Institutio|Discipulae Dianae

"Sehr schön!" lächelt Aemilia.
"Du hast deine Gaben dargebracht. Alternativ wäre es auch möglich gewesen, sie zu verbrennen, oder wenn es sich um eine flüssige Gabe handelt, zu vergießen. Bei wichtigeren Anlässen werden meist die verschiedenen Opferformen miteinander kombiniert. Zu Beginn ist es ratsam, etwas Mastix zu nehmen und als Rauchopfer darzubringen. Das steigt dann zur Göttin... oder zum Gott... empor und weckt seine oder ihre Aufmerksamkeit. Anschließend beginnt man dann mit den richtigen Gaben. Wein wird meistens ausgegossen, ansonsten dargebracht. Verbrennen ist da weniger sinnvoll. Gebäck bringt man häufig dar, Kekse werden auch gerne verbrannt. Blumen kann man darbringen oder verbrennen. Wenn ich sie verbrennen möchte, dann sorge ich meistens dafür, dass auch einige unauffälligere Kräuter dabei sind, die aber einen wunderbaren Duft erzeugen. Wenn man seine unblutigen Gaben geopfert hat, dann kommen die Tiere an die Reihe. Weiße Tiere sind für die Himmelsgottheiten, rote Tiere für die Feuergottheiten und schwarze Tiere für die Gottheiten der Unterwelt. Zusätzlich sind bei jedem Gott und jeder Göttin Besonderheiten zu beachten. Mars mag zum Beispiel gerne Spelz-Kekse und Mercurius möchte keine Schildkröten und Eidechsen geopfert bekommen. Ein solches Opfer selbst kann im Prinzip von jedem Menschen durchgeführt werden, man braucht dazu nicht dem Cultus Deorum anzugehören. Erst wenn es an die Eingeweideschau geht, muss dies von einem Mitglied des Cultus Deorum erledigt werden, das mindestens den Rang eines Sacerdos hat."
Aemilia atmet kurz durch, überlegt und fährt dann fort.
"Wenn ein blutiges Opfer gut gelingen soll, dann ist natürlich die Hilfe einer gelernten Popa sehr nützlich. Wenn ihr diesen Weg einschlagen möchtet, dann wird eure Ausbildung sich schwerpunktmäßig darauf konzentrieren, dass ihr diese Hangriffe richtig lernt und einer Sacerdos beim Opfern gut zur Hand gehen könnt. Habt ihr noch Fragen dazu, oder zum Opfern allgemein?"
Lächelnd sieht sie die beiden an.
"Caesonia hat mir ja schon erzählt, dass sie gerne Popa werden möchte. Hast du da auch schon eine Vorliebe, Antonia?"

"Gut! Ich werde es mir merken..." nickt Aemilia und lächelt.

"Wenn ihr dann zum Opfern keine Fragen mehr habt, würde ich sagen machen wir vorerst mit den Göttinnen wieder weiter. Oder gibt es von euch noch spezielle Themen, über die ihr etwas lernen möchtet? Falls euch da etwas einfällt, könnt ihr mir das jederzeit sagen und ich versuche es dann irgendwie einzubauen."

"Als Nachschlagewerk kann ich dir wohl vor allem die Bibliothek der Regia des Cultus Deorum empfehlen. Die Informationen verteilen sich über so viele Quellen, dass ich eine einzelne nicht nennen kan..." lächelt Aemilia entschuldigend.

"Unser nächstes Thema ist der Aufbau des Cultus Deorum. Auch wenn ihr Popa werden wollt - ein bißchen Verwaltungstheorie muss schon sein!" grinst Aemilia breit. Ihr Blick wandert von einer Schülerin zur anderen, während sie kurz ihre Gedanken sammelt und dann zu erzählen beginnt.

"Ganz oben im Cultus Deorum steht das Collegium Pontificium. Es kümmert sich um die Überwachung und Einhaltung der religiösen Riten, fungiert als Gutachter und legt zum Beispiel auch die Trauerzeit fest, wenn jemand hochrangiges gestorben ist.

Dessen oberster Chef ist natürlich der Pontifex Maximus, unser Kaiser, der oberste Priester. Er überwacht die sakralen Ränge, Collegien und die Kulte. Als Pontifex Vestae hat er außerdem Disziplinarrecht über die Vestalinnen.

Der Rex Sacrorum ist der Opferkönig und eigentlicher Leiter der Religion. Er ist sehr angesehen, hat ziemlich wichtige Aufgaben und muss das ganze Jahr über wichtige Opfer leiten. Außerdem müssen weltliche Dinge und so von ihm fern gehalten werden. Er kann nicht einfach tun und lassen, was er will. Die Stadt Rom darf er niemals verlassen, er darf nicht mit Eisen in Berührung kommen und körperlicher Arbeit darf er nicht zuschauen.

Ansonsten gibts im Collegium Pontificium noch die Flamines. Da haben wir auf der einen Seite die Flamines Maiores und auf der anderen die Flamines Minores. Die hohen Flamines sind der Flamen Dialis, der Flamen Martialis und der Flamen Quirinalis. Die niedrigeren Flamines sind die Flaminca Iunonis, die Flaminca Minervae, der Flamen Mercurii, der Flamen Volcani, die Flaminca Cerealis, der Flamen Apollinaris, der Flamen Neptuni, die Flaminca Veneris, die Flaminca Dianae, die Virgo Vestalis Maxima, der Flamen Augustalis und der Flamen Deorum Minorum.

Die Flamines erkennt ihr dara, dass sie als Amtstracht den Pileus tragen. Das ist eine Filzkappe aus dem Fell eines Opfertieres. Dazu haben sie eine weiße, doppelt gefaltete Toga, die von ihrer Frau gewoben und genäht sein muss. Wenn es sich um eine Flaminca handelt, dann hat sie das natürlich selbst gemacht und es ist auch selbstverständlich keine Toga. Der Stoff wird von einer Bronzespange zusammengehalten. Dazu kommt noch eine weiße Kappe. Flamines müssen sich die Haare abrasieren und laufen mit einer Glatze herum. Bei Flamincas scheint das nicht so streng zu sein. Die abrasierten Haare und geschnittenen Fingernägel zumindest, werden bei seiner Einsetzung zum Flamen unter einem Arbor Felix begraben. Erinnert ihr euch an Dianas Glücksbäume? Entweder so einer muss das sein, der außerhalb der Jahreszeit noch blüht, oder einer, der vom Blitz getroffen wurde. Die Regeln und Einschränkungen des Rex Sacrorum gelten teilweise auch für die Flamines. Politische Ämter dürfen die Flamines Maiores und der Rex Sacrorum nicht innehaben. Einem Kultverein können sie aber beitreten.

Unter den Flamines und Flamincae kommen die ganzen Ränge, die euch sicher fast alle bekannt sind. Die erste Stufe, auf der ihr beide im Moment seid, ist der Discipulus. Hier lernt man die Grundlagen der Arbeit im Cultus Deorum kennen, einiges über den Gottesdienst und die Gottheit, der er oder sie dienen möchte. Als nächste Stufe kommt der Commentarius oder aber der Popa. Um so weit zu gelangen, muss man eine kleine Prüfung ablegen. Als Commentarius ist man anschließend eine Art Schreiber im Tempel und hilft bei Verwaltungsaufgaben. Als Popa hilft man bei den Opfern und zeremoniellen Aufgaben. Wenn man seinem Gott oder seiner Göttin so dann eine Weile gedient hat, dann bekommt man irgendwann die Gelegenheit, sich zum Sacerdos prüfen zu lassen. Erst jetzt ist man endlich ein richtiger Priester und darf die Zeremonien selber ausführen. Außerdem ist man dazu da, die Ränge unter einem zu unterrichten und auszubilden. Bei weiblichen Gottheiten können nur Frauen, bei männlichen Gottheiten nur Männer Sacerdos werden. Falls es in einem Tempel nun sogar mehrere Sacerdotes gibt, dann wird einer von ihnen von der Führung des Kultes zum Sacerdos Maior erhoben und ist dann vorsitzender Priester seines Tempels.

Ansonsten gibts noch das Collegium Augurum mit den Auguren, das Collegium Haruspicum mit den Haruspikern, die Quindecimviri, die Septemviri und die Vestalinnen, die aber kein Collegium bilden. Möchtet ihr zu einer dieser Gruppen noch genaueres hören? Habt ihr Fragen zu dem anderen?"

Aemilia schaut ihre beiden Schülerinnen abwartend an.

"Nun? Keine Fragen?"
Aemilia mustert die beiden Schülerinnen.
"Ich hoffe doch, ihr seid mir während meines Vortrages nicht eingeschlafen..."

"Die Flamines und Flamincae werden alle vom Pontifex Maximus ernannt." erklärt Aemilia schmunzelnd.
"Ich gehe davon aus, dass er sich jeweils mit dem Collegium Pontificium über die konkrete Besetzung bespricht. Feste Qualifikationen gibt es meines Wissens jedoch nicht. Wer sich für seinen Gott oder seine Göttin engagiert, fleißig ist und auch das Organisatorische als Sacerdos gut meistert, der hat sicher eine Chance, sobald ein solcher Posten wieder neu besetzt werden soll.

Wohnpflicht in Rom besteht nicht zwingend, allerdings ist es meistens wohl sinnvoll. Mit Genehmigung des Collegium Pontificium bzw. des Pontifex Maximus kann es aber auch durchaus vorkommen, dass eine Flaminca oder ein Flamen außerhalb der ewigen Stadt wirkt. Die jetzige Flaminca Minervae hat sich, soweit ich weiß, zum Beispiel eine Zeit lang um den Aufbau des Cultus Deorum in Hispania gekümmert.

Mehrere Flamines oder Flamincae für den selben Kult gibt es nicht, nein..."

Lächelnd wartet Aemilia noch ab, ob es weitere Fragen gibt.

"Im Collegium Haruspicium finden sich die Haruspiker. Sie sind Spezialisten der Weissagung und praktizieren die Eingeweideschau. Ihre wichtigste Aufgabe ist aber die Deutung von Zeichen, im Auftrag des Senats. In Begleitung unserer Magistrate fungieren sie vor allem als Seher. Außerdem sind sie dazu da, um Wunderzeichen zu deuten. Wenn also zum Beispiel etwas vom Blitz getroffen wird, dann entscheiden sie was damit passieren soll und was und ob sich etwas für die Zukunft daraus ersehen lässt.

Das Kollegium kann bis zu 15 Mitglieder haben, wobei nicht alle Plätze besetzt sein müssen. Geführt wird es vom Haruspex Primus, welcher vom Pontifex Maximus bestimmt und in einer Wahl durch das Collegium bestätigt wird. Neue Mitglieder werden zuerst vom Pontifex Maximus vorgeschlagen und dann durch eine Wahl aufgenommen oder abgelehnt. Kandidaten müssen etruskischer Herkunft sein und dem Ordo Plebeius entstammen."

Aemilia kramt nun noch für jede der beiden ein Papyrus mit einer Zeichnung heraus und gibt es ihnen.
"Hier habe ich noch noch eine kleine Grafik für euch. Sie veranschaulicht den Aufbau des Cultus Deorum und die möglichen Wege einer Karriere. Wie ihr sicher schnell seht, ist normalerweise der Rang einer Sacerdos das Höchste, was man erreicht. Alles, was darüber hinaus geht, ist etwas besonderes und erfordert also auch besonderes Engagement..."

"Er ist der Opferkönig und Leiter der Religion. Vor allem ist er dazu da, den Pontifex Maximus in seinen Aufgaben zu entlasten und, ganz grob gesprochen, den Cultus Deorum anzuführen. Nach dem Pontifex Maximus ist er also im Prinzip unser zweithöchster Chef."
Aemilia lächelt beide an.
"Wenn es sonst nichts mehr gibt, dann würde ich für heute Schluss machen. Morgen werden wir uns ausnahmsweise nicht hier, sondern im Officium der Flaminca Minervae treffen..."

Nach ihrem Gespräch mit Tiberia Claudia begibt Aemilia sich wieder in den Unterrichtsraum, kann ihre Schülerinnen aber auch hier nicht entdecken. Sie seufzt und setzt sich auf einen Stuhl. Dann nimmt sie eine Schriftrolle zur Hand um sich die Zeit zu vertreiben, bis die beiden vielleicht doch noch eintreffen.

Aemilia schaut auf und lächelt freundlich.
"Ah, salve Antonia! Schön, dass du kommst. Wollten wir uns heute nicht in der Regia treffen, um die Flaminca zu besuchen?"
Ein leicht vorwurfsvoller Unterton liegt in ihrer Stimme, doch schnell winkt die kleine Sacerdos wieder ab.
"Na, macht nichts. Ich hab allein mit ihr geredet. Ihr bekommt jetzt endlich eure Prüfung zur Popa!"
Grinsend zieht sie einen der Prüfungsbögen hervor, den sie von der Flaminca bekommen hat und geht damit zu einem kleinen Tisch an der Seite des Raumes.
"Setz dich gleich hier hin. Auf diesem Papyrus stehen einige Fragen, die du alle so gut es geht beantworten solltest. Viel Erfolg!"
Sie legt noch das Schreibgerät dazu und deutet dann einladend auf den davor stehenden Stuhl.