Über Stunden hatte ein wachsamer Teil seines Geistes beständig Blicke, Worte und Bewegungen der umgebenden Personen notiert, analysiert und interpretiert. Hatte Angst und Furcht genährt und Wachsamkeit gefordert. Das, was Stunden überdauert hatte, zerbrach nun in wenigen Sekunden durch noch weniger Worte.
Er hatte Recht gehabt. Hatte die Blicke richtig gedeutet. Hatte die Zuneigung in Helenas Blick richtig gedeutet. Und nicht minder war er sich nun über die Wahrheit hinter den Blicken ihres Gastgebers sicher. Wo sonst ein Teil seines Ichs laut für die gelungene detektivische Arbeit applaudiert hätte, war diesmal nur sehr stilles Schweigen zu vernehmen,
Die Berührung ihrer Hand an seiner Wange ließ ihn zusammenzucken. Nicht viel, doch ausreichend um in aus den schweren Gedanken zu reißen. So viel wollte er sagen. So viele als notwenig erachtete Worte. Worte die trotzig verkündet hätten, dass er keine Hilfe benötigen würde. Dass er es nicht beabsichtigte zu heiraten sondern doch noch der Legion beizutreten. Dass der kleine Bruder die Hürden des Lebens auch alleine meistern würde und keine Rücksichtnahme bedurfte. Worte, die der offene Blick seiner braunen Augen sofort Lügen gestraft hätte.
Stattdessen zwang er sich zu einem schwachen aber erkennbaren Lächeln. Gerade stark genug um den Hauch der Glaubwürdigkeit zu heucheln. Schild und Schutz hatte er geschworen zu sein. Doch so wie ein Scutum die Bewegungsfreiheit eines Soldaten einschränkte, so erkannte er nun, dass auch er der Bewegungsfreiheit Helenas im Wege stand und dabei nur wenig Schutz bieten konnte. Welch bittere Erkenntnis, welch bittere Wahrheit für den jungen idealistischen, verträumten Geist.
Er zuckte mit den Achseln als er ihre Frage beantwortete:
„In manchen Fällen gewöhnt man sich an das Gewicht der Fessel, die den Schritt einschränkt. Manchmal spürt man erst wie belastend ihr Gewicht war, wenn sie abgestreift worden ist. Selbst wenn das Gewicht der Fessel den Träger auf sicheren Boden halten wollen, wird sie eines Tages zur Last.“
„Alles was ich jemals von dir verlangen werde ist, dass du dich niemals in eine unnötige Gefahr begibst.“
Die Kraft des jungen Bruders für weitere Worte war erschöpft und so gingen die wohl gemeinten Worte in einem stillen Schweigen auf.