• Avianus atmete ein wenig auf, als Sibel ihm endlich zustimmte. Ihre Worte klangen dennoch wenig überzeugend und ihm war bewusst, das Thema war noch lange nicht gegessen. Wie könnte es auch, irgendwann mussten sie ja zwangsläufig klären, wie ihre Zukunft aussehen sollte. Aber doch nicht so. Nicht innerhalb von ein paar Minuten, völlig unvorbereitet und während sie sich gegenseitig ankeiften. Das hier war schließlich keine Kleinigkeit und es wurde Zeit, dass sie sich endlich in Ruhe und anständig darüber aussprachen.
    "Dann bleiben wir hier …", schlug er gezwungenermaßen vor, da es für sie offenbar keine Rolle spielte, "Hier müssen wir uns um nichts kümmern, wir können nachher noch etwas essen, du kannst auch ins Balneum, wenn du möchtest, und dann sehen wir weiter. Du kannst auch jetzt schon ein Bad nehmen, Seneca und ich müssen sowieso noch über ein paar andere Dinge reden."
    Er hoffte, sie damit wieder ein wenig zu versöhnen und so hätte sie auch etwas Zeit um wieder zur Ruhe zu kommen, denn natürlich tat ihm leid, was passiert war und dass er zugelassen hatte, dass sie sich in diese Situation manövriert hatten. Doch wofür sollte er sich entschuldigen? Für die bittere Realität? Im Grunde trugen sie nicht einmal die Schuld daran, was geschehen war oder noch geschehen würde, immerhin hatten sie ihr Bestes getan. Verdammt, er hatte alles getan, was er konnte. Aber manchmal war alles anscheinend nicht genug. Und jetzt mussten sie wieder einmal ihr Bestes tun, mit der Situation klarzukommen, so wie immer eben.
    Er griff nach ihrer Hand, um mit ihr in die Casa zurückzukehren, sofern sie es zuließ.

  • Unter normalen Umständen hätte es sicher sehr verlockend geklungen, was Avianus ihr nun alles vorschlug: Ein gemeinsames Essen, ein entspannendes Bad in einem privaten Balneum, in das sonst niemand fremdes Zutritt hatte und um alles musste man sich nicht selbst kümmern. Nein, das würden andere für sie tun. Einen Moment lang das Leben von einem anderen Blickwinkel aus sehen. Allerdings konnte sie sich darüber nicht wirklich begeistern. Ihm zuliebe aber willigte sie ein. Sie hatte ihm heute Abend schon genug Kummer bereitet. Denn zweifellos war ihr bewusst, wie schwer es auch für ihn gewesen sein musste. Er hatte erkannt, welchen Preis er zu zahlen hatte, wenn er sie nicht los ließ. Und er würde sie los lassen. Irgendwann schon!


    „Gut, dann bleiben wir hier,“ meinte sie nickend und kam ihm entgegen, um wieder zurück ins Haus zu gehen. Er nahm sie bei der Hand und sie ließ sich führen. Spätestens als sie wieder über die Schwelle schritt, wurde ihr bewusst, dass im Atrium ja auch noch sein Vetter wartete. Nach ihrem Auftritt heute, hatte sie mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck bei Seneca hinterlassen. Im Prinzip war das ja aber jetzt auch nicht mehr wirklich wichtig. Aber selbst das konnte ihr das schlechte Gewissen, das sie hatte, nicht völlig nehmen.

  • Im Atrium war von Seneca nichts mehr zu sehen. Vielleicht war ihm die ganze Angelegenheit doch noch zu blöd geworden und er hatte die erstbeste Möglichkeit zur Flucht genutzt. Avianus konnte es ihm nicht verübeln. Aber Sibel war ja nicht alles, worüber er mit seinem Cousin hatte reden wollen.
    Zunächst, bevor er wirklich an irgendetwas anderes dachte, wies er noch einen Sklaven an, dafür zu sorgen, dass ein Bad vorbereitet wurde, selbst wenn Sibel nicht direkt zugestimmt hatte, aber so wie sie sich gerade verhielt, wäre ihr vermutlich auch das egal. So seltsam gleichgültig hatte er sie noch nie erlebt, sodass er sich ihr nun doch stirnrunzelnd zuwandte. Was er und Seneca miteinander besprochen hatten, wie er sie angefahren hatte oder auch zu erkennen, wie aussichtslos ihre Lage gerade war, musste sie tief getroffen haben. Dabei wollte er seit jeher nur ihr Bestes.
    "Was ist los? Ist alles in Ordnung?", fragte er sie deshalb, "Man wird dir ein Bad einlassen, dann kannst du dich ein wenig entspannen. Soll ich nachher dort vorbeischauen, wenn ich mit Seneca geredet habe? Oder willst du deine Ruhe? Was willst du Sibel?"
    Er wusste beim besten Willen nicht was er gerade tun sollte und Sibel, die einfach nur sagte, was er ihr an Worten in den Mund legte, war absolut keine Hilfe.
    Avianus winkte einen weiteren Sklaven herbei, der sie anschließend ins Balneum führen sollte, wartete aber ihre Antwort ab, selbst wenn er keine großen Hoffnungen hegte, dass sie dieses mal etwas Aufschlussreicheres sagte.

  • Ihre Mutlosigkeit und ihr in sich selbst gekehrt sein, ließen sie dort stehen bleiben, wohin Avianus sie geführt hatte. Seneca war bereits gegangen. Wer hätte ihm das verübeln können. Dieser Abend war gründlich daneben gegangen! Irgendwie aber hatte sie es bereits schon vorher gewusst, dass es ein großer Fehler sein würde, hierher zu kommen. Im Grunde hatte das, was hier und heute gesagt worden war, ja offen auf der Hand gelegen. Sie selbst hatte es ja auch immer gewusst, dass sie nicht diejenige war, die er irgendwann einmal als seine Frau bezeichnen konnte. Es dann heute aber aus seinem Munde zu hören, war dann doch etwas anderes. Es schmerzte so sehr. So sehr sie ihn auch noch immer liebte, sie wünschte sich nun, sie hätten sich niemals getroffen.


    Ihm war natürlich sofort aufgefallen, dass sie anders war, als sonst. So ernst und traurig, so ganz ohne Hoffnung war sie bisher nur selten gewesen. Damals vielleicht, als sie noch vor Silanus ausgeliefert war. Und auch als er sie fragte, was sie wolle, hatte er für sie doch schon alles geregelt. Er hatte Sklaven geschickt, die ein Bad für sie bereiten sollten, Sie sollte sich entspannen und auf ihn warten.


    „Nichts, alles Bestens,“ antwortete sie ihm ohne auch nur aufzusehen und ihm ins Gesicht zu blicken. „Wenn du willst, natürlich.“ Die Frage war doch nicht, was sie wollte, sondern was er wollte? Dass sie es für ihn nicht sein konnte, hatte er ja nun mehr als deutlich gemacht. Doch was wollte er? Das war die Frage!


    Wortlos folgte sie schließlich dem Sklaven, der sie zum Balneum brachte.

  • Blöde Frage, natürlich war nicht alles in Ordnung. Und trotzdem sagte sie weiterhin, wovon sie wohl glauben musste, es war das, was er hören wollte. Davon, sich untereinander auszusprechen, war das weit entfernt und Avianus hoffte einfach, dass seine Versuche von größerem Erfolg gekrönt wären, wenn sie das Geschehene ein wenig verdaut hätte. Der Schock saß vielleicht einfach noch zu tief.
    Wie konnte sie sich aber die Frage stellen, ob er denn zu ihr ins Balneum wollte. Und ging es hier plötzlich nur noch um ihn? Wieso sollte er es nicht wollen? Hatte er irgendeinen triftigen Grund, sie weniger zu lieben als noch vor ein paar Stunden? Sie war es doch, die ihn nicht ansah, die kaum sprach, ihm kein Zeichen gab, was er tun könnte, um etwas daran zu ändern. Er begriff nicht, kein Stück, ob ihr kühles Verhalten ein Hilfeschrei nach Nähe und Trost war oder ob sie tatsächlich abstand wollte.
    Nicht recht verstehend, was er tun sollte, nickte er also einfach, selbst wenn sie es wahrscheinlich nicht sehen würde, presste die Lippen zusammen, denn was er auch sagte war ohnehin sinnlos, und gab sein Bestes vor den Sklaven eine gefasste Miene zu wahren. Er sah ihr noch nach, wie sie dem Sklaven Richtung Balneum folgte und machte sich anschließend daran nach Seneca zu suchen.

  • Nie im Leben würde sie erraten, was ihm heute widerfahren war! Er selbst glaubte es kaum. Der Decimus hatte ihm nicht nur erlaubt, seine liebste Sibel zu heiraten, nein, der schenkte ihm auch noch ein Landgut und wollte ihn zum Ritter machen! Wie verrückt die Welt doch war, und sein Leben erst recht. Mit einem Schlag hätte er alles erreicht, was er sich zum Ziel gesetzt hatte und gleichzeitig noch Sibel an seiner Seite. Jetzt bloß keine Freudentränen, Aulus! Wie sähe das denn aus! Stattdessen hatte er das breiteste Grinsen im Gesicht seit … naja, seiner Hochzeit. Die war erst ein paar Monate her, aber so ein Grinsen trug selbst er nur selten mit sich herum. Aber wie könnte er auch anders. Dabei hatte er weder das Grundstück noch den Ritterring bereits in seinem Besitz. Aber allein die Vorstellung! Wer hätte gedacht, dass das Schicksal mit einem Mal eine solche Wendung nehmen würde.
    "Mach eine Amphore Wein auf! Vom besten, den wir haben!", wies er sofort den erstbesten Sklaven an, als er ins Atrium trat. Dem ließ er aber gar keine Zeit, sich davonzumachen, sondern löcherte ihn gleich anschließend mit Fragen: "Wie geht es meiner Frau? Wo ist sie? Oben? Im Triclinium?"
    "Ääh …", machte der Sklave nur und war sichtlich überfordert und dazu noch irritiert von der ungewöhnlich guten Laune des Iunius.
    "Egal … sag' ihr, wir müssen dringend sprechen!" Da kam Avianus noch etwas anderes in den Sinn. Wie hatte er das nur vergessen können! "Nein, kein Wein! Posca? Honigwasser? Was auch immer Sibel in letzter Zeit am liebsten trinkt!" Kaum hatte er es ausgesprochen, klopfte er dem Sklaven auf die Schulter, tigerte er auch schon wieder weiter, um sich ein wenig frisch zu machen und anschließend ins Atrium zurückzukehren.

  • Der Sklave Dicon führte den eben in der Domus angekommenen Iunius zu der Sitzecke im Atrium, die er eigentlich für Avianus und dessen Frau vorbereitet hatte - was aber ohnehin keine Rolle spielte, denn die ließ sich, wie er zuvor für den Dominus in Erfahrung gebracht hatte, gerade von der Hebamme untersuchen.
    "Nimm Platz, Iunius Vitulus", bot der Sklave dem Besucher an sich zu setzen, "Iunius Avianus ist zurzeit im Haus. Wenn du einen Augenblick warten würdest ... ich werde ihm von deiner Ankunft berichten. Bestimmt hat er gleich Zeit für dich."
    Einen Augenblick lang stand Dicon noch unschlüssig an der Sitzgruppe, dann verschwand der Sklave auch schon, um Avianus gleich abzufangen, sobald dieser aus dem Balneum kam.


    Da war Avianus doch ein wenig überrascht, als Dicon ihn überfiel, kaum dass er aus dem Bad getreten war, und von einem Iunius Vitulus sprach, der eben in der Domus angekommen war und seinen Verwandten einen Besuch abstatten wollte. Nicht ganz was er geplant hatte, aber wenn er im Leben eines gelernt hatte, dann, dass eben nicht immer alles nach Plan lief. Selbstverständlich würde er den Gast begrüßen und er war ja auch der einzige Mann im Haus, quasi der Hausherr eben, wenn er denn mal da war.
    "... und deine Frau lässt sich im Moment von der Obstetrix untersuchen", erklärte Dicon weiter, als er neben Avianus richtung Atrium schritt. Damit war der Plan also sowieso zum Scheitern verurteilt gewesen. Avianus lächelte dennoch weiterhin breit. Dann würde er Sibel eben später überraschen. Dank Decimus Livianus hatte er schließlich den ganzen restlichen Tag frei. Was zählte war: Er würde sie überraschen. Aber sowas von.
    "Gut ... ich möchte mit ihr sprechen, sobald sie fertig ist. Ihr geht es doch gut?"
    "Natürlich, Dominus. Ja ... den Umständen entsprechend eben."
    Er betrat das Atrium, sah den Mann, der den Namen seiner Familie trug, doch das Gesicht war ihm ebenso unbekannt wie der Name. Avianus kam nicht umhin, ein wenig neugierig zu werden, trat also ohne langes Zögern auf die Sitzgruppe zu und versuchte dabei, seine Miene halbwegs in den Griff zu bekommen, um den Gast nicht mit dümmlich grinsend zu begrüßen.
    "Salve, Iunius ... Vitulus? Willkommen in der Domus Iunia. Ich bin Aulus Iunius Avianus ...", hieß er Vitulus willkommen, "... und der vermutlich einzige, der so kurzfristig Zeit hatte, dich in der Domus zu begrüßen", fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu. Außer ihm und seiner Frau bewohnten ja nur Axilla und deren Söhne das Haus.
    "Dicon, bring verdünnten Wein", bat er noch den Sklaven, bevor er sich selbst setzte. Seinem Gast würde er selbstverständlich besseres anbieten als das alkoholfreie Honigwasser, welches von zuvor noch auf dem Tisch stand. Der war ja nicht schwanger.
    "Nun, Vitulus. Was führt dich her? Ein Besuch bei den Verwandten? Suchst du nach jemandem bestimmten?"

  • Glücklicherweise ließ der Fremde Vitulus auch bald herein, was es da zu lächeln, zu grinsen und zu kichern gab, verstand er nicht. Er hätte sich auch im Haus irren können, oder hätte Falsche Informationen erhalten können und dann wäre er vielleicht bei einer ganz anderen Familie angelangt, man wusste ja nie. Es war ja nicht so als Stände es in riesigen Tafeln überall herum, dass dieses Gebäude den Iuniern gehörte, konnte auch sonst wem sein.


    Dem Sklaven nickte er leicht zu, welcher ihn dann sofort an eine Sitzecke führte und ihm erklärte dass ein Iunius Avianus im Haus war - den Namen konnte er womöglich schon mal gehört haben, dass musste aber nicht sein. Überwiegend kam er auf gut glück nach Rom, wenn ihn die Familie aufnahm war es natürlich toll, falls nicht.... Nun dann musste er andere Wege und Möglichkeiten finden wie er sich zukünftig versorgen konnte, und wie er endlich mal eine Arbeit erhielt. Bisher hatte er ja teilweise auf der Faulen Haut gelegen, es war Zeit dass er endlich erwachsen wurde.


    Er tippte auf seinen Oberschenkeln herum, und erwartete gespannt die ihm noch Fremde Person. Wie würde er willkommen geheißen werden? Glücklicherweise musste er sich darüber nicht allzu lange Gedanken machen, und wurde auch alsbald von jemandem begrüßt der sich Iunius Avianus nannte:"Salve und vielen dank, dass ich von dir empfangen werde". Der Mann durchlöcherte ihn wenigstens nicht sofort mit Fragen, und orderte erstmal Wein, bevor er sich zu ihm setzte.


    "Ehrlich gesagt sind die Gründe weitläufiger als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen - mein Vater, Victorius, schickt mich. Er sagte die verwandten in Rom würden womöglich einem ihrer Familienmitglieder helfen? Im Norden haben wir nicht allzu viel zu tun, und daher liegt es auch in meinem Interesse in der Hauptstadt meinen Beitrag zu leisten. Für jede Hilfe wäre ich da natürlich dankbar", womit er sein gegenüber leicht angrinste. Vitulus war ein direkter Mensch, ebenso wie der Hausherr hier vor ihm. Man sollte das geschäftliche wohl besser früher als später klären.

  • Kaum hatte er gefragt, fiel auch schon der erste Name, der des Vaters, um genau zu sein.
    "Iunius Victorius …?", wiederholte Avianus, war aber nicht sicher, ob er den Namen kannte. Nein, vorerst klingelte da nichts. Er musste aber auch zugeben, dass er sich in der Verwandtschaft nicht allzu gut auskannte. Selbst an die Verwandten, die seit seiner Ankunft in Rom zu Vertrauten geworden waren, hatte er zuvor allerhöchstens eine vage Erinnerung gehabt, und den Stammbaum hatte er selbstverständlich auch nicht studiert.
    "Kannst du nähere Verwandte von dir nennen, deren Namen ich vielleicht kenne? Dann kann ich dich möglicherweise irgendwie einsortieren … und von wie weit im Norden reden wir? Norditalia? Die Alpen? Germania?", fragte er interessehalber. Ha, der Norden … da kamen alte Erinnerungen hoch. In erster Linie an ekelhaft nasse, kalte Winter, Schnee und müffelnde Pferde. "Ich habe fast mein ganzes Leben in Italia verbracht. Alles was weiter im Norden liegt … naja, ist nichts für mich", rang er sich mit einem Lächeln dazu durch, ein wenig von sich selbst zu erzählen. Zwischenzeitlich brachte Dicon, der heute scheinbar zum besseren Dienstboten mutierte, den Wein und schenkte den beiden Herren ein. Avianus lehnte sich zurück, nahm seinen Becher, bedeutete dem neu eingetroffenen Iunius dasselbe zu tun, und trank einen Schluck.
    Hier in Rom fand Vitulus sicherlich Untersützung bei seinem Vorhaben, wenn die Lage auch besser aussehen könnte. Blöderweise waren ja nicht mehr allzu viele Iunier in Rom. Notfalls würden eben Kontakte zu anderen Familien herhalten müssen. Avianus würde einem Verwandten selbstverständlich alles, was er an Einfluss und Hilfe aufbieten konnte, zukommen lassen. Wie immer eben. Wenn es um die Familie ging, kannte er keine halben Sachen. Stellte sich eben nur die Frage, was genau sich Vitulus vorstellte.
    "Nun ... leider ist unsere Familie derzeit in Rom nicht besonders zahlreich vertreten, aber ich bin mir sicher, du wirst Unterstützung finden, wenn du sie benötigst. Was schwebt dir denn vor? Der Gang ins Militär? Das hat bei uns ja Tradition." Vor allem war es der einzige Weg, bei dem Avianus selbst ihm eine Hilfe sein könnte, weil es auch die einzige Sache war, von der er wirklich eine Ahnung hatte. Mit Politik hatte er praktisch nichts am Hut und Papierkram war ihm seit jeher ein Graus – wobei er wusste, daran musste er arbeiten, jetzt wo er einen Posten im Kommandostab der Urbaner in Aussicht hatte.

  • Dass gegenüber fragte Vitulus aus, woher er denn genau aus dem Norden käme - nun allzu schwer war dass nicht zu sagen. Der Norden war kalt, schmutzig, feucht und trostlos. Man hätte fast meinen können, dass sich dass gleichzeitig auch auf die Leute auswirkte, aber dem war nicht so. Glücklicherweise war die Römische Kultur überall im Reich präsent:"Wir reden von Germania. Nun, dann bliebe noch mein Onkel, Iunius Silanus.". Der andere gab dann noch zu verstehen wie der Norden nichts für ihn wäre. Vitulus nickte:"Die Temperaturen sind sicherlich gewöhnungsbedürftig, aber wenn man dort geboren wird... Sagen wir so, mir ist es hier nicht zu warm."

    Bald kam auch schon der Wein den Avianus beordert hatte, und trank sofort einen Schluck, Vitulus machte es ihm nach. Seine Kehle war bisher ebenso durstig wie sein Magen hungrig war, und so bediente er sich eines reichlicheren Schluckes. Dann machte er sich eine gemütliche Position zurecht, bis sein gegenüber anfing das "geschäftliche zu besprechen. Er gab ihm zu verstehen dass die Familie in Rom zwar nicht allzu sehr vertreten wäre, Vitulus aber dennoch Unterstützung für seine Vorhaben erhalten würde. So bot er ihm an, aus traditionellen Gründen, den Gang ins Militär zu suchen. Nun das Militär, die legendären Truppen Roms, die aus einem Stadtstaat in unscheinbarer Gegend eine Supermacht schuf die seinesgleichen suchte, war nicht unbedingt dass was ihm vorschwebte. Doch, was blieb ihm anderes übrig? Als Verwalter eignete er sich ebenso wenig, wie er in die Politk einsteigen könnte, sodass ein gutes Gehalt und eine sichere Verpflegung sicherlich das beste wäre was ihm unterkommen könnte:"Die Armee könnte mich womöglich begeistern, ich hörte aber die Ausbildung sei hart. Ich nehme an du kennst dich aus?"

  • Tja, Germania. Was sollte er dazu noch groß sagen? Am besten gar nichts, ansonsten kämen weitere alte Erinnerungen hoch, die ihm womöglich die Laune vermiesten. Das Thema ließ er also lieber ruhen und konzentrierte sich darauf herauszufinden, wie die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen ihnen aussahen. Avianus kannte nur einen Iunius Silanus persönlich, sodass er gar nicht lange nachdachte und sofort nachbohrte: "Lucius Iunius Silanus? Der Sohn von … äh …" Ja von wem eigentlich? Da versagten seine Kenntnisse von der Verwandtschaft wieder. "Der Silanus, der noch einen weiteren Bruder hat?" So viel wusste er zumindest, denn Seneca kam ja auch aus der Ecke. "Dann müsste Iunius Seneca dein Cousin sein …?" Er schenkte dem Mann auf der anderen Seite des Tisches erwartungsvolle Blicke, ob dem der Name des Vetters etwas sagte.


    Sowie Vitulus seine Gedanken zur Armee kundtat, konnte Avianus erneut nicht anders und musste unwillkürlich lächeln. Als er damals von Misenum nach Rom gereist war, hatte nicht eine einzige Faser in ihm daran gezweifelt, was er machen wollte, und kaum war er im Herzen des Reiches angekommen, hatte er sich auch schon bei den Truppen gemeldet. Andererseits waren sein Vater und sein älterer Bruder ebenfalls beide Soldaten gewesen. Er wäre gar nie auf die Idee gekommen, etwas anderes zu tun.
    "Das würde ich meinen", antwortete er bereitwillig, "Ich habe selbst vor Jahren bei den Cohortes Urbanae meine Karriere begonnen … kein Fehler, wie ich heute feststelle. Momentan diene ich dort als Centurio und erwarte meine Erhebung in den Ritterstand." Dass am Kaiserhof bereits die nötigen Dokumente in Arbeit waren und es schon in wenigen Tagen soweit sein würde, konnte er gar nicht wissen. Avianus gönnte sich erneut etwas Wein.
    "Die Ausbildung ist hart, der Dienst ist hart, Offizier sein ist hart … die Sache ist die: Irgendwann gewöhnst du dich dran", kommentierte Avianus grinsend, "Aber man wird ja sowieso nicht Soldat, weil man es gemütlich haben will, oder? Wenn du wirklich zur Armee willst, dann sollte … oder besser, darf dich das nicht abschrecken." Da sprach der iunische Soldat aus ihm, gleich darauf allerdings die Vernunft: "Leb dich in Rom ein und denk darüber nach. Sich eine solche Entscheidung nochmal durch den Kopf gehen zu lassen ist keine Schande."

  • Avianus kannte sich anscheinend mit dem Stammbaum der Iunier nicht allzu gut aus, das musste man ihm lassen. Aber wer hatte schon den ganzen Stammbaum im Kopf? Die Mitglieder der Familie waren teils im ganzen Reich präsent, viele wiederum tot, andere "verschollen". Was sollte man dazu sagen? Nun, Vitulus wusste da auch nicht viel mehr:"...Tiberius Iunius Silanus? Ja er hat noch einen Bruder, meinen Vater", vollendete er den in der Luft hängenden Satz seines Gegenübers. Dieser ältere Silanus war somit der Großvater von Vitulus, und daher kannte er ihn vom Namen her, ebenso wie seinen Onkel. Dann sprach dieser Seneca an und da schnippte er mit den Finger:"Genau, Seneca!". Dann ging er kurz in sich um zu überlegen ob dass der richtige Seneca war, aber es musste stimmen. Er war sein Cousin:"Ja, ich nehme an wir sind miteinander verwandt", dann setzte er fröhliches Grinsen auf.


    Kurz darauf gab das gegenüber zu verstehen dass er selbst seinen Dienst beim Militär, genauer gesagt bei den Cohortes Urbanae begonnen hatte, und dadurch selbst Centurio wurde der in den Ritterstand erhoben werden würde. Er hatte hier also einen Ranghohen und gesellschaftlich über ihm stehenden Karrieremenschen - was für ein Verwandter!:"Da hast du Recht, ich denke ich werde mir diese Entscheidung gut überlegen müssen. Grundsätzlich wäre ich dazu bereit aber.... Klar, den Komfort den man hat gibt man sehr ungern ab". Da musste er sich ausnahmsweise sogar selbst zustimmen. Vitulus war bereit für Abenteuer, und dass Leben als Soldat würde sicherlich spannend, und zugleich voller Hürden sein, aber er konnte es sicherlich packen. Zuerst musste Rom in seinem vollen Umfang erlebt werden!:"Und, wie steht um meine Verwandten in Rom? Du hast gut Karriere gemacht, mich interessiert aber vor allem wie es um uns Iunier im allgemeinen steht", er zwinkerte Avianus zu und nahm einen weiteren Schluck.

  • "Ha!", platzte es aus Avianus heraus und das Grinsen in seinem Gesicht wurde breiter. "Sachen gibt's … ich kenne Seneca sehr gut. Schade, dass er nicht da ist, dann wär das alles bestimmt weitaus schneller geklärt gewesen. Der ist derzeit in Mogontiacum in Germania stationiert." Welch eine Ironie. "Also … dann bist du wie Seneca auch einer meiner Cousins." Zumindest das wäre soweit geklärt. Die Götter schienen heute einen ausgesprochen guten Tag zu haben. Erst der Termin beim Praefectus, der ihn nicht nur dem Kaiser empfahl, sondern ihm obendrauf ein Grundstück schenkte, und dann tauchte noch dazu ein Cousin von ihm auf, ein entfernter zwar, aber das hatte auch bei Seneca und ihm nie eine Rolle gespielt.


    Ganz sicher war Avianus sich nicht, worauf Vitulus hinauswollte und was das Zwinkern sollte. Privates wollte er vermutlich hören, aber exakt damit hatte Avianus schon immer seine Schwierigkeiten, vor allem wenn es um seine eigenen privaten Angelegenheiten ging und erst recht, wenn er sein Gegenüber kaum kannte. Er trank einen weiteren Schluck und versenkte daraufhin nachdenklich den Blick im Becher.
    "Silanus … also Lucius hält sich derzeit leider ebenfalls nicht in Roma auf. Er hat mit einem Lungenleiden zu kämpfen und die Luft hier scheint ihm nicht gut zu tun", erklärte er deshalb drauf los, fing ganz absichtlich nicht bei sich selbst an und sah wieder auf. "Meine … unsere Cousine Axilla lebt mit ihren zwei Söhnen ebenfalls hier. Sie hat viel zu tun in letzter Zeit, aber irgendwann wirst du sie sicherlich näher kennenlernen. Wo ihr Mann Pompeius Imperiosus sich aufhält … keine Ahnung." Damit war dann er selbst an der Reihe. "Ansonsten sind da zurzeit nur meine Gattin Sibel und ich. Sie ist im Augenblick bei der Hebamme. Vielleicht bietet sich später noch eine Gelegenheit, euch beide miteinander bekannt zu machen." So oft es nur ging, hatte er es in den letzten Wochen und Monaten ausgesprochen … meine Gattin, meine Frau, meine Gemahlin … und sich inzwischen daran gewöhnt, wenn auch noch immer jedes Mal, wenn er es sagte, dieses ganz bestimmte Lächeln über seine Lippen glitt. Als er sich dessen bewusst wurde, hielt er sich davon ab verlegen den Blick zu senken und versuchte, sich wieder auf andere Gedanken zu bringen: "Aber erzähl, wie ist es dir ergangen? In Germania und während deiner Reise nach Rom?"

  • "Das freut mich", antwortete Vitulus seinem gegenübersitzenden Verwandten. Der Mann kannte seinen Vetter Seneca, und war mit ihm etwas näher Verwandt als mit so manch anderen Mitgliedern ihrer Familie. Dass traf nun auch auf Vitulus zu, und somit fühlte er sich auch gleich etwas wohler. Er hatte Avianus zwar bisher noch nie getroffen, aber im Hinblick auf die immense Distanz zwischen Rom und Germania war dass auch nicht verblüffend. Die beiden Orte lagen ewig weit voneinander entfernt, und dazwischen lagen sogar noch die Alpen - dass schier unüberwindbare Monstrum, welches einzig die Götter geschaffen haben könnten.


    Avianus erzählte dann zunächst von der restlichen Verwandschaft: Vitulus Onkel Silanus war leider Krank und hatte sich anscheinend zurückgezogen, während die anderen Verwanten wie eine Cousine Axilla, ihre Kinder und die Gattin des Cousins zwar hier lebten, nur wohl nicht zuhause waren. Vitulus besaß genug Zeit sie alle kennen zu lernen, es eilte schließlich nicht. Bald schon kam der Vetter darauf zu sprechen, wie die Reise nach Rom verlaufen war, und wie es ihm in Germania ergangen war:"Nun zu Germania gibt es wohl nicht viel zu sagen. Ich lebte auf dem Landhaus meines Vaters, und half ihm gelegentlich bei Schreibarbeit aus. Ansonsten verlief es dort recht ruhig, daher suchte ich des öfteren die Wege in die größeren Städte des Nordens, der Spaß... kostete aber auch etwas", Vitulus schaute etwas verlegen:"Deshalb schickte mich mein Vater zur Vernunft hierher, in der Hoffnung ich würde meinen Dienst für dass Reich, wie so viele unserer Familie..", er zeigte auf Avianus:"..leisten."


    Vitulus wusste eigentlich gar nicht ob er seinem Cousin von den "Umwegen", auf seiner Reise erzählen sollte, aber es konnte wohl nicht schaden von den Erlebnissen zu erzählen:"Daher habe ich mit dem Geld dass mir mein Vater mitgegeben hatte, ein paar Zwischenstopps an verschiedenen Orten eingelegt, sagen wir kleinere Ausflüge... an die verschiedenen Orte, verschiedener Städte, und konnte dort allerlei Leute kennen lernen! Leider ist der Großteil meines Geldes weg. Ich bin sozusagen pleite hierher gekommen". Dass war wiederum ein unrühmliches Detail, aber was sollte er schon sagen. Es gab eben auch mal Ausrutscher, aber wenigstens hatte Vitulus seinen Spaß. Gut, was wollte man auch anderes erwarten, es gab eben mehr zu sehen als auf einem eingestaubten Landhaus im Norden des Imperiums...

  • Avianus entspannte sich wieder, als Vitulus nicht weiter nach der Familie oder gar Sibel fragte. Er war bei jedem Besuch der Obstetrix ohnehin nervös genug, wenn er nicht auch noch nebenbei die wirre Geschichte von ihm und der Lykierin erzählen musste.
    Stattdessen hörte er sich viel lieber die wirre Geschichte des anderen Iunius an, während er an seinem Becher nippte. Damit hatte er nicht direkt gerechnet. Der Junge hatte das Vergnügen nicht zu kurz kommen lassen, stellte er dabei fest, blieb vorerst aber stumm. Es war ja nicht so, als hätte Avianus in dem Alter nur zu Hause herumgesessen. Verdammt, kam er sich bei dem Gedanken gerade alt vor. Doch es waren ja tatsächlich ein paar Jahre ins Land gezogen, seit er sein neues Leben in Rom begonnen hatte – Jahre, in denen er nach und nach erwachsener geworden war. Blieb zu hoffen, dass die Urbs Aeterna mit Vitulus dasselbe machen würde. Für Avianus sprach nichts dagegen, der Karriere eines engagierten und ehrgeizigen Verwandten auf die Sprünge zu helfen, ihn in seinem Lotterleben zu unterstützen hatte er allerdings definitiv nicht vor.
    "Nun … wir alle haben unseren Beitrag zu leisten, nicht wahr? Ich gehe mal davon aus, dass du denselben Lebensstil hier nicht fortsetzen wirst, …", begann er zunächst ernst. - Und wenn, dann musste er selbst schauen, wo er das Geld dazu auftrieb. "… also würde ich sagen, wir richten hier in der Domus ein Zimmer für dich her, und falls du dich waschen willst, etwas essen möchtest oder etwas anderes brauchst, gib einem der Sklaven Bescheid." Avianus sah sich nicht in der Position den Moralapostel zu spielen, aber zumindest seine kleine Warnung zu Beginn hatte er sich nicht verkneifen können. Schließlich rang er sich wieder ein Lächeln ab, leerte den Becher und schenkte sich und Vitulus nach.
    "Und falls du zu Seneca Kontakt aufnehmen möchtest, kannst du ihm einen Brief schicken. Er hat in letzter Zeit nicht übermäßig viel Kontakt zu Familie ... sagen wir mal, sie haben so ihre Differenzen. Bestimmt würde er sich freuen, von dir zu hören." – Wenn ihm nicht zwischenzeitlich, wie er damals in den Albaner Bergen prophezeit hatte, vor lauter Schnee das Dach der Principia auf den Kopf gefallen war. So lange, wie Avianus inzwischen auf eine Antwort von seinem Vetter im hohen Norden wartete, würde ihn das nicht einmal mehr überraschen.

  • Avianus erkannte, dass man den adretten und ausschweifenden Lebensstil des jungen Vitulus nicht so einfach weiterhin tragen konnte. Die kosten wären einfach zu hoch, und der wirtschaftliche Nutzen dahinter würde auf der Strecke bleiben, schließlich kam er nicht aus Spaß nach Rom um von anderen durchgefüttert zu werden - ganz im gegenteil, er sollte dafür sorgen dass er mehr Wohlstand erreichte als sein Vater vor ihm. Jedenfalls plante er dass zumindest, um nach den zahlreichen Zerwürfnissen mit dem alten Herrn doch noch zu beweisen dass er etwas wert war:"Da hast du wohl oder übel recht... aber ich danke dir für deine Gastfreundschaft", antwortete er. Immerhin stand er für den Anfang nicht auf der Straße, sondern hätte eine Basis von der er aus wachsen könnte. Und dank der Kontakte in der Familie könnte er womöglich schneller gedeihen als sonst.


    "Ich denke, dass werde ich tun. Womöglich könnte er sich ja dann auch mal dazu entschließen uns zu besuchen, falls es ihm die Zeit erlaubt", da musste er leicht grinsen. Er wusste dass sein Cousin ein gut beschäftigter Mann war, welcher zugleich, ebenso wie Avianus hier vor ihm, Karriere in der Armee gemacht hatte. Würde Vitulus ihnen nun also folgen? Ein weiterer Iunier, unter den zahlreichen vorangegangenen Iuniern, der den Weg zu den Legionen Roms finden sollte? Es würde spannend werden, zumindest hoffte er dass. Er nahm den letzten Schluck aus seinem Gefäß, und fasste dann an seinen Bauch, welcher Geräusche machte:"Ich habe gefühlte Ewigkeiten nichts gegessen. Würde es dich stören wenn ich..?"

  • "Keine Ursache. Eine Mahlzeit, ein Bad und ein Bett wurden hier noch keinem Iunius verwehrt, glaub ich." Avianus lächelte schief. Mal abgesehen von einem gewissen Cousin, der damals in einer Insula untergekommen war, nachdem er dem Rest der Familie seine Verlobung verkündet hatte, aber das war ja etwas anderes gewesen. Und derselbe Cousin war in nächster Zeit vermutlich genauso wenig in der Lage Rom einen Besuch abzustatten, wie Avianus nach Germania reisen konnte.
    "Du kannst es ihm natürlich vorschlagen, nur bezweifle ich, dass sich ein Praefectus Alae oben im Norden so einfach ein paar Wochen frei nehmen kann, nur um seiner Verwandtschaft in Rom Salve zu sagen", erklärte er und war dabei fast schon selbst ein wenig enttäuscht und ließ das Thema dann ruhen, da sich ohnehin Vitulus Magen lautstark bemerkbar machte.
    "Tu' dir keinen Zwang an", antwortete er und machte eine kleine, einladende Geste mit der freien Hand, "Dicon!" Zwischenzeitlich hatte sich der Sklave eine andere Beschäftigung gesucht, doch kaum hatte Avianus gerufen, kam er aus einem Nebenraum herbei und stand wieder neben ihrem Tisch.
    "Geh schnell in die Culina und sag' dort Bescheid, dass der neueste Bewohner der Domus etwas essen möchte. Sie sollen im Triclinium eine Mahlzeit auftragen. Und Corinna soll ein Zimmer für ihn zurechtmachen."
    Dicon nickte knapp. "Natürlich, Dominus", bestätigte er und machte sich auch schon wieder davon.
    "Warte! Nein ... ich werde ebenfalls etwas essen!", rief Avianus dem Sklaven noch hinterher und lehnte sich wieder in den Sessel zurück. Vielleicht käme er dann auf andere Gedanken. Hatte er zuvor vor lauter Ordo Equester, Sibel und Kind kaum einen klaren Gedanken fassen können, hatte der Wein glücklicherweise etwas Ruhe in seinen Kopf gebracht, sodass er nicht mehr so hibbelig war, wie noch zu dem Zeitpunkt als er die Domus betreten hatte. Und wenn nachher ein paar Bissen guten Essens dem Wein Gesellschaft leisteten, konnte das bestimmt nicht schaden. Etwas Besseres hatte er ohnehin nicht zu tun, denn damit, dass er heute frei haben würde, hatte er ja gar nicht gerechnet.

  • Alles sieht gut aus, hatte die Obstetrix bei Ihrem Besuch gesagt. Sibel war darüber natürlich sehr erleichtert gewesen, denn die letzten zwei, drei Wochen hatten ihr doch sehr zu schaffen gemacht. Man sah ihr die Strapazen an, die dieser pralle Bauch, den sie vor sich herschob, mit sich brachte. Er schränkte sie in ihrer Beweglichkeit ein. Ihre Knochen und Gelenke waren geschwollen und schmerzten schon nach wenigen Anstrengungen. Und dann immer dieser Druck auf ihre Blase! Kaum eine Nacht konnte sie noch richtig durchschlafen. Es wurde endlich Zeit, dass der Tag kam, an dem ihr Kind das Licht der Welt erblickte! Aber auch da hatte ihr die Obestrix Hoffnung machen können. Es könne sich nur noch um ein paar Tage handeln, meinte sie mit der Hand abwinkend. Allerdings ob sie damit auch der werdenden Mutter die Angst vor der Geburt genommen hatte, war zu bezweifeln.
    Nachdem die Obestrix gegangen war, blieb Sibel auf dem Bett liegen und schloss ihre Augen. Ihre Müdigkeit war diesmal stärker gewesen als ihre Sorgen und so gelang es ihr tatsächlich, einfach einzunicken.


    Das Klopfen an der Tür hatte sie nicht gehört. Der Sklave, den Avianus beauftragt hatte, sie zu holen, öffnete schließlich nach seinem dritten ungehörten Klopfen ganz vorsichtig die Tür und riskierte einen Blick ins Innere des Cubiculums. Als er die Schwangere schlafend vorfand, geriet er in einen Konflikt mit sich selbst. Sollte er sie wirklich wecken oder besser schlafen lassen? Letztendlich trat er vorsichtig ein und kam näher. Noch immer mit sich ringend, besah er die Schlafende, die so friedlich vor ihm lag und deren Atemzüge ganz ruhig und regelmäßigen den Schwangerenbauch leicht auf und ab bewegten.
    Vorsichtig tippten die Fingerspitzen des Sklaven Sibels Schulter an. „Domina,“ hauchte er leise und behutsam. Jedoch war sein Bestreben nicht von Erfolg gekrönt, so dass er sich zunächst räusperte und sie dann noch einmal ansprach. Diesmal aber lag ein wenig mehr Kraft in seiner Stimme, so dass es ihm gelang, zu Sibel vorzudringen. Die Schwangere entgegnete ihm im ein schlaftrunkenes „Mhm?“ Doch es dauerte noch einige Herzschläge, bis ihr bewusst wurde, dass jemand sie angesprochen hatte. Aus einer alten Gewohnheit heraus schreckte sie plötzlich auf und blickte in das entsetzte Gesicht des Sklaven, der sofort nach entschuldigenden Worten suchte. „Was ist? Ist etwas passiert?“ Sofort schüttelte der Sklave den Kopf. „Äh nein, der Herr schickt mich. Er muss dringend mit dir sprechen.“
    „Dringend mit mir sprechen?“, echote sie und sah ihn dabei überrascht an. Doch statt zu fragen, ob etwas vorgefallen war, versuchte sie sich aufzuraffen und erhob sich schließlich. Mit watschelnden Schritten ging sie zur Tür, öffnete sie und stieg kurze Zeit später vorsichtig die Treppe hinunter. Der Sklave folgte ihr. Auf halber Strecke aber blieb sie stehen und stemmte ihre Hände in den Rücken. Ihr war so, als hätte sie eine fremde Stimme vernommen. „Ist Besuch da?“ fragte sie. Der Sklave nickte und berichtete ihr von der Ankunft eines Verwandten ihres Mannes. Die Neugier trieb sie schließlich weiter und so stieg sie auch die letzten Stufen hinab und begab sich zum Atrium, wo sie gerade noch rechtzeitig ihren Ehemann und dessen Verwandten vorfand. Hatte eben jemand etwas von Essen gesagt? Ein wenig hungrig war sie ja auch. Doch zunächst wollte sie herausfinden, weshalb Avianus sie so dingend sprechen wollte. Sibel trat ihm entgegen und nickte dem Besucher freundlich zu. „Oh, wir haben Besuch! Salve!“ Dann wandte sie sich an ihren Ehemann zu. „Aulus, du wolltest mich ganz dringend sprechen. Ist etwas… passiert?“ Ein wenig Beklommenheit lag in ihrer Stimme.

  • Sobald er Sibel registrierte, erhellte sich seine Miene und Avianus stand von seinem Sessel auf, da er in den letzten Wochen und Tagen immer das Gefühl hatte, ihr irgendwie helfen zu müssen, so wie sie sie schon allein das Gehen anstrengte, und seufzte gleichzeitig leise. Sie hätte ihn informieren sollen, dass sie fertig war und für ein Gespräch Zeit hatte. Aber nein, stattdessen mühte sie sich ab herunterzukommen und das, obwohl sie es nicht einmal ohne Zwischenstopp von einer Seite der Domus zur anderen schaffte.
    "Keine Sorge, alles gut", winkte er ab, als sie besorgt fragte, ob etwas vorgefallen war, und schenkte ihr ein breites Lächeln. Auch war er gespannt, ob die Hebamme möglicherweise etwas Neues zu berichten gehabt hatte. Das Kind ließ nun doch schon eine Weile auf sich warten. "Bei dir? Auch alles in Ordnung?", fragte er deshalb erst nicht nur neugierig, sondern auch ein klein wenig besorgt, und wurde sich anschließend wieder seiner Verpflichtungen als Gastgeber bewusst.
    "Oh, natürlich … Iunius Vitulus, ein Vetter. Er wird in Zukunft in der Domus wohnen." – Zumindest sofern er nicht in die Castra Praetoria umzog. "Vitulus … meine Frau Sibel. Sie könnte uns nachher im Triclinium ja Gesellschaft leisten. Dann könntet ihr beiden euch ein wenig kennenlernen." Beim letzten Satz wandte er sich wieder Sibel zu, um zu erfahren, was sie von der Idee wohl hielt, vielmehr aber, weil er sie nicht länger auf die Folter spannen wollte. Dafür, dass er eigentlich in erster Linie hier war, um ihr von den guten Neuigkeiten zu erzählen, hatte er schon lange genug herumgesessen und gewartet. "Na jedenfalls … du kommst nie im Leben drauf, welchen riesengroßen Gefallen mir der Praefectus Urbi getan hat! Ja … vielleicht solltest du dich sogar setzen", schlug er vor und strahlte dabei, wie es sonst wohl nur Honigkuchenpferde taten. "Was hältst du davon, wenn ich in Zukunft ebenfalls regelmäßig hier bin? Oder wenn wir mal wieder einen Ausflug raus aufs Land machen?", tastete er sich an das Thema heran, während er ihr einen Sessel anbot. Wenn es ihr so ergehen würde, wie ihm im Officium des Decimus, sollte sie sich definitiv setzen und ganz davon abgesehen sollte sie sich mit der gewaltigen Kugel, die sie inzwischen vor sich herschleppte, ohnehin nicht die Beine in den Bauch stehen. Ein kurzer Blick ging dabei zu Vitulus, der ja bereits von seinem bevorstehenden Aufstieg zum Ritter wusste, seinem Verwandten aber besser nicht das Vergnügen nahm, es der Gattin persönlich zu verkünden.

  • Seine Augen, die scheinbar aufleuchteten, als er ihre Gegenwart bemerkte, waren bereits Entschädigung genug für alle Anstrengungen. Auch nahmen sie ihr ein wenig von der Beklemmung, die in ihren Worten mitgeschwungen hatte. Spätestens als seine Entwarnung kam, wich auch ihre Spannung. Stattdessen aber machte sich wieder dieser ziehende Schmerz in ihrem Unterleib bemerkbar, den sie immer wieder seit einigen Tagen spürte. Doch Sibel verzog keine Miene dabei. Sie atmete nur einmal tief durch und lächelte dann.
    „Oh ja, die Obstetrix sagt, es wäre alles bestens. Sie meint, es daure noch einige Tage, bis es soweit ist,“ antwortete sie, um auch ihm sogleich alle Sorgen zu nehmen, wobei es in Sibels Innerem noch immer einige Zweifel gab, ob wirklich alles gut war. Doch die Angst, die sie seit Tagen umgab, wenn sie an die Geburt dachte, wollte sie am liebsten hier nicht Preis geben. Umso willkommener war dann der Besuch, den Avianus im Atrium empfangen hatte und der sich als Mitglied seiner Familie entpuppte.
    „Vitulus, es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen! Gerne werde ich euch ein wenig Gesellschaft leisten.“ Sie lächelte dem jungen Mann zu, den sie ungefähr in ihrem Alter wähnte. Ein wenig Zerstreuung würde sicher nicht schaden. Doch zunächst wollte sie noch die Neuigkeiten erfahren, die es ja ganz offensichtlich gab. Und das es gute Neuigkeiten waren, stand außer Frage. Inzwischen kannte sie ihren Ehemann ziemlich gut und wusste nahezu jede Regung in seinem Gesicht zu deuten. Dieses überschwängliche Grinsen konnte nur eins bedeuten: irgendetwas war geschehen, worauf er wohl schon lange gehofft hatte, aber nicht damit rechnete, dass seine Erwartungen auch voll erfüllt wurden.
    Sibel hing an seinen Lippen und sah ihn erwartungsvoll mit großen Augen an. Der Prefectus Urbi war ihnen bereits schon einmal sehr entgegengekommen, als er Avianus das Conubium verliehen hatte. Was gab es denn noch, was er für ihn hätte tun können? Sibel hatte keine Vorstellung, was es noch größeres geben könnte. Sein Vorschlag, sich zu setzen schien ihr angebracht zu sein. Daher ließ sie sich vorsichtig in einen der Sessel sinken. Was Avianus dann sagte, verschlug ihr regelrecht den Atem. Ihr kam es so vor, als könne er plötzlich ihre sehnlichsten Wünsche lesen. Wünsche, die sie ihm gegenüber niemals offen äußern würde, da sie ganz genau wusste, dass er niemals im Stande wäre, sie erfüllen zu können. Nein, sie war eigentlich schon ganz und gar mit dem zufrieden, was sie nun hatte. Doch ihn regelmäßig hier bei ihr zu wissen oder gar einen Ausflug aufs Land zu machen, das wäre zu verlockend. Gerade jetzt, wo doch unmittelbar die Geburt ihres Kindes bevorstand, wäre sie dankbar gewesen, wenn er zu Hause sein konnte.
    „Das… das wäre schön… nein, mehr als schön. Das wäre un…glaublich!“, begann sie endlich. „Aber…“ Sicher hatte man ihm für die nächsten Tage Urlaub gewährt, damit er bei seiner Frau sein konnte, wenn es losging. Und wenn alles gut verlief, dann war vielleicht auch noch ein wenig Zeit für eine kleine Fahrt aufs Land… allerdings nur, wenn alles gut ging! „Du hast Urlaub bekommen, oder nicht?“, fragte sie schließlich hoffnungsvoll, denn alleine das hätte ihr schon vollkommen genügt.

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