[Hortulus] Bei den Horti Luculliani am Tiber

  • Dieses Mal kam meine Antwort sehr schnell, fast so als ob ich auf die Frage gewartete hätte.
    „Ja wer ist nun mein Nächster? Über diese Frage habe nicht nur ich, sondern vor mir schon viele Menschen nachgedacht. Ist es mein Bruder, mein Freund, mein Nachbar, mein Mitsklave, gar mein Herr?
    Man könnte auch sich diesen Satz zur Golden Regel machen.
    *Und so wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun, so tut ihr ihnen.
    An einer anderen Stelle steht geschrieben.
    **Liebt eure Feinde, und was ihr nicht wollt, dass euch andere tun, das tut auch keinem anderen.


    Ich betrachtete Phaeneas und war mir nicht sicher ob er mit meiner Antwort zufrieden war. Es musste doch etwas geben was ihn noch mehr überzeugte. Weißt du diese Frage wurde auch an Jesus gestellt, von den Schriftgelehrten oder auch Gesetzeslehrer in Jerusalem und er erzählte ihnen die Geschichte vom barmherzigen Samariter.


    ***Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn:
    Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
    Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort?
    Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele,
    mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken,
    und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.
    Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben.
    Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus:
    Und wer ist mein Nächster?
    Darauf antwortete ihm Jesus:
    Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen.
    Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halb tot liegen.
    Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter.
    Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter.
    Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war.
    Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie.
    Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn.
    Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte:
    Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
    Was meinst du:
    Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?
    Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat.
    Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!“
    Die Geschichte beendet schaute ich meinen Gesprächspartner an, ganz so als ob ich dann dessen Gedanken lesen könne. Mich räuspernd fuhr ich dann fort.


    „Nun könnte man sagen dies ist ja nichts besonderes. Wichtig zu wissen ist nun, dass das Volk der Samariter alles andere als Freunde des jüdischen Volkes waren, weder die Juden hätten den Samaritern geholfen, noch umgekehrt.
    Der Nächste ist also nicht einer der Deinen, es ist nicht derjenige den Du magst, es ist derjenige, der Deine Hilfe bedarf. Liebe den der Deine Liebe benötigt, das ist Barmherzigkeit und das ist es, was Jesus von uns fordert.“


    Ja ich glaubte so habe ich die Geschichte und Phaeneas Frage verständlich erklärt und wiederum schaute ich Phaeneas eindringlich an. Voller Erwartung auf ein Zeichen von ihm, dass meine Bemühungen sich gelohnt hatten.


    Nach einer Pause gingen meine Gedanken dazu über, Phaeneas Beantwortung auf meine Frage zu verarbeiten. Ja aber natürlich, so lief es doch immer und überall. „ Aber es ist doch die Frage ob ich denn jemanden kenne, der wiederum jemanden kennt. Vielleicht bin ich nicht an den richtigen Orten um solch jemanden zu kennen. Mir ist ehrlich gesagt nicht ganz wohl dabei einfach ins blaue hinein zu fragen.
    Vielleicht sind die Menschen auch vorsichtig wenn sie merken aus welchem hause ich bin“, fügte ich nachdenklich hinzu.


    Doch dann fiel mir noch die Frage von Phaeneas ein. „ Auf Kreta hörte ich man würde die Häuser der Christen und die Christen an einem Zeichen erkennen. An einem Fisch, dem Symbol des Fisches. Ist dir dieses in Rom schon einmal aufgefallen?
    Ich muss gestehen, mir nicht. Es mag daran liegen, dass ich nicht sonderlich danach suchte, da ich zu oft mit meinen Aufgaben beschäftigt war. Dies muss ich unbedingt ändern. Unser Gespräch macht mir dies deutlich.“
    Grübelnd betrachtete ich den Tiber und den Himmel, an welchem sich die ersten Spuren des Sonnenuntergangs zeigten.




    Sim-Off:

    *Historischer Urtext
    Logenquelle Q 6,31
    **Epistola Apistolorum / Brief der Apostel 18,6
    ***(Lukas 10,25-37)

  • Sofort musste der vinicische Sklave wieder ungläubig lachen: „Mein Nachbar, mein Mitsklave, mein Herr?!“ Linos hatte sich schon gut in Phaeneas‘ Lebenssituation hineinversetzt.
    Aber seine Irritation hörte nicht auf: „Es mögen doch nicht alle Leute das gleiche wie ich.“ Genauer gesagt mochten eher die wenigsten Menschen das, was der Bithynier mochte. „Und ich mag nicht alles, was andere mögen. Es gibt Sklaven, die würden sich ein Bein ausreißen für die Freiheit. Mir wär das egal.“


    Wieder eine Geschichte von diesem Iesus. Ein Gesetz, in dem was über Liebe zu einem … zu Gott stand?! Was war das denn für ein Gesetz? Nochmal Nächstenliebe …


    Was dieser Mann aus S… woher auch immer tat, löste bei Phaeneas nur augenfällige Verwunderung aus. Wer machte sowas schon?! Wenn auf Roms Straßen nachts Leute erschlagen und ausgeraubt wurden, waren die meisten nur froh, selber nicht drunter zu sein. Und im täglichen Überlebenskampf bei den einfacheren Schichten hatte niemand Zeit, um da für jemanden Arzt zu spielen oder einen zu holen. Geschweige denn zu bezahlen. Und die Reichen fühlten sich da natürlich nicht zuständig. Warum auch? War ja niemand verwandtes.
    Unter Sklaven wurde einfach jemandem der Befehl gegeben, sich um jemand Kranken oder sonstig Verletzten zu kümmern. Da einen auf … Samariter zu machen, war auch nicht empfehlenswert. Wenn der Sklave für irgendwas bestraft worden war, machte man eher noch den Eindruck mit einem Aufrührer zu sympathisieren, wenn man sich unaufgefordert um ihn kümmerte. Nein, wer sich Ärger mit den Herrschaften einbrockte, hatte das selber auszulöffeln, auch wenn er nur zum Sündenbock für irgendwas erkoren worden war.
    Dieser Mann aus … Sama… machte ja genauso seltsame Sachen wie dieser Iesus ... Ah ja, klar, war ja auch seine Geschichte …


    Mit halb offenem Mund sah Phaeneas Linos an. Nichts besonderes?! „Das …“, brachte er nur mit Mühe hervor, „ … das ist … schon was besonderes …“


    Na gut, wer der Nächste sein sollte, das hatte Phaeneas jetzt verstanden.


    „Du kennst jede Menge Leute, die jemanden kennen, die jemanden kennen, Linos“, antwortete Phaeneas unbeirrt. „Das ist so in Rom. Da kennt jeder jede Menge Leute. Ob sie die Leute kennen, nach denen du suchst, ist fraglich. Aber das ist normal. Ein paar Versuche gehen immer daneben. Aber irgendwann kommt man schon auf eine Spur. Dass jemand glaubt, jemanden zu kennen, der vielleicht entfernt was mit Christen zu tun haben könnte. Und der Spur geht man dann nach. Es dauert in der Regel, bis man was verwertbares findet. Aber irgendwann klappt es.“


    Dann nickte er bedächtig: „Zu erzählen wer genau man ist, ist nicht immer förderlich. Manchmal kann es Wunder wirken, aber manchmal auch eher kontraproduktiv sein. Was genau man möchte, ist manchmal auch klüger, nur anzudeuten. Das kommt auf die Situation an.“


    Ein Fisch?! Wofür auch immer das gut sein sollte. „Also ehrlich gesagt - noch nie gesehen, Linos. Aber ich werd‘ mal die Augen offen halten.“

  • Verwundert starrte ich Phaeneas nach diesen Worten an. Ich konnte es wieder nicht fassen, dass gerade ihm die Freiheit so gleichgültig war. „Ich weiß du erwähntest es schon zu Anfang des Gespräches, trotzdem, ich versteh es nicht. Wie kann dir die Freiheit so gleichgültig sein? Zu den Menschen die sich für die Freiheit ein Bein ausreißen würden gehöre ich wohl auch. Doch wäre die Freiheit mit nur einem Bein weniger schön“, diese Anmerkung konnte ich mir mit einem Grinsen nicht verkneifen.
    Doch gleich wurde ich wieder ernst, denn ich beobachtete wie es in Phaeneas arbeitete.
    Ob ich ihm die Lehre Jesu näher gebracht hatte? War ich dafür der geeignete? Fehlte mir nicht die Überzeugungskraft dazu? Ich selber wollte doch noch soviel hören und lernen von den Christen.


    Ich spürte wie sich ein Lächeln über mein Gesicht zog. „Ganz wie auf Kreta, ganz wie in der Heimat. Ich kenne jemanden und der kennt jemanden, aber bedenke ich kenne keinen in Rom. Du bist der erste, den ich hier, außerhalb unserer Villa ein wenig näher kennen lernte. Mit jemanden in der Villa möchte ich eigentlich nicht über dieses Thema sprechen. Warum? Vielleicht weil dies eins der wenigen Freiheiten ist, welche mir als Sklave bleibt. Die Freiheit meines Glaubens, meiner Gedanken. Außer natürlich mit Corona“, fügte ich leise hinzu.


    Es wurde zusehends später und ich musste mich bald auf den Heimweg machen. Eins wollte ich vorher aber noch wissen. „Sag mir werde ich dich noch mal wiedersehen können? Gibt es einen Ort wo dies möglich ist, denn ich würde dich zu gerne als Gesprächspartner behalten. Leider kann ich nie im voraus etwas planen, so ein freier Nachmittag wie heute gibt es ganz selten. Es muss also dem Zufall überlassen sein und möglichst in der Stadt, damit ich schneller an dem Ort bin.“ Voller Hoffnung schaute ich Phaeneas.

  • Noch immer schwirrten in Phaeneas‘ Kopf jede Menge Fragezeichen und dementsprechend Fragen. So vieles war ihm am Christentum nachwievor vollkommen unverständlich – aber war es ein Wunder? Dieser christliche Glaube zeichnete sich ja gerade durch dieses revolutionär andere Gedankengut aus! Im Vergleich zur römischen Mentalität. Da entschied nicht Macht, Geld und Herkunft, ob jemand eine halbwegs rücksichtvolle Behandlung verdient hatte. Nein, hier zählten so verrückte Dinge wie Friedfertigkeit, Feindesliebe und Verzeihen! Hier freute man sich über Zöllner, Bettler, den Pöbel und Sklaven – und sowas war ja wohl noch nie dagewesen! Jedenfalls hatte Phaeneas sowas zuvor definitiv noch nie gehört! Und es war für diesen Linos dementsprechend nicht schwer gewesen, den Bithynier in den Bann dieser seltsam anmutenden Ideen zu schlagen.
    Er musste unbedingt noch mehr über dieses Christentum erfahren!


    Als der andere schließlich in einer für den vinicischen Sklaven beinahe widerwärtig offenen Weise danach fragte, ob er mit ihm Kontakt halten wollte, zuckte es in Phaeneas gewohnheitsmäßig unangenehm und das übliche Misstrauen quoll in ihm auf.
    Trotzdem tat da der Bithynier etwas, was er fast nie tat. Er gab Linos, diesem gerade der Kindheit entwachsenen jungen Mann, den er gerade heute flüchtig kennengelernt hatte, seine Adresse: „Ich bin Phaeneas, Leibsklave von Marcus Vinicius Lucianus, dem Senator und Consular. Wenn du das so jemandem sagst, wirst du mich immer finden können. Auch wenn ich verkauft werden sollte.“ Was natürlich völlig in den Sternen stand. Dieses Detail merkte er nur an, weil Linos ja noch nicht ganz wusste, wie diese Gesellschaft funktionierte.
    „Zur Zeit lebe ich in der Villa Vinicia in Rom. Wenn du etwas Zeit hast, dann klopf doch einfach dort an und frag nach mir. Ich kann mir meine Aufgaben relativ flexibel einteilen. Und wenn es denn gerade passt, dann leiten dich die Sklaven am Lieferanteneingang an mich weiter.“ Lieferanteneingang, das war wichtig – an der herrschaftlichen repräsentativen Vordertüre hatten Unfreie in Privatangelegenheiten ganz sicher nichts verloren.


    Sim-Off:

    Tut mir leid, es ist echt viel dazwischen gekommen ... :(

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