Im Grunde war es Serrana ganz recht, dass Axilla direkt auf den Grund dieses Treffens zu sprechen kam. Ihr graute es zwar bereits davor, all die Dinge beim Namen zu nennen, die sie jetzt schon seit Tagen und auch Nächten bei allem verfolgten, was sie unternahm und tat. Aber durch harmloses Geplänkel im Vorfeld war ihr nicht geholfen, das zögerte den Moment der Wahrheit nur weiter hinaus. "Wollen wir uns vielleicht hinsetzen?" fragte sie mit einem Blick auf die in der Nähe befindliche Sitzgruppe, ging dann, ohne Axillas Antwort abzuwarten, hinüber und nahm auf einem der Sessel Platz. Während sie darauf wartete, dass ihre Cousine es ihr gleich tat, zupfte Serrana nervös an ihren Fingern herum und ging zum hundertsten Mal, seit sie den Brief geschrieben hatte, im Geiste die Worte durch, mit denen sie Axilla alles erklären wollte. "Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, wie ich anfangen soll." gab sie zu und biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor sie ihren Blick wieder hob und Axilla direkt ansah. "Ich bin schwanger, Axilla. Eine ganze Weile schon, vermutlich ist es direkt nach der Hochzeit passiert." Ihr entfuhr ein kurzes bitteres Lachen, dann konnte sie wieder normal weitersprechen. "Und ich möchte mich für mein Benehmen bei deinem Besuch in der Casa Germanica entschuldigen. Damals hatte ich den ersten Verdacht, und ich...ich konnte irgendwie nicht mehr klar denken. Erst später ist mir aufgefallen, wie gedankenlos es von mir war, dich auf dieses Thema anzusprechen. Du musst mich ja für furchtbar grausam gehalten haben." Serrana biss sich erneut auf die Lippe und sah Axilla abwartend an. Jetzt, wo sie einmal angefangen hatte, fiel es ihr doch leichter als befürchtet, die lange überfällige Entschuldigung auszusprechen. Hoffentlich würde es bei den Dingen, die noch gesagt werden mussten, auch so sein.
Atrium
-
-
Skeptisch betrachtete Axilla ihre Cousine, während die zu der Sitzgruppe hinüber ging und an sich herumnestelte. Sie zögerte noch einen Moment, ehe sie folgte und sich hinsetzte. Wer sie gut kannte - wobei das momentan wohl nur auf Levi zutreffen könnte – konnte schon an ihrer Körperhaltung erkennen, wie suspekt ihr das alles war und wie wenig gewillt sie eigentlich war, hier zu sein. Aber gut, jetzt war sie schonmal da, da konnte sie sich auch setzen und sich die Erklärung anhören. Aufspringen und rumschimpfen konnte sie ja immernoch.
Als sie saß, fing Serrana dann auch an zu erklären. Wobei Axilla absolut nicht verstand, was das erklären sollte. Gut, war sie schwanger, na und? War ja zu erwarten gewesen. Das passierte üblicherweise nach Hochzeiten, wenn die beiden Ehepartner sich verstanden und nicht wie sie und Archias die ganze Zeit nur stritten und jeder schön in seinem Zimmer blieb. Und was das mit Serranas Verhalten zu tun hatte, verstand sie auch nicht. Sie sah da absolut keinen Zusammenhang mit der herablassenden Behandlung damals und der Schwangerschaft.
Ihre Augenbrauen wanderten immer weiter zusammen, bis diese fast einen Strich auf ihrer Stirn bildeten, so sehr musste Axilla nachdenken, was Serrana ihr sagen wollte. Sie verstand nur Pferdewechselstation. Und genau so guckte sie auch drein und machte einfach nur “Aha“, da ihr absolut nichts einfiel, was sie dazu jetzt sagen sollte. Sie verstand es schlicht und ergreifend nicht, weder das zynische Lachen noch den Zusammenhang zu dem Gespräch damals. Wenn sie schwanger war, war doch alles prima. -
Es war offensichtlich, dass Axilla von ihren Worten irritiert war, aber noch hörte ihre Cousine ihr zu, und das musste fürs erste genug sein. Wie hätte sie es auch verstehen sollen, hörten sich Serranas bisherige Erklärungen doch nach dem Idealverlauf einer frisch geschlossenen Ehe an.
„Ich weiß, dass ich mich über die Schwangerschaft freuen müsste, schließlich ist es ja meine Pflicht, Kinder zu bekommen, aber ich kann es einfach nicht. Seit meine Mutter damals bei der Geburt meines Bruders gestorben ist, hab ich entsetzliche Angst davor, dass es bei mir genauso sein wird.“ Serrana griff nach einem bereitstehenden Becher mit Wasser und trank hastig ein paar Schlucke, bevor sie weiter sprach. „Als Kind hatte ich schon Albträume deswegen, aber dann waren sie jahrelang verschwunden, bis…bis zu der Nacht, als der Medicus bei dir war, du weißt schon…“ Serrana hatte nicht die geringste Ahnung, wie Axilla auf all diese Offenbarungen reagieren würde, aber diese hatte ein Recht auf die ungeschminkte und nicht geschönte Wahrheit, und so hangelte sich Serrana weiter von Wort zu Wort, in der Hoffnung sich diesmal etwas verständlicher zu machen. „Ich hab sogar überlegt, mir heimlich etwas zu besorgen, das eine Schwangerschaft verhindert, aber wegen der ganzen Vorbereitungen für die Hochzeit hab ich es dann vergessen. Irgendwie hab ich gedacht, dass so schnell ohnhein nichts passieren wird, und dann war es plötzlich schon zu spät. Als du mir dann im Garten erzählt hast, dass dir immer übel gewesen ist, da hab ich noch mal gehofft, dass ich mich irre, weil es bei mir nicht so war, aber na ja….“ Je näher sie sich an den Kern ihres eigentlichen Anliegens herantastete, desto spürbarer wurde das mittlerweile schon fast allgegenwärtige Gefühl der Angst, und der Wunsch, das Gespräch einfach abzubrechen und in den Garten zu flüchten wurde fast übermächtig. „Und weil niemand da war, mit dem ich hätte sprechen können, bin ich dann zu Claudia Romana, der Vestalin, gegangen. Sie ist eine sehr gute Freundin von Calvena, und ich mag sie auch sehr gern. Ich hab ihr alles erzählt, und sie hat mir vorgeschlagen, eine Leberschau an einem Lamm durchzuführen, um rauszufinden, ob alles gut gehen wird bei der Geburt, damit ich mir keine Sorgen mehr machen muss“. Serrana konnte selbst deutlich hören, wie ihre Stimme immer zittriger und kieksiger wurde und sprach immer schneller, um den schlimmsten Teil jetzt auch noch hinter sich zu bringen. „Das hat sie dann auch gemacht, hier auf dem Boden im Atrium, weißt du…Und dann hat sie irgendwann gesagt, dass alles in Ordnung ist, und dass es mir und meinem Kind gut gehen wird, aber….aber sie…sie war so seltsam….ganz anders als sonst…sie hat mich gar nicht mehr richtig angeschaut, und dann ist sie ganz schnell gegangen. Oh, Axilla, ich glaube, sie hat meinen Tod gesehen.“
-
Irgendwie wurde das ganze eher wirrer als verständlicher. Sie wollte das Kind nicht? Aber eine Abtreibung wollte sie auch nicht? Und irgendwie hatte das mit ihrer Mutter zu tun, die bei einer Geburt gestorben war – was ja immer mal wieder vorkam. Und dann hatten sie hier im Atrium Haruspex gespielt und eine Lebenschau gemacht, und nun glaubte Serrana, sie müsse sterben. Oder so ähnlich. Axilla versuchte, den Schwall an Informationen irgendwie in eine verstehbare Bahn zu bekommen, aber irgendwo verhakte sich ein Gedanke andauernd wieder.
Axilla kniff die Augen zusammen und machte mit der Hand eine Geste, die Serrana zum stoppen bringen sollte mit ihrem Redeschwall. Sie brauchte einen Moment, um das gesagte auch nur halbwegs wirklich zu verstehen. So gern sie selbst durcheinander redete und von einem Gedanken zum nächsten flog, das hier verstand sie nicht.
“Moment. Also, du willst kein Kind, weil du Angst hast, dass du sterben wirst?“ Axilla dachte, dass das die Quintessenz aus dem ganzen sei. Soviel zumindest glaubte sie verstanden zu haben, wobei ihr die Zusammenhänge nach wie vor doch schleierhaft waren. Vor allem, warum sie damit ausgerechnet zu IHR kam, wo die beiden sich doch nicht unbedingt verstanden. “Und wegmachen willst du es auch nicht?“ Axilla dachte sich nichts bei dieser Frage. Dass sie selber dabei fast gestorben wäre, hieß ja nichts. Gut, Sedulus könnte etwas dagegen haben, aber er musste es ja auch nicht wissen. Außer, er wusste schon von der Schwangerschaft. “Weiß Sedulus es denn schon?“ Ihre Augen gingen wieder auf, nur um fragend dreinzuschauen.
Dass Serrana glaubte, sie könne sterben, erregte schon Axillas Mitgefühl. Irgendwie zumindest. Aber sie konnte nicht verstehen, was Serrana da jetzt von ihr wollte. Sie konnte da ja auch nichts dafür oder dagegen machen. Und sie beiden waren einfach nicht vertraut genug miteinander, als dass sie sich das Herz ausschütten würden. -
Serrana war sich der Tatsache gar nicht bewusst, dass ihre vermeintlichen Erkärungen auf einen uneingeweihten Zuhörer eher verwirrend als erhellend wirken mussten. In ihren eigenen Augen setzten sich die vielen einzelnen Mosaiksteinchen zu einem vollkommen klaren und ebenso beängstigenden Gesamtbild zusammen, das ihrer Meinung nach auch jeder andere sehen musste, daher sah sie Axilla fast ein wenig überrascht an, als diese noch einmal nachhakte. Wenn sie doch wenigstens deren Fragen ohne wenn und aber beantworten könnte...
"Ich....also...eigentlich möchte ich schon Kinder haben, aber ich hab so furchtbare Angst vor der Geburt." gab sie schließlich zu, und spürte,wie sich ihre Wangen vor Scham rot verfärbten. Und auch, wenn sie das am liebsten vergessen und Sedulus gegenüber niemals zugeben würde, so hatte Serrana durchaus ein paarmal über die Möglichkeit nachgedacht, ihre Schwangerschaft vorzeitig zu beenden, doch die Erinnerung an ihre sich in einem blutigen Bett vor Krämpfen windende Cousine hatte sie von derartigen Überlegungen recht schnell wieder abgebracht. In der Hoffnung, dass Axilla in diesem Punkt nicht weiter nachbohren würde, ging sie schnell dazu über, deren letzte Frage zu beantworten, zupfte dabei jedoch auch weiterhin an ihren Fingern herum. "Ja,....er weiß es. Ich wollte es ihm eigentlich nicht so schnell erzählen, aber dann ist mir bei einer Cena schließlich doch übel geworden, und da hat er mich direkt danach gefragt. Und er hat sich so gefreut, da konnte ich ihn doch nicht anlügen." Serrana sah kurz von ihren Fingern auf, begegnete Axillas fragendem Blick und biss sich erneut auf die Lippen. Über diiese Dinge zu sprechen, fiel ihr ungeheuer schwer, und dass sie sich mit ihrer Cousine im Grunde nicht besonders verstand, machte das Ganze auch nicht leichter. Unter normalen Umständen hätte Serrana alles in ihrer Macht stehende getan, um Axilla gegenüber so wenig Schwächen wie möglich zuzugeben, aber derartige Eitelkeiten würden sie bei ihrem Anliegen kaum weiterbringen. "Das ist auch der Grund, warum ich dich gebeten habe herzukommen." brachte sie schließlich nach kurzem Räuspern heraus. "Das Kind, meine ich." -
So langsam verstand Axilla noch weniger als das, was sie zu verstehen geglaubt hatte. Wie wollte Serrana denn Kinder kriegen, ohne sie zu kriegen? Wenn sie Angst vor der Geburt hatte und sogar glaubte, sie würde sterben, wie wollte sie das denn dann machen? Sie konnte die ja nicht einfach so aus dem Nichts herbeizaubern.
Gut, Sedulus wusste bescheid, damit fiel die Möglichkeit wohl weg, es einfach abzutreiben. Axilla dachte absolut nicht daran, dass Serrana da Angst haben könnte, weil sie bei Axilla mitbekommen hatte, was schieflaufen konnte. Sie überlegte nur immer mehr, was Serrana überhaupt von ihr nun wollen könnte, denn ganz offensichtlich gab es ja rein gar nichts, was sie tun konnte. Sie konnte Serrana nicht damit helfen, die nötigen Kräuter zu organisieren, denn Sedulus würde es wahrscheinlich nicht so gut aufnehmen, wenn sein Kind plötzlich weg wäre. Wenn er nichts davon gewusst hätte, dann... aber er wusste es ja. Und Serrana sagte ja auch, sie wollte Kinder. Ohne sie zu bekommen. Oder so.
Sie rätselte also noch immer darüber nach, was Serrana wohl von ihr wollen könnte, als diese sie dann auch schon ansprach. Das Kind war ihr Grund. Und Axilla konnte nur fragend die Stirn runzeln. “Was ist denn damit?“ -
Was damit war? Unendlich viel, aber es war kaum ein Gedanke dabei, den Serrana in dieser Situation zulassen konnte, ohne Gefahr zu laufen sofort und hemmungslos loszuheulen. Früher oder später würden sich Angst, Hilflosigkeit, Selbstmitleid und auch Wut ohnehin wieder einen Weg nach aussen bahnen, aber das wollte sie, falls irgendwie möglich, herauszögern, bis sie wieder allein war. Axillas unaufgeregte wenn auch scheinbar irritierte Reaktionen halfen Serrana dabei, einigermaßen ruhig weiterzusprechen, auch wenn ihre Augen bereits verdächtig zu brennen anfingen. Wütend auf sich selbst und ihren offensichtlichen Mangel an Selbstbeherrschung blinzelte sie ein paar mal und sah Axilla dann direkt an, bevor sie sich erneut räusperte und weiter sprach.
"Nun, ich....ich wollte dich bitten, dass du ab und zu mal nach ihm schaust, wenn.....wenn ich tot bin."
-
Wenn sie tot war... Es dauerte eine Weile, bevor die Worte zäh wie Honig in Axillas Bewusstsein gedrungen waren und ihr die ganze Tragweite aufging. So saß sie einen Augenblick noch immer verständnislos da, ehe sich ihre Augen plötzlich weiteten und sie dann aufgeregt aufsprang und erstmal nur mit den Händen gestikulieren konnte, weil ihr die Worte fehlten. Diese kamen dann aber doch rasch wieder und verließen hektisch und atemlos ihren Mund.
“Das ist verrückt! Das ist vollkommen verrückt! Nur weil Romana da mit einer Leber rumgepanscht hat, heißt das noch lange nicht, dass du sterben musst. Ist sie richtiger Haruspex vom Collegium? Nein? Geht ja auch gar nicht, das sind nur Männer. Also, solange da niemand ganz explizit sagt, dass du sterben wirst, und es nichts gibt, was man dagegen tun kann, DANN kannst du dir über sowas Gedanken machen!“
Axilla wusste ja, dass ihre Cousine abergläubisch war wie sonstnochwas, und sie selber hatte das bisher mit einem Augenverdrehen und einem Schulterzucken einfach abgetan. Zwar gefiel es ihr nicht, weil sie dachte, Serrana mache sich damit lächerlich, aber gut, es war ihre Sache. Aber das hier, das ging jetzt zu weit. Sie ließ sich doch nicht in so einen Aberglauben mit reinziehen, schon gar nicht, nur, weil Romana das gesagt hatte. Die war vestalische Jungfrau und hatte von Geburten und Schwangerschaften damit ja schonmal gar keine Ahnung. Axilla lief kopfschüttelnd ein wenig auf und ab, weil ihr Körper mit einem Mal von so viel Energie durchflutet war, dass sie nicht wusste, wohin damit.
“Und, und, und, selbst falls es so sein sollte, dann, dann... dann haben die Germanicer sicher was dagegen, wenn da eine Iunia rumschwirrt, die nichtmal mit irgendwem verwandt ist. Und außerdem werden die doch wohl auch nach dem Kind gucken.“ Axilla wollte sich gar nicht näher damit befassen, ob Serrana sterben konnte oder nicht. Natürlich konnte sie das, aber sie stellte es als Gewissheit hin, und daran wollte Axilla so nicht denken. -
Axilla war mit einem mal plötzlich alles andere als unaufgeregt, und während sie ihre wild gestikulierende Cousine erschrocken anstarrte, schossen Serrana jetzt doch die Tränen in die Augen. Es war ihr derart in Fleisch und Blut übergegangen, jegliches Urteil "göttlichen" Ursprungs bedingungslos und ohne es zu hinterfragen zu akzeptieren, dass sie kaum fassen konnte, dass es andere Menschen anders damit hielten.
"Axilla, bitte, ich bin nicht verrückt! Romana hat eine Haruspizin durchgeführt, und sie ist auch dafür ausgebildet worden. Und mit einer Leberbeschau kann man die Zukunft deuten, das ist nun einmal so." Serrana sah zu der längst wieder blitzblanken Stelle, wo vor noch nicht allzu langer Zeit das tote Lamm gelegen hatte und schüttelte sich unwillkürlich. "Und sie hat ja auch gesagt, dass alles gut gehen wird, aber so wie sie reagiert hat, kann das nicht die Wahrheit gewesen sein, das weiß ich einfach." Serrana schniefte und wischte sich beschämt, dass sie sich jetzt doch zu einem Gefühlsausbruch hatte hinreissen lassen, mit einem Zipfel ihrer Palla die Tränen aus dem Gesicht. "Und was sollte man schon dagegen tun können? Bei meiner Mutter hat auch nichts geholfen." Serrana war mit jedem Wort mehr ineinander gesackt, und erst Axillas letzte Worte brachten sie dazu, sich wieder aufzurichten.
"Du bist mit MIR verwandt, und daran wird man sich schon erinnern, auch wenn ich....nicht mehr da bin." Serrana starrte einen Moment lang erneut auf ihre Hände und ballte diese dann zu Fäusten. "Axilla, du erinnerst dich doch sicher, worüber wir bei deinem Besuch in der Casa Germanica gesprochen haben. Ich habe viel darüber nachgedacht, was du gesagt hast, und ich möchte wirklich, dass mein Kind auch etwas über seine iunischen Wurzeln erfährt, und dass es darauf stolz sein kann. Aber wenn du mir nicht hilfst, dann wird meine Großmutter alles an sich reissen und kaputtmachen, und das ertrage ich einfach nicht." Bei den letzten Worten war jetzt auch Serrana aufgestanden und machte einen zögerlichen Schritt auf die immer noch auf und ab laufende Axilla zu.
-
“Ausgebildet worden?“, schnappte Axilla ungläubig und verdrehte die Augen. “Die ist dafür ausgebildet worden, im Tempel der Vesta auf ein Feuer aufzupassen und mola salsa zu mischen. Die ist kaum älter als wir beide! Wozu braucht man denn die ganzen Auguren, Haruspices, Fulguriatores, Orakel, Traumdeuter und Geistersprecher, wenn das jedes Mädchen kann, hm? Denk doch mal nach, Mensch!“
Axilla wusste, dass Serrana abergläubisch war, aber das hier ging jetzt echt zu weit. Wie konnte man nur so verbissen daran glauben, dass man sterben würde, nur weil ein anderes Mädchen das gesagt hatte? Das war ja kein Fluch. Und Axilla hatte auch reichlich wenig Ahnung von genauer Zukunftsdeutung, aber dass sich irgendein Orakel mal zu einer exakten Aussage hätte hinreißen lassen, das wäre ihr neu. Die sagten IMMER irgendwas davon, welchem Gott man wieviel zu opfern hatte, um alles wieder ins Lot zu bringen. Die sagten NIE, dass es keinen Ausweg gab. Axilla vermutete dahinter bloße Geldgier, immerhin verleitete man so den Menschen dazu, den Göttern noch mehr Tand zu schenken, der diese vermutlich eh nicht interessierte. Aber wie dem auch sei, sie glaubte nicht an unabwendbare Schicksale. Aufzugeben war schlicht unrömisch! Und wenn, dann rammte man sich selbst einen Dolch in die Eingeweide und wartete nicht auf eine erboste Gottheit!“Das obliegt aber der Entscheidungsgewalt deines Ehemannes und nicht deiner!“ Axilla warf hilflos die Arme hoch, als Serrana auf einmal von iunischen Wurzeln sprach. Götter, warum nur verstand sie das denn nicht, dass das Kind nur dann überhaupt einen iunischen Ursprung hatte, wenn Sedulus zustimmte, dass es einen haben sollte? Bis zu dem Zeitpunkt waren weder Axilla noch Serrana rechtlich mit dem Kind in irgendeiner Weise verwandt. Nicht, wenn Sedulus es annehmen würde, wovon Axilla mal ausging. “Oder gar meiner! Außerdem wirst du nicht sterben, nur weil Romana vorhin komisch war, und auch nicht, weil deine Mutter daran gestorben ist!“ Das war doch zum Haare raufen!
-
Jetzt war es Serrana, die Axilla ansah, als warte sie darauf, dass diese zu erkennen gab, einen Scherz gemacht zu haben. "Aber....aber du kannst Romana doch nicht mit uns vergleichen. Sie ist eine Vestalin, vom Kaiser selbst ausgewählt, und gilt als seine Tochter..." Im Grunde war sie ja dankbar für jeden gedanklichen Rettungsanker, den ihre Cousine ihr zuwarf und jedes Schlupfloch, das sie ihr zeigte, aber derartige Äusserungen über eine Priesterin der Vesta, du liebe Güte...
Was Sedulus anging hatte sie natürlich recht, auch wenn Serrana diesen Gedanken gern verdrängte. "Ich werd noch mit ihm darüber sprechen, wenn...irgendwann. Quintus wird das sicher verstehen, da bin ich sicher..." Ihre Stimme wurde jetzt wieder leiser, während sie erneut auf ihre Finger starrte und geistesabwesend an dem einen herumzupfte. "Aber ich möchte nicht, dass er es weiß, jetzt jedenfalls noch nicht..." Serrana machte noch einen weiteren Schritt auf Axilla zu, blieb dann jedoch wieder stehen. "Meinst du wirklich?" fragte sie in dem hoffnungsvollen Tonfall eines kleinen Kindes, dem man soeben versichert hat, dass unter seinem Bett keine bösen Dämonen und Geister lauern. "Ich weiß ja selbst, dass es albern ist, soviel Angst zu haben, aber wenn ich den Trank von Crios nicht hätte, dann könnte ich überhaupt nicht mehr schlafen. Kannst du mir es nicht einfach versprechen, und...wenn... wenn nichts passiert, dann vergessen wir es wieder?" -
“Und das macht sie allwissend, oder was?“, fuhr Axilla auf, deutlich ungehalten wegen Serranas Treugläubigkeit, die absolut nichts hinterfragte. Abgesehen davon, dass Axilla sich sicher war, recht zu haben. Die Vestalinnen waren für vieles zuständig, aber nicht für die Zukunft und den Willen der Götter. Dafür gab es Auguren, Haruspices und Orakel, die Sybillischen Bücher auch noch. Aber nicht den Kult der Vesta – wobei sie den noch nie so genau mitbekommen hatte. Immerhin war sie in Tarraco aufgewachsen und dann nach Alexandria gegangen, und Vestalinnen gab es nunmal nur in Rom.
Nur, weil man den Vestalinnen Respekt entgegen brachte war das für Axilla noch lange kein Grund, sie zu behandeln, als seien sie allwissend. Das waren sie nämlich ganz sicher nicht! Sie hatten Fehler wie jeder andere Mensch auch, einige von ihnen brachen ihr Gelübte oder gaben sich anderen Lastern hin. Das war ebenso bekannt wie die eigentliche Tugendhaftigkeit, die sie haben sollten. Und für Axilla war das Grund genug, wegen Serranas Frömmelei da aus der Haut zu fahren.Und dass sie nicht wollte, dass Sedulus das wusste, konnte Axilla auch verstehen. Wenn der Mann nur einen Funken Verstand im Leib hatte, würde er genau dasselbe sagen wie sie: Nur, weil Romana komisch war, hieß das nicht, dass Serrana sterben musste. Sie fragte sich nur immer mehr, warum ihre Cousine ausgerechnet sie damit hineingezogen hatte. Sie musste wissen, dass Axilla das für Unfug hielt.
“Ich versprech gar nichts“, wich Axilla abwehrend zurück. Wär ja noch schöner, wenn sie sich in diese Verrücktheit so mit reinziehen ließ! “Und du solltest dir überlegen, ob du Drogen nehmen musst, um zu schlafen. Die verwirren einen.“ An und für sich war an einem Rausch nichts schlechtes, auch nicht an einem Drogenrausch. Auch Bacchus wollte geehrt werden, ab und an mal, und das Gefühl war ja befreiend. Aber wenn Serrana nur noch so schlafen konnte, war das bedenklich.
Axilla blieb wieder stehen, atmete einmal durch und sah Serrana streng an. Im Moment fühlte sie sich ganz schrecklich erwachsen und weise, aber das war im Moment auch nicht weiter schwer. “Du kannst doch nicht dein ganzes Leben lang Angst haben, zu sterben. Dir kann auch ein loser Ziegel auf den Kopf fallen, der dich erschlägt, oder das Haus kann einstürzen, oder du wirst überfallen...“ Kurz stockte sie, weil sie an Leander dachte, und schüttelte den Kopf, als ob sie den Gedanken abwerfen müsse. “Vielleicht stirbst du bei der Geburt, kann auch sein. Aber jetzt anzufangen, Panik zu haben, wo man noch nicht einmal einen Bauch sieht und das Kind noch abgehen kann, ohne dass es jemand merkt, ist albern. Also lass das mit den Versprechungen.“ -
Nun, allwissend vielleicht nicht, aber fast unantastbar in dem, was sie sagten und taten. Zumindest in Serranas Augen, die in Ermangelung einer Mutterfigur von klein auf Orientierung und Schutz bei den Unsterblichen und deren Vertretern gesucht hatte. Sie hatte bereits zu einer entsprechenden Erklärung angesetzt, hielt dann jedoch inne. Axilla würde es ohnehin nicht verstehen, vermutlich würde es sie nur noch ärgerlicher machen. Dass diese sich rundum weigern würde, auf ihre Bitte einzugehen, brachte Serrana dann allerdings ziemlich aus dem Konzept und sie blieb mit hängenden Schultern vor ihrer Cousine stehen. In den letzten Tagen war sie wie besessen von dem Gedanken gewesen, die Zukunft ihres Kindes zu planen, weil sie das auch davon abgehalten hatte, über ihre eigene nachzudenken und sich ihren Ängsten zu stellen. Darüber hinaus hatte es ihr auch das schöne und überaus tröstliche Gefühl beschert, etwas uneigennütziges und sinnvolles zu tun, aber jetzt brach dieses Konstrukt wieder auseinander und Serrana fühlte sich nur noch leer. Als Axilla das Wort Drogen aussprach, verzog sie das Gesicht. Sie selbst zog es vor, für Crios' Trank den Ausdruck 'Medizin' zu verwenden, auch wenn ihr im Grunde bewusst war, dass sie sich da etwas vormachte. "Ich hab es ja versucht, ohne den Trank zu schlafen. Jede Nacht versuche ich es..." murmelte sie in einer Mischung aus Ärger und Scham. "Aber dann liege ich stundenlang wach, und dann kommen diese Gedanken...und dann...kommt diese Angst..." Serrana brach ab und starrte auf den Boden zu ihren Füßen. Würde Axilla überhaupt nachvollziehen können, wie absolut hilf- und machtlos sie sich in diesen Augenblicken fühlte, in denen die Angst in immer größeren Wellen über sie rollte, und sie stockstarr mit weitaufgerissenen Augen in ihrem Bett lag, während ihr Herz derart laut schlug, dass sie sicher wahr, auch Quintus müsse es hören. Und wie wundervoll war es, in solchen Momenten die kleine Amphore in greifbarer Nähe zu wissen. Nur ein oder zwei Schlucke dämmten diese Panik, und wenn sie den Trank rechtzeitig nahm, dann kam sie erst gar nicht auf und Serrana glitt in einem angenehm betäubten Zustand in den Schlaf. Immer häufiger gab sie daher auch der Versuchung nach, sich schon vor dem zu Bett gehen eine kleine Portion zu gönnen, aber das behielt Serrana an dieser Stelle lieber für sich, schließlich gab sie ohnehin schon kein allzu beeindruckendes Bild ab. "Ich habe keine Angst, dass mich morgen jemand umbringen könnte oder ich von einem Karren überfahren werden könnte." protestierte sie und stellte zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass es die Wahrheit war. "Ich hab nicht vor allem Angst, wirklich nicht, nur...nur davor...vor all diesem Blut, und dass ich da liegen werde, und es aus mir rausläuft und ich nichts dagegen machen kann." Jetzt war es Serrana, die begann auf und ab zu gehen und die Hände zu ringen. "Ich will so sehr, dass es aufhört, Axilla, aber ich weiß einfach nicht, was ich dagegen machen kann. Dass es albern ist und peinlich, weiß ich ja selbst, aber das hilft mir nicht. Wenn du eine Idee hast, dann sag es mir! Bitte!"
-
Jeder fand wohl eigene Wege mit dem umzugehen, was am Rand des Bewusstseins schlummerte. Axilla hatte ihre eigenen Geister und Dämonen, die sie von Zeit zu Zeit geißelten. Aber sie ließ es einfach nicht zu, dass diese sie daran hinderten, das zu tun, was sie tun musste. Sie ließ die Angst einfach nicht zu. Jeder Mensch hatte Angst, die Frage war nur, ob man sich davon beherrschen ließ oder nicht. Ihr Vater hatte ihr das gesagt, als sie klein war und ihn einmal gefragt hatte, ob er keine Angst hatte, wenn die Gegner kamen und er kämpfte. Und Axilla hatte schon damals beschlossen, sich nicht von ihrer Angst beherrschen zu lassen. Niemals.
Und daher schwankte sie zwischen Gereiztheit und Mitleid, als Serrana in ihren Augen jammerte, welche Ängste sie denn litt. Axilla konnte damit nur nicht wirklich was anfangen. Es war doch ganz gleichgültig, wie man starb, und dass man starb, das stand so oder so fest. Menschen waren sterblich, so war das eben. Das war weder etwas schreckliches noch entsetzliches und auch nichts furchterregendes. Was machte es da also für einen Unterschied?
“Ich versteh dich nicht. Macht es einen Unterschied, ob du bei einer Geburt stirbst oder bei etwas anderem?“ Axilla konnte das einfach nicht nachvollziehen. Und dass Serrana jetzt herumlief, machte das ganze auch nicht besser, verlieh es ihrer Unsicherheit doch nur noch weiter Ausdruck. “Und du bist doch Priester, da siehst du jeden Tag jede Menge Blut, oder bist du nur im Tempel der Flora?“ Immerhin war die die einzige Göttin, die keine blutigen Opfer annahm, soweit Axilla wusste. “Und der einzige Weg, um auszuschließen, dass du bei einer Geburt sterben könntest, besteht darin, dass du dienen Tod selbst wählst. Aber Dis holt uns auf die Weise, die ihm gefällt. Nur dass er uns holt, das ist sicher. Auf das Wie haben wir nur dann Einfluss, wenn wir ihm die Arbeit abnehmen.“
Was sollte Axilla denn sagen? Serrana musste ihren Weg finden, mit ihrer Angst zu leben, wie jeder andere auch. “Du kannst nicht ständig in Angst leben. Was ist das denn für ein Leben?“ Axilla konnte sich nichtmal vorstellen, ständig so verschreckt zu sein. Auch wenn sie schüchtern reagierte, wenn sie unsicher war, und sich zurückhaltend verhielt, aber solche unverständliche Angst, die ließ Axilla schlicht nicht zu. Daher konnte sie damit auch nichts anfangen. -
Sie verstand es nicht. Wenn man eins an Axillas Gesichtsausdruck ablesen konnte, dann das. Und es würde sich auch nicht ändern, ganz egal, wie fieberhaft Serrana auch nach weiteren Erklärungen suchen würde. Und ihre Cousine bemühte sich sogar, sie zu verstehen, das war offensichtlich. Natürlich war es möglich, dass es einem Anderen besser gelingen würde, aber wirklich wahrscheinlich war es nicht. 'Was du da von dir gibst, ist armselig und beschämend, welcher halbwegs normale Mensch sollte sich da schon reindenken können.' flüsterte eine kleine gehässige Stimme in ihrem Kopf, und Serrana rieb sich kurz die Schläfe, bevor sie stehen blieb und die Arme wieder sinken ließ. "Ja, für mich macht es einen Unterschied." sagte sie leise und zuckte mit den Schultern. "Ich weiß einfach nicht, wie ich es dir erklären soll, ohne dass du mich für verrückt hältst, aber es ist so. Diese Bilder sind in meinem Kopf, seit ich ein Kind bin, und ich bekomme sie nicht hinaus. Und das Blut im Tempel ist etwas ganz anderes. Ich mag es auch nicht besonders, aber diese Tiere sterben zur höheren Ehre der Götter und nicht, weil...weil..." Serrana rang noch einen Moment mit den richtigen Worten, dann schüttelte sie den Kopf und setzte sich wieder zurück in ihren Sessel. Zu Beginn dieses Gesprächs war sie völlig überdreht gewesen, aber in diesem Augenblick fühlte sie sich einfach müde."Im Grunde ist es auch gleichgültig, ich hätte besser nicht davon angefangen." Sie sah zu Axilla hinüber, und das, was eigentlich ein Lächeln werden sollte, geriet eher zur Grimasse. "Ich weiß, dass du Recht hast, Axilla, aber leider ändert das für mich nichts. Ich kann nur hoffen, dass ich die Zeit bis zur Geburt überstehe, ohne mich auch bei anderen lächerlich zu machen, und dass es dann endlich vorbei ist. So oder so." Vielleicht hatte sie ja Glück und fand noch einen Weg, um dem irrationalen Toben in ihrem Kopf erfolgreich den Kampf anzusagen, und sonst blieb immer noch die kleine Amphore neben ihrem Bett.
-
Was war an dem Blut im Tempel anders? “Ist doch alles rot?“ fragte Axilla nochmal verwirrt nach, aber sie war sich gar nicht sicher, ob Serrana das hörte. Wo bitte war da der Unterschied zwischen dem einen Blut und dem anderen? Gut, das eine war eigenes und es tat dabei weh, aber sonst? Axilla verstand einfach nicht, was Serrana so an Blut ekelte. War doch wohl wirklich etwas, das man jeden zweiten Tag in der einen oder anderen Form sah. Wie war Serrana so alt geworden, wenn sie sich so sehr davor fürchtete? Wie bei allen Göttern hatte sie ihre erste Menstruation überlebt, wenn sie immernoch so panisch war?
Axilla merkte, dass Serrana es aufgab, ihr das erklären zu wollen. Vielleicht war das auch richtig, denn Axilla konnte es nicht verstehen. Nicht mal so ein klitzekleines bisschen. Dass man Angst hatte, zu sterben, das konnte sie noch nachvollziehen. Aber dass man davor Angst hatte, auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu sterben, und dann auch noch gerade diese Art und Weise, das überstieg ihr geistiges Fassungsvermögen.
“Das musst du doch irgendwann mal auch vergessen?“ Axilla hatte keine ahnung, wann Serranas Mutter gestorben war. Sie wusste nur, dass Serrana damals noch sehr klein war. Aber genau deswegen müsste sie es doch längst verwunden haben. Eine Trauerzeit dauerte längstens zehn Monate, das hier aber war mindestens zehn Jahre her. “Vielleicht solltest du Oblivio opfern...“ Es klang ein ganz klein wenig bissig. Axilla glaubte nicht daran, dass das auch nur irgendwas ändern würde, aber vermutlich wäre ihre Cousine Feuer und Flamme, wenn es einen Ausweg gab, bei dem irgendein Gott seine Kräfte beweisen konnte. Und wenn es nur die Lethe war, auf die man hoffte. Und Axilla fand es gleich zweifach albern und spottete daher leicht mit diesem Satz, hatte doch ihr gemeinsamer Verwandter Decimus Iunius Brutus Callaicus vor über 200 Jahren bewiesen, dass man nicht jeden Humbug über Flüsse des Vergessens glauben sollte. -
Es war elf Jahre her. Ziemlich genau sogar, denn auch wenn das meiste im Umfeld jener Nacht längst aus Serranas Gedächtnis verschwunden war, so erinnerte sie sich doch noch aus irgendeinem Grund daran, dass es eine warme Sommernacht gewesen war. "Ich hatte es ja vergessen." Serrana wich Axillas Blick jetzt wieder aus. "Dachte ich zumindest. Und dann hat es wieder angefangen, nach der Nacht....in der....du...in der Crios bei uns war. Du hast genauso ausgesehen wie sie damals, weißt du?" Bei der Erinnerung an Axillas leichenblasses Gesicht und die blutbeschmierten Laken schüttelte sich Serrana unwillkürlich und auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut. Sie war derart von diesen Bildern gefangen, dass zwar der Vorschlag ihrer Cousine zu ihr durchdrang, ihr der bissige Tonfall aber völlig entging. Vermutlich wäre er ihr aber auch in einem anderen, entspannteren Moment entgangen, denn in Bezug auf die Götter und alles, was mit ihnen zusammenhing, war Serrana vollkommen humorlos. "Ja, meinst du wirklich?" Zum ersten Mal seit einer geraumen Weile hob sie wieder den Kopf und sah Axilla direkt an, und in ihren Augen glomm ein bisschen Hoffnung auf. Nicht viel, aber immerhin. "Schaden kann es ja sicher nicht....." Ob Oblivio wohl ein eigenes Heiligtum oder einen Tempel in Rom besaß? Das musste doch irgendwie rauszukriegen sein....
-
Da, wie aufs Stichwort! Sofort kam wieder dieser hoffnungsvolle Schimmer, mit dem Serrana gerne die gesamte Verantwortlichkeit für ihr eigenes Leben irgendeiner Macht zuschob, um ja nicht selbst etwas in die Hand nehmen zu müssen. Hauptsache, man konnte sich nicht gegen sein Schicksal wehren und war ihm ausgeliefert, Hauptsache, man musste nicht selber entscheiden...
“Ich gebs auf...“, murmelte Axilla nur und nahm einmal resignierend die Hände hoch. Was sollte sie da denn noch sagen? Das war, als würde man mit einer Wand reden. “Mach, was immer du meinst, dass dir hilft.“ Axilla gab wirklich auf. Gegen soviel Aberglaube konnte man nicht anargumentieren. Vor allem, wenn man im Grunde nicht argumentieren konnte. -
"Aber du hast doch selbst...." Als die Bedeutung von Axillas Körpersprache in Kombination mit ihren Worten bei Serrana durchsickerte, brach diese mitten im Satz ab und ihr verwirrter Gesichtsausdruck wich einem erst enttäuschten und dann bitteren. "Du hast es nicht ernst gemeint, nicht wahr?" fragte sie, obwohl sie die Antwort im Grunde längst kannte und eigentlich auch nicht wirklich eine erwartete. "Trotzdem danke ich dir für deinen Rat. Er muss ja nicht falsch sein, nur weil du ihn dafür hältst." Serrana umschlang ihren Oberkörper mit den Armen und starrte eine ganze Weile einfach nur gerade aus. Irgendwie schien sie in letzter Zeit mit schlafwandlerischer Sicherheit die falschen Entscheidungen zu treffen. Das Gespräch mit Romana hatte ihr gut getan, aber die nachfolgende Leberschau hatte sie trotz aller gegenteiliger Hoffnungen nur tiefer in den unglückseligen Strudel hinabgezogen. Und das Gespräch mit Axilla hatte im Grunde auch nichts gebracht, ausser dass diese sie jetzt vermutlich noch weniger ernst nahm als vorher und sie selbst sich wünschte, sich niemals derartig entblößt und all diese Dinge niemals ausgesprochen zu haben. Eine wirklich grandiose Vorlage für das letzte Anliegen, was sich Serrana für den heutigen Tag noch vorgenommen hatte... "Ich möchte dir danken, dass du hergekommen bist und mir zugehört hast. auch wenn ich wünschte, du würdest mir den einen Gefallen tun. Dir kann es im Grunde egal sein, und mir würde es eine Menge bedeuten." begann sie schließlich und sah Axilla jetzt wieder an. "Und ich wünschte auch, wir würden einander besser verstehen, denn schließlich sind von unserer Familie nicht mehr allzuviele übrig. Ich will nicht noch einmal mit der anderen Geschichte anfangen, aber meinst du, wir könnten es irgendwie schaffen, uns wieder halbwegs zu vertragen? Das wäre mir wirklich wichtig."
-
Axilla rollte statt einer Antwort auf die ersten Fragen nur mit den Augen. Ob sie es ernst gemeint hatte? Natürlich nicht. Und natürlich war der Rat nur sarkastisch gemeint gewesen. Was sollte sie da dann noch dazu sagen, dass Serrana ihr dankte? Wäre Axilla Juvenal bekannt gewesen, sie hätte ihn verstanden, als er gemeint hatte, es sei schwer, keine Satire zu schreiben. Wenn dieser sich auch mit solcher Treugläubigkeit herumplagen musste, dann hatte er es wirklich schwer. Axilla musste ja schon an sich halten, nicht noch etwas gemeines jetzt zu sagen. Aber sie ließ es, denn es hätte sowieso keinen Sinn, Serrana würde nicht einfach anfangen und sich eigene Gedanken machen oder gar ihr Leben in die eigenen Hände nehmen.
Und dann kam Serrana noch einmal mit ihrer Bitte, erweiterte sie aber gleich noch um etwas. Sie wollte sich vertragen. Sie, die sie Axilla bei jeder Möglichkeit schlecht gemacht hatte, die ihren Lebenswandel immer von oben herab pikiert begutachtet hatte und keine Gelegenheit ausgelassen hatte, sie noch mehr zu erniedrigen. Sie wollte sich vertragen. Sie. Nachdem sie Axilla bei ihrem ersten Schritt in Richtung Verbrüderung gleich wieder mit ihrer Moral vor den Kopf gestoßen hatte. Sie, die sie wieder bewies, dass sie aus dieser leeren Hülle der religiösen Richtlinien nicht auch nur den Kopf einmal herausstrecken wollte. Sie. Vertragen.
Axilla stand da und war erstmal sprachlos. Sie holte zwar zweimal Luft, um was zu sagen, ließ es dann aber wieder. Schließlich schüttelte sie den Kopf und setzte sich einfach nur wieder hin. “Wenn du das nur willst, weil du denkst, du wirst sterben, ist es nichts wert“, urteilte Axilla schließlich hart. Sie hatte sich ja mit ihrer Cousine vertragen wollen. Am Anfang hatte sie sogar gehofft, sie könnten Freundinnen werden – naja, bis sie deren eigenwilligen Freundeskreis kennen gelernt hatte. Mit der Germanica zumindest wollte Axilla nichts zu tun haben. Und auch die meisten anderen waren ihr viel zu weich und viel zu Mädchen, als dass sie mit ihnen etwas hätte anfangen können. Inzwischen allerdings war sie an einem Punkt, wo es ihr nicht mehr wirklich wichtig war. Sie konnte Serrana nicht dazu bringen, die Augen zu öffnen, und sie selbst konnte es nicht ertragen, dass diese sie so sehr verschloss. Vor allem, was die eigene Familie anging. “Bislang wolltest du möglichst nichts mit den Iunii zu tun haben. Du hast nur von den Germanici geredet, was sie alles getan und erreicht haben, wie praktisch sie doch die Eigenschaften von anderen sehen, wie sehr sie der momentane Wert einer Person interessiert und wie wenig der Name oder die Geschichte. Wieso also berufst du dich auf einmal auf eben jene?“ Axilla verstand wirklich nicht, was Serrana von ihr wollte, genausowenig wie sie das mit dem Kind verstand, dass die Geschichte der Gens seiner Mutter kennenlernen sollte. Eben jener, die sich dafür nie interessiert hatte.
Jetzt mitmachen!
Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!