Ein junger Herr wartete im Capitol, hatte man ihr gesagt. Valeria hatte noch an der Prüfung geschrieen und war ganz darin vertieft gewesen. Dann jedoch hatte es geklopft und nun war sie auf dem Weg in den großen Raum des Tempels. Dort, wo in vielen Nischen kleine Altare aufgebaut waren, die Minerva, Iuppiter und Iuno geweiht waren.
Valeria fragte sich, wer um diese Uhrzeit eigentlich noch opfern wollte, oder um was es ging, dass man sie aus ihrem Officium geholt hatte. Immerhin waren doch zahlreiche andere Popae und Sacerdotes unterwegs. Aber nein, der Herr habe nach ihr verlangt, ausdrücklich.
Das Geräusch der Schritte der jungen Frau hallte von den Wänden aus weißem Marmor wider. Es war Abend, die Sonne mochte in wenigen Minuten, längstens aber in einer Stunde untergehen und Valeria war nur noch hier, weil sie etwas für ihre Schülerinnen erledigte und im Praetorium keine Ruhe hierzu finden würde.
Schließlich mündete der Säulengang in den Gebets- und Opferraum und Valeria machte eine hochgewachsene Gestalt aus, die im Sonnenlicht am Eingang stand. Sie trug eine Toga Virilis, was nicht verblüffend war. Jugendliche kamen in Germanien kaum zum Opfern oder zum stummen Gebet mit den Göttern. Das Gesicht konnte sie nicht erkennen, denn zum einen stand der Mann mit dem Rücken zu ihr, zum anderen befand sich hinter ihm genau die Sonne, die Valeria blendete und der Gestalt des Mannes eine seltsame Aura gab.
Die Schritta wurden langsamer, verstummten schließlich, als Valeria in etwa vier Metern Abstand stehen blieb und leise, aber dennoch freundlich die Stimme erhob.
"Salve! Ich bin die Sacerdos Decima Valeria. Man sagte mir, dass du mit mir sprechen wolltest?" fragte sie in einem warmen, angenehm klingenden Tonfall. Dann musterte sie den Fremden - oder eher gesagt dessen Rücken - und wartete darauf, dass er sich herumdrehte und sein Anliegen vorbrachte.