Belenor hatte die Reise ins ferne Hispanien ziemlich mitgenommen. Zum ersten mal in seinem Leben fühlte er sich schlecht, krank, ausgelaugt und kraftlos. Seine Handgelenke brannten wie Feuer, fast schien es ihm als hätten ihm die Ketten das Fleisch bis auf die Knochen herabgescheuert und die Tatsache das man ihm kaum Bewegungsfreiheit liess, liessen ihm die Glieder schmerzen. Mit zehn weiteren Sklaven in einen Käfig gesperrt, tat er es ihnen gleich vollkommen geistesabwesend zwischen den Gitterstäben hindurchzustarren und die vorbeigleitende Landschaft zu betrachten.
Wie oft und auf welche Art er die Wachen der eskorte in Gedanken schon erwürgt, erschlagen, totgetreten hatte, wusste er nicht. Denn jene Gesellen hatten in seinen Augen nichts weiter als den jämmerlichsten aller Tode verdient. Die Art wie sie höhnten, wie sie die anderen sklaven maltretierten, oder ihnen vermittelten das sie nur bessere Tiere seien. Mit im Käfig befand sich der Sohn eines Stammeshäuptlings, es brachte sein Blut zum kochen wenn sie den jungen Mann schikanierten oder auslachten. Eines stand fest, wenn Loki ihm die Möglichkeit gab, dann würde er jenen beiden Gesellen schneller zu ihren Ahnen befördern, als es ihnen wohl lieb war.
Doch zogen sich die Tage schier endlos dahin, wohin auch immer die Händler ihn schafften, es schien das Ende der Welt zu sein. Schon lange waren keine grünen Tannenwälder mehr zu sehen, keine Hügel, keine morgendlichen Nebelschwaden. Die Gegend war ihm fremd, der sandige Boden kam ihm vollkommen unecht vor, ebenso wie die krüppligen Sträucher, die sich allenthalben am Wegesrand zeigten. Brennende Sonne den ganzen Tag und kaum Schatten, die Haut schon lange verbrannt und aufgesprungen. Die Zunge dick und beinahe schon taub, als gehöre sie nicht mehr zu ihm. Anfangs hatte nur das harte Metal der Ketten seine Gelenke geschunden, nun gesellte sich noch Sand dazu. Doch Schmerzen empfand er schon lange nicht mehr.
Tagaus, tagein rüttelte ihn der Käfig durch, tagaus tagein warfen ihm die Wachen Brot zu, als sei er ein wildes Tier. Zu "besonderen" Anlässen gab es Hirsebrei, so klebrig verkocht das er schon als solcher nicht mehr zu erkennen war. Gleich wer sich an den Topf stellte und diesen Zubereitete, er hatte noch weniger Ahnung als er, was schon etwas zu bedeuten hatte. Fleisch zu braten war nicht schwer, doch sobald es mit Töpfen anfing, hörte es bei ihm auf.
Wohl war ein Geistesverwandter dort am Werk. Und wie oft dieser seine Geschmacksknospen folterte, hatte er aufgehört zu zählen. Bald war es der blanke Hunger, der selbst die scheussliche Pampe schmackhaft machte...und der Wille nicht in diesem elenden Käfig zu verenden.
Lange hatte er sich die Gesichter derer eingeprägt, die dieses Schicksal mit ihm teilten. Verwahrloste Gestalten, heruntergekommen, gebrochen. Männer in den besten Jahren, die zweifelsohne einmal stolze Krieger waren wie er. Frauen, denen wohl viele Krieger vielsagende Blicke nachgeworfen hatten, als ihre Haare noch nicht verfilzt und ihre Kleider wie auch sie dreckig waren.
Eine dieser Frauen war ihm gegenüber angekettet, hätte er sie nicht in Ketten und auf diesem von den Göttern verfluchten Karren zum ersten mal gesehen, so hätte wohl auch er schöne Worte an sie gerichtet. Weizenblondes Haar,als hätte Sif ihr jene mit den Ähren eines goldgelben Weizenfeldes zu jener Farbe gerieben. Die Augen blau als ob Tyr selbst ihr etwas vom ungetrübten Himmel eines warmen Sommertages in jene entsandt hätte.
Dieses Weib musste wahrlich von vielen Kriegern und wohl auch Häuptlingen umworben worden sein, bevor sie in die Klauen dieser niederen Kreaturen geraten war.
Strahlend musste dieses Lächeln einmal gewesen sein, von den Göttern selbst gegeben. Doch auch sie, jene Schöne seines Volkes hatte wohl die Götter erzürnt, das sie solches Leid ertragen musste. Abend um Abend rissen sie sie aus dem Käfig, anfangs hatte Belenor diese Hunde noch versucht mit den Füssen davon abzuhalten, doch gab es den Knüppeln nichts entgegen zu setzen, da seine Hände an die Gitterstäbe gekettet waren. Abend für Abend musste er mit ansehen, wie sie der Schönen ein Stück mehr von ihrem Glanz nahmen, den Blick trüber werden liessen. Wieviele Worte er an sie gerichtet hatte. Worte, die ihr versuchten Mut zuzusprechen. Worte, die versuchten all das ungeschehen zu machen, was sie ertragen musste. Wieviel härter war ihr Los.
Um so vieles Schwächer, gebrechlicher. Sie war eine schöne Tochter seines Volkes, nicht zu vergleichen mit den schwächlichen Römerinen, von denen er den Eindruck hatte das sie wohl zerbrechen würden, würde eine germanische Hand sie berühren. Und trotz ihrer Herkunft war sie doch verletzlich.
Belenor begann bald alles und jeden in Frage zu stellen. Wo war Tyrs Speer, jene zu erschlagen die all dieses Leid brachten? Wo Loki, der sie ihnen auslieferte? Eir hatte sich abgewandt, als einer der Krieger krank wurde und täglich schwächer wurde, bis sie ihn eines morgens leblos aus dem Käfig zerrten und ihn am Wegesrand zurückliessen.
Doch bald musste er erkennen das alles hadern und zweifeln nichts half. Hier würde gewiss niemand mehr helfen. Scheinbar waren sie zu weit von der Heimat, als das Tyr, Loki oder Vidan sie noch hätten erreichen können.
Tage um Tage vergingen, bis sie die Stadt erreichten, in der jener Zug hielt. Belenor hatte viel Kraft verloren, viel seines unbändigen Willens und war beinahe genauso stumm und abwesend seinem Schicksal ergeben, wie all die anderen Gestalten, nun beinahe nur noch Kreaturen, die sie aus dem Käfig holten. Hüllen, Daseinsformen die es kaum wert waren noch Germanen genannt zu werden. Wohl für jene, die sein Volk nur aus Geschichten kannten groß und kräftig, aber tatsächlich nurmehr die Schatten jener, die vor langen Wochen die Reise in Germanien angetreten hatten.
Belenor war es gleich, als man ihn als Barbaren auf dem Stand des Sklavenhändlers anpries. Er entgegnete nichts dazu, war es müde selbst etwas dazu zu denken. An einen Pfahl gekettet, wie die anderen, pries der Händler die "starken Sklaven aus den Barbarenländern" an.
Viele gingen, viele aber standen noch immer auf der Empore, der etwa einen Schritt hohen Plattform. Belenor hatte den Blick gesenkt und trat vor, kaum das der Händler auf ihn zeigte. Die zwei Schritt langen Ketten waren schon mehr als alles was er in den letzten Tagen gewohnt war. So trat er vor, um sich begaffen zu lassen. Erduldete die Griffe an seine Oberarme, so sich jemand für ihn interessierte. Doch die blose Verachtung, jenes letzte bißchen Wille, welches noch nicht geschwunden war, liess den vermeindlichen Käufern dämmern das er gewiss nicht zögern würde sie zu erschlagen, so er die Möglichkeit dazu hatte.
Belenor hatte mit allem abgeschlossen, das wohl war es, was ihn so bedrohlich dreinblicken liess. Als er mal um mal zurück an seinen Pfahl ging und sich neben der Schönen niederliess, die wohl ebenso allen Mut hatte fahren lassen, zuckte er kurz zusammen, als ihn ein kleiner Stein am Kopf traf. Kurz hob er jenen an und verfolgte dessen Ursprung, erkannte bald den kleinen dicken Jungen, der grinsend eine ganze Hand voller Steine aufgesammelt hatte. Ein zweiter Stein traf ihn, doch regte er sich noch immer nicht. Dem Knaben schien es zu gefallen, vor seinem geistigen Auge glich jener Bursche nur einem dicken Ferkel.
Stein um Stein traf ihn, zwar verletzten sie ihn nicht, doch langsam aber sicher wurden seine Atemzüge tiefer. Bald wohl würde das kleine Ferkel von seinen Eltern mitgenommen und weiter gemästet werden. Belenor hoffte es. Doch als der Knabe erkannte das es dem Wilden egal schien...und dieser nichtmal die Hände hob, schien es ihm langweilig zu werden.
Als der nächste Stein allerdings nicht ihn, sondern Kara, die Schöne traf, fuhr jene zusammen und riss die Hände nach oben. Das Kettengerassel von ihr übertönte nur kurz das Rasseln seiner Ketten, als er einen Satz nach vorne machte und den Arm vorschnellen liess, um dieses dicke, dumme Kind am Hals zu packen. Pure Mordlust in den Augen, riss er den Arm nach vorne, bereit den Hals zu packen und dem kleinen Bastard mit der Hand das Genick zu brechen. Beinahe hörte er es schon knacken, als er gewahr wurde das es seine Schulter war. Die Kette war nur einen halben Spann zu kurz gewesen, als sie straff gespannt war und unvermittelt den Schwung stoppte.
Ein halber Spann war es, der den Jungen gerettet hatte. Die Hand wie eine Klaue geformt, den Blick wie ein wilder Bär, starrte der Bursche ihn einige Herzschläge kreidebleich an, ehe er die Steine fallen liess und die Beine in die Hand nahm. Ohne zweifel hatte er eben seinem Tod ins Auge gesehen, das schien selbst er begriffen zu haben. Belenus sah dem Burschen nach, der in Gedanken in seinem eisernen Griff gefangen war und zögerte, selbst als die Aufseher ihn mit den Stücken wieder zurücktreiben wollten. Zu viert zerrten sie ihn an den Ketten zurück und verkürzten jene.
"Seht selbst, ist jener Barbar nicht gerade zu das Beste, was ihr Euch als Schutz ins Haus holen könnt? Seid versichert, junge Burschen mit Steinen wird er abzuwehren wissen!", einige lachten, Belenor tat es nicht, welcher sich Kara zuwandte und einige rauklingende Worte an sie richtete.