Im Reich der Schatten

  • Hannibal lächelte dünn und lehnte sich gegen die Wand des Kanals. Seltsamerweise kam ihm der irrsinnige Gedanke, dass jene Mauern schon in der Königszeit gebaut wurden. Trotzdem hielten sie den vielen Jahrhunderten und dem Zahn der Zeit felsenfest stand. Die Wand war etwas feucht und moosig, aber auch rau und kantig unter seinen Handflächen. Ein Zubrot verdienen? Dafür war Hannibal immer zu haben. Eigentlich hasste Hannibal auch die Faulheit und den Müßíggang. Etwas, was er mit seinen Herren früher schon nicht geteilt hatte. Hannibal starrte in die Kloake und ignorierte die anderen Männer. Er schaute auch nicht auf, als Sica mit den Männern sprach. Es war als ob es gar nicht ihn betraf. Aber vielleicht lag es auch den unglaublichen Schmerzen, die durch seinen Schädel pochten? Das Wasserrauschen, das Fipsen der Ratten in der Ferne war wie in Watte gepackt. Erst als Sica ihn ansprach, wurde Hannibal aus seiner Lethargie herausgerissen.


    Flüchtig nickte Hannibal zustimmend. Auf die Frage schüttelte Hannibal nur den Kopf, was wieder Schmerzen in seinem Nacken verursachte. „Nein, keine!“ Hannibal stieß sich von der Mauer ab. „Dann bis irgendwann!“ murmelte Hannibal. Hannibal zögerte. Eigentlich tat er sowas äußerst selten, aber dieses Mal war es angebracht. "Danke!" Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zu den Gestalten der Kanäle und bedeutete, dass er bereit war zu gehen. Benommen und etwas unsicheren Schrittes folgte Hannibal ihnen in die Kanalisation. Für Monate sollte er im Untergrund verschwinden und erst später wieder in der Subura auftauchen.

  • Mit einer Fackel in der einen und einem Messer griffbereit in der anderen Hand schlich Sciurus unter den Straßen Roms hindurch, ein Stück weit an der Cloaca Maxima entlang, bald einem der Seitenarme folgend bis zu einem Gang, welcher sich von den Abwassern entfernte, und an einigen Verzweigungen tiefer und tiefer in das Reich der Schatten hinein. Seine Nasenflügel bebten immer wieder unter dem scheußlichen Geruch, der seine Sinne wieder und wieder auf ein Neues beleidigte. Man gewöhnte sich an diesen Gestank, doch dies bedeutete nicht, dass man ihn deswegen mögen musste. Sciurus hatte eine äußerst sensible Nase, er mochte ihn nicht, hatte ihn noch nie gemocht, und er würde ihn niemals mögen, ihm nichteinmal gleichgültig gegenüber stehen. Je weiter sich Sciurus von dem entfernte, was Rom nur allzu gerne verbarg, doch was die Stadt im Grunde genommen am ehesten charakterisierte, zumindest aus seiner Perspektive, desto leichter wurde ihm das Atmen. In einem Beutel, welcher an seiner Schulter hing, klapperten einige Tabulae leise aneinander, Abschriften aus unbedeutenden Quellen. Seit sich sein Herr wieder in den Tempeln der Stadt herum trieb, den Göttern huldigte und die Massen für dumm verkaufte, waren auch Sciurus' profitable Zeiten vergangen. Gracchus' Amt als Quaestor Principis hatte Sciurus viele Male die Gelegenheit geboten, in die wirklich bedeutsamen Archive des Imperiums zu gelangen, und er hatte dort nicht nur die Informationen gesucht, welche sein Herr für die Chronicusa Romana, die Vorschläge zu den Standeserhebungen oder die Arbeit am Codex Universalis benötigt hatte. Für diese, viel zu kurze, Amtszeit war Sciurus der König unter den Dokumentensuchern gewesen, es hatte kein Schriftstück gegeben, was er nicht hatte besorgen können und jedes Mal, wenn er hier herab gekommen war, hatte der Mann mit der Vogelmaske neue Aufträge für ihn bereit gehalten.


    Doch diese Zeiten waren vorbei. Er war noch immer der beste unter den Suchern, ganz ohne Zweifel, doch seine Möglichkeiten waren wieder so eingeschränkt wie zuvor. Wäre sein Herr nicht derjenige, welcher er war, so wollte Sciurus ihn verfluchen, da er nicht wie jeder andere Patrizier auch weiter durch den Cursus Honorum strebte. Doch sein Herr hatte seine ganz eigenen Pläne und womöglich würden sie irgendwann tatsächlich dazu führen, dass auch für Sciurus wieder bessere Zeiten anbrachen. Bis dahin musste reichen, was möglich war, wie an diesem Tag, an welchem er keine ungefährlichen Informationen bei sich trug, vor allem nicht ungefährlich in den richtigen Händen, doch nichts, was tatsächlich von außerordentlicher Bedeutung war, zumindest nicht für tatsächlich wichtige Menschen.
    Hinter einigen Ecken und Abbiegungen blieb Sciurus bisweilen stehen, legte die Fackel zu Boden und ging mehrere Schritte zurück, um in die Dunkelheit zu lauschen. Die Magistrate Roms waren dreist geworden in der letzten Zeit, ständig waren sie von dem Zwang besessen, die Cloaca zu kontrollieren, als würden sie aus den Fäkalien ihrer Mitmenschen herauslesen können, wie die Stimmung im Volk war. Womöglich konnten sie es tatsächlich, war die Cloaca reichlich gefüllt, so hatten die Menschen genug zu Essen, war die Brühe unten dagegen dünn, so darbten sie oben. An diesem Tage jedoch folgte Sciurus niemand.


    Schließlich gelangte der Sklave an eine Türe, welche schnell durchschritten war. Im Gang dahinter wachten zwei grimmig dreinblickende Kerle, deren Gesichter von Narben überzogen und deren Körper mit ledernen Brustpanzern geschützt waren. Sciurus kannte die beiden ehemaligen Gladiatoren, nickte ihnen zu, steckte die Fackel in eine Halterung an der Wand und verschwand durch eine der abzweigenden Türen.
    Ein dicker, kleiner Kerl drehte sich zu Sciurus, sobald er den Raum betreten hatte. "Verschwinde! Du bist noch nicht an der Reihe!" herrschte er Sciurus an und fuchtelte mit den Händen vor seinem Körper herum. Vor ihm auf einem Tisch war silbernes Geschirr ausgebreitet, dahinter saß Taurus, einer der engsten Vertrauten des Vogelmannes, und begutachtete einzelne Stücke.
    "Figlio de puttana! Wann ich dran bin, bestimmt sicherlich keiner wie du, der nicht einmal seine eigenen Zehen sehen kann!"
    Verunsichert schaute der Kerl an sich herab, konnte seine Füße aufgrund seines Bauchumfanges jedoch tatsächlich nicht sehen. Hilfesuchend wandte er seinen Blick zu Taurus.
    "Immer mit der Ruhe. Du bist keine Ratte, Sciurus, dieses giftige Verhalten bekommt dir nicht. Nimm dir einen Wein bis ich das hier abgeschlossen habe. Also Mumbius, um noch einmal auf deinen Preis zurück zu kommen , die Edelsteine hier in diesem Teller sind wirklich sehr nett, allerdings ..."
    Während Taurus weiter mit dem kleinen Dicken verhandelte, schenkte sich Sciurus einen Becher verdünnten Wein ein. Er war keiner von jenen niederen Sklaven, welche hier unten jedes Mal nach Wein gierten, da sie oben nur Wasser bekamen, doch der Gestank der Cloaca ließ sich am ehesten mit Flüssigkeit aus den Sinnen vertreiben.

  • Eher beiläufig blickte Sciurus über die Ware, um welche verhandelt wurde, als sein Blick auf einem tönernen Teller haften blieb. Ein weißer Löwe zierte die Innenfläche und bunte Edelsteine prangerten auf dem Rand. Augenblicklich wurde ihm gewahr, woher diese Stücke stammten, er brauchte nicht einmal die Initialen auf den beiliegenden Silvesterlöffeln zu lesen.
    "Wo hast du das her?" Seine Stimme schnitt scharf durch den Raum und würgte jedes weitere Wort ab. Taurus schaute nur mäßig begeistert auf, der Blick des dicken Mumbius schwankte zwischen Entsetzen, Trotz und tatsächlicher Unwissenheit.
    "Wo hast du das her?" Sciurus stellte den Becher hart auf dem Tisch ab, so dass etwas Wein über den Rand schwappte, und dunkelrote Tropfen bis auf die Platte hinab liefen. Der Sklave zog sein Messer, welches wieder an seinem Gürtel steckte, packte Mumbius und hielt ihm die Klinge an die Kehle. "Ich werde nicht noch einmal fragen."
    "Ich habs zum Verkauf bekommen. Ich verflüssige es nur, ich schwöre dir bei Mercurius, es ist gute Ware, es ist alles echt ..."
    "Von wem?"
    "Gaius! Ich habs von Gaius bekommen! ..."
    "Lass ihn los, Sciurus."
    "Diese Ware stammt aus der Villa Flavia!"
    Mumbius versuchte sich aus dem Griff des Sklaven zu winden, erreichte jedoch nur, dass Sciurus das Messer noch näher an seinen Hals brachte.
    "Das mag sein," stammelte Mumbius. "... das mag sein ... ich frage nicht, woher sie stammt."
    "Das solltest du aber! Buono a nulla! Niemand, niemand vergreift sich am Eigentum der Flavia, hast du verstanden? Es ist mir völlig gleichgültig, wer es war, doch du, du persönlich wirst dafür sorgen, dass es nie wieder passiert! Nie wieder!" Der Ärger schwand aus seiner Stimme und wurde durch kalte Drohung ersetzt. "Wenn doch, so wirst du persönlich derjenige sein, der die Welt nur noch von unten sehen wird, und zwar für den Rest dieses Zeitalters und all jener, die noch kommen werden. Doch zuvor werde ich dir jeden Digitus deiner Haut einzeln abziehen und dein Innerstes nach Außen kehren. Du wirst deine Zehen wieder sehen können, Mumbius, doch nur, weil deine Augäpfel unter deinen Füßen kleben werden, wenn ich mit dir fertig bin ..."
    "Lass ihn los, Sciurus. Sofort!"
    Sciurus ließ von Mumbius ab und stieß ihn mit der freien Hand zurück. Der Zwischenhändler griff sich verstört und mit weit aufgerissenen Augen an die Kehle.
    "Geh nach draußen, Mumbius, und lass dir deinen letztgenannten Preis auszahlen."
    "Danke, Taurus, danke vielmals ..." stammelte der dicke Mann, drückte sich an der Wand entlang an Sciurus vorbei zur Tür und verschwand durch diese. Der Sklave steckte sein Messer weg und griff nach dem Becher Wein, aus welchem er in aller Ruhe einen Schluck trank.

  • "Was sollte das? Mumbius macht nur seine Arbeit und er macht sie gut und billig. Ich sagte dir doch, dieses giftige Verhalten bekommt dir nicht. Wen schert es, woher das Zeug stammt? "
    "Mich schert es." zischte der Sklave aufgebracht und warf wütend den Becher auf den Boden, aus welchem der Rest der Flüssigkeit über den sandigen Grund floss und diesen rotfarben tränkte. Sciurus stützte beide Hände auf den Tisch und beugte sich zu Taurus. "Mich schert es, bei den Göttern des Infernos!" Er richtete sich auf und deutete auf das Diebesgut. "Das Zeug stammt aus der Villa Flavia! Was haben unsere eigenen Leute dort zu suchen?"
    "Reg dich nicht auf. Sie ziehen von Haus zu Haus, da kommt jede Villa mal dran."
    "Aber nicht die Villa Flavia! Porca miseria! Praetorianer, Cohortes Urbanae, der Abschaum der ganzen Stadt geht bei uns ein und aus, und in der Nacht patroullieren die Vigiles extra oft durch das Viertel!" Seine Wut herunterschluckend kniff Sciurus die Augen zusammen. "Das vereinfacht die Arbeit nicht gerade, weder in der Nacht, noch am Tag. Sorgt dafür, dass so etwas nicht wieder passiert, hast du verstanden?"
    "Ich habe verstanden, mein lieber Sciurus. Du warst ja laut genug. Etwas weniger Emotionalität und etwas mehr Selbstbeherrschung ständen dir gut zu Gesicht. Steht nicht Sica der Villa Flavia vor? Du solltest dir an ihm ein Beispiel nehmen." Gleichsam wie die Worte durch einen freundschaftlichen Ton unterlegt waren, strahlten sie ebenso eine verborgene Drohung aus. "Dennoch werden wir dafür sorgen, dass die Information gestreut wird, wenn nicht Mumbius das schon für uns erledigt. Für diese Aufgabe hast du dir tatsächlich den richtigen hergenommen, Mumbius wird seine Panik weitergeben, da bin ich mir sicher. Doch ich biete dir noch mehr, wir werden zusätzlich kundtun, dass die Villa Flavia unseren besonderen Schutz genießt. Meinetwegen kannst du den Plunder mitnehmen, wir werden den Wert schon anderweitig wieder eintreiben." Beinahe gelangweilt ob des unnötigen Themas schob Taurus eine Silberkanne über den Tisch zu Sciurus hin.
    Dieser jedoch lachte nur kehlig. "Du warst niemals ein Sklave, oder, Taurus? Soll ich es mit zurücknehmen und meinem Herrn beim Abendessen auf den Tisch stellen? Soll ich ihm sagen, ein freundlicher Spender hat es vor der Tür abgestellt? Schmilz es ein und sorge dafür, dass es nie wieder irgendwo auftaucht. Alles andere bringt nur noch mehr Soldaten in unsere Nähe." Damit war die Angelegenheit für Sciurus erledigt, er zog die Tabulae aus seiner Tasche, schob das Silbergeschirr vor Taurus zur Seite und legte seine eigene Ware auf den Tisch. "Kommen wir zum Geschäftlichen."


    Es dauerte nicht lange, bis die Beiden sich einig waren. Der Sklave kannte den Wert seiner Ware sehr genau und Taurus kannte Sciurus lange genug, als dass er nicht wusste, dass dieser keine langen Verhandlungen liebte. So verließ Sciurus alsbald den Raum, nahm im Gang davor seine Fackel wieder auf und machte sich auf den Rückweg durch die Eingeweide der Stadt, bis hinauf zur oberen Welt. Der kleine Zwischenfall mit Mumbius hatte ihn lange genug aufgehalten, er musste sich für den Rest seiner Besorgungen sputen, wenn sein Herr die fehlende Zeit nicht bemerken sollte.

  • Da die Tempel während der Parentalia geschlossen waren, verbrachte Sciurus' Herr viel Zeit in der Villa, und da er sich auf sein bevorstehendes Amt als Vigintivir vorbereitete, brauchte er allerlei Informationen, von welcher es an Sciurus war, jene in den Archiven der Stadt zu beschaffen. Gleichsam bot dies dem Sklaven die Gelegenheit, anderen Geschäften nachzugehen, denn wie lange Informationsbeschaffung dauerte, dies war unmöglich im Vorneherein zu sagen, obwohl es seinem Herrn ohnehin nicht auffiel, wenn er erst unbotmäßig spät am Abend in die Villa zurück kehrte. Die Archive hatten schon geschlossen, da trieb sich Sciurus darum noch immer in den Gassen Roms herum, genauer gesagt in jenen der Subura, holte andere Art von Informationen ein, bevor er an der schmalen Haustür einer schäbigen Insula klopfte und eingelassen wurde. Wortlos führte der hagere Mann hinter der Tür ihn durch eine Werkstatt, in welcher Ton in allerlei verarbeiteter und unverarbeiteter Form lagerte, führte ihn bis in einen kleinen Raum, welcher über und über voll Kisten gestapelt war. Der Hagere schob einen Stapel bei Seite, zog einen schäbigen Sack vom Boden und öffnete die darunter zum Vorschein kommende Luke. Noch immer wortlos drückte er Sciurus eine Fackel in die Hand, entzündete sie mit einer Öllampe und nickte in die Dunkelheit zu seinen Füßen hinab. Es gab wenige Häuser in Rom, welche einen direkten Zugang zu den Kanälen besaßen, der nicht durch das Loch einer Latrine führte, und um so begehrter waren sie bei jenen, welche die Kanäle für ihre eigenen Zwecke nutzten. Die Insula, zu deren Wurzeln Sciurus nun in das Gewirr aus dunklen Gängen trat, lag nicht so weit im Inneren der Subura, als dass sie mit ein wenig Arbeit nicht ein angenehmes Haus hätte sein können, in dessen Erdgeschoss florierende Geschäfte ihren Platz, im ersten Stockwerk durchaus gut betuchte Händler und in den oberen Stockwerken andere Personen eine Wohnung hätten finden können, als das Gesindel, welches dort hauste und zum widerlichsten Bestandteil Roms gehörte. Doch der Mann mit der Maske protegierte jenes Haus und solange er dies tun würde, würde kein Mensch bei Verstand auf die Idee kommen, in jenes Gebäude einen Schritt tun zu wollen, alleine aus Furcht sich schon beim Betreten eine Krankheit zu holen. Die meisten Menschen, die an jenem Haus vorbei liefen taten dies sogar, ohne es eines Blickes zu würdigen, womöglich aus der gleichen Furcht heraus nur bereits auf den Anblick bezogen.


    Seine Füße lenkten Sciurus beinahe wie von selbst, er kannte diese Gänge lange genug. Wo der Vogelmann derzeit residierte, dies hatte er bereits an der Oberfläche der Stadt erfahren, so dass er nun nicht erst nach den Zeichen ausschau halten musste. Es blieb ihm erspart, sich der Cloaca Maxima all zu weit zu nähern, denn sein Weg führte ihn nach Norden hin, Richtung der Via Lata. Natürlich war auch hier der Gestank des Abwassers nicht parfümiert, doch nichts hielt dem Vergleich mit dem großen stinkenden Wasser stand, welches den Dreck zum Tiber hin führte. Sciurus nahm einige Abzweigungen, folgte dem Verlauf eines langen Rinnsals, bog noch ein paar Mal ab und klopfte schließlich zwei mal lang und einmal kurz an eine hölzerne Tür, die den Anschein erweckte, als wäre sie in den letzten hundert Jahren nicht geöffnet worden. Er wusste, dass dies mitnichten der Fall war, und es verwunderte den Sklaven immer wieder ein wenig, wie dies möglich war, doch er machte sich wenig Gedanken darüber, sollte man sich doch nicht über allzu viel im Regnum obscurum wundern.


    Die Pforte öffnete sich und sogleich fiel Sciurus helles, warmes Licht von unzähligen flackernden Lampen und Fackeln entgegen. Er betrat einen großen Raum, beinahe ein Halle, in der sich eine größere Ansammlung der verschiedensten Gestalten tummelte. Er mochte es nicht, wenn der Mann mit der Maske sich in Gesellschaft befand und in eben jener Gesellschaft seine Geschäfte abschloss, Sciurus trat ihm lieber allein gegenüber. Doch der Vogelmann war genau dann genau dort wann er wo sein wollte, und niemand stellte dies in Frage oder kam auch nur auf den Gedanken, ihn um eine diesbezügliche Änderung zu bitten. Ungeduldig reihte sich Sciurus zu den Wartenden, trug jedoch dafür Sorge, dass er den meisten anderen Bittstellern vorgezogen wurde, denn immerhin stand ihm nicht jene Zeit zur Verfügung, welche die unnützen Maden dieser Gesellschaft für sich gepachtet hatten.


    Als er schließlich vor jenem Tisch stand, an dem der Vogelmann seine Geschäfte abwickelte, begrüßte ihn dieser mit einem Nicken und Sciurus glaubte einen Hauch von Belustigung in seiner Stimme zu vernehmen.
    "Sieh an, sieh an. Ich dachte schon, dein Herr würde dich nicht mehr hinaus lassen. Oder war es vielleicht Sica, der dich hinter den dicken Mauern der Villa Flavia hielt?"
    "Ich hatte zu tun." Sciurus zog ein Bündel Papyrus aus einem Beutel und warf sie auf den Tisch. "Es ist mehr, als du brauchen wirst, aber was du brauchen wirst, ist dabei."
    "Du bist wohl wie immer nur wegen des Geschäfts hier, hm? Zu schade, dabei wollte ich dir ein wenig über deine kleine Freundin erzählen. Nun denn, richte Sica aus, dass sie sich noch immer in der Stadt herumtreibt. Wahrscheinlich weiß er es ohnehin schon, aber diese Information ist für euch kostenlos. Nicht, dass sie ein Problem wäre, dafür ist sie viel zu dumm. Andererseits sind es manches mal gerade die Dummen, die gefährlich sind." Er wackelte unschlüssig mit dem Kopf, der Schnabel an seiner Maske verstärkte den Eindruck der Bewegung noch.
    "Das dumme Ding? Sie treibt sich in der Subura herum, Malleus hat es mir schon gesagt." Sciurus hatte ein wenig mit sich gehadert, als er jene Information erhalten hatte. Er hasste diese Sklavin, er hasste alle blonden Germanen, wie er alle Germanen überhaupt hasste, denn nichts erinnerte ihn so sehr an seine schäbige Mutter und an jene blasse Ahnung eines Mannes, der sein Vater gewesen sein musste. Doch letztlich stellte sie tatsächlich keine Gefahr dar, für nichts und niemanden, darum war es Verschwendung, auch nur über ihr Leben nachzudenken, weswegen er das Thema wechselte. "Hast du noch etwas für mich?"
    Ein eifriges Nicken bewegte den Kopf hinter der Maske. "Ja, ja, tatsächlich habe ich noch etwas. Wir benötigen ein weiteres Siegel, das letzte ist uns ... nun, sagen wir, es ist uns bei einem bedauerlichen Unfall abhanden gekommen."
    Die Miene des Sklaven verdunkelte sich. "Du weißt, dass ich es nicht mag, meinen Herrn in diese Dinge hinein zu ziehen. Tut es kein anderes Siegel? Das eines Pontifex, meinetwegen auch das des Pontifex Maximus?"
    "Ach, ach, Sciurus, du musst dich endlich von dieser närrischen Treue gegenüber deinem Herrn lösen. Was nützt uns das Siegel des Pontifex Maximus, wenn jedes Dokument fünfmal überprüft wird? Jeder Mann muss wissen, wann er bescheiden sein muss, kein Mensch schaut auf die Weisung eines Sacerdos. Zudem wird dein Herr ohnehin nicht mehr lange Mitglied des Cultus Deorum sein, davon abgesehen, dass es hunderte Sacerdotes gibt, sollte also etwas schief gehen - was es nicht tun wird - so wird niemals etwas auf ihn zurückfallen. Also tu mir den Gefallen, Sciurullus."
    Es war nicht etwa so, dass Sciurus eine große Wahl hatte, denn dem Mann mit der Maske schlug man keinen Gefallen ab, wollte man nicht vorzeitig aus dem Geschäft aussteigen, da nützte auch kein Zorn über die Art und Weise, wie er sich die Dinge nahm, etwas. "Ich werde sehen, was sich machen lässt. Zur Zeit sind die Parentalia und die Amtsübernahmen können jederzeit stattfinden."
    "Oh ja, mal sehen, möglicherweise könnte uns ein Vigintivirensiegel auch von Wert sein, von denen gibt es immerhin auch mehrere. Allerdings ist es vielleicht schon wieder zu auffällig. Nun, du machst das schon, da bin ich mir sicher. Das war alles, du kannst gehen." Der Vogelmann nahm eine Mandel aus einer Schale vom Tisch und steckte sie in seinen Mund. Sciurus' Angelegenheiten waren damit für ihn erledigt.


    Der Sklave verließ das Schattenreich auf gleichem Wege, wie er hinab gelangt war, durch jene schäbige Insula in der Subura. Der Mann in der Werkstatt des Töpfers sprach wiederum kein Wort als er ihn in das dämmrige Licht hinaus auf die Straße ließ. Sciurus blickte sich kurz um, ging einige Schritte bis zu einer Garküche, vor welcher er stehen blieb und taxierte von dort aus die vorbeigehenden Menschen, bevor er sich auf den Weg zurück zur Villa Flavia machte.

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