Gespräch unter vier Augen

  • Claudius kam ohne Umschweife zur Sache.


    "Ich suche in diesem Gespräch Antworten für mich, denn ich beabsichtige nicht nur meine Stimme für den Princeps, sondern auch für den Vicarius abzugeben und ich bin derzeit noch unentschlossen", leitete der Offizier sein Anliegen ein.


    "Um es kurz zu machen… Normalerweise hätte dein nomen gentile ausgereicht, um dir meine Wahlstimme zu sichern, denn ich stehe in engem und in gutem Kontakt gleich zu einer gewissen Anzahl von Aureliern, die mir allesamt vorbildlich in ihren Ansichten und in ihrem Auftreten bekannt sind. Für mich ist ein Aurelier gleichbedeutend mit einem Konservativem, aber ich gestehe… bei dir bin ich ins Zweifeln gekommen. Verzeih die direkte Frage, aber in der Curia geht es neuerdings um politische Ränkespiele statt um die Qualitäten eines Mannes, daher die Frage: Trügt der Schein oder ist auf deiner Seite tatsächliche eine Affinität zu den Liberalen vorhanden?"


    Langsam schritt er den Säulengang entlang. Er würde sich einiges anhören, aber sicher nicht überstürzt Entscheidungen treffen.

  • Ich hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und hörte dem Claudier beim Gehen aufmerksam zu. Gedacht hatte ich mir schon etwas in dieser Hinsicht, doch dass man in mir einen Liberalen vermutete, verblüffte mich doch etwas, was ich allerdings nicht zeigte. Stattdessen blieb ich stehen und legte dem Offizier kurz die Hand auf den Unterarm.


    "Verehrter Vesuvianus", begann ich.
    "Die von dir erwähnten Ränkespiele sind mir ebenfalls aufgefallen. Nenne mich bitte nicht liberal, das bin ich nicht. Ich gedenke, mit meiner Kandidatur der curia eine konservative Spitze zu stellen, keine liberale, nicht einmal annähernd. Doch was ich kürzlich unter erwachsenen Männern in der curia erleben musste, ließ mich doch etwas überrascht zurück. Du und der Caecilier, ihr seid wahrlich keine Freunde, das haben inzwischen alle sodales curiae mitbekommen. Doch sag, was hat dich dazu verleitet, diese Fehde über deinen Rang zu stellen? Verzeih mir, wenn ich so offen spreche, aber ich hätte das von dir nicht erwartet. Man erzählte mir vieles über dich. Mein Vater sprach von großer Wertschätzung, meine Verwandten von guter Freundschaft und dergleichen. Ich möchte nicht voreingenommen sein, Vesuvianus, aber das Verhalten in der curia kann ich nicht verstehen."


    Ich wandte mich nun um und ging weiter, den Claudier von der Seite her musternd. Ich hatte mir alle Mühe gegeben, die Worte nicht anklagend, sondern freundlich nachforschend klingen zu lassen, denn mich verband kein Streit mit diesem Manne, im Gegenteil.

  • Claudius blieb ebenfalls stehen, atmete einmal tief durch, nahm den Schritt wieder auf und nickte verhalten.


    "Natürlich, ich habe meine Würde kurzzeitig vergessen", murmelte der Offizier und zeigte sich beschämt, dass ihn ein Jüngerer darauf aufmerksam machte. "Da kam in den letzten Wochen eine Menge zusammen - hier, in der Legion, privat… aber das ist dennoch kein ausreichendes Argument."


    Dass er weder Callidus noch Crassus ausstehen konnte, kam noch hinzu, verdiente aber nicht der Erwähnung. Die nächsten Schritte legte der Offizier schweigend zurück.


    "Wie es aussieht, verfügst du über einiges Geschick und Diplomatie. Ursprünglich wollte ich Antworten, jetzt hast du den Spieß einfach umgedreht. Aber ich möchte vorschlagen, dass wir es dabei belassen. Wenn es dich dennoch interessiert, was einen Offizier dazu veranlassen kann, seine Haltung aufzugeben, frag deinen Vater. Er ist nach mir der Dienstälteste in der Curia und er dient in derselben Einheit."


    Vesuvianus strich sich nachdenklich über das Kinn, bevor er seine Gedanken äußerte.


    "Ich wiederhole mich gerne noch einmal, aber bisher war es in der Curia vollkommen egal, welchen politischen Richtungen die Mitglieder angehört haben. Weil aber dieser Callidus auf eine liberale Führung drängt und jede Rücksicht vermissen lässt, möchte ich nun meinerseits jemanden an der Spitze, der ihm nicht hörig ist und möglichst eine andere Richtung fährt. Dio sagte vorhin, er sieht sich als Vermittler und Verwalter der Ideen zwischen Tradition und Moderne. Nichts gegen Diplomatie, aber ich möchte keine geschickte Kurvenfahrt, sondern eine klare Linie. Was er damit meint, werde ich noch erfragen, aber ich würde gerne wissen, wie du darüber denkst - solltest du gemeinsam mit Dio die Spitze stellen."

  • Ich bemerkte seine Beschämung und ging nicht weiter darauf ein. Er schien selbst gemerkt zu haben, dass es unter seiner Würde gewesen war. Also bestand kein Grund, weiters darauf herumzureiten. Ich lächelte und wartete während der wenigen stummen Schritte darauf, dass er weitersprach, was er schließlich auch tat. Seine Worte veranlassten ein Nicken meinerseits. Ich würde meinen Vater fragen.


    "Ich sehe das genauso wie du", antwortete ich dann.
    "Die politischen Richtungen der sodales waren seit jeher gleich. Doch wenn der comes der Politik der provincia nun eine klare Richtung geben möchte, ist es unsere Pflicht, jene einzuschlagen, welche die Traditionen und Werte des populus romanus achtet und durchsetzt, dass sie weiterhin gelten und für voll genommen werden. Ich spiele ebenfalls mit dem Gedanken, Octavius Dio meine Stimme zu geben, denn ich halte es für nicht angemessen, für mich selbst zu stimmen."


    Ich hielt inne und betrachtete den Claudier, dann nickte ich.
    "Ja, die Antwort auf diese Frage interessiert mich ebenfalls. Sollte sie wünschenswert ausfallen, erhält er meine Stimme. Eine Schichterrolle als princeps ist nicht erstrebenswert. Man kann auch nicht nur ein bisschen schwanger sein - entweder man ist es, oder aber nicht. Und genauso sehe ich das: Ganz oder gar nicht."


    Ich deutete zurück und ging in der entgegengesetzten Richtung weiter, denn es schien so gut wie alles besprochen.
    "Was mich selbst angeht, so kann ich dir versichern, dass ich die Traditionen wahren werden, wie es sich für einen Patrizier gehört. Dazu gehört auch, dass die Besetzung von Ämtern mit Frauen für mich selbst tabu ist, was allerdings nicht heißen soll, dass ich beispielsweise Iulia Helenas Argumente und Einwände ignorieren würde, so sie denn angemessen und richtig erscheinen. An ihr ist ein guter Mann verloren gegangen", scherzte ich.

  • Claudius hörte aufmerksam zu und war sichtlich beeindruckt.


    "Hättest du derart weise und zugleich überzeugende Worte bereits im Vorfeld gefunden, wäre dieses Gespräch ebenso unnötig gewesen wie der eine oder andere Zweifel an deiner Person. Ich bin mir sicher, niemand hat vermutet, dass in einem derart jungen Mann solch gefestigte Persönlichkeit stecken könnte."


    Das Bild über die Aurelier war mit einem Schlag wieder zurechtgerückt, was den Offizier freute. Sah er doch seine Zweifel nicht bestätigt.


    "Ich werde dir mein Vertrauen für das Amt des Vicarius aussprechen, möchte dich aber bitten, in diesem Fall dir selbst deine Stimme zu geben. Zwei Gründe: Zum einen gibst du damit kund, dir selbst dieses Amt zuzutrauen und zum anderen wird deine Stimme für das Erzielen der Mehrheit gebraucht. Insgesamt kann ich sagen, dass ich nun der kommenden Arbeit in dieser Einrichtung wieder hoffnungsvoll entgegensehe."


    Der Offizier folgte dem Richtungswechsel und so strebten die beiden Männer langsam wieder dem Sitzungssaal entgegen.


    "Rom hat einige erstaunliche Frauen hervorgebracht - kluge, umsichtige, den Sitten und Überlieferungen anhängende. Dennoch vertrete ich klar die Auffassung, dass sie ihre überlieferte Rolle nicht verlassen dürfen, wenn Rom eine Zukunft haben soll, die Götter den Menschen wohlgesinnt und der Manne dem Weib zugeneigt bleiben soll."


    Nach kurzer Pause fügte Claudius an: "Es hat mich sehr gefreut, dich in Übereinstimmung mit den Traditionalisten und somit auch mit mir zu sehen."

  • Ich lächelte und wurde leicht verlegen ob der lobenden Worte des Claudiers. Dennoch war mir mit einem Mal klar, warum er ein Freund der Familie war - und wohl auch der meine werden würde. Seine Erklärung bezüglich des nötigen Votums erschien einleuchtend, also beschloss ich, meine Stimme nicht zu enthalten, sondern mir selbst zu geben, so zuwider es mir auch war.


    Kurz bevor wir die curia wieder betraten, sprach Vesuvianus mir sein Vertrauen aus und ich hielt inne und sah ihn ernst an.
    "Ich danke dir für dein Lob, Vesuvianus. Und ich möchte dir sagen, dass meines Vaters Entscheidung eine weise war, dich als Freund der Familie anzusehen. Es wäre mir eine Ehre, wenn wir diese Ungereimtheiten vom Beginn unseresn Gesprächs mit einem Handschlag abtun und eine Freundschaft beginnen könnten", sprach ich und hielt ihm meine Hand hin.

  • Auch auf dem Gesicht des Claudiers lag inzwischen ein Lächeln, als er sich Corvinus kurz vor Erreichen der Curia zuwandte.


    "Mit deinem Vater, aber vor allem auch mit Aurelius Sophus, der lange mein Centurio und jetzt unser beider Praefectus ist, verbindet mich eine inzwischen langjährige Freundschaft. Kürzlich stieß ein weiterer Aurelier zur Legion, der mir ebenfalls positiv aufgefallen ist. Es ist mir eine Ehre, als Freund der Familie gesehen zu werden und gern besiegele ich diesen Bund auch mit dir."


    Durchaus bewegt, dieses aber mit einem Lächeln verbergend, ergriff Vesuvianus die ausgestreckte Hand und drückte sie.

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