Die Curie von Colonia Claudia Ara Agrippinensium

  • Zum späten Vormittag fand sich die Curia zu Colonia Agrippina in den Hallen des Praetoriums zusammen. Alle möglichen Sänftenträger und Liktoren verstopften den Platz vor dem Gebäude und die edlen Herren kamen in Feiertagstoga, am Tag des Mars Invictus, zur Versammlung.
    Der marmorne Saal füllte sich langsam und das Stimmgewirr nahm zu. Honorige Männer an Jahren reich und gesegnet, ehemalige und aktuelle Magistrate der Stadt nahmen Platz.
    Auch ich hatte meinen Platz gefunden in eine der zweiten Reihe. Als Frischling und nicht etabliertes Mitglied dieser Versammlung hielt ich mich dezent im Hintergrund. Etwas nervös, gleich vor diesem Haus zu sprechen überflog ich nochmal meine Wachstäfelchen, auf denen ich mir einige Notizen gemacht hatte.


    Schließlich nach einer Weile erhob sich der älteste unter ihnen, Aetius. Sein Gesicht war eingefallen, seine Haare grau. Mit würdevoller Miene und aufrechten Hauptes stellte er sich vor die Curienmitglieder und mahnte mit erhobenen Arm zur Ruhe.


    "Silentium, silentium, mei amici !"


    Der Geräuschpegel verebbte.


    "Die Curie tagt am heutigen Tage, am Tag zu Ehren des Mars Invictus und ich heiße euch alle in diesen Hallen willkommen."


    Der Alte ließ sich von einem Sklaven eine Papyrusrolle geben, die er entrollte.


    "Kommen wir nun zur Tagesordnung."


    Er begann der Reihe nach die einzelnen Punkte vorzulesen.


    "Unser erstes Thema wird die mögliche Aufnahme neuer Mitglieder in unseren erlauchten Kreis betreffen. Im Anschluß wird uns Quaestor Didius einen kurzen Überblick über den Haushalt der Stadt geben. Darauf werden die Aediles Livius und Volusius den Gesetzesentwurf für eine Marktordnung einbringen. Außerdem hörte man Klagen aus dem Handwerkerviertel wegen Entsorgungsschwierigkeiten. Die Curie wird sich also auch hier annehmen müssen.
    Zuletzt erreichte die Curie einen Brief des ehrenwerten Senators Decimus, dem Kommandanten der Legio IX Hispania."


    Nachdem Aetius geendet hatte, nahm er wieder Platz auf seinem Stuhl und nickte einem Collega zu, der sich postwendend erhob. Es war der nicht wenig jüngere Quinctilius. Die Wangenknochen waren stark ausgeprägt und das lichter werdende Haupthaar brachte eine Glatze zum Vorschein. Er war eine Lichtgestalt und ein jeder, der ihn sah, mußte von ihm beeindruckt sein. Er genoss ohne Zweifel Respekt und Ansehen, und hatte auch in dieser Curie einen nicht geringen Einfluss. Auch auf mich machte er diesen Eindruck und als er zu seiner Rede ansetzte, hing ich an seinen Lippen.


    "Socii, amici !
    Lasst uns also über die eventuelle Aufnahme neuer Mitglieder als Vollmitglied in die Curie reden. Als eines der ältesten Mitglieder dieser Curie habe ich schon viel erlebt und viel gesehen. Viele Magistrate kommen und gingen. Manche erwiesen sich als würdig, andere jagte man zum Styx. Und zweifelsohne, nicht jeder Magistrat besaß das Zeug, in diesen Hallen zu sitzen, und verdankte er seine Magistratur nur dem mächtigen Einfluss seines Vaters, so zeigten sich doch umso öfter gewisse Fehlirrungen an seiner Arbeit.
    Freunde, ich bin ein Mann offener Worte, niemals habe ich daraus einen Hehl gemacht. So sage ich euch, ich kann die Aufnahme des ehemaligen Magistrat Prudentius Dacien nicht befürworten.
    Mag er noch so belesen sein, redselig und zu den Göttern beten. Er hat sich nicht als würdig erwiesen, seinen Platz in dieser Versammlung zu finden. Seine Familie ohne Zweifel erhaben, sein Ziele und Absichten erhaben. Doch, liebe Freunde, wir dürfen uns nicht blenden lassen davon. Denn was, so frage ich euch, hat jener Prudentius in seiner Amtszeit bewirkt ? Hat er die Armut gelindert ? Hat er Bauten errichtet ? Hat er die Probleme der Stadt angegangen ? Nein. Er hat den Genüßen gefröhnt, er war viel auf Reisen. Daher steht mein entschiedener Entschluß gegen eine Aufnahme des jungen Prudentius als Vollmitglied dieser Curia."


    Allgemeines zustimmendes Gemurmel und Bejahen. Quinctilius blieb noch stehen, um Reaktionen abzuwarten. Ich war von seinen Worten begeistert. Sie strahlten eine Ruhe und Entschlossenheit aus. Er wußte sie wahrlich gut einzusetzen.
    Dann erhob sich ein junger Mann, Pontius war sein Name, Sohn des Pontius Maro und gewesener Aedil. Seine Stimme klang wie die eines Knaben.


    "Geschätzter Quinctillius, verehrtes Collegium !
    Deine Meinung in Ehren, lieber Quinctillius, dass dieser junge Mann nicht Mitglied dieses Gremiums werden solle, aber ich kann mich deiner Meinung nicht anschließen. Prudentius Dacien war ein Magistrat, gewählt von den Bürgern dieser Stadt. Für seine Abstammung kann er nichts und doch leugne ich nicht, dass es eben jene war, die ihn zu seinem Aufstieg verhalf. Sein Vater, der Senator Prudentius Commodus ist uns allen bestens bekannt als ehemaliger Comes dieser Region.
    So frage ich euch, werte Curienmitglieder, wäre es nicht ein Schlag ins Gesicht für die Wähler, die ihm das Vertrauen schenkten, ihm jetzt die Aufnahme zu verweigern und seine Klientel würdig und angemessen vertreten zu können ?"


    Natürlich hatte Quinctillus auch hier eine Antwort drauf. Und so entgegnete er seinem Gegenüber


    "Doch Du vergisst, Pontius, Wähler kann man täuschen und von dem was sie gestern sagten, meinen sie heute das Gegenteil. Wir können uns in einer solchen Sache nicht auf das Urteil des Volkes stützen. Wir sind die Repräsentanz dieser Colonia, wir sind das Volk !"


    Seine Arme unterstreichten das gesagte und nachdem er geendet hatte, verweilte er eine zeitlang in dieser Pose.


    Nachdem die Diskussion noch eine Zeit verlief, kündigte der alte Aetius die Abstimmung an. Abgestimmt wurde per Handzeichen und auch ich erhob meinen Arm.
    Die Aufnahme des Prudentius Dacien in diese Curie wurde mit 47 zu 9 Stimmen und drei Enthaltungen abgelehnt. Dafür entschied man sich für die Aufnahme des ehrenwerten Senators Gaius Prudentius Commodus als Beisitzer in dieser Curie.


    Nun war ich dran. Meine Stunde schlug und ich sollte vor der versammelten Emminenz dieser Curie sprechen. Die Nervösität überschlug mich. Ich war nervöser, als ich damals meine Kandidatur verkündete. So glätete ich ein letztesmal meine Toga, als ich mich von meinem Platz erhob und versuchte meine Hände so gut es ging zu verbergen.


    "Quirites,
    als für diese Amtzeit bestellter Magistrat des Volkes und amtierender Quaestor ist es meine Aufgabe euch über die bestehenden Einnahmeverhältnisse der Stadt zu unterrichten."


    Ich holte unter meiner Toga eine Wachstafel hervor und laß die Zahlen ab.


    accepti:
    largitiones: MMMCC
    portoria: CCC
    tributi: MM


    erogationes:
    tributi: - LXXD
    acta: - LX
    ___________________________
    summa summarum: MMMMMCIX


    Nachdem ich geendet hatte, sah ich auf, ob jemand der Herren irgendwelche Fragen hatte, aber sie nickten nur und schienen zufrieden, so dass, nachdem Aetius sich bei mir bedankte, ich mich wieder hinsetzen konnte.
    Nun trat die Aediles Livius und Volusius vor. Unter seinem Arm klemmte eine dicke Rolle und ich seufzte unmerklich auf, dass nur mein Nachbar etwas vernehmen konnte. Dieser zwinkerte mir nur verstohlen zu. ;) Das würde ein harter Brocken werden. Mein Nebenmann reichte mir eine umfangreiche Wachstafel, von denen eifrige Sklaven dutzende an die Mitglieder verteilten. Livius stand indes in der Mitte des Raumes und verbarg sein Gesicht hinter einer aufgerollten Papyrusrolle. Sein Amtskollege Volusius stand daneben. Beide warteten, das Ruhe eingekehrt sei.
    Mein Blick schweifte über die Aufstellungen auf der Wachstafel. Als Livius irgendwann mit lauter Stimme seinen Vortrag begann.


    "Quirites !
    Mein Amtskollege und ich möchten euch heute, den Entwurf für eine detaillierte Marktordnung vorbringen. Es ist...."


    Meine Augen wanderten die Zeilen hinunter während Livius dazu seine Erläuterungen abgab. Ich war so konzentriert auf den Gesetzestext, dass ich seine Worte gar nicht mehr vernahm.


    descriptio legis mercati coloniensis


    pars I
    Der öffentlich zur Verfügung gestellte Raum an Markttagen und -plätzen ist den Anweisungen der Aedile und seinem Vertreter, dem agoranomus gerecht einzuhalten. Jeder registrierte Händler hat einen Stand zu Verfügung, um seine Waren anzubieten, der ihm zur Verfügung gestellte Platz ist auf dem Marktschein ersichtlich. Der Gewerbebetreibende hat kein Recht einen anderen, als den ihm zur Verfügung gestellten Marktplatz zu belegen, oder einzufordern.


    pars II
    Die Marktgebühren betragen:
    ~ IV Sz. für jeden Stand


    pars III
    Die Markttage, an denen der Verkauf von Waren auf dem Forum gestattet ist, werden auf die Kalenden und Nonen eines jeden Monats gelegt. Fällt einer dieser Tage auf einen dies nefastus, so verschieben sich die Markttage auf den nächsten Tag. An den Markttagen selbst dürfen Fuhrwerke und jegliche anderen von Tieren gezogenen Vehikel nicht die Stadt betreten. Zuwiderhandlungen strafbar.


    pars IV
    Die Stände und das Umfeld sind rein zu halten, jeglicher Abfall durch den Händler zu entfernen und außerhalb der Stadt zu entsorgen.


    pars V
    Besondere Sorgfalt wird im Umgang mit offenen Feuer (Garküchen, Bäckereien etc.) angewiesen. Zu Ständen dieser Art ist ein Abstand von mindestens 20 Fuß einzuhalten, Zuwiderhandlungen werden bestraft.


    pars VI
    Nahrungsverkäufer haben zudem auf eine hohe Hygiene zu achten. Der Zustand der Waren muß ständig überprüft werden, fauliges sowie verschimmeltes Gut vom Marktstand sofort entfernt und gleiches Essen dieses Verkaufes vernichtet werden. Eine gründliche Reinigung des Standes ist vorzunehmen.


    pars VII
    An Markttagen ist mit unregelmäßigen Kontrollen durch die Aediles zu rechen, ihnen obliegt die Entscheidungsgewalt über Verstöße der Marktordnung.


    Nachdem Livius mit seinem Vortrag geendet hatte und Volusius schließlich noch einige Anmerkungen gemacht hatte, führte das Ergebnis der darauffolgenden Abstimmung dazu, dass die von den Aediles eingebrachte Marktordnung angenommen wurde und zwar mit 44 zu 15 Gegenstimmen.


    Nun erhob sich Aetius erneut. Er ließ sich von seinem Sklaven einen Brief bringen, der die Curie erreicht hatte und trug ihn laut vor.
    Sofort machte sich ein lautes Stimmgewusel breit über den Brief und der Planung eines Tempelbaus, so dass Aetius erneut zur Ruhe mahnen mußte.


    "Silentium."


    Darauf sprang Quinctius auf.


    "Quirites ! Was haben wir hier ? Den Brief eines Senators und Legaten des Kaisers, der sich wünscht, einen Tempel in memoria an seine verstorbene Gattin zu stiften. Ich finde es dreist, mit welchen Mitteln er hier versucht die Curie zu beeinflussen. Er bietet sich an, die Patronage für Colonia Claudia Ara Agrippinensium zu übernehmen, wenn wir ihm nur seinen Tempel bauen lassen. Wie kann er nur ? Die Patronage einer Stadt ist mit Ehren und Würden verbunden. Man nimmt sie nicht an in einem simplen Kuhhandel ! Man wird dafür ausersehen, wenn die Curie einen für würdig empfindet. Nein, meine Herren, darauf kann ich mich nicht einlassen. So nicht."


    Sachlich nahm er wieder Platz, nachdem Quinctius seine Ansprache beendet hatte. Zustimmendes Gemurmel von der einen Seite der Curia. Ein Gegner der Worte des Quinctius erhob sich nun von seinem Platz. Sein Blick führte ins weite Rund, die Hand auf der Brust gelegt, begann er zu sprechen


    "Liebe Freunde !
    Ich sehe hier das Angebot eines Freundes der Colonia, in unserer Stadt einen Tempel zu errichten. Er scheint ein Freund dieser Stadt und meine persönliche Meinung ist, wir sollten uns diese Freundschaft nicht verscherzen. Ich stehe zu einem Tempelbau nicht abgeneigt und nur das ist es, worauf wir in diesem Moment unsere Aufmerksamkeit lenken sollten. Ich bin mir auch sicher, dass wir für diesen Bau den nötigen Grund finden werden, so ließe sich im nördlichen Stadtteil zwei Viertel hinter der decumanus maximus der Platz finden. Ich bin daher der Meinung, Duumvir Fabius sollte bei dem Legaten vorsprechen, um das Angebot des Senators eingehender zu besprechen."


    Darauf setzte sich der Redner wieder und nach einigen weiteren kurzen Wortmeldungen beschloß man, wenn auch knapp, mit 34 zu 27 Stimmen, dass man auf das Angebot des Legatus Legionis eingehe.


    So endete meine erste Sitzung in diesem ehrwürdigen Kreise und ich war froh, als sich die Versammlung nach mehreren Stunden des Debattieren endlich auflöste. Heute war immerhin noch ein Festtag und den zu bekleiden, wollte ich jetzt tun.

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