Analemma
Ein Analemma ist eine Konstruktionsvorschrift für den Bau von Sonnenuhren. Es dient dazu, Maße für die Schattenlänge an den Extrempunkten einer Uhr (Sommersonnenwende, Wintersonnenwende) und an der Tag-und-Nachtgleiche sowie weitere Maße für den Sonnenverlauf zu bestimmen. Mit einem vollständigen Analemma können sogar Aussagen über den Jahresverlauf der Tierkreiszeichen getroffen werden. Eine vollständige antike Beschreibung eines solchen Analemmas befindet sich bei Vitruvius in seinen 10 Büchern über Archtiektur (De architectura libri decem) um neuten Buch, Kapitel 7. Die Beschreibung ist dort ausdrücklich allgemeingültig gehalten und kann auf verschiedene Sonnenuhrentypen angewandt werden.
Konstruktion eines einfachen Analemmas
Um ein Analemma für einen bestimmten Ort konstruieren zu können, muss dessen Breitengrad bekannt sein. Die Angabe erfolgte bei den Römern entweder bereits wie heute üblich in Grad, oder in der Angabe des Verhältnisses der Länge des Schattens zum Gnomon zur Tagundnachtgleiche. Für Rom gibt Vitruvius an, dass der Schatten 8/9 beträgt, was den tatsächlichen Breitengrad von Rom nahezu perfekt trifft.
Man beginnt die Konstruktion des Analemmas mit einer waagerechten Linie. Auf dieser bezeichnet man einen Punkt B und trägt senkrecht zur Grundlinie den Gnomon in der gewünschten Länge ein. Die Spitze des Gnomon wird mit dem Buchstaben A bezeichnet. Dann trägt man auf der Grundlinie den Punkt C ein, so dass der Abstand BC genau der zur Gnomonlänge passenden Schattenlänge zur Tagundnachtgleiche entspricht. Um A schlägt man einen Kreis mit Radius AB, der als Mittagslinie bezeichnet wird. Die Linie AC stellt den Sonnenstrahl zur Mittagsstunde der Tagundnachtgleiche dar.
Parallel zur Grundlinie zeichnet man eine Linie durch A und bezeichnet ihre Schnittpunkte mit der Mittagslinie mit E und I. Diese Linie wird als Horizont bezeichnet und ist für einige Abmessungen im vollständigen Analemma relevant. Auf der Linie AC bezeichnet man den Schnittpunkt mit der Mittagslinie mit dem Buchstaben F.
Links und rechts von F trägt man auf der Mittagslinie die Punkte G und H ein. Für den Abstand gibt Vitruvius jeweils 1/15 des Kreisumfangs an, so dass ein Winkel von 24 Grad entsteht. Tatsächlich ist dieser Wert nicht ganz korrekt, denn eigentlich müsste er der Schiefe der Erdachse entsprechen, die geringfügig kleiner ist. Danach zeichnet man Linien durch A und G sowie durch A und H ein, die die Grundlinie in den Punkten T und R schneiden und die den Sonnenstrahlen im Winter (AT) und im Sommer (AR) jeweils zur Mittagsstunde entsprechen.
Zeichnet man die Sonnenstrahlen über A hinaus nach oben weiter, ergeben sich dort weitere Schnittpunkte mit der Mittagslinie, die mit K (gegenüber G), N (gegenüber F) und L (gegenüber H) bezeichnet werden.
Diese einfache Konstruktion reicht bereits, um grundlegende Maße, nämlich die Schattenlängen, abzunehmen, jedoch noch nicht für eine vollständige Konstruktion einer Sonnenuhr.
Konstruktion eines vollständigen Analemmas
Um alle notwendigen Maße für eine Sonnenuhr abzunehmen, muss die oben beschriebene Konstruktion noch um einige Schritte erweitert werden. Die Punkte G und L sowie H und K werden jeweils durch Linien verbunden. Dann zeichnet man durch A eine Linie senkrecht zu AC, die als "Achse" bezeichnet wird. Die Schnittpunkte dieser Linie mit der Mittagslinie werden mit P und Q bezeichnet. Dort, wo AP die Strecke GL schneidet, wird der Punkt M notiert, auf der anderen Seite analog der Punkt O als Schnittpunkt von AQ und HK. Der Schnittpunkt von HK mit EI wird mit V bezeichnet, der von GL mit EI mit S.
Um O trägt man einen Kreis durch K ein, um M einen solchen durch L. Vitruvius schreibt hier jeweils nur Halbkreise vor, womit wohl die jeweils äußeren Hälften gemeint sind, was die Zeichnung etwas übersichtlicher macht. Bei Vitruvius fehlt die Angabe, dass durch V und S jeweils Linien parallel zur Achse gezogen werden müssen. Diese Linien erleichtern jedoch die spätere Arbeit mit dem Analemma.
Zuletzt verbindet man G und H mit einer Linie, die parallel zur Achse verläuft und als "Locothomus" bezeichnet wird. Der Schnittpunkt dieser Linie wird mit D bezeichnet. Um D wird ein Kreis durch G gezogen, der als "Manaeus" bezeichnet wird und der für die Angabe von Tierkreiszeichen genutzt werden kann.
Aus dieser Konstruktion können nun alle für den Bau von Sonnenuhren relevanten Maße an den Strahllinien und den Kreisen abgelesen werden. Der Manaeus dient zur Bestimmung von Tierkreiszeichen.
Umsetzung eines Analemmas in eine Sonnenuhr
Um aus einem Analemma alle nötigen Maße für einen Sonnenuhr abzunehmen, müssen als erstes die drei Kreise oberhalb der Achse bzw. den Achsenparallelen durch V und S in jeweils 12 gleiche Teile geteilt werden, um die 12 Tagesstunden zu gewinnen. Alle sich daraus ergebenden Punkte müssen dann nach dem gleichen Schema auf die Sonnenuhr übertragen werden. Im Falle einer einfachen planaren Sonnenuhr geschieht dies in den folgenden Schritten:
- Im Analemma wird ein Punkt X auf dem Kreis achsenparallel auf den Durchmesser des Kreises (FN bei der Mittagslinie, KH beim Winterkreis, GL beim Sommerkreis) projeziert.
- Der so gewonnene Punkt wird senkrecht auf den Horizont (EI) projeziert.
- Im Analemma wird eine Linie vom in Schritt 1 gewonnen Punkt durch A auf die Grundlinie gezeichnet.
- Auf der planaren Sonnenuhrfläche wird auf der Nord-Süd-Achse der Abstand von A vom Punkt aus Schritt 2 als Abstand vom Gnomon nach Süden eingetragen.
- Von diesem Punkt aus wird der Abstand von X zum Punkt aus Schritt 1 senkrecht nach links und rechts eingetragen.
- Von diesen Punkten aus wird jeweils eine Linie durch den Gnomon gezogen.
- Auf der planaren Sonnenuhrfläche wird auf der Nord-Süd-Achse der Abstand von A vom Punkt aus Schritt 3 als Abstand vom Gnomon nach Norden eingetragen.
- In diesem Punkt wird eine Senkrechte zur Nord-Süd-Achse gezeichnet, die die Linien aus Schritt 6 schneidet.
Die im letzten Schritt gewonnenen Schnittpunkte sind die gesuchte Übertragung des Punktes X auf die Sonnneuhrfläche.
Grundsätzlich ist es möglich, das Analemma maßstäblich anzulegen und alle dort abgenommenen Maße vor der Eintragung in die Sonnenuhr entsprechend zu vervielfachen. Dies wird beispielsweise im Fall des solarium Augusti gemacht worden sein, das die größte bekannte römische planare Sonnenuhr darstellt.
Literatur:
Vitruvius, De architectur libri decem, Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Curt Fensterbusch, 5. Auflage, 1991
Karlheinz Schaldach, Römische Sonnenuhren, 3. Auflage, 2001