ich weiß nicht viel", sprach Satibarzanes so leise, dass man ihn kaum noch verstand, während ein scharfer Schmerz in seinen Schläfen hämmerte. "Die Eravisci waren ein keltischer Stamm, sie kamen aus dem Norden ... sie vertrieben die Illyrer aus Pannonia oder töteten sie. Vielleicht haben sie sich auch mit ihnen vermischt, weil ich Illyrer und die heutigen Pannonier gar nicht unterscheiden kann! Wenn man sie anschaut, sehe sie gleich aus. Sie tragen die gleichen Trachten. Die Eravisci ... waren den Römern gut gesonnen. Und die Römer ihnen. Zum Lohn durften die Eravisci ihre Kultur behalten, sogar die romanisierte Oberschicht trägt noch keltischen Schmuck und alles. Darum ... ist vieles in Pannonia noch keltisch, obwohl es zu Rom gehört."


    Satibarzanes strengte es sehr an, sich solche Erinnerungen hervorzukramen. Wann immer er an seine Kindheit dachte, bekam er heftige Kopfschmerzen und manche Teile seines Gedächtnisses waren unwiderruflich ausgelöscht worden. Andere waren in Fragmenten erhalten, wie diese Informationen, die ihn vage an seine Eltern erinnerten.


    "Mein Vater war ... Bürger geworden. Am Ende seiner Dienstzeit. Aber ich weiß nicht, ob er mich überhaupt anerkannt hat, weil meine Mutter aus Persepolis kommt, vielleicht bin ich sogar ein Sklave, ich weiß überhaupt nichts! Bitte darf ich aufhören", flehte er, "mir platzt der Kopf!"


    Außerdem nahm es ihn immer sehr mit, wenn er an seine Eltern dachte, so dass er den Verdacht hegte, dass er irgendwann absichtlich alles vergessen hatte. Viridomarus verlangte, dass er sich Freunde suchte. Satibarzanes hatte in seinem ganzen Leben nur einen einzigen Freund gehabt. Niemand mochte ihn und das zu Recht, er war schwach, dumm und hässlich. Dass Viridomarus ihm helfen wollte, freute ihn zwar, aber es nahm ihm nicht die Angst vor dem neuen Leben. In diesem Moment, wo es Satibarzanes wieder schlechter ging, wünschte er sich sein altes Leben zurück, dessen Regeln und Abläufe er wenigstens kannte. Oder vielleicht hätte er auch nach Persien oder Parthien oder wie das hieß gehen müssen, damit er glücklich sein konnte. Er war froh, als der riesige Nubier mit der Tasche zurückkehrte. Jetzt brauchte er eine Weile nur stillhalten.


    "Bereit", flüsterte Satibarzanes und rieb seine Augen. "Bitte gib mir meine Mähne zurück, Viridomarus."

    Ehe Satibarzanes bestätigen oder ablehnen konnte, hatte Viridomarus seinen stummen Nubier entsandt. Satibarzanes fand das nicht schlimm, weil er es gewohnt war, dass man ihn überging, ihm ins Wort fiel oder ihn einfach ignorierte. Das war in Ordnung, nur gequält wurde er nicht gerne. Dann plauderte der feiste Mann weiter, der offenbar Terpander misstraute, wenn es um dessen Kochkünste ging. Auch das war Satibarzanes recht. Terpander kochte bestimmt scheußlich.


    "Von den Thrakern weiß ich gar nicht viel", sagte Satibarzanes. "Außer, dass auch Spartacus einer gewesen sein soll. Sie sind gute Krieger mit komischen Mützen. Ich glaube, die sind aus Hodensäcken von Bullen gemacht, zumindest hat man mir das gesagt. Einige Thraker waren in der Auxiliareinheit bei der Classis da, bei Anquincum gibt es einen Standort. Nicht viele allerdings, ich glaube, sie reiten lieber."


    Dann kam Satibarzanes durcheinander. Er war es nicht gewohnt, so lange zu sprechen und dann auch noch nach der Schlüssigkeit des Gesagten gefragt zu werden. Glaubte Viridomarus, dass er log? Oder hielt er ihn für dumm? Satibarzanes bekam Kopfschmerzen, drückte seine Handballen gegen die Stirn und versuchte, sich zu konzentrieren.


    "Mein Vater ... war ein Peregrinus. Vom Stamme der Eravisci. Der aber, weil er bei einer Auxiliareinheit diente ... römisches Bürgerrecht erlangte. Mit der Ala ... mit der Cohors ... mit seiner Einheit ..." Er schlug sich gegen den Kopf. "... zog er nach Süden. Und brachte meine Mutter mit, die eine Partherin? Oder Perserin? Oder so was war. Aus Persepolis!" Er fing an zu schniefen und drehte sich weg, weil er sich dumm fühlte. "Ich verstehe solche Dinge nicht", wimmerte er, aus Angst, nun bestraft zu werden und je mehr er sich anstrengte, sich zu erinnern, umso weniger schien sein Hirn Zugriff auf seine Erinnerungen zuzulassen. Dabei wollte er so gern Viridomarus gefallen, weil der freundlich war, weil der Terpander bändigen konnte und weil der seine Haare schön machen konnte! Satibarzanes kamen die Tränen bei dem Gedanken, dass Viridomarus nun doch nicht seine Mähne wieder lang machen würde.

    "Ich bin Illyrer, also heute sagt man Pannonier, so nannten uns die Römer", erklärte Satibarzanes eifrig. "Da sind noch immer viele keltische Einflüsse, auch wenn die Stämme romanisiert wurden. Drum passt eine Tunika, die nicht weiß ist. Keltisch wäre schön. Wobei es zich Keltenstämme gibt." Er bekam rote Wangen. "Also wenn du es noch genauer wissen willst ..." Normalerweise wollte niemand es genauer wissen. "Die Bezeichnung Illyrer ist genau so falsch wie Pannonier. Ich bin vom Stamm der Eravisci." Zu einem Teil zumindest, unter anderem. Aber Satibarzanes brauchte eine feste Eigenbezeichnung. Dann wurde er etwas verlegen. "Das stimmt eigentlich auch nicht. Ich bin nur ein Mischling. Ich habe kein Volk und keinen Namen. Ich bin nichts Halbes und nichts Ganzes. Vielmehr ein Flickwerk. Aber der Einfachheit halber sage ich einfach, dass ich Illyrer bin. So weiß zumindest jeder, in welcher Gegend ich geboren bin."


    Satibarzanes blinzelte freundlich. "Kommst du morgen wieder wegen meinen Haaren? Bis dahin kann ich ein leckeres Essen gemacht haben. Terpander hilft mir sicher." Was er nicht glaubte, aber er wollte schnellstmöglich die Haarverlängerung.

    Satibarzanes freute sich.


    "Das ist sehr großzügig, natürlich kriege ich so ein Mosaik hin! Ich habe viel geübt. Nur leider ist fast alles kaputt, was ich je gelegt habe. Wann treffen wir uns für meine Haare? Kannst du herkommen? Und mir noch einen Tipp geben, was ich dazu anziehen soll, einfach eine weiße Tunika? Ich möchte ordentlich aussehen, wenn ich hinter dem Tresen stehe."


    Ihm fiel ein, dass Lurco ihm schon eine Tunika geschenkt hatte, die würde er dann gleich anlegen gehen. Aber vielleicht hatte Viridomarus noch einen anderen Tipp, wie er besonders schick aussehen konnte. Am meisten aber freute Satibarzanes sich, dass seine Haarmähne nicht für die nächsten fünf Jahre verloren war, wenn er sie wieder nachgezüchtet haben würde.

    "Dann möchte ich so eine Haarverlängerung mit Filzlocken", freute Satibarzanes sich. "Die brauchst du nicht einnähen, du kannst sie einfach einfilzen. Mein Haar soll wieder bis zum Steiß reichen, es kann ruhig schwer sein, das sind meine richtigen Haare ja auch gewesen. Eine Löwenmähne würde mir gefallen, normal bin ich ja Dunkelbraun, vielleicht kannst du mich blond machen? Passt das? Oh und sag mir doch bitte, was so was kostet, weil ich noch kein Gehalt bekommen habe, ich muss wissen, wie lange ich darauf sparen muss."


    Satibarzanes betrachtete die Wand. Viridomarus sprach so freundlich und wohlwollend von ihm, dass die üblichen Selbstzweifel im Moment vollkommen schwiegen. Satibarzanes freute sich auf seine neuen Haare und sein barbarisches Aussehen mit Knochenschmuck als Löwenmann.


    "Ich weiß, wo ich Fliesenreste herbekomme, da werde ich welche sammeln gehen und wenn die Hausherren in der Castra weilen, werde ich sie überraschen!"

    Plötzlich hatte Satibarzanes eine Idee. Er war so aufgeregt, dass er ein paar Mal den Mund öffnete und schloss wie ein Fisch, ohne etwas zu sagen. Dabei zappelte er, so dass sein Speck wackelte.


    "Haare", stieß er schließlich aus. "Man kann abeschnittene Haare kaufen! Würdest du mir Filzsträhnen in meine restlichen Haare einfilzen und sie so verlängern? Dann würde ich wieder aussehen wie vor dem Brand! Da hatte ich übrigens auch einen Dreitagebart, das sah schick aus, aber alt, was mir gefiel und Kyriakos wütend machte. Er sagte, ich würde mich absichtlich vor den Kunden drücken und er hatte Recht! Dick, mit Bart und Bauchhaaren wollte mich kaum einer haben!"


    Satibarzanes war sehr stolz auf diesen listigen Plan, den er ausgeheckt hatte.


    "Aber jetzt möchte ich wieder so aussehen, um Lurco einen Gefallen zu erweisen. Knochenschmuck wäre super. Es kann sofort losgehen, sobald du Zeit hast, ich habe den ganzen Tag Zeit!"


    Er würde einfach weggehen und Terpander mit der Arbeit allein lassen, damit der sich ärgerte und sah, dass er ihn nicht herumkommandieren konnte.


    "Deine Dekorationsideen hören sich schön an! Weißt du was mir gefällt? Mosaike! Ich hätte gern ein Mosaik", schwärmte Satibarzanes. "Kein so ein teures Schickimickiding, sondern wie beim Ganymed-Eingang, aus bunten Bruchfliesen. Das hatte ich gelegt."

    "Mein Haupthaar ist ein bisschen versengt durch den Brand im Ganymed", sagte Satibarzanes. "Vielleicht kannst du es irgendwann in Form bringen? Meine Haare waren sehr lang, bis zum Steiß, ich habe sie verfilzt, damit ich sie nicht kämmen muss. Terpander sagte, so tragen in Sparta die Krieger ihr Haar."


    Satibarzanes freute sich, dass Viridomarus seine Ansichten teilte und das sogar sagte. Normaler Weise wollte niemand mit Satibarzanes sympathisieren. Er führte den Gast in die Taberna, die Terpander, so faul wie er manchmal auch war, doch schon gut hergerichtet hatte. Alle Möbel standen an ihrem Bestimmungsort, der Dreck war weggeputzt und der Tresen mit den eingelassenen Amphoren einsatzbereit. Nur wirkte der kleine Raum noch vollkommen kahl und ungemütlich. In einer Massivholzkonstrukion in Kopfhöhe lagerten mehrere große Amphoren, deren noch versiegeltes Ende herausragte, so dass man sie später bequem anzapfen konnte. Darin befanden sich Öl und Wein, Dinge, die nicht verdarben und darum schon hier gelagert werden konnten.


    "Die Einrichtung ist etwas spartanisch", sagte Satibarzanes arglos, der Terpander immer noch für einen Athener hielt und den unfreiwilligen Wortwitz nicht bemerkte. "Aber alles ist funktional. Wann die Taberna eröffnet, entscheiden die Hausherren. Was möchtest du essen? Nahrung ist hier noch keine, aber ich kann welche aus der Küche holen. Oder was trinken?"

    Satibarzanes wich den tätschelnden Händen des Mannes nicht aus. Er fand das völlig normal. Treuherzig schaute er über seine Schulter in die Augen von Viridomarus und lächelte.


    "Nur keine Enthaarung, das mag Lurco nicht", erklärte er. "Die ganze Küche ist voller Essen, was willst du denn haben? Wir schauen einfach mal, was da ist."


    Da Satibarzanes es gewohnt war, alles Essen zu teilen, kam er nicht auf den Gedanken, dass es die Herren stören könnte, wenn er ihre Vorräte verschenkte. Noch blieb er an Ort und Stelle stehen, da Viridomarus ihn noch nicht freigegeben hatte. Er wartete artig ab, ob dieser ihn nur ein wenig befühlen wollte oder noch weitere Wünsche hatte außer das Essen.

    Satibarzanes stand ängstlich im Hintergrund. Warum Terpander immer irgendjemanden quälen musste, war ihm schleierhaft. Bei Kyriakos hatte er wenigstens gewusst, warum dieser es tat. Terpander aber erschien ihm einfach nur von Grund auf böse. Während dieser noch mit Tiberios sprach, beeilte Satibarzanes sich, das Geschirr abzuräumen und in die Küche zu tragen. Wo war eigentlich Nubius, war der nicht auch noch hier irgendwo? Und warum half er dann nicht? Vermutlich war es Satis Schicksal, stets für alle anderen die Drecksarbeit zu erledigen, wobei der Dreck einer Küche doch angenehmer war, als irgendwelchen körperlichen Dreck unter den Fingern zu spüren und auf der Zunge zu schmecken. Dann lieber eingesautes Geschirr. Nun wieder zufrieden, räumte Satibarzanes gleich etwas emsiger. Würde Terpander nicht so grimmig schauen, wäre die Welt in Ordnung.

    Als Tiberios die Nackenmassage ablehnte, erlosch die winzige Flamme an Tatendrang sofort wieder, die in Satibarzanes aufgeleuchtet war. Deprimiert sank er in seinem Stuhl zusammen. Vermutlich fand Tiberios ihn eklig. Dann rügte Viridomarus auch noch sein Äußeres. Nach dem Brand sah er wirklich aus, wie durch den Fleischwolf gedreht und er hatte auch so gerochen, bis Terpander ihn gegen seinen Willen gewaschen und mit Zimtöl eingeschmiert hatte. Nur aus den Resten seiner Haarpracht bekam man den Rauchgestank nicht mehr heraus, nicht einmal mit noch so intensiv riechendem Öl. Das angekokelte Röckchen, das er noch immer als einziges Kleidungsstück trug, machte es auch nicht besser. Terpander, Tiberios und Viridomarus hatten Recht, er war hässlich.


    "Du schuldest mir nur 16 Asse", sagte er leise an Lurco gewandt, während er sich erhob, um in die Küche zu flüchten, wo er so tun wollte, als würde er irgendetwas arbeiten. Im Obergeschoss meinte er Terpander rasch aus dem Fenster treten und hinter der Wand verschwinden zu sehen. "Terpander scheint ein Angstlerner zu sein", bemerkte er voller Genugtuung.

    "Ich weiß nicht, ob mein Leben hart war. Verglichen mit Minenarbeitern oder den Soldaten, die zerhackstückelt von der Front kamen, fand ich es ganz gut. Zwei Einheiten gibt es in Aquincum, die Legio XII Gemina und die Classis Pannonica. Leider wollte mich keine haben, aber manche Soldaten mochten die Straßenkinder ein wenig mehr als andere, so dass ich immer etwas zu Essen hatte. Das Einzige, was manchmal hart ist, sind die Winter. Die sind in Pannonien kälter als in Rom. Ansonsten war eigentlich alles in Ordnung."


    Mit den Menschen der obersten Schichten maß er sich nicht, das wäre Unfug. Er maß sich mit den Angehörigen der Basis, welche den Großteil der Bevölkerung ausmachten.


    "Wenn Terpander von Erynnien verfolgt wird, ist es kein Wunder, dass er schlechte Laune hat. Vermutlich hat er einfach Angst. Und dann bin ich auch noch neu in seinem Haushalt, er kennt mich nicht und ich soll ein neuer Dominus sein. Ich bringe seine ganze Welt durcheinander. Ich denke, wir gewöhnen uns schon aneinander, er braucht einfach ein wenig Zeit."


    Dass er vor dem Mann wirklich Angst hatte, als wäre der selbst ein hinabgestiegener Rachegeist, war ein Umstand, mit dem er klarkommen musste, wenn er sein neues Leben meistern wollte. Satibarzanes war entschlossen, zu bestehen. Tiberios hatte Recht - wenn er erst Geld verdiente, würde er vielleicht den anderen helfen können. Nur Castor und Pollux durften nichts davon erfahren, sonst blieb das Geld nicht lange in seinem Besitz.


    "Dass du mir Buchstaben beibringen willst, ist sehr freundlich, Tiberios. Leider kann ich dich noch nicht dafür bezahlen, außer mit körperlichem Vergnügen, da ich noch kein Gehalt bekommen habe. Das wird auch noch dauern, bis die Taberna überhaupt eröffnet hat und Gewinn bringt, eine Zeit lang werde ich für Kost und Logis arbeiten, was mehr als genug ist für mich. Eine Nackenmassage vielleicht zum Ausgleich?"


    Die Berührung an seiner Schulter nahm er zum Anlass für dieses Angebot, da er gewohnt war, in diesen Bahnen zu denken und auf kleinste Signale möglicher Kunden einzugehen.

    "Ja, richtig, ich habe vorher im Lupanar gearbeitet. Den meisten, die überlebt haben, geht es ganz gut, denke ich, von Python abgesehen. Der Name Sati ist in Ordnung, es gefällt mir", antwortete Satibarzanes freundlich. "Meine Mutter kommt aus Persepolis, wurde mir gesagt. Viel weiß ich allerdings nicht von ihr, da sie mich nicht aufzog. Seit ich mich erinnern kann, lebte ich auf den Straßen von Aquincum, darum kann ich auch nicht sagen, wie ich die erste Zeit als Kleinkind überlebte oder wie alt ich war, als man mich ausgesetzt hat.


    Als ich 17 war, traf ich Kyriakos. Er war in keinem guten Zustand, seine Füße waren verletzt und er hatte ein Baby dabei, so dass ihm auch noch die Hände gebunden waren. Sein einziges Ziel war, nach Rom zu gelangen, aber seine Kräfte waren am Ende. Ich wusste, wie man überlebt und habe den beiden geholfen. Er war sehr dankbar und versprach mir vieles zum Lohn, aber ich glaubte ihm kein Wort. Ich wollte auch nichts haben. Er sagte, er würde mich mit nach Rom nehmen und wir würden dort Arbeit finden und nicht mehr auf der Straße leben. Was soll ich sagen - er hat sein Wort gehalten. Bis zu dem Tag, an dem unser Lupanar abbrannte."


    Satibarzanes spielte mit dem Verband.


    "Kyriakos ist eine gebrochene Seele. Er ist nicht immer gerecht und kann ziemlich unangenehm werden. Aber er ist nicht herzlos. Nur sieht er alles durch die Augen des Kriegers, der er mal war, bis jemand seine Füße verletzte und ihn für immer zum Krüppel machte. Wenn er schlechte Laune hat, sollte man einen Bogen um ihn machen. Ansonsten kümmert er sich stets um alle. Auch um jene wie mich oder die Zwillinge, die vom Rest der Welt vergessen wurden. Aber um ihn ... habe nur ich mich gekümmert. Und später seine Freundin Velia. Sonst war er der Welt sehr gleichgültig, die er versucht hat, zu einem besseren Ort zu machen."


    Als er das erzählte, wurde Satibarzanes traurig. Er fühlte sich auf einmal schäbig, dass er fortgelaufen war und Kyriakos und die anderen im Stich gelassen hatte. Kyriakos hatte das nie. Er war immer dagewesen, ganz gleich, wie oft er Satibarzanes beschimpft und ihm gedroht hatte, ihn fortzujagen - er hatte es nie getan.

    "Dominus Sati?" Satibarzanes schaute verwundert, dann lächelte er. "So kannst du mich gern nennen. Früher nannte man mich Barti. Mit einem neuen Namen kann man besser nach vorn schauen, auch wenn es ein neuer Spitzname ist. Haare sind seit dem Brand ohnehin kaum noch übrig."


    Er strich seine verbliebenen Bartstoppeln und schnupperte gehorsam.


    "Beides duftet wunderbar! Wir hatten im Ganymed eine Auswahl von Duftölen und Parfums, sie mussten preiswert und geruchsintensiv sein und vor allem süß! Manche rochen wie Honig. Die mochte ich am meisten. Rosenwasser ist vermutlich zu teuer für uns, aber wir hatten ein Parfum, das roch ganz ähnlich. Das trug Evenor immer im Haar, er wollte nach Frühling riechen, damit er jünger wirkt. Und die Zwillinge nutzten irgendwelche Küchenöle mit Kräutern, von dem ihre Haut ganz scharf schmeckte. Das mochten sie. Wenn man sie angefasst hat, musste man die Hände waschen, sonst brannte einem das Auge, wenn man es sich rieb. Es gibt so viele gut riechende Parfums und Öle."