Corvinus zu Besuch

  • Ein schöner Augenblick, an dem ich teilhaben durfte. Ich freute mich für meinen Bruder, der augenscheinlich sprachlos war. Aber es war keine Sprachlosigkeit aus Mangel an Geist, sondern eine resultierend aus der unerwarteten und gleichzeitig bedeutsamen Situation heraus. Und wieder fand ich es gut, welche Worte er schließlich fand, um seinen Dank auszudrücken. So ähnlich hätte sich sicherlich auch Soph geäußert. Schon mehrmals war mir aufgefallen, dass die beiden einiges gemeinsam hatten, dabei waren sie nur Cousins.


    Alsbald nahm mein Onkel aber alle Aufmerksamkeit in Anspruch, weil er für mich aus unerklärlichen Gründen den Moment so abrupt abbrach, indem er mit der Erklärung Arbeit zu haben – ich wollte ja nicht an einen Vorwand denken – überraschend das Zimmer verließ.


    Verwundert blickte ich ihm hinterher, suchte sogleich wieder den Blickkontakt zu Corvinus und hob fragend die Augenbrauen.


    „Ich kann nicht sagen warum, aber an so dringende Arbeit, bei der er nicht gestört werden darf, kann ich irgendwie nicht glauben. Ob er traurig ist, weil er keinen eigenen Sohn hat? Was meinst du, können wir vielleicht etwas für ihn tun?“

  • Ich sah auf den Siegelring herunter und traute mich noch immer nicht, ihn anzurühren. Stolz und ehrerfüllt sah ich Cicero an, dann wieder Deandra und Mutter. Ich war sprachlos und zugleich zutiefst berührt. Die Ausrede meines Onkelns fasste ich auch als solche auf, ließ ihn aber gewähren. Es war gewiss kein leichter Schritt für ihn. Er hatte damit erkannt, dass wohl keine männlicher Erben mehr aus seiner Blutlinie folgen mochte. Und das war schlimm, besonders für einen Patrizier und ganz besonders für einen so zielstrebigen und ehrgeizigen Mann wie meinen Onkel, der nun auf meine Schulter klopfte und dann regelrecht flüchtete. War das mehr Flüssigkeit als unter normalen Umständen in seinen Augen gewesen? Oder hatte ich mich verguckt? Aristos' Blick verriet nichts, aber auch er sah dezent zur Seite, als ich seinen Blick suchte. Dann sah ich zu Deandra, als Cicero verschwunden war. Den Knoten in meinem Hals beachtete ich nicht, sondern holte den Siegelring nun wortlos aus dem Kästchen und streifte ihn über meinen Finger. Er passte wie angegossen. Verwundert hielt ich meine Hand vom Körper weg und besah sie angestrengt. Dann lächelte ich Deandra zu, der ich noch immer eine Antwort schuldig war. Doch zuerst bettete ich den Ring wieder in sein samtenes Bett und schloss vorsichtig das Zedernholzkästchen. Erst dann hatte meine Schwester meine ungeteilte Aufmerksamkeit, die ich ihr nun mit leuchtenden Augen schenkte.


    "Ich denke nicht, dass wir etwas tun können. Sicher hat ihn diese Entscheidung Kraft und auch Mut gekostet. Ich weiß noch gar nicht, was ich jetzt sagen soll. Das kam so plötzlich und unerwartet..."


    Verlegen strich ich über das Holz des Kästchens und warf meiner Mutter einen Blick zu.

  • Ich schenkte meinem Sohn ein aufmunterndes und stolzes Lächeln. Der Augenblick hatte etwas besonderes. Mein Schwager hatte mich erstaunt, weil er meinem Kind etwas anvertraut hat, das mehr als ein Schmuckstück war. Meinem Kind, daher war ich sehr stolz. Auch ich neigte den Kopf zum Gruß, als mein Schwager ging.

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