Etwas unschlüssig blieb Corvus vor dem Haus stehen. Er war der Beschreibung gefolgt: Vom Forum in die Via Bingia, hinter dem Theatrum Germanica venustrus artis Mogontiaci nach links in die erste Seitengasse, grade über die nächste Kreuzung und dann das zweite Haus rechts. Da stand er nun, doch keiner war da um ihn zu empfangen. Aus dem Gebäude auf der anderen Straßenseite konnte er die rhythmischen Schläge auf Metall vernehmen, etwas weiter weg kläffte ein Hund und irgendwo schien es auch Hühner zu geben. Sonst aber war es ruhig und fast menschenleer. Zu ruhig und zu menschenleer!
“Wo bleibt der Dreckskerl?!“, schimpfte er leise.
In der Via Pelvarii, der Gasse der Kesselschmiede
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Als ein junger, germanisch und etwas abgerissen aussehender Bursche die Straße entlang kam, fuhr der inzwischen ungeduldig gewordene Corvus ihn an:
“He, ist das hier die Via Pelvarii?““Via Pelvarii? Neee, da bist du falsch, mein römischer Herr. Das ist die Via Pastellatori, die Strasse der Pfannenschmiede. Die Kesselschmiede findest du auf der anderen Seite der Via Bingia, Richtung Stadttor die erste rechts ein, gleich hinter dem Tempelbezirk. Man kann es gar nicht verfehlen, denn man hört sie tagsüber meist rumhämmern.“
Das Letzte sagte er überdeutlich und gegen die hämmernden Geräusche aus dem nahen Haus anredend. Ein freches Grinsen entblößte ein äußerst lückenhaftes Gebiss.
Corvus stieß eine Verwünschung aus, die den Anderen mit einschloss und ließ ihn eiligen Schrittes stehen.
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Tatsächlich sah Corvus den Mann, es war ein latinisierter Barbar, den er zu treffen die Absicht hatte. Mit schnellen Schritten ging er zu ihm und fuhr in aufgebracht an: “Kerl, wo schickst du mich ganz hin, hä?“
“Isch han mi schon g’fragt wo du bleibscht, Römer.“, gab der zurück.
“Wo ich bleibe? Sehr witzig! Du hast mich in die falsche Strasse geschickt! Von der Via Bingia nach links, wie? Mann, kannst du rechts und links nicht unterscheiden?“
“Ha, desch war a Versehn.“
Der Mann sprach ein furchtbares Latein – von wegen latinisiert – das Corvus kaum verstehen konnte, ebenso wenig, wie seine Gedankengänge.
“Ein Versehen? Wie kann denn so was ein Versehen sein?“
“Nu reg disch net uff, Römer. Bisch ja nu da.“
Er drehte sich um und zeigte auf ein Haus.
“Desch isses.“Corvus atmete einmal tief. Er schaute sich die Fassade eine weile an.
“Könnte bisschen Farbe gebrauchen.““Hajooo.“
Diese nachlässige Gemütsruhe ging ihm gehörig auf den Geist.
“Lass uns rein gehen. Wer weiß was ich noch finde.““Do isch alles in beschter Ordnung.“
“Dennoch!“
Der Germane oder Gallier – so genau wusste Corvus das nicht zu sagen – zuckte mit den Schultern und gemeinsam gingen sie zur Eingangstür. Umständlich mit den Schlüsseln hantierend öffnete der Andere und sie betraten das Haus…
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Zu seiner Überraschung und Freude erwies sich das Gebäude gleich nach seinem Betreten als typisch römisches Atrium-Haus.
“Römischer Stil.“, stellte er deshalb fest: “Wer war der Vorbesitzer?“
“Oh, desch Haus gehört meiner Schwesta. De hat desch von ihrem Mann geerbt un de hat des kauft von enem Römer. Desch war a Halunke! War Steuerpächter hier und hat sich da einiges zuschulde komme lasse. Musst dann uff de Schnelle verschwinde un da hat des mei Schwager günschtig kriegt.“
Steuerpächter in Germanien, ja, das Gewerbe kannte Corvus nur zu gut.
“Und der Mann deiner Schwester, was ist mit dem passiert?“
“Na, desch weiß i a nett. Der hat drübe hinderm Limes Kupferkram verkauft und andres Zeugs. Als nu de Krieg ausbroche isch, da war er grad fort und mir ham den nimmer g´sehn. Meine Familie kummt von Tabernae un mei Schwesta isch nu dahin zurück. Darum mach i des nu für sie zu Geld und dann isch a gut hier.“
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“Tabernae, soso…“, murmelte Corvus, während er sich die Wände eines Raumes besah, der scheinbar einst das Triclinium dargestellt hatte. Sie schienen ihm trocken zu sein.
“Wie viel verlangst du für diese Bude?“
“Bude, ha, desch is net nett. Des isch a guates, feschtes Haus. 2000 Seschterzä!“
“Zweitausend? Haben dich deine letzten heidnischen Gottheiten verlassen? Zweitausend! Dafür bekomme ich eine Villa in Rom und zwar in bester Lage auf dem Esquilin!“
“Ha, mei Schwesta is nu middellos, die braucht des Geld.“
“Seh’ ich wie ein treuherziger Wohltäter aus? Zwölfhundert sind ein guter Preis über den wir nicht lang zu feilschen bräuchten.“
“1200???? Oh, desch is nich g´recht, desch is a Unverschämtheit. 1200… isch glaub, ihr treibts a unredliche Spaß mit mi…“Und so ging es noch eine ganze Zeit weiter…
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“…Dreizehnhundert, aber das ist schon zuviel!“
“Waaaaas, desch soll zuviel sein, isch glaub, ihr Römer seids knausriger als de Caledonier! 1900 un da muss isch mir scho was anhörer!“
“Eintausendneunhundert? Hier in diesem Kaff? Vollkommen utopisch! Ich bin kein Unmensch, ich leg noch Fünfzig drauf, aber das wider besseren Wissens.“
“Des geht net, Römer, des haut net hieee, so komme zu nix. 1850 un isch muss mit Schläge rechne….“
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“…Eintausendfünfhundert. Aber, bei den Göttern, dann ist es genug!“
“Desch is jetzat net dei ernscht, 1500? Mei Schwesta schlägt mi tot…“
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“…Eintausendsechshundert.“, sagte Corvus schließlich, dem Gefeilsche sichtlich überdrüssig.
“G’macht!“, antwortete der Andere und nachdem sie den Kauf per Handschlag besiegelt hatten, wirkte er ganz und gar nicht mehr zerknirscht und so, als fürchte er die Schläge seiner Schwester. Corvus hatte das undeutliche Gefühl, vielleicht doch übers Ohr gehauen worden zu sein.
Das aber verflog rasch, nachdem sich der erste Besitzerstolz seiner bemächtigte. Es war sein erstes, eigenes Haus, seine Casa Germanici Corvi.
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