Entzweit? Wieder vereint?

  • Ein junger Herr wartete im Capitol, hatte man ihr gesagt. Valeria hatte noch an der Prüfung geschrieen und war ganz darin vertieft gewesen. Dann jedoch hatte es geklopft und nun war sie auf dem Weg in den großen Raum des Tempels. Dort, wo in vielen Nischen kleine Altare aufgebaut waren, die Minerva, Iuppiter und Iuno geweiht waren.


    Valeria fragte sich, wer um diese Uhrzeit eigentlich noch opfern wollte, oder um was es ging, dass man sie aus ihrem Officium geholt hatte. Immerhin waren doch zahlreiche andere Popae und Sacerdotes unterwegs. Aber nein, der Herr habe nach ihr verlangt, ausdrücklich.


    Das Geräusch der Schritte der jungen Frau hallte von den Wänden aus weißem Marmor wider. Es war Abend, die Sonne mochte in wenigen Minuten, längstens aber in einer Stunde untergehen und Valeria war nur noch hier, weil sie etwas für ihre Schülerinnen erledigte und im Praetorium keine Ruhe hierzu finden würde.


    Schließlich mündete der Säulengang in den Gebets- und Opferraum und Valeria machte eine hochgewachsene Gestalt aus, die im Sonnenlicht am Eingang stand. Sie trug eine Toga Virilis, was nicht verblüffend war. Jugendliche kamen in Germanien kaum zum Opfern oder zum stummen Gebet mit den Göttern. Das Gesicht konnte sie nicht erkennen, denn zum einen stand der Mann mit dem Rücken zu ihr, zum anderen befand sich hinter ihm genau die Sonne, die Valeria blendete und der Gestalt des Mannes eine seltsame Aura gab.


    Die Schritta wurden langsamer, verstummten schließlich, als Valeria in etwa vier Metern Abstand stehen blieb und leise, aber dennoch freundlich die Stimme erhob.


    "Salve! Ich bin die Sacerdos Decima Valeria. Man sagte mir, dass du mit mir sprechen wolltest?" fragte sie in einem warmen, angenehm klingenden Tonfall. Dann musterte sie den Fremden - oder eher gesagt dessen Rücken - und wartete darauf, dass er sich herumdrehte und sein Anliegen vorbrachte.

  • Der Ort war befremdlich, auch wenn er im Tempelbezirk stand, umringt von Altaren und Götterbildern. Womöglich lag das allein daran, dass er sich hier und jetzt, mit dem, was ihm bevorstand, keineswegs wohl fühlte. Er würde Gewissheit erlangen. Gewissheit, die er zwei Tage lang auf sich hatte warten lassen. Was seine Eltern ihm erzählt hatten, hatte er nicht ohne weiteres glauben wollen oder können. Er wusste, dass sie gegen die Verbindung ihres Sohnes mit einer vermeintlichen Cousine gewesen waren. Aber traute er tatsächlich ihnen zu, dass sie ihm deshalb so übel mitspielten? Nein. Weder wäre er auf diese Idee gekommen, als Meridius ihm davon kurz nach seiner Ankunft erzählt hatte, noch als Iulia es ihm bestätigt hatte.


    Da stand er nun. Er hatte etwas abgenommen, wirkte trotz der heißen Tage, die sich dereinst über die Menschen legte wie eine dicke, warme Decke, blass. Selbst seine Haltung war eine andere geworden. Er hüllte sich in das Licht der untergehenden Sonne, sah beinahe direkt hinein und dann wieder weg.


    Endlich hörte er Schritte hinter sich, deren Art er meinte zu kennen. Jemand kam näher und blieb unweit von ihm stehen und sprach ihn mit jener Stimme an, die er auf seiner langen Reise so häufig vermisst hatte: Valerias Stimme. Ihr klang war so vertraut, dass dem Wartenden unmittelbar ein Lächeln auf die bis eben starren Gesichtszüge trat, gleichzeitig begleitet von einem eisigen Schauer, der ihm den Rücken hinunterglitt. Er wartete beide Empfindungen ab, dann wandte er sich langsam zu der Sacerdos Decima Valeria herum, den Blick anfangs noch gesenkt, dann aber anhebend und die junge Frau ansehend.


    Hunderte Male hatte er sie schon so angesehen. Nicht hier, aber daheim. Gleich wurde das befremdliche Gefühl, das ihn schon ergriffen hatte, als er den Tempelbezik betreten hatte, noch stärker. Sie hatte sich verändert. Und es waren nicht diese kleinen, unwichtigen Veränderungen wie eine neue Haarfrisur oder eine andere Farbe auf den Lippen. Natürlich hatte sie sich verändert, aber sie war immer noch so wunderschön, wie er sie zuletzt in Tarraco gesehen hatte, am Tage ihrer Abreise. Er hatte sich nicht von ihr verabschiedet, jedenfalls nicht an diesem Tag. Aber er hatte ihrer Abreise zugesehen, wo sie ihn nicht hatte entdecken können.


    "Salve, Valeria.", begrüßte er sie und lächelte, denn er freute sich sie wiederzusehen.

  • Valeria musste nicht lange warten, bis sich der Mann umwandte, zuerst den Blick noch gesenkt hielt, dann zu ihr aufsah und ihr ein Lächeln schenkte, das ihr sogleich durch Mark und Bein fuhr. Sie riss die Augen ungläubig auf, hob geistesabwesend eine Hand und machte zugleich drei hastige Schritte rückwärts. Ihr war heiß und kalt zugleich, sie verspürte ein beklemmendes Gefühl im Hals und begann zu zittern.


    Das war Maximian! Er war es! Hier! Jetzt! Valeria starrte ihn an, als sei er ein Geist. Sie konnte es nicht fassen. Nun, da sie wieder schlank und rank war, kam er her. Er wagte es, jetzt herzukommen! Zwei weitere Minuten stand sie so stumm vor Maximian und musterte ihn ausdruckslos in dieser Abwehrhaltung. Dann ließ Valeria die Hand langsam sinken und zwang sich dazu, wieder ruhiger zu werden. Der Kloß in ihrem Hals verschwand nicht, wurde im Gegenteil sogar noch größer. Die Verblüffung hatte sie von ihrem Gesicht gewischt. Maximian war sichtlich zu einem Mann gereift. Er war noch einmal ein gutes Stück gewachsen und hatte etwas abgenommen, war muskulöser geworden seit dem letzten Mal, an dem sie sich gesehen hatten. Und das war sehr lange her.


    Und dann kamen Enttäuschung, Wut und Trauer wieder hervor und Valeria presste die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen, während sie dort stehen blieb, wo sie war, nur wenige Schritte und zugleich Welten von Maximian entfernt. Ihrem Maximian, der er einmal gewesen war. Sie hatte ihn verflucht, als sie die Schmerzen bei der Geburt ihres Sohnes ausgestanden hatte und er es nicht einmal für nötig erachtet hatte, ihr beizustehen. All die Gedanken kamen ihr jetzt wieder; und als sie sprach, reichte es nur für ein leises, anklagendes und dennoch sehr ruhiges und gefasstes:


    "Warum kommst du jetzt hierher, Maximian?"

  • Ihre Reaktion erschrak ihn. Er sah sie verwirrt an und war ihr einen Schritt gefolgt, als sie vor ihm zurückgewichen war, war dann jedoch stehen geblieben und hatte sie verdutzt angesehen. Ihr Blick war es, der ihm durch Mark und Bein ging. Sie sah ihn an, als wäre er bereits tot gewesen oder jemand, vor dem sie große Furcht haben müsste. Er wusste nicht welche der beiden Vorstellungen ihm mehr schmerzen konnte.


    Und dann fragte sie ihn, warum er jetzt hierher kam. So wie sie es sagte, hörte es sich jedoch an, als würde sie ihn fragen, warum er überhaupt herkam. Warum? War es um ihre Beziehung so schlecht gestellt, dass sie sich das nicht mal mehr denken konnte? War sie wütend auf ihn? Freute sie sich denn kein bisschen ihn wieder zu sehen?


    Er wusste ihre Reaktion rein gar nicht einzuschätzen und war erneut einige Augenblicke komplett sprachlos, stand wie angewurzelt auf der Stelle. Sein Kopf war während dieser Augenblicke leer, aber dann zwang er sich nachzudenken. Was konnte er ihr sagen? Er wusste es nicht. Jetzt nicht.


    Der junge Mann schluckte, ließ den Blick suchend sinken. Er suchte etwas, an dem er sich festhalten konnte, denn Valeria schien in diesem Moment alles andere als sein Fels in der Brandung.
    "Ich...", begann er und stockte sogleich wieder, schließlich doch wieder aufsehend. Er seufzte - es brachte ja alles nichts. "Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass es... dass es mir leid tut. Ich habe bereits vom Tod... unserer Kindes gehört." Wieder schluckte er und sah Valeria an, die Arme schlaff zu jeder Seite seines Körpers herunterhängen lassend. Er wurde sich bewusst, dass er Valeria jetzt nicht dazwischen sprechen lassen durfte und so redete er gleich weiter. "Es tut mir so leid. Wenn ich das geahnt hätte.... ich.... Ich wäre rechtzeitig da gewesen, das verspreche ich dir. Ich frage mich warum, aber die Götter haben mir auf der Reise zu dir einen großen Stein in den Weg gelegt. Um ein Haar wäre ich.... jetzt nicht hier, sondern bei unserem Kind."


    Maximian machte eine kurze Pause und sah Valeria an. Wie nahm sie das Gesagte auf? Sollte er jetzt von Romanus Tod berichten? Sollte er schweigen? Beides beantwortete er sich mit einem klaren Nein, wandte sich von Valeria ab und sah wieder in die untergehende Sonne. Es war an der Zeit, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Damit wollte er gleich beginnen und ahnte, dass sie damit ohne weiteres anknüpfen würde.


    "Wie ich gehört habe, hat sich in deinem Leben aber noch etwas anderes getan." Seine Stimme war plötzlich ganz anders geworden. In DEINEM Leben. Einst war er ein Teil davon gewesen, aber jetzt war alles anders. Es war ein Stich ins Herz, als er sich dem gewahr wurde, auch wenn er hätte wissen müssen, dass es früher oder später so kommen musste. Er war in den Wochen vor Valerias Abreise nicht der gerwesen, der er eigentlich hätte sein müssen.

  • Valeria sah Maximian nur ausdruckslos an. Was bildete er sich eigentlich ein, jetzt hierher zu kommen, nach allem, was geschehen war? Und warum kam er erst jetzt? Sie hatte sich ja schon sehr gewundert, dass er nicht einmal auf der Hochzeit seiner Eltern erschienen war, das hatte dem Berg ja noch den Gipfel aufgesetzt. Aber dass er nun hier stand und davon redete, was gewesen wäre, WENN??


    Sie griff sich an die Schläfen und schloss die Augen. Das war zuviel. Nicht nur, dass der verschollen geglaubte Vater ihres Kindes sich nicht gemeldet hatte, sondern auch ihre Probleme im Cultus Deorum, die Tatsache, dass Meridius ganz ung gar nicht begeistert von Livianus und ihr war... Alles schlug in diesem Moment, da Maximian leibhaftig vor ihr stand, über ihr zusammen wie eine Welle, die sie zu ertrinken trachtete. Sie vernahm die letzten Worte Maximians wie in Trance, und als sie wieder aufsah, stand Maximian leicht abgewandt da. Valeria ließ die Hände sinken. Kurz darauf konnte Maximian Schritte vernehmen, die sich entfernten und nach wenigen Momenten wieder inne hielten. Valeria stand nun an einem Altar für Iuno und richtete vollkommen unnötiger Weise die Statue, die darauf stand. Sie wischte wenige Staubkrumen fort und stützte sich dann kraftlos auf dem Altar auf.


    Ihre Welt hatte einen Knacks bekommen und sie hatte sich selbst in eine unmögliche Situation bugsiert. Zuerst erbebten die Schultern nur lautlos, dann echote ein leises Schluchzen von den marmornen Wänden des Capitols wider. Valeria weinte stumm vor sich hin. Einen klaren Gedanken zu fassen war ihr im Moment nicht möglich. Was sie allerdings wusste war, dass sie Maximian nicht an sich heranlassen würde. Nicht jetzt. Nicht mehr. Vielleicht nie mehr.

  • Er hörte nur, was hinter sich vorging. Eine ganze Weile lang regte er sich nicht, sah nicht, wie Valeria sich auf den Altar stützte. Erst als das Schluchzen hörbar wurde, regte er sich etwas. Dabei sah er nicht gleich zu ihr, sondern verharrte nochmal einen Moment und sah dann langsam zu ihr.


    So wie sie jetzt standen, war die Situation der beiden. Zwischen ihnen lag so viel, das sie auf Distanz hielt. Da waren keine positiven Gefüle mehr, wo man hinsah, erblickte man nur Schmerz und Kälte und Verbitterung und Ablehnung und Trauer in Gestalt eines Menschen, den man liebte. Maximian liebte Valeria, aber er wusste, dass es andersrum nicht mehr der Fall sein konnte.


    Er atmete tief durch und stand auf. Ihn überkam das Bedürfnis, Valeria tröstend in die Arme zu nehmen, wie in alten Zeiten. Er ging einige Schritte auf sie zu, dann erstarb dieses Gefühl. Es war, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. So sehr er es auch wollte, er konnte Valeria nicht trösten. Sie leibte ihn nicht mehr, sondern einen anderen, wenn stimmte, was seine Eltern ihm erzählt hatten. Einfach so. Es mochten einige Monate vergangen sein, in denen Maximian und sie weit voneinander entfernt gewesen waren. Aber konnte das tatsächlich ausreichen? Waren Monate in der Liebe sonst nichts weiter als Kieselsteine?


    "Wer ist er?", fragte er unvermittelt, denn er wollte von Valeria hören, dass es da tatsächlich jemand anderen gab.

  • Valerias Tränen verebbten nur deshalb, weil sie sich zwang, aufzuhören mit dem Weinen. Sie hielt sich noch immer an dem Altar fest und atmete betont regelmäßig und langsam ein und aus. Langsam beruhigte sie sich wieder. Wenn da nicht Maximians Worte gewesen wären.


    Valeria drehte sich langsam herum und stand Maximian gegenüber. Sie zwang sich, nicht sofort zu ihm zu laufen und ihm eine Ohrfeige zu verpassen, konnte sich aber nicht zurückhalten und ging mit großen, raschen Schritten auf ihn zu, stieß ihn vor die Brust und schrie ihn wütend an.


    "Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Lucius!? Du lässt dich wochenlang nicht hier blicken, dich interessiert kein Stück, was aus deinem Kind geworden ist, was aus MIR geworden ist! Und dann kommst du hierher und verhörst mich? Ist das deine Auffassung von Liebe? Von Sorge? Von Vaterschaft? Was willst du, warum bist du hierher gekommen?"


    Ihre Stimme hallte von den Wänden wider. Einige Popae hatten erschrocken nach der Ursache des Lärms gesucht und sich dann dezent zurückgezogen und Valeria mit dem Fremden allein gelassen. Die junge Frau stand direkt vor Maximian und sah heftig atmend zu ihm auf. Sie verstand nicht, was das alles sollte, warum er gekommen war und was er nun vor ihr wollte. Warum interessierte ihn, wie sie nun lebte oder mit wem sie nun zusammen war? Es hatte ihn doch während der letzten Wochen, ja Monate, auch nicht interessiert.

  • Sie war ja so wütend auf ihn, dabei wusste sie nicht einmal die Hintergründe dafür! Ihre Wut auf ihn machte nun ihn wütend. Beinahe wäre er geplatzt, aber dass konnte er dann nochmal verhindern. Stattdessen sah er sich rasch um, weil er ungern Zuschauer haben wollte, wenn er sich mit seiner.... mit... Valeria stritt und die Beziehung damit gänzlich zerbrach. Danach sah es in diesem Moment zumindest aus.


    "Warum ich hierher gekommen bin? Mach die Augen auf, Valeria! Weshalb bin ich wohl hier? Etwa weil ich dir zu deinem neuen Glück gratulieren will?!" Er schnaubte und - ja, so konnte man es sagen - sah Valeria verärchtlich an. Jetzt bebte auch er, aber er sprach nicht sonderlich laut, sondern sehr scharf. "Kennst du mich denn nicht mehr? Ich weiß, ich habe dich in Tarraco enttäuscht. Aber im Stich gelassen habe ich dich nicht! Damals nicht und auch nicht jetzt. Und willst du wissen, weshalb nicht?", fragte er nach und hielt Valerias Blick stand. Er konnte es nicht verstehen, warum sie nicht gefragt hatte, weshalb er erst jetzt gekommen war und ihm einfach mal vorwarf, dass er treulos und feige war. "Weil ich bei deinem Bruder.... Romanus geblieben bin, als ein Fieber ihn langsam aber sicher schwächte und innerlich verbrennen ließ! Hätte ich ihn allein zurücklassen sollen, Valeria? Bei den Göttern, vielleicht hätte ich es getan, wenn ich gewusst hätte, dass unser Kind sterben sollte und du dir gleich den nächsten schnappen würdest!"


    Maximian konnte das alles nicht fassen, aber vorallem war er überrascht, dass er Valeria gegenüber so hart sein konnte. Mit starrem Blick sah er sie immer noch an, teilweise sich selber hassend, dann fuhr er sich mit der Hand über den Mund und wandte sich wieder ab, die Hände in die Seiten gestemmt und den Kopf schüttelnd.
    Was war nur aus ihnen geworden? Einst hatte sie nichts auseinander halten können. Und nun?


    "Wenn es dir so missfällt mich zu sehen, werde ich auf der Stelle zurück nach Mogontiacum reiten. Und ich hatte mir wirklich gewünscht, meine Eltern hätten sich getäuscht und du wärest in Sorge um mich beinahe krank, so wie ich das... so wie ich das an Romanus' Seite tagelang war, wenn ich an dich dachte und an all die Fehler, die ich in Tarraco gemacht habe."
    Er lächelte bitter und ließ die Arme aus den Seiten rutschen, Valeria noch einmal ansehend. Sie stand da wie ein Haufen Elend. Ein Haufen Elend, für den er immer noch so viel empfand, dass er lieber auf der Stelle gestorben wäre, als ohne ihn einmal in den Arm genommen und nochmal seinen warmen Duft gerochen zu haben davon zu reiten und sie dem zu überlassen, der ihn selbst aus ihrem Herzen verdrängt hatte.


    Beinahe hätte er sich losgerissen und wäre gegangen, da machte er noch einmal seinen Mund auf. "Wer ist es, der jetzt all das richtig machen kann, was ich dir schuldig geblieben bin?", fragte er mit schwächelnder Stimme und einem verräterischen Glitzern in den Augen, während sein Herz schneller pochte, als es das jemals zuvor getan hatte.

  • Valeria zuckte erschrocken zurück ob Maximians heftigem Ausbruch. Sie hatte nicht erwartet, dass er sie so anfahren würde. Verdattert sah sie ihn an. Maximian, der nur wenige Zentimeter vor ihr aufragte und irgenwie Bescheid wusste. Sicher von seinen Eltern. Auf die Frage, ob sie ihn nicht mehr kannte, hätte sie am liebsten mit einem abfällig en Nein geantwortet, doch der Kloß in ihrem Hals verhinderte, dass sie überhaupt auch nur einen Ton herausbekam. So starrte sie ihn nur weiter an und wurde dabei innerlich immer kleiner.


    Und dann griff eine kalte Hand nach ihrem Herzen und drückte zu. Fieber? Romanus? Maximians Worte lösten ein unerträglich schlechtes Gewissen bei Valeria aus. Betreten sah sie zur Seite, denn Maximians Blick konnte sie in diesem Moment nicht mehr standhalten. Eine kurze Pause entstand, als Maximian sich abwandte und die Hände in die Hüften stemmte.


    "Wo...wo ist er?" fragte Valeria leise, obwohl das feine Gespür der Frau zur Deutung derTonlagen einer Unterhaltung schon längst herausgefiltert hatte, dass die Antwort nur noch mehr Tränen auslösen würde. Valeria schluckte krampfhaft. Der Zorn auf Maximians Ausbleiben war fortgewischt, zurück blieben Verwirrung, Trauer und ein winziges Bisschen Liebe, neben einer alles verschluckenden Leere.


    Sie hob den Blick und fragte erneut, fast flehend:
    "Wo ist Romanus, Max?"


    Doch Maximian antwortete nicht, sondern sprach von Mogontiacum und seinen Eltern. Also wusste er es doch von ihnen. Valeria wurde schwindelig, sie konnte sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten, doch nach außen hin war das nicht sichtbar. Als Valeria nun sprach, wurde sie immer leiser und verstummte schließlich mit einem verwirrten Kopfschütteln.
    "Ich...aber...warum hast du dich nicht gemeldet? Einen Brief geschrieben? Lucius, ich....es war... Wir dachten, du.... Der Praefectus Portuensis, er sagte, du seist nicht an Bord gegangen, obwohl du auf der Passagierliste...."


    Die flehende Stimme Maximians und vor allem dir Worte, die er sagte, machten Valeria vollends zu einem kleinen Häufchen Elend, das am liebsten unter dem Teppich verschwunden wäre. Doof nur, dass es hier keinen gab. Sie schluckte und sah beschämt zur Seite. Während sie alle erdenklichen Ausreden gesucht und auch gefiunden hatte zum Thema Maximian, hatte er mit Fieber auf dem Lager gelegen. Und nun...


    "Marcus", flüsterte sie beschämt.
    "Livianus."


    In Zeitlupe hob sie den Blick und sah Maximian an. Fast schon fürchtete sie, dass er sie gleich schlagen würde. Tränenflüssigkeit hatte sich in ihren Augen gesammelt und eine einzelne Träne löste sich nun und rollte langsam an ihrer Wange herunter.

  • Maximian schnaufte leise, als Valeria herumzustottern begann. Die letzten Wochen waren eine schreckliche Tragödie gewesen, die sich so nicht hätte ereignen müssen - oder zumindest nicht in ihren ganzen Ausmaßen. Dem war sich sicherlich keiner der beiden momentan schon bewusst, aber später einmal würden sie all das zusammenzählen und sich fragen, wie es so weit hatte kommen können.


    "Ich hatte all unser Reisegeld sparen müssen, um Romanus Abtransport nach Roma sicher zu stellen. Deswegen kein Brief.", antwortete Maximian und schluckte die überschäumenden Gefühle herunter. Er hatte nach Romanus' Tod ja kaum mehr genug Geld zum Überleben gehabt, so schwach wie er zu der Zeit selbst gewesen war.
    "Hätte ich einen Weg gesehen..... ich hätte euch eine Nachricht geschickt." Mehr konnte er dazu nicht sagen.


    Valeria sah ihn nicht mehr an und er ahnte, dass die Nennung desjenigen, dem sie jetzt "gehörte", einen Schalter bei ihm umlegen würde. Und dann nannte sie ihn tatsächlich. Mir seinem Vornamen konnte er wenig anfangen, es irritierte ihn nur, dass Valeria ihn extra nannte. Und dann folgte der Paukenschlag, indem sie ihm nicht irgendjemanden nannte, sondern einen, den er kannte. Einen, mit dem er verwandt war. Einen, der der Cousin seines Vaters war. Livianus.


    Nein., wollte er sagen, bekam aber kein Wort über die Lippen. Ungläubig schüttelte er kurz den Kopf, dann zogen seine Augenbrauen sich ein wenig zusammen, während er an Valerias Blick erkannte, dass sie ihm keinen Bären aufband.
    Das also war der neue Mann an Valerias Seite. Der, dem sie sich an den Hals geworfen hatte, während er ihr treu entgegenfiberte - im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Verwandter! Maximian schluckte, presste die Augenlider aufeinander und wandte sich rasch herum, weil er glaubte die Kontrolle über sich verlieren zu müssen, je länger er Valerias Blick ausgesetzt war und den Augen, denen er dereinst mehr vertraut hatte als allen anderen. Dann tat er einen Schritt, noch einen und wieder einen in die entgegengesetzte Richtung von Valeria, sodass er sich von ihr entfernte. Und doch hielt er nochmal inne und warf einen letzten Blick auf sie zurück.


    Warum nur, Valeria?


    Er wusste es da noch nicht wirklich, aber er hatte mir ihr abgeschlossen. Valeria war keine Frau, die ihre Entscheidungen ohne gründlcihe Überlegungen fällte oder sich einem Mann zur Seite stellte, den sie nicht wirklich liebte. Und das zu wissen, sagte ihm mehr als Tausend Worte und brach ihm ganz nebenbei noch das Herz.


    Sprachlos wandte er sich wieder herum und ging.

  • Valeria kam sich mehr als schäbig vor. Sie blickte abermals beschämt zu Boden, als er sagte, was er sagte. Dennoch wunderte sie sich, dass Maximian nicht nach Meridius geschickt hatte, nach seinem Leibarzt oder nach Geld. Meridius hätte sich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seinen Adoptivsohn - den Leichnam - zu überführen. Valeria biss sich auf die Unterlippe und unterdrückte mühevoll ein Schluchzen. Warum war das alles so ungerecht? Warum war das alles geschehen? Und warum stand er nun plötzlich hier und sagte die erläsenden Worte, dass es ihm leid tat, dass er gute Gründe gehabt hatte, dass....dass er sie noch liebte? Tat er das? Valeria riskierte einen Blick, doch Maximian hatte sich umgewandt und ging mit mechanischen Bewegungen stockend fort. Valeria hob eine Hand, wie als wollte sie die Luft fassen, schluchzte dann und ließ sie langsam wieder sinken.


    Sie hatte ihm nicht nur den Dolch ins Herz gerammt, sondern ihn auch noch herumgedreht. Aber was hätte sie denn tun sollen? Was hätte sie nur tun sollen? Alle dachten, dass Maximian seiner Vaterschaft entfliehen wollte wie ein feiger Hund, der den Schwanz einzog. Niemand hatte gewusst, was er wirklich hatte durchmachen müssen. Sie hatten ihm alle so sehr unrecht getan, allen voran Valeria. In diesem Moment dachte sie daran, alles fahren zu lassen und sich nur noch ein letztes Mal in Maximians Armen hemmungslos von der Seele zu weinen, doch als er wortlos den Tempel verließ und die Treppenstufen herunterstieg, da wusste sie, dass es keine gute Idee war. Sie dachte kurz an Livianus und wie sie ihm gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Und dann dachte sie an Maximian, und was sie mit ihm schon alles erlebt hatte.


    Valeria folgte Maximian langsam und blieb neben einer der großen Flügeltüren stehen, die den Eingang zum Capitol bildeten. Kraftlos hielt sie sich an einem Flügel fest und sah Maximian nach, wie er seiner Wege ging. Sie wollte rufen, ihn bitten zu bleiben, sich entschuldigen, Livianus verleugnen - und zugleich Maximian ziehen lassen, weil es da nun Livianus gab. Glücklicherweise konnte sie nichts dergleichen tun, aus dem einfachen Grund heraus, das ihre Stimme versagte und der Kloß in ihrem Hals immer nur noch größer wurde. So glitt sie langsam an der dicken Eichentüre hinab auf den aus wunderbaren Mosaiken und Fresken bestehenden Boden. Ihre Schultern zitterten, weil sie das Unaufhaltbare zu unterdrücken suchte, dann jedoch entfuhr ihr ein kläglicher, zurückhaltender Aufschrei, dem Tränen über Tränen folgten.


    Sie hockte da, am Boden neben einer Flügeltür des Tempels, sah Maximian und der untergehenden Sonne nach, die alles in rotes Licht tauchte, und weinte bittere Tränen über ihre eigene Torheit.

  • Vielleicht nahm er noch ihren kläglichen Aufschrei wahr, vielleicht auch nicht mehr. Er wandte sich nicht mehr um. In vergangenen Tagen hätte ihr tränenbenetztes Gesicht bewirkt, dass er sich herumdrehte und sie solange nicht los ließ, bis die Tränen versiegt waren. Das konnte er jetzt nicht mehr.


    Seine Beine brachten ihn zurück zu seinem Pferd und sein treuer Blick schien die Gemütslage seines Herrn schnell aufgefangen zu haben, denn es rührte sich nicht, als der junge Mann nach den Zügeln griff, sich in den Sattel schwang und das Pferd ruckartig wendete, sodass es verschreckt wieherte und gleich einen Satz tat.
    Die Gesichtszüge seines Reiters waren starr, als er seine Fersen in die Seite des Pferdes rammte. Livianus! Wo steckte dieser Sohn einer Lupa?!
    "Das Domus Legatus Legionis Decimus Livianus - wo ist das?", belästigte er einen der Passanten, der befürchten musste, der junge Reiter würde ihm gleich an die Gurgel springen. Also zuckte der Passant nur schnell mit den Schultern und suchte das Weite. Maximian fluchte, ritt ein Stückchen weiter und suchte sich diesmal eine Frau aus der Menge und nicht wieder einen, der mehr wie ein betrunkener Herumtreiber wirkte.
    "Kannst du mir sagen, wie ich zum Domus Legatus Legionis Decimus Livianus komme?" Die Passantin musste ähnliches denken wie der andere Passant, hob jedoch den Arm und deutete in eine Richtung, ehe sie sich mit raschen Schritten vom aufgelösten Reiter entfernte. Alsdann gab Maximian dem Braunen die Sporen und jagde auf ihm in die angegebene Richtung.


    Der Gegenwind und immer wieder Ausweichmanöver, brachten ihn dazu nachzudenken. Was würde er tun, wenn er vor Livianus stand? Natürlich stand das nicht zu Debatte, er würde ihm ordentlich eine reinhauen, aber was dann? Würde er sich hinterher besser fühlen?


    Das Pferd verlangsamte.


    Ihm war bewusst, dass es ihm damit nicht besser gehen würde - und genau das schockierte ihn. Er konnte nichts tun. Nicht jetzt. Nichts würde ihm irgendetwas einbringen.


    Das Pferd blieb stehen.


    Das sollte es also gewesen sein? Nach einem knappen Jahr Beziehung mit Höhen und Tiefen hatte es so enden müssen? Obwohl selbst Miridius vor einigen Wochen sich damit bereit erklärt hatte, dem jungen Paar einen Weg zu weisen, wie es schlussendlich doch auch offiziell zusammensein dürfte?
    Maximian wollte und konnte es nicht verstehen. Er sah sich um und um ihn herum tobte das Leben in dieser germanischen Stadt, in der ihn nichts an die Heimat erinnerte. Germanien brachte ihm nur Unglück.


    Ruhig wendete er Nigidius noch einmal und ließ ihn dann den Weg zurücktrotten. Die Menschen sahen ihn verwundert an, als Pferd und Reiter den Tempelbezik passierten und schließlich die Stadt in Richtung Mogontiacum verießen. Und das Pferd trottete noch eine ganze Weile lang eintönig vor sich hin. Solange nämlich Maximians Kopf bis auf eines ganz leer war: Valerias Lächeln. Er sah es vor sich und es schien ihm, als müsse er nur die Hand austrecken und könne sie so erreichen.
    Es war eine Qual, die er beendete, als ihm das Herz so sehr schmerzte, dass er es am liebsten aus sich herausgeschnitten und weggeworfen hätte. Da er aber gar kein Messer zur Hand hatte, ließ er seine Wut und seinen Frust abermals am Pferd aus, das ihn so treu hierher getragen hatte.


    Das schlimmste für den jungen Decima war zu wissen, dass Valeria jetzt vielleicht schon in den Armen seines Großcousins lag, sich von ihm trösten ließ und er den beiden früher oder später entgegentreten musste. Seine Valeria. Es war einmal.

  • Die Sonne war schon vor einiger Zeit untergegangen, da hockte Valeria noch immer dort. Eine Popa kam und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter, doch Valeria registrierte es nur am Rande, blickte kurz auf und warf der jungen Frau ein weinendes Lächeln zu, dann entfernte sich die Popa und Valeria erhob sich mit steifen Gliedern. Statt ins Praetorium zu gehen, ging sie langsam in den dunklen Tempelpark. Das Praetorium war momentan der Ort, an dem sie am wenigsten sein wollte.

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