Unterricht für Assindius

  • In Ermangelung eines aktuellen Gelehrten – die Aurelier hatten keine Kinder im unterrichtungsfähigem Alter – nahm ich mir heute vor, meinen Leibsklaven selbständig zu unterrichten. Obwohl das inzwischen angehäufte Wissen ein beträchtliches war, nahm ich zusätzlich eine Reihe von Aufzeichnungen zur Hand, als ich das Tablinum betrat. Einem Sklaven trug ich auf, Assindius zu mir zu schicken, ich selbst überbrückte die Wartezeit mit dem Sortieren verschiedener Täfelchen. Das Unterrichtskonzept hatte ich bereits im Kopf.

  • „Ja, setz dich, Assindius.“


    Ich wies auf einen einfachen Stuhl, denn aus meiner Kindheit wusste ich noch, wenn man zu bequem saß, wurden viele Schüler zu schnell faul.


    „Die nächste Stunde soll den Zweck haben, deine Bildung zu erhöhen bzw. anzulegen und ein paar Benimmregeln zu lernen und damit du nicht traurig wirst, es könnte zu schnell vorbei sein, habe ich einen Stundenplan für die nächsten Monate ausgearbeitet.“


    Mit gespannt nach oben gezogenen Brauen wartete ich auf die Reaktion meines Sklaven.



    edit: Tippfehler ausgemerzt.

  • Benimmregeln, das soll wohl heißen, dass ich mich nicht ordentlich benehme. Typisch, zu Hause juck das keine Sau, aber in Rom. Bildung brauch ich auch? Na ja, wie man den Weg zurück findet und im germanischen Wald überlebt weiß ich ja, aber wie man in Rom überlebt weiß ich nicht. Ich hab schon gegen Bären und Wildschweine gekämpft, dann kann das ja nich so schwer sein, also dann. Gespannt was auf mich zu kommen würde, aber mit ausdrucksloser Mine sagte ich:


    „Wenn dies Euer Wunsch ist Herrin, wird es erledigt“

  • Keine Widerworte? Kein skeptischer Blick? Ich war verwundert und zugleich erfreut. Da konnte ich vielleicht mehr von meinem Sklaven abverlangen, als ich zunächst gedacht hatte. Vielleicht ein paar Tests. ;)


    „Also, setz dich doch“, sagte ich, weil er immer noch stand. „Zunächst möchte ich von dir erfahren, was du schon kannst. Wie sieht es mit den römischen Zahlen aus? Latein kannst du verstehen, das weiß ich, aber kannst du auch etwas schreiben?“

  • Ich setzte mich und hörte zu.


    „Schreiben? Kein bisschen Herrin, hab ich auch nie gebraucht. Was Zahlen angeht kann ich natürlich ein paar. Schließlich habt Ihr mir schon oft Geld anvertraut, um damit zu Zahlen.“


    Ich schmunzelte rüber als ich das sagte.

  • "Gut, dann machen wir doch einfach mal den Test. Hier ist eine Wachstafel, dort ein Griffel. Schreib eben die Zahlen auf, die du bereits kennst und sag mir ihre Bedeutung, damit ich sehen kann, ob das, was du glaubst zu wissen, auch wirklich stimmt."


    Ich nickte Assindius aufmunternd zu, denn ich wusste, er würde nicht wirklich begeistert sein.

  • Wie schreiben, hat die mir nicht zu gehört? Ich versuchte also mein Glück. Ich nahm diesen Griffel und versuchte einen Strich auf die Tafel zu kratzen, was ein bisschen dauerte. So ein Scheiß, bei Holzverzierungen kann ich das doch auch, scheiße. Und diesen Griffel kann ich auch so schlecht halten mit meinen Pranken, bäää
    Na jedenfalls kratze ich da rum. Oben war ein Strich, dann kamen zwei, dann drei, dann vier und dann fünf. Dann zeigte ich jeweils mit den Fingern drauf und zählte, die Finger hochhaltend, mit.


    „1, 2, 3, 4, 5“

  • „Öh, so kann man zwar machen, aber es nicht ganz korrekt“, sagte ich lächelnd. Immerhin wusste er sich offenbar zu helfen.


    „Zunächst … halte mal den Griffel nicht so verkrampft. Zwischen Zeigefinger und Daumen legst du das Schreibgerät hinein. Schau!“ Ich legte einen weiteren Griffel grazil in die rechte Hand. „Auf den Mittelfinger bettest du dann das Schreibgerät. Dafür braucht man keine Kraft, nur etwas Geschick.“


    Ich lächelte erneut.


    „Und das sind die Zeichen für die Zahlen von 1 bis 5.“


    Ich ritzte nacheinander folgende Zeichen in den Wachs: I, II, III, IV, V.


    „Du siehst, die vier und die fünf werden anders geschrieben. Das hat den Zweck, dass die nachfolgenden Zahlen keine Endlosketten an Strichen werden. Nun probiere du noch einmal.“

  • Ich quasselte nachdenklich vor mich hin:


    „Der Hacken ist ne 3? Ne, dann wäre 5 ja 3 und 3 würde man anders schreiben. Egal dat is 4 und dat 5, macht auch Sinn, bei größeren Zahlen müsste man die Striche zählen, und wenn man gar nicht so weit zählen kann wär das echt beschissen!“


    Ich nahm das Teil wieder in die Hand, wie die Herrin es vormachte, und ritzte noch mal. Ha, das ging besser.
    „Geht schon besser!“

  • "Gut, wir machen jetzt mal einen Test, ob du das Prinzip verstanden hast. Das X ist die Zehn. Wenn du dir jetzt die fünf und die vier betrachtest, wie würdest du die also die neun schreiben?"


    Ich schaute meinen Sklaven erwartungsvoll an. Mal sehen, wie viel Potential in ihm steckte.

  • Borr ey, das war gar nicht so leicht. Ich zupfte an den Überresten meines Bartes herum und überlegte und benutzte die Finger. ‚Also IV ist 4 und V ist 5 und X ist 10; die 4 ist eine 5 mit einer 1 davor, ist dann 9 eine 10 mit einer 1 davor? Tja, weil ich nicht sicher war ritzte ich 2 Versionen auf die Tafel. Einmal IX und einmal VIV.


    „Eins von den beiden vielleicht, Herrin?“

  • „Hm.“ Ich fasste mit der Hand an mein Kinn und lächelte. Er war auf jeden Fall nicht dumm, mein Sklave. Seine Schlussfolgerungen besaßen Logik.


    „Nicht schlecht. Variante 1 ist richtig. Machen wir gleich mal weiter: Wenn also die I vor der V oder X die jeweilige Zahl davor bedeutet, wie könnte dann die Zahl nach der V und der X aussehen?“

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