Decima Alessa

  • Ein junge Sklave führte Varus vom Eingang aus und durch die Flure der Casa Decima zu Alessas Cubiculum. Vor der Tür sah er ihn entschuldigend an. "Einen Moment bitte, Herr!" Er trat ein und ging schnell zu Alessa. "Herrin, euer Verlobter ist hier!"


    Alessa schlug die Augen auf. Blass wurde sie, doch dann winkte sie schnell eine Kammerdienerin heran. Die holte eine helle Palla hervor, um ihre Blässe zu überdecken und puderte Alessas Wangen ein wenig. Alessa mühte sich ab und stand auf. Nervös nickte sie dem Sklaven zu. Die Tür öffnete sich vor Varus.


    Im Inneren herrschte ein relatives Zwiellicht und Alessa konnte so die Spuren ihrer Krankheit fürs Erste verbergen. Ihr Lächeln war jedoch etwas krampfhaft.


    "Salve Titus. Ich danke Dir, dass Du gekommen bist!"

  • Ungeduldig wartete Varus vor der Tür. Der Eintritt war ihm noch versagt. Am liebsten hätte er den Sklaven grob beiseite gestoßen und sich Zutritt verschafft, aber er konnte sich gerade noch am Riemen reißen und geduldete sich, bis man die Tür öffnete.
    Während er schon ins Zimmer ging, blinzelte er mehrmals, bis seine Augen sich an das schummrige Licht gewöhnten. Er suchte Alessas Blick und setzte eine aufmunternde Miene auf, als ihre Blicke sich trafen. Heute sah sie noch schlechter aus als gestern, befand er.


    "Salve Alessa. Aber das ist doch selbstverständlich. Du siehst gut aus. Wie geht es dir heute?" fragte er seine Verlobte und setzte sich auf einen Stuhl, den man schon vorsorglich neben das Bett gestellt hatte.

  • Den Göttern sei Dank, er hatte nichts von ihrer schlechten Verfassung gemerkt. Zumindest glaubte das Alessa nach seinen Worten. Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. Sie senkte den Blick, denn in dem Moment als sie Titus heran treten sah, verließ sie wieder der Mut. Oh Vesta und Iuno, steh mir bei! Macht mich stark, dass ich es für ihn leichter mache. Oh ihr Götter der Unterwelt, wartet noch mit den Zeichen Eurer Macht an mir. Alessa hob ihren Blick und trat tapfer auf Varus zu. "Mir geht es gut. Sogar sehr gut nach den letzten Wochen. Der Medicus meinte, dass ich auf dem Weg der Besserung bin!" Lügnerin! Das Wort knallte ihr durch den Geist wie ein Peitschenhieb. Ich muss! Er darf es niemals erfahren, wie schlimm es mit ihr wirklich stand, was für eine Vision sie schon mehrmals ereilt hatte.


    "Titus...ich!" Alessa schloß die Augen und blieb stehen. Wenn sie sich jetzt hinsetzte und eine Schwäche zeigte, würde sie zusammen brechen. "Titus, es gibt etwas, was ich Dir sagen muss." Alessa öffnete ihre Augen und sah ihren Verlobten an. Doch wirklich sah sie ihn nicht an, ihre Augen wirkten zu glasig. "Ich werde Rom verlassen, Titus. In einigen Tagen geht mein Schiff, nach Griechenland. Ich habe eine entfernte Cousine dort und sie braucht meine Hilfe!" Nicht das Mittelmeer, sondern den Styx würde sie bald befahren. Plutos Zeichen waren zu eindeutig und der Blick des Medicus genauso. Apollos Hilfe würde ihr verweigert bleiben. Doch all das sprach sie nicht, zeigte es mit keiner Regung. Titus sollte nicht um sie trauern und mit der Welt hadern, sondern zornig auf sie sein und dann bald eine andere Frau suchen.

  • Auch wenn sie es zuerst nicht sagte: Varus ahnte Schlimmes. Er kannte Alessa schon aus ihren Jugendtagen. Und während der letzten Wochen und Monate hatte er sie noch besser kennengelernt.Sie hätte ihn nicht zu sich zitiert, wenn es nicht etwas wichtiges zu besprechen gab. Und dass es etwas war, was ihm nicht gefiel, hatte er beinahe befürchtet.


    Als nun die Worte nach und nach fielen, sah Varus Alessa nur ausdruckslos an. Die Worte des Medicus waren glattweg geschwindelt, das wusste er so gut wie sie. Varus schüttelte den Kopf und wollte Alessa mit sanften Worten darauf hinweisen, dass sie es schon schaffen würde und dass er alles tun würde, um ihr zu helfen. Doch da fuhr sie schon fort und was sie sagte, ließ sein herz sich zu einem steinharten Klumpen zusammenziehen. Er schluckte mehrmals, bekam den Kloß in seinem Hals aber nicht fort.


    Varus überwand die wenigen Schritte bis zu Alessa und schloss sie fest in die Arme. In den Augen zeigten sich Tränen, die er rasch wegblinzelte. Er ahnte, warum sie ihm diese Lüge auftischte, und er war ihr nicht böse deswegen, sondern nur unendlich traurig. Zuerst war ihm Sabina entglitten, nun drohte ihm Alessa zu entgleiten. Und es gab rein gar nichts, was er dagegen tun konnte.


    "Alessa....bitte lüg mich nicht an", bat er sie und grub den Kopf in ihr Haar, das so gut duftete.
    "Wir schaffen das schon. Du musst nur an dich glauben und...ich werde Senator Meridius schreiben. Er soll seinen Leibarzt schicken. Oder...oder...er steht doch in Kontakt zum Kaiser. Vielleicht kann er irgendwie....?"

  • Einen Schritt von ihm weg wollte sie machen, doch da war Varus schon bei ihr. Keine Schwäche zeigen, halte Dich aufrecht! Sie konnte nicht...doch, reiß Dich zusammen! Doch dann schloß sie einfach nur die Augen. Ihre Wange lehnte sich gegen Varus Hals und sie spürte die Wärme, die Geborgenheit seines Körpers. So würde sie am liebsten auf ewig stehen. Wie sehr sie ihn liebte. Mehr als sie je Avitus geliebt hatte. Es war als ob sie innerlich zerrissen wurde. Warum machst Du es Dir nur so schwer, Titus? fragte sich Alessa. Sie gab sich, nach einer schieren Unendlichkeit, einen Ruck und löste sich von Varus. Langsam schüttelte sie den Kopf. Ihre braunen Haare rauschten wie eine dunkle Flut um ihr schönes, aber so schrecklich blasses, Gesicht herum.


    "Titus, du mißverstehst meine Worte. Mir geht es gut. Ich brauche keinen Medicus. Aber hast Du mich nicht verstanden? Ich werde gehen....und zwar für immer! Es...." Sie zögerte und sah ihn an. Manchmal, so hatte es ihr der Medicus erklärt, musste man mit dem Messer das Übel herausschneiden. Vielleicht auch so mit dem, was Varus Schlechtes bringen würde. "Titus...ich wollte es Dir eigentlich so nicht sagen, aber ich muss. Wir müssen die Verlobung lösen. Ich kann Dich nicht heiraten. Ich....liebe Dich nicht mehr! Weißt Du, seit Avitus wieder da ist, sehe ich es klar, dass ich niemals aufgehört habe ihn zu lieben!" Heuchlerin, Lügnerin! Warum sagst Du das? Weil Alessa es ihm noch einfacher machen wollte. Sollte er sie doch haßen. Dass er Avitus hassen könnte, kam ihr jedoch nicht in den Sinn. Sie dachte nur an Varus. Er war der einzige Mann und der Einzige überhaupt, der noch für sie in den letzten Tagen ihres Lebens zählte.


    Dann spürte sie es. Ein Krampf in ihrer Brust. Schnell streckte sie die Hand aus. Eine Sklavin kam herangerannt und reichte ihr ein Tuch. Ein heftiger Hustenanfall packte Alessa. Sie wußte, dass wieder Blut in dem Tuch wäre. Wie immer in den letzten Tagen. So schaute sie nicht auf das Tuch, sondern krallte sich fest an einem Möbelstück und versuchte wieder ihre Kraft, um Varus abzuweisen, zu sammeln.

  • Varus sah auf die etwas kleinere Alessa, die immer kleiner und schmäler wurde in letzter Zeit, herunter und versuchte zu erkennen, warum sie das alles sagte. Er war sich fast sicher, dass sie das nicht tat, um ihm weh zu tun, sondern, um ihm das alles leichter zu machen. Aber das genaue gegenteil war der Fall, denn er machte sich nur noch mehr Sorgen um sie und ihren Zustand und fand es einfach schrecklich, dass er ihr nicht helfen konnte.


    Trotzdem trafen ihn die wenigen Worte und die Erwähnung des Octaviers, auch wenn er es nicht zugeben würde. Er ließ Alessa gehen und stand einfach so herum, äußerlich gefasst und ruhig, innerlich im Chaos versunken. Gerade wollte er etwas erwidern, als Alessa einen Hustenanfall bekam, wie sie in letzter Zeit immer häufiger wurden. Während die Sklavin ein Tuch anschleppte, sorgte Varus dafür, dass etwas Wasser aus der Karaffe neben dem Bett in den Becher gelangte. Mit besorgter Miene sah er zu, wie Alessa sich quälte, den Becher in der Hand. Als es wieder einigermaßen ging und die Sklavin mit spitzen Fingern das inzwischen rot-weiße Tuch entsorgte, drückte Varus ihr das Wasser in die Hand und Alessa dann sanft in eine sitzende Position auf das Bett. Er selbst ging vor ihr in die Hocke und nahm die Hand, die nicht den becher hielt.


    "Alessa", begann er und sah sie liebevoll an, brach dann aber ab, weil ihm die Worte fehlten. Schließlich begann er von Neuem.


    "Deine Worte machen mich traurig. Ich mag gar nicht glauben, dass du sie ernst meinst. Ich... Wir beide wissen, was der Medicus gesagt hat. Ich wünsche mir nicht viel von dir, aber ich hoffe, dass du mich nicht fortschickst, nur weil es dir schlecht geht und du denkst, dass ich den Anblick nicht ertrage. Ich möchte dich heiraten weil ich dich liebe. Und wenn..."
    Nun wurden seine Augen doch wieder feucht. Einer der Momente, in denen er Schwäche zeigte.
    "...wenn die Götter uns kein gemeinsames Glück gönnen wollen, so lass mich dich wenigstens auf deinem Weg begleiten", schloss er flüsternd und küsste ihre Hand.

  • Völlig entkräftet ließ sich Alessa zum Sitzen bewegen. Ihr Atem ging rasselnd und sie hatte das Gefühl in der Wüste und gleichzeitig in einer Eishöhle zu sein. Sie traute sich nicht Varus anzusehen. Ein Blick, ein Wort von ihm würde alles an Widerstand in ihr zerbrechen, was sie sich mühsam in den letzten Tagen aufgebaut hatte. Seine Stimmte, die geliebte Stimme von Varus, holte sie jedoch wieder ein Stück zurück. Quälend langsam hob sie ihren Blick und sah ihm in die Augen. Ihre Unterlippe bebte, ihre Augen glänzten wegen den Tränen und eine Öllampe spiegelte sich in ihren dunklen und tiefen Augen wieder. Dem Tor zu ihrer Seele, denn Alessa war eine schlechte Lügnerin. Die Tränen sammelten sich und rollten dann über ihre Wangen herunter. An ihrer Kinnspitze sammelten sie sich und tropften, die Verzweiflung mit sich tragend, auf Varus Hand. "Titus...!"


    Alessas Stimme versagte, war nur ein Hauch von ihrem sanften Ton. "...es tut mir leid. Verzeih mir...!" Und die Mauer brach in ihr und ein Schluchzen drang aus der Tiefe ihrer Seele hervor. Die Angst, die Verzweiflung und die tiefe Trauer um Varus, der am meisten leiden würde, kam hervor. "...ich...wollte...nicht!" Sie schluchzte heftig und ihre Wangen wurden schnell ganz nass. "...dass Du...es weißt!" Schwach lehnte sie sich gegen Varus und ihre Tränen benäßten seine Tunika an der Schulter. "Ich liebe Dich....nur Dich, Titus. Niemals habe ich....jemanden geliebt wie Dich." Sie zögerte, sollte sie es ihm sagen? Sie mußte wohl. "Pluto hat mir eine...Vision..geschickt!" Wieder ein heftiges Schluchzen und dann peinigte sie erneut ein heftiger Hustenanfall. Ein Schaudern jagte durch ihren geschwächten Körper. "Ich habe Angst, Titus..." gestand Alessa ein, nachdem sie wieder Luft holen konnte.

  • Varus fiel kein Stein vom Herzen. Es war schon eher ein Felsbrocken von stattlicher Größe. Er hatte richtig vermutet, zum Glück. Angesichts Alessas Krankheit aber war das nur ein schwacher Trost. Er spürte ihre Tränen und sah sie einen Moment später auch, als er sich erhob und neben Alessa auf ihr Bett setzte, ihre Hand unablässig streichelnd. Er fühlte sich so machtlos, verdammt!


    Heißer Zorn brandete in ihm auf, weil er einfach nichts weiter tun konnte als warten. Warten auf...ja, worauf eigentlich? Dass es Alessa besser ging, oder dass sie dem Elysium entgegensteuerte. Er sehnte sich Arria herbei oder Livia. Irgendjemanden, mit dem er reden konnte, dem er erzählen konnte, was ihn bedrückte. Aber für Alessa wollte er stark sein. Er musste es sogar. Sie sollte kein schlechtes Gewissen haben, wenn... Varus schob den Gedanken beiseite. Die Götter schienen ihn in diesem Jahr nicht für würdig zu halten, Erfolg in Amt und Liebe zu haben. Und Alessa? Als treue Priesterin stärkten die ihr nicht den Rücken, die es eigentlch sollten. Varus war aufgewühlt und wütend.


    Er nahm Alessa in den Arm und drückte sie an sich.
    "Scht, schon gut.... Ich weiß. Wir..."
    Da unterbrach sie ein neuer Hustenanfall. Als Alessa sich wieder gefangen hatte, hob Varus die Hand und drehte ihr Gesicht zu sich.
    "Wir schaffen das schon."
    Er strich ihr eine Strähne aus dem viel zu blassen Gesicht und gab ihr dann einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Aufmunternd lächelte er sie an.
    "Du brauchst keine Angst haben. Ich bin da. Maior ist da. Deine Familie...alle sind da. Ich passe auf, dass dir nichts geschieht. Wenn du möchtest, werde ich Maior bitten, mir ein Zimmer zuzuteilen. Dann werde ich nicht mehr weggehen, bis...bis es dir besser geht. Versprochen."

  • Unendlich müde schloss Alessa die Augen. Das Blut rauschte in ihren Ohren, die Worte ihres Geliebten vernahm sie kaum. Schwach lehnte sie an Varus Brust und hörte das Pochen seines Herzens, spürte die Wärme seines Körpers und roch ihn ganz intensiv. Das Schluchzen verebbte langsam als Varus voller Zuversicht sprach. Ihre Kehle war ganz trocken, ihre Brust schmerzte von der Krankheit und ihre Hoffnung war schon seit langen entschwunden. Trotzdem lächelte sie zaghaft. "Oh Titus..." hauchte sie leise. Mehr schaffte sie nicht. Lange konnte Alessa sich nicht mehr rühren, so geschwächt war sie. Fast war es so als ob sie in einen Schlaf hinüber geglitten wäre, doch dann öffnete sie wieder ihre Augen und sah hoch. Ein leises Pfeifen mischte sich in ihren Atem, beim Einatmen besonders laut. "Titus, bleibst Du noch ein wenig bei mir? Ich habe Angst, alleine zu bleiben. Immer wieder greifen die Wesen der Unterwelt gierig mit ihren schwarzen Krallen nach mir."


    Müde sank sie auf ihr Krankenlager herunter und sah Varus unendlich traurig an. Warum die Götter ein solch grausames Schicksal mit ihnen geplant hatte, verstand sie auch nicht. Gerade schien es, dass Alessa ein wenig Glück vergönnt war, doch dann sollte sie dem entrissen werden. Doch vielleicht verstand sie die Götter nur nicht. Sie würden schon wissen, was sie taten. Liebevoll hob Alessa ihre Hand und strich Varus über die Wange. Traurig wünschte sich Alessa, dass er auf ihren Trick herein gefallen wäre. "Titus, erzählst Du mir etwas? Etwas von früher? Bitte..." wieder nur ein Hauchen. Flehentlich sah Alessa zu Varus und war kaum fähig sich noch zu rühren.

  • Varus hatte einen schweren Kloß im Hals. Er saß hier, war seiner Verlobten nahe, der Frau, die er liebte. Die langsam starb. Und er konnte rein gar nichts tun, damit es ihr besser ging oder damit die Krankheit von ihr abfiel. Er nahm sich selbst zusammen und Alessa in den Arm. Varus wollte ihr ein Gefühl der Geborgenheit geben, wenngleich er selbst nichts mehr als eine kalte Hand spürte, die nach seinem Herzen griff und es zu einem harten Klumpen zusammenpresste. Doch er wollte stark sein für Alessa. Und so rutschte er etwas weiter auf das Bett, um sich selbst und sie in eine angenehmere Position zu bringen, halb sitzend, halb liegend, und bettete Alessas Kopf an seiner Brust. Während er erzählte, strichen seine Finger immer wieder liebevoll durch ihr Haar und über ihre Wange. Was sollte er ihr bloß erzählen? Ihm fiel eine Begebenheit ein, vor gut zehn Jahren, als Alessa und er spazieren gewesen waren. Ja, das war gut.


    "Weißt du noch, damals, als du gerade beschlossen hattest, Priesterin zu werden? Du warst voller Elan und sehr fleißig. Wir sind oft spazieren gegangen, in den Olivenhainen und in den öffentlichen Gärten. Damals wusste noch keiner von uns, dass das Schicksal uns einst zusammenbringen würde. Du hattest deine Verpflichtungen, ich die meinen. Wir waren gut miteinander befreundet. Ich weiß noch von einem Abend, an dem wir spazieren gingen. Die Oliven waren gerade erblüht und die Sonne tauchte alles in ein goldenes , verwunschenes Licht. Man konnte sie Akazien riechen und die Bienen summen hören. Du sahst wunderschön aus an diesem Abend. Ich glaube, du hast eine neue Tunika getragen und mich gefragt, wie ich sie finde. Weißt du noch, ich bin rot geworden und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Wie lange ist das nun schon her? Das müssen sicherlich zehn Jahre gewesen sein...."

  • Schwer atmend bettete Alessa ihren Kopf in Varus Arme. Ihr Atem rasselte leise und stetig, wie ein Bach, der langsam zufror. Und auch ihre Lebensodem versiegte langsam wie diese Quelle. Doch es sollte nicht nur ein Winter sein, der ihr Leben zum Erlahmen brachte, sondern Plutos Diener. Die Götter der Unterwelt gierten schon nach einem weiteren Geist. Doch in jenem Moment schloss sie einfach ihre Augen. Bilder erschienen vor ihren Augen, begleitet von der Stimme ihres Geliebten....


    Sie war wieder in Hispania. Die warme glutvolle Sonne lag auf ihren Zügen und sie wusste, heute war ein wundervoller Tag. Ihr Dienst für die Götter sollte beginnen. Endlich hatte sie ihre Berufung gefunden. Wieder war sie zwischen den Olivenbäumen, sah das silbergrünschimmernde Laub der Bäume, die im Wind sich leicht wie Federn bewegten. Ein glückliches Lächeln lag auf ihren Lippen und sie sah mit funkelnden Augen zu Varus. Sie wusste schon damals, dass sie ihn heiraten wollte. Schon als Kind hatte sie es gewusst. Das Schicksal wollte es so, die Parzen hatten lange vorher schon ihren Weg bestimmt. Und der Weg führte sie immer wieder zu Varus, ihrer großen Liebe. Sie lächelte und sah ihm an, dass er es noch nicht ganz verstanden hatte. Eines Tages jedoch...eines Tages...


    Ein glückliches Lächeln lag auf Alessas Lippen. „Ich liebe Dich, Titus! Ich habe es schon lange vor Dir getan...lange...vorher, es war ...bestimmt...“ Ihre Worte wurden immer leiser und ihre Stimme verebbte wie die leichten Wellen während der Ebbe. Ihre Lippen öffneten sich, ein schmerzhaftes Keuchen entrang ihr und dann atmete sie nicht mehr. Doch ihr Gesicht erschien friedlich. Und die Götter der Unterwelt erwarteten Alessa schon. Die Unterwelt nahm sie auf und die Dunkelheit und dann das Licht des Elysiums umschlang sie.

  • Varus hatte keine Ahnung, was sich in Alessas Kopf abspielte, während sie ihren Kopf nahe an ihn brachte. Er sah nur, dass es jetzt rapide bergab ging mit ihr. Sie konnte kaum noch atmen, ohne sich dabei anzustrengen, und Varus schnürte es die Kehle zu. Er wusste mit unumstößlicher Sicherheit, dass dies ihr letzter gemeinsamer Abend sein würde, ehe Alessa....


    Sie sagte Worte, die ihn zutiefst berührten, dann packte sie die Krankheit ein letztes Mal und schüttelte sie kurz. Varus wartete vergeblich darauf, dass sie einen weiteren Atemzug tat. Er selbst hielt den Atem an und starrte auf Alessa herunter. Er wusste, dass sie nun ins Elysium reiste, aber er wollte es nicht glauben. Schmerzlich presste er sie an sich, verlor so nun schon die zweite Frau, die er geliebt hatte. Während er Alessas schlaffen Körper fest an sich drückte und selbst kaum mehr atmen konnte, weil ihm der Verlust und die Trauer die Kehle zuschnürten. Weinen konnte er nicht. Nicht jetzt, dazu tat alles zu weh.


    Varus saß wohl eine geschlagene Stunde so da, dann hatte er endlich Abschied genommen. Schweren Herzens bettete er die blasse Alessa auf ihr Lager und deckte sie zu, als könne sie noch Kälte spüren. Er strich ihr liebevoll über die Wangen und nahm eine weiße Blume aus den Sträußen, die hier im Zimmer herumstanden, um sie ihr ins Haar zu stecken. Schließlich küsste er sie auf die Stirn, dann wandte er sich ab und verließ mit schmerzverzerrter Miene den Raum.

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