Seiana und Sevilla - Ein Gespräch unter Frauen

  • Ihr ging es gar nicht gut und mit jedem Schritt, den sie tat, wurde es schlimmer. Doch sie musste ihre Tante besuchen gehen. Zum einen wusste sie einfach nicht weiter und brauchte dringend Hilfe und zum anderen würde Marga sonst von ihrer am Morgen getroffenen Erkenntnis alle unterrichten und das wollte Nela nicht. Zuerst wollte sie sich mit jemanden unterhalten. Ihre Mutter war ihren Bruder besuchen und somit viel zu weit weg und so gab es nur ihre Tante, die ihr wohl irgendwie würde helfen können. Ihr Magen rebellierte. Das konnte sie ihm wohl kaum verübeln. Seit einer Woche fiel es ihr nun schon schwer das Essen bei sich zu behalten und nachdem Marga sie auf die Ursache gestoßen hatte, war das mühsam zu sich genommene Frühstück auch wieder retour gekommen. Mit hängenden Schultern hatte sie an die Porta geklopft. Eine Sklavin hatte sie davon unterrichtet, dass ihre Tante noch kurz beschäftigt wäre, sie aber gern warten konnte. Nela wurde dann ins Tablinum gebracht. Während sie nun dort saß und wartete, versuchte sie ihre Übelkeit unter Kontrolle zu bringen und sich zu überlegen wie sie ihrer Tante erzählen sollte welches Problem sie zu besprechen hatten. Sie fühlte sich schlecht und wenn sie Margas Worten trauen konnte, dann sah sie auch schlecht aus. Jetzt wo sie wirklich Zeit hatte sich ihrer Situation bewusst zu werden, liefen ihr die Tränen einfach ungehemmt übers Gesicht. Wie ein Häufchen Elend saß sie auf dem Stuhl und wartete auf Seiana.

  • Zu sagen, sie hätte sich in Germanien mittlerweile eingelebt, wäre wohl ein wenig zu viel des Guten... aber zumindest der Anfang war gemacht. Und nicht alles von dem, was hier anders war, fand Seiana schlecht. Dass Mogontiacum so viel kleiner war als Rom, war so ein Punkt, der ihr sogar ausgesprochen gut gefiel... Sicher, ein so abgeschottetes Leben wie in den Albaner Bergen war hier nicht möglich, aber es war immer noch weit besser – ruhiger – als alles, was sie in Rom erwartet hätte. Beim Eingewöhnen half ihr zudem Sevilla, die immer ein offenes Ohr hatte, wenn Seiana das ein oder andere über die Einheimischen, die Mentalität, die Örtlichkeiten wissen wollte.
    Als sie nun die Nachricht erhielt, dass ihre Nichte zu einem spontanen Besuch vorbei gekommen war, ließ sie Sevilla freilich nicht warten. Nur kurze Zeit nachdem sie gekommen war betrat Seiana das Tablinum – und blieb erst mal wie angewurzelt stehen, als sie sah, in welchem Zustand ihre Verwandte war. „Sevilla?“ fragte sie im nächsten Augenblick und kam rasch näher, auch wenn sie dann einen Schritt vor Sevilla wieder stehen blieb. Sachte und ein wenig zögerlich berührte sie sie mit einer Hand auf der Schulter, unschlüssig, was sie sonst noch tun sollte, und mit wachsender Besorgnis. „Was ist los?“

  • Sie hatte sich ein wenig beruhigen können ehe ihre Verwandte den Raum betrat, aber dennoch sah sie sehr verheult aus. Als Seiana den Raum betrat, schaffte sie es nicht mal aufzustehen und sie entsprechend zu begrüßen. Erst als ihre Tante die Hand auf Nelas Schulter legte, schien sie aus einer Art Schockstarre zu erwachen und erneut begann sie zu schluchzen. “Ich...,“ Sie konnte doch unmöglich ihrer Tante sagen, dass sie freudiger Erwartung war. Weder war sie freudig noch durfte sie irgendeiner Erwartung sein. So ging das nicht. “Marga hat mich heute morgen gefragt,“ schluchzte sie dann und wusste auch nicht wie sie es recht weiter ausführen sollte was ihr Problem war. In ihrer Verzweiflung schlug sie die Hände vors Gesicht und versuchte zu irgendeiner Form von Fassung zu gelangen. Sie war eine Decima und eine Duccia. Die trugen doch sämtliche Probleme mit Fassung und auch hier würde es sicher eine Lösung geben. Sie musste sie doch nur finden.
    An die Lösung dieses Problems konnte sie aber nur gehen wenn ihre Tante endlich erfahren würde was genau das Problem war und wie es zu diesem Problem gekommen war. “Ich war vor einigen Wochen auf dem Markt unterwegs.“ Das war ja noch nicht schlimm und das konnte sie ohne größere Unterbrechungen oder Heulkrämpfe erklären. Aber das Folgende war es dann doch schon wieder. Und zum ersten Mal seit ihre Tante den Raum betreten hatte, sah Nela sie auch wirklich an. “Mich hat dort in Soldat angesprochen und er war sehr nett und so und irgendwie hat er mich dann überredet mit ihm in die Taberna zu gehen und dann...“ Wieder machte sie eine Pause weil ein erneuter Weinkrampf sie schüttelte. “Marga hat gesagt, dass ich ein Kind bekomme.“ Hilfesuchend blickte sie Seiana an. Sie durfte kein Kind bekommen, nicht so und schon gar nicht zu dieser Zeit. Der Ruf ihrer Familie, ihr Ruf und überhaupt und zu allem Übel war auch noch ein Verwandter an ihrer derzeitigen Situation schuld. “Ich weiß einfach nicht weiter. Du musst mir helfen.“ Inzwischen sah sie bestimmt noch schlimmer aus als vorhin. Sie fühlte sich auch viel schlechter, aber das lag an der Situation und nicht daran, dass sie nun bei ihrer Verwandten war.

  • Ein bisschen verdutzt und mehr als ein bisschen erschrocken registrierte Seiana, dass alles nur noch schlimmer wurde, als sie Sevilla berührte. Wo sie gerade noch verweint, aber wenigstens halbwegs gefasst gewirkt hatte, fing sie jetzt an zu schluchzen. „Aber...“ murmelte sie hilflos, unschlüssig was sie tun sollte. Sie war einfach nicht gut in solchen Situationen. Aber für den Moment schien es zu reichen, in jedem Fall begann Sevilla zu erzählen. Und auch wenn Seiana nicht sofort schlau wurde aus dem, was sie sagte – wer noch mal diese Marga, und warum fing sie jetzt von einem Marktbesuch an? –: immerhin redete sie.
    Es dauerte denn auch nicht allzu lange, bis Sevillas Worte Sinn ergaben. Seiana erstarrte, als sie begriff, worum es ging. Schwanger. Ihre Nichte war schwanger. Für einen Augenblick war ihr Kopf leergefegt, bis auf diesen Satz. Sie schloss für Momente die Augen. Das war... gute Güte. Das bedeutete Probleme. Und kaum war ihr das durch den Kopf geschossen, begannen ihre Gedanken zu rasen, viel zu schnell, als dass sie alles bewusst hätte realisieren können. Sie atmete tief ein und zog sich selbst einen Stuhl heran, auf den sie sich nun setzte. Ruhe bewahren. Das war das einzige, was half – wer wüsste das besser als sie? Sie konnte ja viel besser nachvollziehen, wie Sevilla sich fühlen musste, als ihr lieb sein konnte. Sie war nur deutlich älter gewesen... und zwar allein, aber gewohnt, mit allem auch allein fertig zu werden.
    Ruhe bewahren also. So verständlich Sevillas Reaktion war, es half nicht. Genauso wenig wie die Vorwürfe laut auszusprechen, die Seiana ebenfalls teilweise durch den Kopf schossen. Auch wenn ihre Nichte nichts davon wusste und nie etwas davon erfahren sollte, sie war die letzte, die das Recht hatte einer anderen Vorwürfe in dieser Hinsicht zu machen. Und davon abgesehen: auch das brachte sie nicht weiter. Jetzt hieß es erst mal eine Lösung finden... und nachdem es nicht so viele Alternativen gab, war es auch nicht schwer, an diese zu denken. Allerdings wusste Seiana immer noch nicht so recht, wie sie reagieren sollte, wie sie jetzt am besten mit Sevilla umging. Ihr einfach die Varianten hinklatschen kam nicht wirklich in Frage, aber sie war sich nicht sicher, wie sie das jetzt verpacken sollte, damit ihre Nichte sich nicht noch mehr aufregte. „Hör zu... beruhig dich erst mal, ja? Versuch dich ein bisschen zu beruhigen. So kannst du nicht klar denken“, erwiderte sie und legte ihr erneut eine Hand auf die Schulter. „Diese Marga und du, seid ihr euch wirklich sicher? Wer weiß noch davon?“

  • Während Sevilla sich dem Chaos in ihrem Kopf hingab und auch der Verzweiflung, die sich ihrer bemächtigt hatte. Es war nicht untertrieben zu behaupten, dass einfach eine Welt für die junge Frau zusammengebrochen war und Sevilla nun das Gefühl hatte von ihr erschlagen worden zu sein. Es dauerte ein wenig bis sie den Worten ihrer Tante wirklich folgen konnte. Mit einem bestickten Tuch fuhr sie sich etwas unwirsch übers Gesicht. Noch immer schniefte sie vor sich hin. „In Ordnung.“ Durch ihre Weinattacke fiel es ihr schwer ruhig zu atmen, aber sie versuchte es. “Nur Marga,“ beantwortete sie die letzte Frage ihrer Tante. “Marga hat schon viele Schwangerschaften in der Familie miterlebt. Seit vielen Jahren ist sie die Köchin und wenn Marga etwas sagt, dann stimmt es auch.“ Das erklärte wohl nur warum Marga sich sicher war. Warum sie es in Betracht zog, hatte sie noch nicht erklärt und wieder begann sie zu schluchzen. “Ich war so dumm gewesen,“ überkamen sie nun erneut die Selbstvorwürfe. Ehe ein erneuter Weinkrampf über sie kommen konnte, erinnerte sie sich an die Worte ihrer Tante. “Marga hat mich nach einigen Anzeichen gefragt und sie stimmen. Sie war sich sehr sicher, aber ich habe noch keinen anderen gefragt. Ich habe mich nicht getraut. Es ist so schrecklich.“ Der neuerlichen Weinattacke hatte sie nun nichts mehr entgegenzusetzen. Sevilla griff nach der Hand ihrer Tante, die noch eben auf ihrer Schulter gelegen hatte und drückte sie fest. “Was soll ich denn nur machen?“ Sevilla wusste was ihre Situation für die Familie bedeutete, für beide Familien bedeutete, aber sie konnte das Geschehene doch nicht ungeschehen machen. Das ging doch nicht.

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