Minervina hatte am Vorabend nur sehr schlecht einschlafen können. Die Gedanken an die Zukunft hatten sie gepeinigt und sie ihres Schlafs beraubt. Schon lange ruhte diese Aufregung in ihrem Herzen, doch nun war sie erwacht. Sie würde in eine völlig fremde Welt gehen, ganz gleich wie viele Menschen sie dort kannte. Es würde nicht mehr das Gleiche sein wie daheim. Was sich wohl in Rom alles verändern würde? Und ob sich alle ihre Erwartungen dort erfüllen würden? Die eines geeigneten Mannes, den sie vielleicht sogar lieben konnte? Und was würde der Götterkult alles für sie bereithalten? Sie hatte sich fest vorgenommen, ihren Weg klarer als ihre Mutter zu beschreiten, in jeder Lebensweise.
Diese Gedanken und viele mehr hatten sie beschäftigt und so war sie, wenn auch völlig übermüdet, schon mit dem ersten Sonnenstrahl aufgestanden. Sie hatte sich auf dem Weg in die Sklavenunterkünfte gemacht und sich Daphne auf ihr Zimmer bestellt. Heute war ein besonderer Tag und an diesem Tag wollte sie auch etwas Besonderes aus sich machen. Sie lehnte ihr Haar in eine Schale mit heißem Wasser und duftenden Ölen, die Daphne wusch. Sie gab sich viel Mühe und es schien ihr endlich einmal eine Arbeit zu sein, die sie konnte und sie ihr einigermaßen Spaß bereitete. Minervina seufzte wohlig auf, während die ersten Sonnenstrahlen sich schon zu einem stetigen, noch kalten Licht gebündelt hatten und warm durch die Fenster in die Casa fielen. Als Minervinas Haar gewaschen war, band Daphne diese zu einem Knoten hoch und die junge Frau zog sich an. Eine weiße Tunika und eine grüne Palla hatte sie sich für den heutigen Tag erwählt und so schritt sie ein letztes Mal allein vor die Tür der Casa Rediviva.
Auch an Belenor musste sie denken. Wie würde er mit der neuen Heimat zurechtkommen? Er schien Angst vor Rom zu haben, wenn auch nicht körperlicher, sondern geistiger Natur. Aber er würde vermutlich nicht einmal verstehen, wohin die Reise ging. Zudem war sie die Herrin und hatte über sein Leben zu bestimmen, wenn sie dies auch nicht ohne Sorgen tat. Leise hallten ihre Schritte durch die Straßen Tarracos. Nur wenige Menschen liefen schon geschäftig die Straßen entlang und diese wenigen schienen von ihr keine Notiz zu nehmen. Sie allerdings betrachtete die Welt als etwas völlig Neues, etwas besonderes. Das alles hier wäre bald keine Gegenwart mehr für sie, doch andere würden fortleben wie immer. Es war ein seltsamer Gedanke, der ihr während ihres Lebens noch nie gekommen war.
Als sie den Blick nach oben wandte, trat allerdings ein glückliches Leben und keine Trauer in ihre Züge. “Vater, von heute an weihe ich mein ganzes Leben deiner Liebe. Bitte wisse dieses Geschenk zu schätzen. Doch Minervina zweifelte nicht daran, dass er dieses Geschenk schätzen würde. Mit jedem weiteten Schritt nahm das Kribbeln in ihrem Bauch zu, doch es war nicht nur Angst, sondern auch freudige Erregung. Mittlerweile verband sie nur noch Tod und Leid mit Tarraco – was würde ihr Rom bringen? Unter diesen Gedanken setzte sie ihren Spaziergang fort, bis sie beschloss, dass es an der Zeit war, wieder nach Haus zu gehen, wo man schon auf sie wartete.
Hier bitte ich nun die ganze Familie darum, mitzuschreiben J Es ist der Abschied und heute Abend möchte ich gern schon abgemeldet sein. Jeder der ihr Lebewohl sagen möchte, möge es bitte hier tun