• Avianus hatte ihr nicht mehr antworten können. Und selbst wenn er es hätte noch tun können, dann hätte er sie wohl kaum hinausgeschickt. So blieb ihr nichts anderes übrig, als zu bleiben.
    Die Schritte näherten sich und so dauerte es nicht mehr lange, bis endlich ein gut gekleideter Mann erschien, der ein paar Jahre älter sein mochte, als Avianus. Wenn man die Lykierin in diesem Moment sah,hätte man meinen können, sie habe gerade einen Geist gesehen. Ihre Anspannung hatte soeben ihren Höhepunkt erreicht. Und das obwohl sie gerade Zeugin eines freudigen Wiedersehens wurde. Die beiden Iunier fielen sich zur Begrüßung freundschaftlich in die Arme. Als sie sich nach einer Weile wieder trennten, fiel der Blick des älteren Iuniers auf sie. Er fixierte sie, wenn auch lachend. Und trotzdem fühlte sie sich gerade nicht wirklich wohl in ihrer Haut. Vielleicht sollte sie etwas sagen? Irgendwas. Aber genau bei diesem Punkt stellte sich ihr eine wichtige Frage. Wie hätte sie ihn denn eigentlich ansprechen sollen? Einfach nur Seneca oder gar Dominus? Sie war sich nicht sicher. Aber vielleicht konnte sie ja ein wenig lächeln. Wenigstens ein bisschen. Langsam entspannten sich ihre Züge und ein sehr dünnes Lächeln zeichnete sich darauf ab.
    Sie wollte schon antworten, als er nach ihrem Namen fragte. Avianus jedoch kam ihr zuvor. „Ja, genau Sibel“, fügte sie dennoch unsicher hinzu, um dann ihr Lächeln noch ein klein wenig zu intensivieren.

  • "Ich kann nicht klagen. Mantua ist ein langweiliges Nest, aber ich halte die Truppe bei der Stange so gut es geht.", erklärte der Iunier und und klopfte Avianus auf die Schulter, "Aber tatsächlich habe ich Rom vermisst." erklärte er noch im umdrehen bevor er sich Sibel zuwandte..
    "Sibel, ein interessanter Name." befand mit einem Grinsen und stellte sich dann selbst selbst vor, "Mein Name ist Aulus Iunius Seneca, Tribun der Legio Prima in Mantua, und Cousin dieses Burschen, der scheinbar sein Glück gefunden hat.", erklärte der Tribun und grinste dann die beiden an.. Letztlich musste sich Avianus einen Plan für die Zukunft einfallen lassen, es war schließlich unschicklich eine Beziehung zu Sklaven zu unterhalten, aber wer weiß, vielleicht fiel ihm ja was sein, Seneca würde sich dort nicht einmischen, als Soldaten konnten es die beiden sowieso etwas lockerer nehmen..
    "Nun, ich komme mir seltsam vor euch darum zu bitten, schließlich weilte ich länger nicht hier, aber setzt euch doch bitte, etwas zu trinken oder zu essen?"

  • Sibel, Sibel … gesprächig wie eh und je, dachte er sich lächelnd. An Seneca konnte es nicht mehr liegen, der tat ja sein Bestes das Eis zu brechen. Und dafür war ihm Avianus ausgesprochen dankbar. Immerhin waren Sibel und Seneca diejenigen, die ihm in den letzten Jahren am nächsten gestanden hatten und es noch immer taten. Zu sehen, dass die beiden sich miteinander arrangieren könnten, war mehr als beruhigend. Also ja, sein Glück hatte er definitiv gefunden, jetzt erst recht, und das merkte man ihm offenbar auch an. Er blickte ein wenig ertappt drein, aber seine gute Laune, die sich nun endgültig durchgesetzt hatte, schmälerte es nicht. Er machte Seneca gegenüber ja schon lange kein Geheimnis mehr daraus, was er für Sibel empfand.
    Setzen war jedenfalls ein gutes Stichwort. Da ließen sich Unterhaltungen immerhin um einiges bequemer führen.
    "Natürlich. Komm", sagte er deshalb, schob Sibel ein wenig mit sich, damit sie sich mit ihm setzte und ließ sich auf einem der Sessel nieder.
    "Etwas Wein und ein paar Häppchen schaden sicher nicht … für dich, Sibel?", fragte er die Frau an seiner Seite absichtlich direkt, ob sie auch etwas wollte. Vielleicht sagte sie dann auch etwas mehr, als nur ihren Namen zu wiederholen. In diesem Augenblick brauchte sie schließlich nicht die stille Sklavin zu spielen.
    "Du musst wissen, Sibel, ich dachte schon oft genug, jetzt ist es soweit, dass er mir eine Moralpredigt hält, aber jedes Mal lag ich falsch. Und eine Bekannte sagte mal zu mir ich wäre stoisch …", meinte er und gluckste dabei amüsiert vor sich hin und wandte sich dann Seneca zu, "Und seltsam brauchst du dir übrigens nicht vorzukommen, ich muss nämlich zu meiner Schande gestehen, dass auch ich unsere Casa eher selten besuche."

  • "Nun, ich selbst habe genug Erfahrung. Schließlich bin...war... ich auch einmal in einer ähnlichen Situation, wenn wir auch beide römische Bürger waren.", erklärte Seneca, und stockte dabei kurz, aber es musste neben Avianus ja nicht auch noch seine Begleitung von seiner noch immer anhaltenden, und ernster werdenden Beziehung erfahren.
    "Naja Sibel, dann erzähl doch mal was über dich, Avianus hat zwar schon einiges berichtet, aber aus erster Hand ist es dann doch immer etwas interessanter.", hakte Seneca nach, immerhin wusste er nichts über ihre Herkunft und so weiter.. Wobei es ihm hätte egal sein können, aber da es Avianus ernst schien, wollte er nun doch mehr wissen.
    Während er sich also in seinem Sessel zurücklehnte und einen Becher Wein in der Hand hielt, lauschte er gespannt den Worten der Unbekannten vor ihm.

  • Mit Avianus Hand im Rücken, der sie sanft zu seinem Vetter hin schob, blieb ihr eigentlich gar keine Wahl mehr, um still und leise im Hintergrund zu verharren. Also machte sie einen Schritt auf Seneca zu. „Es ist ein lykischer Name. Meine Familie stammte aus Myra,“ bemerkte sie schüchtern. Sie würde wohl noch einen Moment brauchen, bis auch bei ihr das Eis gebrochen war. Zumindest begegnete ihr Avianus‘ Vetter nicht mit Ablehnung. Ganz im Gegenteil, er war sehr freundlich zu ihr, obwohl er über ihre Vergangenheit informiert war.


    Wieder schob Avianus sie weiter, hin zu einer Sitzgruppe. Nachdem er auf einem Sessel Platz nahm, tat sie es ihm gleich, wenn auch zögerlich. Kaum saß sie neben ihm, gab er Senecas Frage an sie weiter. „Ähm, ja auch etwas Wein und vielleicht ein paar Häppchen, bitte… Danke!“
    Avianus tat sein Bestes, damit ihre Anspannung von ihr abfiel. Sie spürte, wie glücklich er war, weil er seinen Vetter da war, aber auch weil sie da war. Um ihm das nicht madig zu machen, versuchte sie, sich noch mehr Mühe zu geben und einfach sie selbst zu sein. So als gäbe es keine Unterschiede und keine Barrieren, die zwischen ihnen standen. Und auch Seneca genoss sichtlich seine und ihre Anwesenheit. Natürlich war er neugierig. Avianus hatte ihm wohl einiges über sie berichtet, doch mit Sicherheit nicht alles. Seneca ermunterte sie schließlich, etwas über sich zu erzählen. Zögerlich begann sie:
    „Aulus… Avianus und ich.. wir kennen uns bereits aus Misenum. Ich diente damals im Haus seines Freundes. Die letzten Tage des Bürgerkrieges brachten mir sozusagen die Freiheit. Meine Domina hatte sich das Leben genommen. Ihr Sohn war bereits gefallen und ihr Gatte, weil er ein Anhänger Salinators war, war im Gefängnis gestorben. Ich bin einfach gegangen. Wir sind alle einfach gegangen. Und als ich schließlich in Rom ankam, war es ausgerechnet Avianus, auf den ich zuerst traf.“ Was er davon halten machte, dass sie damals in gewisser Weise geflohen war.

  • Seine Freude ebbte ein wenig ab, kaum merklich, aber doch, als Sibel ihre Geschichte erzählte. Von Anfang an. Das wäre nun auch Seneca neu. Darüber, dass sie eigentlich schon immer Sklavin gewesen war, hatte er vor seinem Vetter noch nie ein Wort verloren. Jetzt war die Katze jedenfalls endgültig aus dem Sack und in gewisser Weise war es ein seltsam erleichterndes Gefühl. Avianus hatte ohnehin vorgehabt, Seneca die ganze Wahrheit zu erklären, vielleicht nicht so und vermutlich auch nicht heute, aber daran ließ sich nichts mehr ändern. Und vermutlich war es gut so, denn er selbst hätte es nur unnötig aufgeschoben.
    Da sein Verwandter bisher ausnahmslos relativ gelassen reagiert hatte, glaubte er nicht wirklich daran, dass es jetzt anders sein würde, selbst wenn er es verstehen könnte. Doch zumidnest ein paar erklärende Worte wollte er sich nicht nehmen lassen.
    "Erst wollte ich etwas unternehmen … aber dann lief es doch anders als geplant, und wir haben uns schließlich regelmäßig getroffen", fügte er zu Sibels Erklärungen hinzu. So recht wusste er nicht, was er noch sagen sollte. "Als ich dir zum ersten Mal von Sibel erzählt hatte, wollte ich es nicht unnötig komplizierter machen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du für sowas vielleicht Verständnis aufbringen könntest", erklärte er schlussendlich mit einem gequälten Lächeln.

  • Seneca hörte gespannt den Ausführungen von Sibel zu und schnappte doch noch die ein oder andere Information auf, die er so noch nicht wusste.. So so, sie war also immer schon Sklave gewesen und dann auch noch geflohen. Kurz stutze er, sein römisches Gewissen appellierte an ihn, doch er spülte sie mit einem kräftigen Schluck Wein hinunter..
    "Nun, die Wirren des Bürgerkrieges, ich denke wir alle können ein Lied davon singen.", erklärte Seneca und wandte sich dann Avianus zu, "Naja Verständnis hin oder her, es ist eure Entscheidung, mir wurde zu oft hineingeredet als das ich mir dieses Recht nehme." entgegnete Seneca seinem Cousin und fuhr fort, "Sollte das mit euch von Dauer sein, und versteht mich nicht falsch, das Schicksal führte euch ja scheinbar zusammen, sollten wir über Möglichkeiten nachdenken Sibels Stand zu verbessern." gab er zu bedenken, denn so war die Beziehung in den Augen der Gesellschaft nicht akzeptabel.

  • Selbst Avianus‘ Freude schien plötzlich ein wenig getrübt zu sein, nachdem sie Seneca die Umstände ihres Kennenlernens geschildert hatte. Offenbar hatte er ihm nicht alles über sie erzählt, was sie eigentlich gut nachvollziehen konnte. Doch die Frage war nun, wie sein Vetter diese Neuigkeiten aufnehmen würde.
    Avianus versuchte sich und sein damaliges Handeln noch zu erklären. „Wenn ich ihm damals nicht entwischt wäre, hätte er mich wahrscheinlich ausgeliefert“, fügte sie noch hinzu. „Aber das Schicksal wollte es, dass wir uns ein zweites Mal über den Weg liefen. Ich fand ihn in einer Gasse, auf dem Boden liegend, weil ihn jemand niedergeschlagen hatte. Er hatte am Kopf geblutet.“ Und sie hatte ihm geholfen, obwohl er eigentlich nicht auf ihrer Seite gestanden hatte. Sibels Hand suchte die seine und drückte sie. Sie wäre keineswegs überrascht gewesen, wenn er nun seine Meinung über sie noch einmal überdachte. Doch was lastete schlimmer: Eine Frau, die als Kind in die Sklaverei verschleppt wurde und floh, nachdem alle, die sie ihr Eigentum hätten nenne können, tot waren? Oder eine Frau, die sich mit der Arbeit in einem Lupanar über Wasser gehalten hatte und unter widrigen Umständen in die Sklaverei geraten war?


    Avianus‘ Vetter hatte einen großen Schluck Wein genommen, bevor er zu sprechen begann. Das war für ihn sicher ein starker Tobak, der erst einmal verdaut werden musste. Dennoch fiel das, was er sagte, doch recht milde aus. Er ließ es außen vor, ob er ihre Beziehung gutheißen sollte oder nicht. Jedoch machte er sich Gedanken darüber, wie ihre Beziehung tatsächlich auch eine Zukunft haben konnte. Er sprach von der Verbesserung ihres Standes.
    „Ich würde alles in Kauf nehmen, um bei ihm zu bleiben, auch wenn ich dafür nicht frei sein kann.“ Die Möglichkeit, einmal mehr als nur seine Geliebt zu sein, hatte sie sich zwar heimlich gewünscht, die Möglichkeit dies zu realisieren jedoch nie wirklich in Betracht gezogen.

  • "Blödsinn, du wirst nicht ewig meine Sklavin bleiben", erwiderte Avianus schlicht und schüttelte leicht den Kopf, als Sibel einmal mehr erklärte, für ihn auch auf ihre Freiheit zu verzichten. Denn nicht nur ihre Freiheit würde sie opfern, auch eine eigene Familie und eine wirkliche Zukunft, nur um nach außen nicht einmal seine Geliebte sein zu dürfen. Dabei gab es doch andere Optionen ... oder zumindest eine. Hatte er nicht schon im Gespräch mit dem Helvetius gesagt, er würde sie freilassen? Er tat es Seneca gleich und trank einen Schluck, bevor er weitersprach.
    "Seneca, sie ist unfrei", antwortete er dann seinem Vetter, der allerdings so tat, als stünden ihnen eventuell noch mehr Möglichkeiten offen, über die man nachdenken könnte. Avianus jedenfalls wollte beim besten Willen nicht mehr als eine einzige einfallen.
    "Sie weiter aufsteigen zu lassen, als bis zur Libertina wird wohl nicht drin sein. Das kann und werde ich zweifellos tun, aber glaubst du, das würde Silanus, Axilla und allen anderen reichen?" Er wagte es nicht, darauf zu hoffen. Libertinae als Konkubinen bei sich zu haben, kam ja durchaus vor, manche heirateten ihre ehemaligen Sklavinnen ja sogar, aber dass es soweit kommen würde, daran wollte er ebenfalls nicht recht glauben. Als sie sich noch vor jedem als Peregrina ausgegeben hatte, hätte sie durch eine Adoption vielleicht noch zur Bürgerin werden können, aber nachdem inzwischen nicht wenige in Rom wussten, dass sie Sklavin war, mussten sie wohl oder übel das Beste daraus machen.
    "Oder hattest du noch etwas anderes im Sinn?"

  • "Natürlich wird es das nicht.", entgegnete Seneca ruhig und ein wenig sarkastisch.. Er hatte am eigenen Leibe erfahren was reichte und was nicht, nur dass in seinem Fall er nicht reichte..
    "Aber dein Vater, deine Mutter und dein Bruder sind bereits bei den Ahnen Avianus, wer hätte noch das Recht dir in deine Angelegenheiten hineinzureden?", fragte Seneca nun etwas lauter, was keineswegs Wut auf Avianus oder Sibel andeuteten sollte, sondern die Wut über seine eigenen Situation, "Du bist Centurio mein lieber Cousin, nicht mehr wirklich Teil der Mannschaften, aber auch kein Teil des Stabes, momentan hast du so viele Freiheiten wie nie in deiner Laufbahn.", gab er seinem Cousin zu bedenken. Was natürlich passieren würde wenn er weiter aufsteigen sollte wusste er nicht, die Freigelassene und der Tribun? Das wäre eine denkbar schwierige Kombination..
    Seneca blickte Sibel an, trank einen Schluck und grinste dann wieder..
    "Zur Flotte werden wir dich ja kaum schicken können." stellte er fest, schade, so würde ihr das Bürgerrecht wohl verwehrt bleiben..

  • Was als Aufmunterung gedacht war, schoss ganz knapp am Ziel vorbei, denn Sibel konnte sich nicht darauf freuen, eines Tages freigelassen zu werden. Auch wenn das völlig verrückt klang. Den Tag ihrer Freilassung setzte sie mit dem Ende ihrer Zeit in der Castra gleich. Dann gäbe es wieder etwas, was sie trennte.
    Aber auch die darauffolgende Diskussion der beiden, bei der es ja im Grunde um sie ging, und das, was man tun konnte, damit sie besser ins Konzept von Avianus‘ Familie passte, fiel ähnlich ernüchternd aus. Eigentlich hatte sie von Anfang an die Antwort gekannt. Auch wenn zwischendurch so etwas wie Hoffnung mitgeschwungen hatte. Doch es war einfach lächerlich, sich Hoffnungen zu machen, es gäbe so etwas, wie ein Hintertürchen in diesem Spiel. Letztendlich musste sie sich einmal mehr eingestehen, dass sie niemals die Richtige für ihn sein könnte, ohne ihm dabei im Wege zu stehen.


    Irgendwann hatte sie ihren Blick abgewandt. Nur ihre Hand, die seine noch immer hielt, verband sie in diesem Moment noch miteinander. Ihre Augen fixierten irgendeine Ecke im Atrium, an der sie sich festhalten konnte, denn es war einfach so schmerzhaft, weiter zuzuhören. Eine Träne rann an ihrer Wange herab, dann noch eine. Vielleicht war es besser, endgültig aus seinem Leben zu verschwinden. Für immer. Dann ersparte sie ihm viel Kopfzerbrechen. Und eines Tages, wenn sie dann tatsächlich nicht mehr tragbar war, ersparte sie ihm auch noch sein schlechtes Gewissen, sie fort schicken zu müssen.

  • "Willst du sagen, ich soll sie einfach heiraten, wenn es das ist, was ich möchte?", fragte Avianus den inzwischen grinsenden Seneca leicht irritiert. Wenn es tatsächlich das war, was er meinte, dann hatten die Monate außerhalb Roms im öden Mantua, getrennt vom Rest der Gens, seinem Vetter wohl eindeutig nicht gut getan. Dass er dafür als Centurio erst einmal das Conubium verliehen bekommen müsste, war noch das kleinste Problem. Er blickte zu Sibel, presste die Lippen zusammen, weil er mehr sagen wollte, es aber nicht könnte, ohne sie zu verletzen. "Sibel ... " Leise seufzend drückte er ihre Hand. Wie er es hasste, wenn sie weinte, nicht wegen ihr, sondern vielmehr wegen sich selbst, weil er nie tröstende Worte fand, ohne sie dabei anzulügen. Aber was sollte er denn tun? Schweigen und einfach so stehen lassen, was Seneca sagte?
    Genauso verständnislos, wie er er nun wieder Seneca anblickte sprach er weiter:
    "Dir mag das inzwischen egal sein, aber ich habe keine Lust mich mit dem letzten Rest Verwandtschaft, den ich abgesehen von dir noch habe, zu zerstreiten. Sie mögen es mir nicht verbieten können, aber was ich tue, betrifft nicht nur allein mich, folglich kann ich auch nicht einfach nur das tun, was mir gerade passt." Sollte Seneca mit Axilla und Silanus mit derselben Einstellung über seine eigene Liebschaft geredet haben, konnte sich Avianus lebhaft vorstellen, weshalb sein Verhältnis zu den beiden zurzeit nicht gerade rosig war.
    Außerdem war da ja noch die Tatsache, dass er zwar "nur" ein Centurio war, allerdings sehr wohl Gründe hatte, auf seinen Ruf zu achten und darauf, die Unterstützung seiner Familie nicht zu verlieren:
    "Der Praefectus Urbi persönlich hat mir nahegelegt, eine Offiziersausbildung zu machen, damit ich für höhere Posten qualifiziert wäre und ich habe zugestimmt. Ich könnte es vielleicht bis zum Eques schaffen, Seneca."

  • Seneca lauschte den Worten seines Cousins und ihm wurde klar dass Avianus wesentlich nüchterner an die Sache ranging als er gedacht hatte.. Sein Blick wurde ernster, auch als er Sibel sah, weinend, und er stellte seinen Becher beiseite..
    "Nun, dann hast du dir die einzige Lösung ja schon aufgezeigt.", sagte er nüchtern und zog kurz die Augenbrauen hoch, "Solltest du planen Eques zu werden darf nichts von euch je öffentlich werden." erklärte er sachlich und wartete gespannt die Reaktion ab. Letztlich war es nicht seine Angelegenheit, und doch saß der Stachel tief, auch wegen seiner Worte bezüglich Axilla und Silanus, schließlich hatte er keine Ahnung was vorgefallen war.

  • Langsam bröckelte auch der letzte Rest der Fassade, die sie sich aufgebaut hatte. Die Fassade, die ihr vorgegaukelt hatte, alles könnte von nun an besser werden. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, um nicht schreien zu müssen. Wie hatte sie nur so naiv sein können.
    Der Gedanke, im rechten Moment fortzugehen formte sich zusehends, je länger sie darüber sprachen, zu einem Entschluss. Avianus war ohne sie besser dran. Eigentlich stand sie ihm doch jetzt schon im Weg. Langsam und unmerklich löste sich ihre Hand von seiner.
    Jedes Wort, das zu ihr vordrang, war wie ein Stich, der unendlich schmerzte. Jahrelang
    hatte man sie gezwungen, stillzuhalten und alles ohne Widerworte zu erdulden, wie ein starres Möbelstück. Nun aber war der Punkt erreicht, an dem genug einfach genug war, an dem nichts mehr ging. Sibel kapitulierte schließlich vor ihrem eigenen Wunschdenken und erhob sich von ihrem Platz. „Bitte… bitte hört auf! Ich…“, rief sie schluchzend. Sie hatte ich inzwischen den beiden Iuniern wieder zugewandt. „Ich werde noch solange bei dir bleiben, wie du mich bei dir behalten willst. Aber dann werde ich gehen. Ich werde weder zwischen dir und deiner Familie noch deinen Zukunftsplänen stehen. Vergiss mich einfach. Lass mich einfach zu einer netten Erinnerung werden, der du hoffentlich nie nachtrauern wirst. Denn du siehst doch selbst, es ist das Beste für uns, wenn ich dann gehe.“

  • Zwar war Senecas Antwort genau das, was er schon die ganze Zeit über zu hören erwartet hatte, dennoch schluckte er schwer, als es endlich laut ausgesprochen wurde. Damit wurde es mit einem Schlag so viel realer. Wäre noch eine Spur seiner Freude übrig geblieben hätte er vielleicht bitter gelacht, weil sein Cousin offenbar glaubte, keiner außer ihnen wüsste von ihm und Sibel. So blieb er aber nur stumm.
    Seneca, sein ehemaliger Vorgesetzter, der sie im Kampf angeführt hatte, der immer gewusst hatte, was zu tun war, von dem er geglaubt hatte, dass er immer noch irgendeinen Rat wusste, wenn er schon längst verzweifelte … selbst der wusste nun nicht mehr zu sagen, als dass er sich zwischen A und B entscheiden musste, nie aber beides haben konnte. Es war ernüchternd … mehr als das … enttäuschend. Niederschmetternd. Avianus tat sein bestes, seine Fassung zu wahren.
    Ein Leben ohne Sibel. Darauf würde es vermutlich früher oder später hinauslaufen … eine befremdliche Vorstellung. Und das obwohl er sich stets gesagt hatte, es ginge ihm in erster Linie darum, dass es ihr gut ging, nicht darum, sie für immer an seiner Seite zu haben. Es ging um Sibel, einzig und allein um sie, nicht um ihn. Das hatte er sich selbst und allen anderen zumindest immer vorgemacht. Aber wenn er daran dachte, dasselbe noch einmal durchmachen zu müssen, wie schon einmal, befiel ihn Angst. Er lehnte sich zurück, strich sich fahrig durch die Haare, wollte Sibels Finger gleichzeitig mit seinen verschränken, aber die entglitten seiner Hand.
    Sibel hatte sich neben ihm erhoben, machte nun lautstark ihrem Kummer Luft, und er konnte unterdessen nicht mehr tun, als sie anzustarren.
    "Solange ich dich bei mir behalten will …?", war das erste, was er hervorbrachte, als er seine Beherrschung wiedergefunden hatte. In jeder anderen Situation hätte er sie vermutlich in den Arm genommen, damit sie sich beruhigte, aber sie war es ja, die sich von ihm gelöst hatte und derart stumpfsinniges Zeug redete, als wäre sie einfach nur ein netter Bonus für ihn, den er eigentlich gar nicht brauchte. Die Kirsche auf der Sahnetorte. Wo sie doch lange schon so viel mehr war und sie sich dessen bewusst sein sollte. Noch dazu versuchte er hier ruhig und sachlich zu bleiben, ihre Optionen durchzugehen, und sie heulte nun in ihrer Hoffnungslosigkeit die immer selben verzweifelten Worte durchs Atrium, von denen er gehofft hatte, sie nie wieder hören zu müssen, um ihr dann die immer selben Antworten zu geben.
    "Wann wollte ich denn jemals, dass du gehst? Und wer hat denn einmal gesagt, solange wir uns lieben, macht das mit uns immer Sinn?! Und verdammt nochmal, ich habe dir schon einmal nachgetrauert! Die beschissenste Zeit, die ich je hinter mich bringen musste! Und es würde wieder genauso sein, mach' dir also nichts vor! Womit soll ich also aufhören, Sibel? Dich zu lieben oder damit, ein Iunius zu sein?!" Zwar hatte er sie nicht angeschrien, war aber doch zum ersten mal, seit sie im Atrium saßen, lauter geworden, schnaubte nun kurz und starrte durch seinen Weinbecher hindurch ins Leere. "Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, denn scheißegal was ich tu', ich werde es nie allen recht machen, und mir selbst sowieso nicht." Verstand sie denn gar nichts? Sie begriff das Dilemma, in welchem er sich verfangen hatte, wohl gar nicht. Nicht sie stand im Grunde im Weg. Alle standen irgendwie im Weg. Entweder würde Sibel den Kürzeren ziehen oder seine Karriere und Familie. Und er selbst immer. Er konnte gar keine richtige Entscheidung treffen.

  • Die Stimmung kippte, und Seneca ahnte dass dies wohl eine längere Auseinandersetzung werden würde. Sibel weinte und spielte die 'Ich opfere mich'-Karte aus, und Avianus war wütend und in einer Sackgasse. Der Tribun wünschte er hätte eine Lösung für das Problem, doch außer dem Vorschlag sich eine Frau anzulachen die sonst nicht an den Mann zu bringen war, und Sibel als Liebschaft und heimliche Mutter der Kinder im Hause zu behalten viel ihm nicht wirklich was ein, schließlich würde sie niemals im selben Stand sein wie Avianus.
    Auf der anderen Seite war ihm dieser ganze Streit momentan etwas unangenehm, und Avianus und Sibel hatten ihn ja zu dieser Aussage gedrängt, sodass er nun etwas peinlich berührt in seinen Becher starrte.. Ach Seiana, wärest du jetzt hier, wie schön könnte man die Zeit verbringen? Auch dieses Thema würde er noch mit Avianus besprechen müssen, vielleicht wenn sich die Lage beruhigt hatte.

  • „Ich habe mich geirrt,sagte sie leise, nachdem ihr Blick für eine ganze Weile auf Avianus geruht hatte. Sie kannte die Antwort auf seine Frage und eigentlich wusste er sie doch auch. Er würde nie aufhören können, ein Iunius zu sein. Das war sein Leben. Er war jung, eifrig und aufstrebend und er hatte die besten Voraussetzungen, noch vieles im Leben zu erreichen.Das hatte man ihm ja auch schon von höherer Stelle bescheinigt. Darum konnte nur diese eine Antwort die Richtige sein. Dieser Erkenntnis konnte sie nicht mehr länger entziehen, auch wenn es ihr das Herz brach und in ihr etwas sterben ließ.


    „Ich brauche frische Luft. Bitte entschuldige mich. – Aulus Iunius Seneca, es hat mich gefreut, dich kennenzulernen.“ Fluchtartig verließ sie die Sitzgruppe. Ein Sklave, der ihr entgegenkam, warf ihr nur einen fragenden Blick zu. Sibel aber ließ sich davon nicht beirren. Sie lief zur Tür und ließ sich vom Ianitor öffnen.
    Vor der Casa blieb sie zunächst stehen und rang nach Atem, als stünde sie kurz vor dem Erstickungstod.
    Der Abend war schön. Ein lauer Frühsommerabend, der vielversprechend hätte sein können. Nicht aber für sie...

  • "Nein, …", wollte er ihr widersprechen, wusste aber nicht wie. "Sibel … du …", stammelte er stattdessen weiter, als sie bereits aufgestanden war. Es machte also keinen Sinn, hatte es vermutlich noch nie getan. Ihre Liebe bedeutete nichts. Aber was sollte er ohne sie, war die Frage, die sich ihm aufdrängte, ohne sie, die er einmal für den Grund gehalten hatte, den Krieg überlebt zu haben, sie, die doch eigentlich dafür sorgte, dass alles Sinn machte, seine Carissima. Und alles überwinden von Hürden, alles Kämpfen und Hoffen für die wenigen glücklichen Momente wäre umsonst. Denn was sollte er mit den Erinnerungen an den Abend in den Gärten oder an jenen in der Taberna, als er sie von diesem Attentäter befreit hatte, was sollte er mit den Bildern, die ihm noch von ihren gemeinsamen Stunden im Lupanar im Gedächtnis hingen, nachdem sie sich wiedergefunden hatten, oder mit jenen, wie sie Freudentränen weinte, als der Helvetius ihrem Verkauf zugestimmt hatte. Ohne sie an seiner Seite würden sie lediglich foltern.
    "Ich … ich muss mit ihr reden", sagte er stockend und mit entschuldigender Miene zu Seneca, dem die Situation sichtlich unangenehm war, und erhob sich, um Sibel zu folgen. Und dabei konnte er doch gar nichts tun, denn sie beide hatten es schon immer gewusst, es nur stets vor sich hergeschoben, es zu akzeptieren. Dass irgendwann der Punkt kommen würde, an dem auch damit Schluss war, hatte er schon lange geahnt, aber schlicht versucht, es zu ignorieren. Denn wer blieb ihm noch, wenn sie fort war? Seine Eltern und sein Bruder waren tot, Seneca in Mantua stationiert, Axilla und Silanus waren stets beschäftigt, Torquata wiederum eingesperrt im Atrium Vestae, … mit einem Mal wäre er wieder allein.
    Als er sie vor der Casa sah, blieb er hilflos ein paar Schritte hinter ihr stehen, obwohl es ihm schwer fiel, einfach zuzusehen, wie sie dastand und nach Atem rang. Aber er war nicht der, der daran etwas ändern könnte, sondern vielmehr der Auslöser oder zumindest ein Teil davon, und so wie es aussah, suchte sie Abstand zu ihm. "Sibel … vorerst bin ich weder Eques noch Tribun …", versuchte er sie zu beruhigen, "Gehen wir doch einfach heim und denken nochmal in Ruhe nach. Wir müssen nicht einmal zurück in die Castra … wir können heute Nacht auch hier bleiben."

  • Seneca hockte einfach nur da.. Was war da gerade passiert? Etwas verwirrt und sichtlich irritiert blieb Seneca in seinem Sessel sitzen und blickte Avianus nach als er aus der Casa stürmte.. Was blieb ihm auch anderes übrig?
    In einem Zug leerte er seinen Becher Wein und blickte die ebenfalls verdutzte Hausdienerschaft an.. Er erhob sich und machte sich auf den Weg in sein mittlerweile hergerichtetes Cubiculum, das mussten und sollten die beiden unter sich ausmachen, er war Tribun, und Vater, und vor allem waren ihm solche Szenen auf der Straße immer furchtbar peinlich, weshalb er das Haus sicherlich nicht verlassen würde.

  • Er war ihr natürlich hinaus gefolgt. Nur wenig später stand er ebenso wie sie auf der Straße. Dennoch hielt er Abstand zu ihr. Er kam nicht, wie er es vielleicht sonst getan hätte, um sie in den Arm zu nehmen und sie zu trösten. Stattdessen versuchte er, sie davon zu überzeugen, dass sie doch noch alle Zeit der Welt hätten. Doch was änderte das schon? Ob sie nun ging oder erst in einigen Jahren? Was machte das für einen Unterschied? War es denn nicht viel grausamer, den ultimativen Punkt noch weiter hinauszuschieben, mit dem Wissen, dass sie ihm allein durch ihre Anwesenheit schadete? Hatten sie dafür all die Jahre so hart gekämpft, um sich nun am Rande des Abgrunds wieder zu finden? Ein Abgrund, der sich ganz plötzlich zwischen ihnen aufgetan hatte? Von dem sie gestern noch gar nichts geahnt hatten, dass es ihn gab. Oder sollte man nicht besser sagen, den sie bis dahin erfolgreich verdrängt hatten.


    Sibel wusste nicht, was sie noch sagen oder denken sollte. Ihr kam sogar der Gedanke, völlig überreagiert zu haben. Aber es hatte doch so weh getan, wie sie über sie gesprochen hatten, als säße sie gar nicht daneben, sondern sei weit, weit fort.
    Doch vielleicht hatte Avianus ja recht damit, nach Hause zu gehen oder auch hier die Nacht zu verbringen, um vorher in Ruhe noch einmal unter vier Augen darüber zu reden. Auch wenn dies an dem Grundproblem nichts ändern würde.
    „Ja gut,“ meinte sie schließlich, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte. „Lass uns gehen, ganz gleich wohin…. Irgendwohin wo du willst, oder lass uns auch hier bleiben.“ Es war schließlich egal, wo sie miteinander redeten und im schlimmsten Fall ihrer Liebe den Todesstoß versetzten.

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