Beiträge von Zambascha

    In der Gewissheit, dem Römer keine Angriffsfläche geboten zu haben, genoss Zambascha das Gefühl seines kleinen Sieges. Mochten die Söhne einer Lupa seinen Körper auch vernichten, sein Geist und sein Herz triumphierten und am Ende fügte sich alles so, wie es von den Göttern Cappadocias geplant war. Rom würde weichen, früher oder später. Mochte Zambascha auch nur einen kleinen Teil dazu beitragen können, so höhlte steter Tropfen doch den Stein. Er war nur einer von vielen, doch viele waren sie. Es galt nur, sie daran zu erinnern, wer sie waren.


    Ein zufriedenes Lächeln hob seine Mundwinkel und er öffnete seine Augen nicht.

    Zambascha lächelt. Augenscheinlich mangelt es dem Römer an der nötigen Courage, ihn eigenhändig zu foltern. Wem will er es verübeln - der Hundesohn wird spüren, wessen Schutz seinen Gefangenen umgibt. Alles wird sich fügen. So schließt Zambascha die Augen und hüllt sich in Schweigen.

    Zambascha spannte seine Halsmuskulatur an, ohne verhindern zu können, dass sein Kopf nach oben gedreht wurde. Einen Moment lang sah man Verunsicherung im Gesicht des Cappadox - er fragte sich, ob man ihm ansehen konnte, dass er einst Sklave gewesen war. Er hatte nur von einem Dienstherrn gesprochen. Vielleicht hatte der Römer aber auch nur auf gut Glück gefragt und mit seinem Volltreffer Zambascha dazu gebracht, seine Maske ein Stück verrutschen zu lassen.


    Die Lüge war offensichtlich, als er sprach: »Ich habe keinen Herrn. Ich bin ein freier Mann.«


    Denn was das Recht sagte, war die eine Sache. Eine andere, was sein Herz sagte.

    »Warum versuchst du es überhaupt, Römer, dessen Vorfahre in einem Erdloch von einer räudigen Wölfin gesäugt wurde. Ich benötige keinen Ruhm, mein Blut wird meine Geschichte in die Erde der Heimat schreiben und mir Lohn genug sein. Jeder, der hier verwurzelt ist, spürt sie und die Geschichten all der anderen kappadokischen Söhne, die hier fielen. Du aber bist nur ein Invasor und taubblind für die Wahrheit, der Nachfahre eines Schänders und eines Brudermörders. Niemand glaubt die Mär von Roms Großzügigkeit, euer eigener Gründungsmythos erzählt die Wahrheit für alle Welt, Hundesohn. Lass mich laufen, wie du es angekündigt hast, oder schicke mich auf ewig heim zu Tarku. Ich werde nicht reden.«

    »Väter liegen wach auf ihrem Lager, wenn der Kampf bevorsteht, grübeln, sorgen sich um Frau und Kinder oder um die kranken Eltern daheim. Die besten Männer sind frei von solchen Dingen und durch ein einziges, unzerstörbares Band an ihren Dienstherren und ihre Pflicht gebunden. Du kannst dieses Verhör beenden, weder wird mich jemand auslösen noch werde ich um Gnade flehen und dir Informationen anbieten, nur um am Ende doch getötet zu werden. Niemand wird in Not geraten oder trauern, wenn ich diese Erde verlasse. Du machst mir keine Angst.


    Ich habe keine Kinder, Römer, noch sonstiges Fleisch und Blut, das mich bindet. Es gibt niemanden, mit dem du mich unter Druck setzen kannst, ich würde jeden opfern, den du vor meinen Augen die Grausamkeit Roms spüren ließest. Nur zu, hole einen der meinen aus dem Kerker, beweise erneut, dass der Adler Roms sich mit falschen Federn schmückt und in Wahrheit ein Geier ist.


    Wer dein Sohn ist, weiß ich nicht, aber hätte ich es gewusst, würde er nicht mehr leben. Bring ihn her und zeig mir sein Gesicht, damit ich es ihm beim nächsten Mal vom Schädel schneiden und an die Hunde verfüttern kann.«



    Ungezählte Tage hatte Zambascha in einem Kerker gelegen. Man hatte ihn nicht über die Gebühr schlecht behandelt, doch er wusste, dass dies nicht als Milde der Römer missverstanden werden durfte. Es ging nur darum, ihn nicht vor der von ihnen angedachten Zeit vor die Götter treten zu lassen. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch, sich zu erdrosseln, hatte man ihm die Kleider genommen und ihm erst jetzt für das Verhör zurückgegeben. Zambascha war viel zu ertragen imstande und entschlossen, zu sterben, ohne sein Geheimnis preiszugeben.


    »Es sind gute Pferde, darum wählte ich sie. Ich griff euch an, da ihr Römer seid. Wiedergutmachung ist nicht notwendig, da ich nichts Schlechtes tat. Mein Herz und mein Gewissen sind rein. Ist es das deine auch?«

    Zambascha ging nicht einen Schritt, nachdem man ihm vom Pferd gezogen hatte. Kein kindischer Trotz war es, der ihn dazu trieb - er wusste, wann er verloren hatte. Doch hoffte er darauf, die Römer ausreichend zu reizen, dass sie ihn vor dem Verhör erschlugen. Es war nun an dem Offizier, der die Drohung ausgesprochen hatte, diese in die Tat umzusetzen oder eine weitere Variante zu überlegen, um den Gefangenen ins heimische Castellum zu bringen, denn dieser bewegte sich nicht mehr von der Stelle.

    Begreifen zog wie ein reinigendes Sommergewitter durch den Geist des Gefangenen. Sein sonnengebräuntes Gesicht veränderte sich. Sein verächtlicher Ausdruck wich der Klarheit und Zambascha erkannte, dass er einen großen Fehler begangen hatte. Seine Pflicht hätte sein müssen, die Römer anzugreifen, so lange er es noch konnte, damit sie ihm halfen, sein Wissen mit in sein Grab zu nehmen. Das Entsetzen auf Zambaschas Gesicht galt nicht der Aussicht auf Folter. Es galt der Angst, seinem Herrn Probleme zu bereiten und ein schlechter Sklave zu sein.


    Dass er inzwischen ein freier Mann war, spielte keine Rolle. Die geschenkte Freiheit war für ihn nur ein Instrument zur Willenserfüllung seines Herrn, das ihm größeren Handlungsspielraum einräumte. Zambascha selbst bedeutete sie so wenig, wie ihm seine Räuber etwas bedeutet hatten. Auch sie - nur Werkzeuge, bedeutungslos, bis man sie benutzte, um Großes mit ihnen zu bewirken. Dass sie ihn im Stich gelassen hatten, brach keineswegs sein Herz, es ließ ihn tiefe Verachtung empfinden für ihre Einfalt und dafür, wie sie sich an ihr Leben klammerten, das ohne einen Lenker wieder in der Bedeutungslosigkeit von Bauern und Nomaden versinken würde.


    Nachdem der Centurio ihn auf seinem Pferd allein gelassen hatte, blieben nur seine Wächter zurück, die ihren Gefangenen weitestgehend ignorierten. Einer von ihnen hielt die Zügel des Pferdes, wohl ahnend, dass jemand wie Zambascha das Tier auch gefesselt und ohne Zügelhilfe zu lenken imstande war. Er hätte den Centurio niedergeritten, damit sie ihn töteten.


    Dies würde sein letzter Ritt werden. Als der Tross sich in Bewegung setzte, hörten seine Wächter Zambascha in einem Singsang vor sich hinmurmeln. In Kappadokisch, einem schwer verständlichen griechischen Dialekt, der verzerrt war von persischen und keltischen Einflüssen, sprach Zambascha zu seiner Gottheit. Er bat nicht um Rettung, er bat um seinen Tod.

    Zambaschas braune Augen glommen rötlich im Licht der Sonne. Sie fingen den Blick des römischen Soldaten ein und brannten sich in ihn fest. Die gebrochene Nase schmerzte und weiße Flecken tanzten vor seinen Augen, doch es kümmerte den Räuber nicht.


    »Mein Leben ist bedeutungslos, Römer. Das meiner Männer ist bedeutungslos. Töte uns, wenn das dein einfältiges Gemüt befriedigt. Den Lauf der Dinge wirst du dadurch weder aufhalten noch ändern.«


    Zambascha gab mit den Fingern unauffällig einen Wink, doch seine Räuber trugen nicht den gleichen Stolz in ihren Herzen. Die Aussicht auf den Tod ließ sie ihre Treue vergessen. Niemand folgte dem Befehl zum letzten selbstzerstörerischen Angriff. Stattdessen gaben sie ihren Pferden die Fersen, der Sand stob unter ihren Hufen auf. Mit wehenden Schweifen hielten die Tiere auf das Gebirge zu, die Reiter tief über die Hälse gebeugt. Ihren Anführer ließen sie dem Tode geweiht zurück, gemeinsam mit seiner Beute, für die niemand mehr einen Blick übrig hatte. Wie weit sie kommen würden, war fraglich, falls jemand die Verfolgung aufnahm. Zambaschas Mundwinkel zogen sich auseinander, vollbrachten ein Lächeln mit Zähnen, die rot vom eigenen Blut waren, als er ihnen gedanklich einen Fluch nachsandte. Sollte Tarku sie aus dem Spiel nehmen - Zambascha benötigte keine Verräter.


    Er ruckte mit dem Kopf, als er den Rücken durchdrückte. Die Regung offenbarte Zambascha, dass der Griff in seinem Haar unnachgiebig war. Zusammen mit der eisernen Spitze, die bereits einen Fingerbreit in seinem Hals steckte, machte ihn das annähernd bewegungsunfähig. Zu seinen Füßen lag die Dracostandarte - das Einzige, was Zambascha in diesem Moment bedauerte, denn sie hatte den Boden nie berühren sollen. Er hielt weiterhin dem Blick des Römers stand. Aufrecht blickte er ihm in die Augen, bereit, den Todesstoß zu empfangen.

    Im Talkessel nebenan machten die verbliebenen Steppenreiter sich bereit, aus der Wahrnehmung Roms zu verschwinden. Aus dem Nichts waren sie gekommen und ins Nichts würden sie zurückkehren, denn niemand mochte sagen, wer sie waren, wenn sie sich erneut unter das Volk mischten. Wenn aus Räubern wieder Väter und Söhne wurden, Ehemänner, Geliebte und Brüder. Nichts von all dem war Zambascha. Es gab nur Zambascha das Werkzeug und dahinter keinen Mensch.


    Der Grund, warum Zambascha noch einmal halten ließ, lag zwischen ihnen wundgeschleift im Staub und regte sich kaum. Die Rüstung hatte den Gefangenen vor dem Schlimmsten bewahrt, dennoch wirkte er nach der kurzen Strecke, die er über Sand und Steine hinweg gerissen worden war, bereits mitgenommen. Die Räuber ließen sich von den Pferden rutschen, tranken aus dem Wasserschlauch des erbeuteten Römers. Danach trat Zambascha an ihn heran. Die Räuber taten es ihm gleich.


    Zwei nahmen ihrer Beute Helm und Panzer ab, so routiniert, als würden sie einen Flusskrebs schälen. Das Eisen war unnötiges Gewicht. Helm und Panzer wurden in einer Felsspalte deponiert, um sie später abzuholen und wiederzuverwenden oder zu verkaufen. Zambascha, der für das gerechte Teilen der Beute zuständig war, übergab den römischen Dolch feierlich seinem tapfersten Streiter, der seinen Bruder verloren und dennoch treu zu ihm gehalten hatte. Das Schwert aber überreichte er dem Mann, der diese Beute gemacht und bis hierher geschleift hatte und dieser erhielt auch den Gürtel des Römers als Trophäe, von denen Zambaschas Trupp bereits eine ganze Sammlung sein Eigen nannte. Die Sandalen erhielt jemand, dem sie passten und der letzte Räuber erhielt die leere Wasserflasche des Römers. Für sich selbst behielt Zambascha nichts.


    Als alles mit Ausnahme der verschwitzten Tunika von dem gefangenen Soldaten genommen worden war, blieb im Sand ein harmlos aussehender Jüngling zurück, dessen rotes Haar nass auf seinem Kopf klebte. Auf eine nähere Inaugenscheinnahme verzichtete Zambascha. Jeder Mann, der in der Legio diente, war gesund und erfüllte somit die Grundvoraussetzungen eines Opfers. Einzuschätzen, ob Tarku tatsächlich Gefallen an diesem Exemplar finden würde, war Sache der Priester.


    Mit Verfolgern rechneten sie nicht, denn von einem erschöpften Häuflein abgesehen, waren die beiden Centuriae ohne Reiterei gewesen. Eine Legion teilte sich nicht, sie blieb stets eine Einheit, so war es Gesetz. Niemand würde den Räubern zu Fuß in die zerklüftete Wildnis der Berge folgen, denn dafür hätte die Legio ihre schützende Formation aufgeben müssen. Und so war Zambaschas Konzentration darauf gerichtet, wie man den Mann am besten vor seinem Häscher auf dem Pferd fesselte, denn er wähnte sich sicher.


    Ihre fünf Verfolger bemerkte niemand. Und es begab sich, dass Zambascha noch zu Fuß war und den Sitz der Beute kontrollierte, während alle anderen bereits auf ihren Pferden saßen.

    Es war das erste Gefecht dieser Größenordnung, welches Zambascha erlebte. Anders war es in seinen Träumen verlaufen. Mit den Plänen, die er unter der Sonne in den Sand zeichnete, hatte dieses Schlachten nichts zu tun. Trauer erfüllte ihn, denn jeder seiner Reiter war ihm ein Freund, doch gab es Dinge in dieser Welt, die größer waren und bedeutsamer als das Leben der Sterblichen. Hilflos sah der Anführer der Räuber zu, wie das, was von seiner Bande übrig blieb, davon stolperte, hinaus aus dem Kessel und zwischen die Felsen, einige noch zu Pferd, andere zu Fuß und jeder sichtlich verletzt. Nicht zu ihm flohen sie, nicht um sich für einen erneuten Vorstoß zu sammeln, sie suchten nur ihr Leben zu retten und in die schützenden Arme der wilden Heimat zu fliehen. Unter den Römern hingegen floh nicht einer.


    Zorn brandete nun durch Zambaschas Herz und wischte die Trauer hinfort, so wie die Gischt des Schwarzen Meeres sich brüllend an einem Felsen brach. Seine Reiter würden nicht auf diese Weise von dannen ziehen! Nicht, ohne Rom einen Tribut zu rauben, ein Opfer für Tarku, damit er sah, wie wichtig das Werk war, das seine Söhne für die Heimat zu vollbringen suchten. Ein letztes Mal hob Zambascha den Drachen auf seinem Stabe, drehte das Maul in den Wind und ein langgezogenes Heulen rief einige seiner Männer zu ihm zurück, die noch zu Pferde waren. Nur vier an der Zahl, doch dies mochte genügen für seinen letzten Willen in diesem Gefecht.


    »Brüder! Der Göttervater ist hungrig und dies lässt er uns spüren. Wir versprachen ihm römisches Blut und stattdessen floss das seiner Söhne. Verhöhnt muss er sich fühlen, fürwahr. Diesen da«, wiederholte er seinen Befehl. »Ich verlange diesen Römer für den Altar des Tarku! Erst, wenn genug römisches Blut geflossen ist, wird der Wind sich wenden. Die Götter helfen nur den Würdigen, also erweisen wir uns als würdig!«


    Der Wettergott schien Freude an dem Versprechen zu haben und blies eine Staubwolke in die Gesichter der Römer. Er zeigte Zambascha, dass ihm das ausgewählte Opfer gefiel und schlug es mit einer Schwäche. Etwas machte dem jungen Miles nun zu schaffen, der noch immer am Rande stand. Er rieb seine Augen und bewegte sich verwirrt. Die Zeichen waren gut.


    Und so kam es, dass die letzte Gruppe treuer Reiter in Todesverachtung erneut gegen Rom ins Feld zog, unter ihnen Zambascha selbst, mit dem heulenden Drachen über ihren Köpfen. Die Hufe peitschten den Sand, den Wind und die Sonne hatten sie im Rücken, feurige Silhouetten, die den Sturm brachten. Etwas flog aus ihrer Mitte lautlos durch die Luft, schloss sich weich um den Auserwählten und dann zog die Schlinge sich zu. Alles konzentrierte sich nur noch darauf, das möglich zu machen, ein erneuter Angriff gegen die Römer erfolgte nicht.


    Der junge Soldat wurde von den Füßen gerissen und davon geschleift, während die übrigen Reiter die Flucht deckten, damit der Tarku, der Immerhungrige, sein Opfer erhalten konnte.

    Dreimal ließ Rom den Tod auf die Söhne der Steppe regnen. Dreimal forderten die römischen Götter Tribut. Neununddreißig Reiter verblieben in der Welt der Lebenden, wütend in Schmerz und Zorn. Ein Räuber wollte das erlittene Leid an seinen Gefangenen weitertragen, doch ein scharfes Wort aus dem Munde von Zambascha verhinderte die Tat. Zu diesem Zwecke war die lebende Fracht nicht gedacht.


    Zambaschas Augenmerk richtete sich wieder auf den Feind, registrierte einen Fehler in der gegnerischen Formation, einen Quell der Angst, der die größte Stärke Roms - seine Disziplin - wanken ließ. Damit würde sich arbeiten lassen. Und während die eiserne Schildkröte langsam auf ihre Stellung zukroch, die Steppenreiter noch ihre Pfeile vergeudeten, um den Aufmarsch zu verlangsamen, ließ Zambascha vier seiner Räuber die nackten Gefangenen hinter ihren Sätteln auf den Pferden festbinden, aufrecht sitzend und mit gefesselten Händen und nach hinten blickend, damit die Römer die Gesichter ihrer verzweifelten Kameraden sehen konnten und ihre weichen Bäuche. Er selbst behielt sein Augenmerk auf den Feind gerichtet, auf der Suche nach weiterer Schwäche.


    "Diesen da", verlangte Zambascha und wies auf einen jungen Römer im Herzen des Zerfalls, den er eine Weile schon im Auge behielt. "Wer ihn mir bringt, dem sei Silber gewiss."


    Ein anderer Pfiff erklang durch seine Zähne, wieder der eines Falken, doch mit trillerndem Verlauf. Die Reiter setzten ihre Pferde in Galopp, ein kreisendes Rad des Staubes, dass um Rom sich zu drehen begann und bald immer schneller wurde. Bewegliche Ziele boten auch für geübte Schützen keine leichte Beute. Die Römer aber schleppten schwer an Schild und Rüstung, zur Langsamkeit verdammt, die den Mut an seine Grenzen brachte, wenn der Sturm des Krieges tobte. Aus dem Galopp heraus schossen die Reiter in die Schildkröte hinein, konzentrierten sich auf die Stelle, wo der schützende Panzer auseinanderbrach. Ein Strudel aus Pferden, Menschen und Staub, der um Rom kreiste wie das staubige Rad des Schicksals.


    Zambascha aber hob die Drachenstandarte1. Der Wind fuhr in den metallenen Kopf, brachte die Lamellen innerhalb des Mauls zum Aufheulen und ließ den Stoffkörper wütend peitschen. Der Kriegsgesang des Drachens mischte sich mit dem der Reiter. Jene vier Getreuen, welche einen lebenden Schutzschild am Rücken wussten, brachen nun gleich einer Speerspitze mitten hinein in die Wunde der Schildkröte, um den Panzer endgültig zu sprengen, gefolgt von den anderen, während Zambascha gemächlich außerhalb des Geschehens ritt, den zornigen Drachen an seiner Seite.


    Dem Überfall auf die beiden Centuriae der Legio XV Apollinaris ging ein anderes Ereignis voraus:


    Nicht jeder von Zambaschas Männern besaß ein taugliches Pferd, manche ritten auf Schindmähren, die gerade zum Transport eines Reiters von einem Ort zum anderen genügten, andere saßen auf Eseln. Sie benötigten Pferde, die auch im Gelände sicher traten, die ausdauernd und gesund waren. Sich bei der Legio und der Ala zu bedienen war ein aussichtsloses Unterfangen für einen kleinen Räubertrupp, doch Zambascha war zu Ohren gekommen, woher die Soldaten dieser Provinz ihre hervorragenden Tiere bezogen.


    Er besah sich die Anlage des Gestüts Umbrena, ohne sich zu verstecken. Erst von außen, dann bat er um eine Besichtigung, da er den Kauf bereits ausgebildeter Pferde für die Priesterschaft erwäge. Man führte ihn herum, zeigte ihm die ausgebildeten Tiere. Zambascha nahm sich Bedenkzeit.


    Einige Tage später kehrte er zurück und teilte mit, er hätte sich entschieden.


    Mit ihm gekommen waren seine 41 bewaffneten Räuber. Diesen Kampf zu führen wäre unklug. Zambascha zeigte also nacheinander auf die Pferde, die ihm gefielen, 82 an der Zahl, jeder Räuber sollte auch ein Ersatzpferd erhalten. Während die Tiere von ihren neuen Herren hinausgeführt worden, zwang Zambascha den Verantwortlichen, ihm einen Schenkungsvertrag zu unterzeichnen.



    Schenkungsvertrag


    über 82 ausgebildete Reitpferde

    als demütige Spende an Tarku

    zum Zeichen der römischen Dankbarkeit


    Der Schenker und der Beschenkte sind sich darüber einig, unentgeltlich die Schenkung von 82 ausgebildeten Reitpferden nach Wahl des Beschenkten zu vollziehen. Die Schenkung wird vollzogen durch die Übergabe der Pferde. Der Beschenkte ist für den Transport verantwortlich und übernimmt die hierfür anfallenden Kosten.


    Der Schenker verzichtet auf sein Widerrufsrecht, denn die Götter beraubt man nicht.


    Schenker: Gestüt Umbrena

    Beschenkter: ZAMBASCHA





    Zambascha war weder Lesens noch des Schreibens mächtig, doch ein zuverlässiger Mann war so entgegenkommend gewesen, das Schreiben für ihn zu verfassen. Seinen Namen hatte Zambascha von einer Vorlage abgemalt, so dass seine unbeholfene Unterschrift bereits unter den beiden Exemplaren des Schreibens prangte, als er sie einer willkürlich ausgewählten Person zum Gegenzeichnen vorlegte. Nach vollzogener Unterschrift bedankte Zambascha sich für die Großzügigkeit, ließ eines der Vertragsexemplare vor Ort und packte das andere ein. Er schwang sich auf sein neues Pferd, ohne Sattel und Zaumzeug zu benötigen.


    Ohne dass es zu Gewalt oder Sachbeschädigung gekommen war, zogen die Räuber mit ihren Geschenken ab.

    In den alten Zeiten regierte der König ein Land von Heiligtümern und die Priester waren Herren über alles. Diese Männer von reinstem und edelstem Blut lenkten die Geschicke Cappadocias. Jede Dynastie entstammte einem Gott. Sogar die heidnischen Römer wagten nicht, die Fürsten ihrer uralten Macht zu entheben. Lediglich der kappadokische König hatte dem römischen Kaiser weichen müssen. Seinen Tod hatten die meisten Tempelfürsten gleichmütig hingenommen. Treue empfanden sie nicht, der König war lästig gewesen und die Freiheiten unter dem Kaiser, der weit entfernt in Rom residierte, waren größer. Sie waren göttlichen Blutes, ihnen stand nichts Geringeres zu, als die Herrschaft in ihrem Sinne fortzusetzen.


    Opportunistisch veranlagt waren alle Häuser, die überlebt hatten. Doch einen Priesterfürsten gab es, der übertrumpfte die anderen an Raffinesse.

    Einen, der in den Feinden Roms die wehenden Banner der Zukunft sah und seine Schäfchen im Trockenen wissen wollte.

    Einen Partherfreund.


    Der treuester Diener dieses Partherfreundes trug den Namen Zambascha, dessen Klang so alt war wie die Steppe, in der er geboren war, bevor seine Eltern ihn in die Sklaverei verkauft hatten. Seinen eigenen Wurzeln früh entfremdet, war er nur seinem Herrn hörig, der ihm die verlorene Freiheit zurückgegeben hatte. Zambascha diente nicht für Gold und nicht für Versprechungen, nicht aus Zwang oder Angst. Er diente aus Überzeugung und das machte ihn zu einem gefährlichen Gegner.


    In diesem Augenblick saß Zambascha als lebendes und denkendes Schwert seines Herrn auf einem Pferd, das so staubfarben war wie der kappadokische Sand. Was immer sein Herr ihm befahl, Zambascha würde gehorchen. Wenn es hieß, eine römische Kohorte auszuradieren, die auf einem Übungsmarsch durch das Land seiner Vorfahren lief, als wäre es ihres, dann tat Zambascha das. Er würde auch die Welt aus den Angeln reißen, würde sein Herr ihn nur darum bitten.


    Zufrieden lächelte er unter seinem Gesichtsschleier, als die Römer in den vorbereiteten Kessel marschierten. Seine Männer waren in der Unterzahl, nur zweiundvierzig Mann, doch sie waren beritten, mit guten Waffen ausgerüstet und sie kannten ihr Land. Der Kessel war lehrbuchmäßig. Ein Pfiff, langgezogen und klagend wie der eines Falken, drang durch seine Zähne und sein Trupp spannte die Bögen wie ein Mann. Die Sehnen sirrten. Lautlos erhoben sich einundvierzig Pfeile.


    Für einen Moment nur war die Luft dunkel gesprenkelt, dann prasselte der Tod nieder auf die Söhne Roms.