• Das Päckchen hatte mich neugierig gemacht. Erwartungsvoll riss ich die Wolle, in die es eingewickelt war, ab, offenbar wollte da jemand, daß sein Inneres nicht zu schaden kommen sollte.
    Mir offenbarte sich eine dünne, voll beschriebene Wachstafel und eine goldene Brosche oder sowas ähnliches, die ich eingehender begutachtete. Das Emblem kam mir bekannt vor, ein springendes Pferd - das Wappen der Gens Annaea. Aufeinmal ahnte ich, daß diese Packet etwas mit unserer Familiengeschichte zu tun haben sollte und mir vielleicht Informationen preißgeben würde, von denen ich bisher nichts ahnte.
    Sofort griff ich nach der Wachstafel und begann zu lesen.



    An den Abkömmling der annaeischen Sippe !


    30 Jahre sind inzwischen vergangen, 30 Jahre, in denen dieses Packet und diese Worte, die ich als Verfasser jener im Spätsommer des Jahres 65 n. Chr. geschriebenen Worte, unvorhersehbar und ungewiss lagern, in der Hoffnung einst, das anneische Blut wieder zusammenzuführen und es zu großer Stärke zu gereichen.
    Meinem Sohn, Otho, sollte er noch leben, bedaure ich es zutiefst, nie ein besserer Vater gewesen zu sein. Jetzt, in den letzten Atemzügen meines Lebens, bis mich dieser gotteverdammte Geifer von dieser Erde fegen wird, sehne ich mich zu den Tagen, als wir jung waren, die Zeiten der Verbannung auf der Insel Corsica.
    ...
    Für den, den diese Zeilen erreichen, sind sie von großer Wichtigkeit, denn er möge wissen,[SIZE=7]w[/SIZE][SIZE=6]o.[/SIZE][SIZE=5].[/SIZE][SIZE=4].. _[/SIZE]


    Da verlief sich die Schrift und mir wurde schlagartig klar, wer diese Worte geschrieben hatte. Die Erwähnung seiner Verbannung auf Corsica war eindeutig. Kein geringerer als Lucius Annaeus Seneca minor hatte diesen Brief kurz vor seinem Tod verfasst. Doch was wollte er seinen Nachkommen mitteilen ? Welches erschütterliche Ereignisse ?
    Ich seufzte. Da kam mir auf mysteriöse Weise ein solcher Brief in die Finger, doch weitere Anhaltspunkte besaß ich nicht.
    Da rutschte plötzlich ein kleiner abgerissener Zettel auf den Boden. Ich hob ihn auf und versuchte die Schrift darauf zu entziffern. Sie war im absoluten Kontrast zu der Schrift auf dem Brief, konnte also nicht von Seneca geschrieben worden sein.
    Auf dem Zettel standen zwei Namen. Den einen erkannte ich von dem "Brief" des Senecas, ein sogenannter Otho, T. Annaeus Otho, stand auf dem Zettel. Der zweite Name war mir gänzlich unbekannt. Nicht gerade leserlich stand dort der Name L Annaeus Florus. Waren die beiden verwandt ? Wenn ja, in welchem Verhältnis standen sie zueinander ? Waren sie Vater und Sohn, oder waren sie gar Brüder ? Dieser Tiberius Annaeus Otho schien ohne Zweifel jener Sohn des Seneca minor zu sein wie es aus dem Brief ering. Doch so recht glauben, konnte ich dies nicht. Ich beschloß jenen Lucius Anneus Florus ausfindig zu machen. Ein Brief könnte möglicherweise Aufschluß geben.

  • Ein Bote aus Tarraco erreicht die Casa Annaea und übergibt einen Brief für Annaeus Domitianus.


    Publius Annaeus Domitianus,
    Casa Annaea, Corduba


    Salve Annaeus,


    Nach dem erfolgreichen Bestehen der probatio rerum sacrarum I ist es notwendig, eine Opferprüfung abzulegen, um als Sacerdos in die Reihen des Cultus Deorum aufgenommen zu werden. Finde dich hierzu im Tempel der Ceres in Corduba ein, ich werde die Prüfung dort abnehmen. Das von dir geleitete blutige Opfer sollte dabei nicht zu groß ausfallen, die benötigten Opfergaben sind durch dich selbst auszuwählen und zu beschaffen.


    pro collegio
    C. Appuleius Sosipater

  • Als ich an jenem Abend nach hause komme, erwartet mich, wie fast jeden Abend, bereits Mephisto im Atrium. Diesmal hält er in seiner Hand einen Brief und seine nicht wenig erfreuliche Gestik und Mimik deutet daraufhin, daß er den Brief schon gelesen hat. "Zeig her ! Was hast Du da ?" trat ich auf ihn zu und nahm ihn den Brief ab. "Oh, aus Tarraco. Es ist vom Provinzcollegium....Ceres-Tempel...Opfer...." laß ich über die Zeilen drüber. "Einkaufen ? - Mephisto, machst Du das für...nein, warte, das mach ich lieber selbst, gleich morgen früh."

  • Auf dem schnellsten Wege hatte ich die Casa Annaea erreicht. Ein bis zwei Ecken durch die verwinkelten Gassen, die Abkürzung an den Thermen vorbei, und schon erreichte ich den Hintereingang meiner Heimstätte, wo mir Mephisto nach meinem eindringlichen Klopfen schließlich die Tür öffnete.


    "Mephisto, öffne die Tür !" - "Ja, Herr, ja." Wir traten ins Atrium. Aufgrund der abendlichen Stunde hatten Kerzen die Nischen erhellt. "Was gibt es ?" Mephisto platzte voller Neugierde, ob meines plötzlichen Erscheinens, was denn passiert sei.


    "Mephisto, gut, daß du da bist. Ich komme gerade von dieser Versammlung, die der Comes berufen hat. Man plant, die Aushebung einer eigenen Armee. Ein armer Tor, der glaubt, die res publica gewaltsam zu erzwingen. Der Kaiser wird ihn ans Kreuz nageln."


    Mephisto schaute nur verwirrt drein, konnte sich nur schwer aus meinen Sätzen einen Reim machen. "Um was geht es eigentlich ?"
    Ich wirkte immernoch ein wenig abgehetzt von dem Eilweg, den ich hinter mir hatte, doch innerlich hatte mich schon längst wieder beruhigt. "Sie planen die Republik und rüsten alle kampfähigen Männer mit Waffen aus, - hör zu ! Beeil dich und eil zu den Decurionen Fabius und Mummius. Ich habe sie erst kürzlich bei einer Cena kennengelernt. Sie sind vertrauenswürdig und mit dem Herzen bei Rom. Sie sollen von dieser Angelegenheit erfahren. Bitte sie, mit dir zu kommen."


    Ich streifte meinen Ring vom Finger, ein Familienerbstück mit dem Siegel der Gens Annaea. Ich hatte ihn nie aus den Augen gelassen und immer bei mir getragen. Ich reichte Mephisto den Ring. " Das sollte sie überzeugen, daß etwas nicht stimmt. Los geh !"


    Mephisto brauchte einen leichten Ruck. Ihm war das alles zu viel Aufregung und so wirklich verstand er nicht, aber er tat wie ihm geheißen und machte sich auf den Weg.


    Unterdessen machte ich mich auf der Suche nach Papyrus und Schreibzeug.

  • Die Zeilen flogen über das Pergament, als ich an meinem Schreibtisch zu später Stunde saß und jenen Brief verfasste, in dem ich haarklein die Not aufschrieb, die uns in Corduba ereilt hatte. Meine Hand zitterte dabei und mein Atem vibrierte. Die aufgeheizte Aktivität überspielte meine in mir verborgene Nervösität. '...und so kommen wir nicht umhin, durch unser Bitten unsere dringendste Hilfe zu erflehen, wenn Blut und Verderben über das Land ziehen...' verfasste ich die letzte Zeilen dieses Schreibens. Ich hatte Blut und Wasser geschwitzt und atmete schwer.


    Plötzlich klopfte es. Ich drehte mich ruckartig um und lief zur Tür hinaus auf die Ballustrade des Atriums. Es war Mephisto. Doch er kam nicht allein und das ließ mich aufatmen. Mit ihm waren zwei Herren, zwei Würdenträger von hohen Ansehen und Ehre, gehüllt in einen langen Mantel zum Schutze der Nacht. Ich eilte die Treppenstufen hinab und begrüßte die beiden herzlich, Mummius und Fabius.
    "Verehrte Herren, lass mich euch begrüßen in meinem Haus, ich danke für euer schnelles Kopfen." - "Was ist los, Annaeus ?" fragte Mummius in direkten Tonfall. "Dein Diener klopfte an unserer Haustür, sagte, du würdest nach uns schicken. Er hatte deinen Ring bei sich. Also nahm ich an, daß etwas passiert war." Aus dem Dunkel der Nische trat eine dritte Person ins düstere Licht des Mondschein, welche ich zuerst gar nicht wahrgenommen hatte. Sie hatte langes blondes Haar zu einem Dutt hochgesteckt, ihre Augen spiegelten das Wesen ihrer Seele, so gülden und rein, die Haut weiß wie Alabaster und ihr Mund so unschuldig wie ihr Gewissen. Sie trug einen langen Mantel von feinster Hand genäht. Die Kapuze hatte sie nach hinten geschlagen, und ich war sofort verzaubert, als ich sie wiedererkannte. "Darf ich vorstellen, meine Tochter, du kennst sie ja bereits, Scantilla." sprach Mummius mit stolz erfüllter Stimme. "Sie kam zufällig vorbei, während ich mich gerade auf den Weg machte. Als ich ihr sagte, wohin ich gehe, wollte sie unbedingt mit. Sie hat den Willen ihrer Mutter."
    Ich war vollkommen fasziniert von dem jungen Mädchen, das ich einst kennengelernt hatte, und so sehr in ihren Bann geschlagen, daß ich darüberhinaus beinahe alle Formen der Höflichkeit unterschlug und es fast versäumte meinen zweiten Gast, den ehrenwerten Marcus Fabius Pulcher zu begrüßen.
    Nachdem ich diesen Umstand beseitigt hatte, widmete ich wieder dem eigentlichen Geschehen, weswegen ich gerade jene Herren zu mir gebeten hatte. "Der amtierende Comes hat sich am heutigen Abend gegen Rom und gegen den Kaiser gestellt. Vor einer stattlichen Anzahl vön Männern Cordubas verkündete er seine Ziele, die Stürzung des Kaiserhauses und der Errichtung der Republik. Ihr müßt mir glauben, daß ich die Wahrheit spreche, nichts läge mir ferner, als euer Vertrauen in jeglicher Weise zu mißbrauchen." Mein Mut stieg, oder war es nur das Anzeichen einer überhöhten Selbstüberschätzunh ? "Ich habe einen Plan gefasst, für den ich eure Hilfe brauche und der Corduba vor einem verderblichen Blutvergießen bewahren kann." Meine Blicke schielten zwischendurch immer wieder zu der süßen Tochter des Mummius. Sie stand ganz ruhig dabei und hörte den Worten zu und ich so bestärkte es mein Gefühl, das richtige zu tun. Zu was Frauen doch Männer immer in der Lage waren, anzutreiben. Ich fasste den Gedanken, daß all die Höchstleistungen, all die Heldentaten, die von großen Männern verübt wurden, imgrunde nur möglich waren, weil stets Frauen dahinter standen, die sie zu diesen Leistungen anspornten. "Diesen Brief, den ich in den Händen halte, wird durch einen zu beauftragenden Boten aus der Stadt geschleust werden. Zwei Tagesmärsche von hier, liegt die Stadt Emerita, Garnisionstützpunkt der Cohors II Balearum. Wenn es uns gelingt, dem Kommandanten eine Nachricht zu übermitteln über die Zustände, die hier ausgebrochen sind, können wir schlimmeres vermeiden."


    Ich hatte geendet. Für einen kurzen Augennlick herrschte ein Moment der Stille.

  • Schon viel Mummius in diese Stille ein. "Was du da berichtest, Annaeus, ist ein Affront, es ist ein Skandal. Der Proconsul hätte aus der Geschichte lernen sollen und keinen Pompeianer zu seiner rechten Hand hier in Baetica machen sollen, zumal ein solcher Jungspund, der ohne Sinn und Verstand einen Aufstand anzettelt. Sie werden ihn ans Kreuz nageln." Sein Kollege wußte dem nicht viel hinzuzufügen. Er nickte zustimmend mit ein. "In der Tat, das ist ungeheuerlich. Doch wer weiß, wie weit das ganze geht ? Steckt der Proconsul vielleicht selbst mit drin ? Schließlich hat er über seine republikanische Gesinnung nie einen Hehl gemacht." Doch sofot mahnte Mummius ihn zur Ruhe "Sowas darfst du nicht sagen, Pulcher, oder willst du gleich auch im Kerker landen ?", drehte sich dann aber wieder zu mir. "Dein Plan erscheint mir schlüssig und durchdacht. Zeig, ist das das Schreiben ?" Er ergriff das Pergament aus meiner Hand und überflog die ersten Zeilen, wobei er zustimmend nickte und es im Anschluß an seinen Collegen weitergab.
    "Ich werde dieses Schreiben mit meinem Siegel unterzeichen, trotz dem ich - wir - ein hohes Risisko dabei eingehen. Denn fängt man dieses Schreiben ab, sind unsere Namen bekannt und unser Leben in Gefahr." - "Auch ich kann diesem Brief vorbehaltlos zustimmen, meine Unterstützung ist dir sicher." bekundete der Fabier seine Zustimmung. Ich freute mich insgeheim, daß ich mich in den Prinzipien dieser beiden Männer nicht getäuscht hatte.


    "Ich danke für euren Beistand und eure Bereitschaft, sich für die richtige Sache einzusetzen. Zu eurer Sicherheit schlage ich folgendes vor."
    Und so begann ich zu erzählen von dem alten Landsitz meines Onkels im Süden von Corduba und daß dieser seit fast zehn Jahren brach liege, nachdem die letzten Pächter diese Region verlassen hatte, und solch ein abgeschiedenes Haus ein idealer Unterschlupf wäre, um die Zeit zu warten, bis sich die Tumulte erledigt hätten.
    Wir kamen schließlich überein, daß Mephisto die beiden Decurionen sicher begleiten würde zum östlichen Stadttor und von dort über einen weiten Bogen durch Wald und Flur den ehemaligen Landsitz ansteuern würden, der sich aufgrund alter Karten, die sich in einem alten Schrank in meiner Casa befanden, recht eindeutig lokalisieren ließ. Die Frauen und Sklaven wollte man mit einer solchen Flucht nicht strapazieren. Ihnen würde ohnehin nichts zustoßen und so schickte man lediglich einen Boten zu den beiden Häusern, um die Familien zu informieren. Scantilla mußte selbstverständlich wieder heim, denn für ein immernoch junges Mädchen war ein solche Flucht, womöglich auch noch auf dem Rücken eines Pferdes kein geeigneter Umgang und ich konnte mir vorstellen, daß selbst Mummius, der nicht gerade der sportlichste und außerdem nicht mehr der jüngste, ein wenig Bammel hatte vor den Anstrengungen dieses Wagnis.


    Ich selbst konnte mich gegen Mephistos Befürchtungen durchsetzen und blieb in der Casa. Je größer die Gruppe war, desto leichter konnte sie auch auffallen, außerdem mußte ich mich um den Boten kümmern. In einigen Tagen würde ich dann nachkommen, so vereinbarte man.


    Nachdem die beiden älteren Herren dem von mir eiligst verfassten Schreiben mit ihrem Signum die entsprechende Wirkungskraft verliehen und die Casa verlassen hatten, suchte ich einen geeigneten Boten auf, einen Tempeldiener dieser Stadt und langjährigen Bekannten.

  • An einem Abend, als die Sohne schon längst hinter dem hohen Zinne der Stadtmauer verschwunden war und die Nacht sich wie ein Schatten der Republik auf das Land legte, saß ich in meiner kleinen Stube, an jenem Tisch, an dem ich so viel Zeit verbracht hatte, die Werke meiner Vorväter zu studieren, ihre Bemühungen, ihre Bestrebungen, und ich spürte, daß das alles nun verloren sein konnte.
    Was vermochte ich schon auszurichten ? Ein unbescholtener Priester, ohne Geld und Einfluss. In Rom, sicher, da gab es einflussreiche Senatoren. Senatoren mit Macht, mit Geld. Und es gab sicher den ein oder anderen, den man auf seine Seite ziehen konnte, unauffällig natürlich, ganz unauffällig. Ich hatte von jenen Männern gehört, denen der Ruf nachsagte, nach ihren Prinzipien zu handeln und Kaiser und Reich hinter sich zu lassen.


    Ein schwacher Schein einer flackernden Ollampe bot mir ausreichend Licht, meine Worte zu Papier zu bringen, und so schrieb ich...

  • Nach Stunden des Formulierens und Schreibens, Ausradieren und Neu-Formulierens standen vor mir die folgenden Worte geschrieben.


    Hochverehrter Senator !


    Töricht wären meine Bestrebungen, euren Ruhm und eure Taten, euer Ansehen, welches ihr für Rom und den Kaiser gewonnen habt, in schnöde Worte zu kleiden, deren Beschreibung in keinster Weise euch gerecht werde.
    Euer Name ist in Rom und über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, so mag es nicht verwundern, daß ich mich mit diesen Worten ausgerechnet an Euch wende, der ihr doch stets als Ehrenmann, als Mann mit Prinzipien anzusehen ward.
    Nichts lege mir ferner als auf diese profane Art und Weise, wie die Schlange im Schlamm kriechend um Hilfe zu erbitten. Rom wurde nicht groß und stark, weil es Mitleid zeigte, sondern weil es seine Stärke durch eindrucksvolle Demonstrationen unter Beweis zu stellen vermochte.


    Schändliche Verbrecher, zu meiner Schande Römer, die jeglichen Geboten der römischen virtus, der Aufopferungsbereitschaft vor dem Kaiserkult und der Verehrung des göttlichen Pantheons missen ließen, haben hier in Corduba, welches in den Süden der Provinz Hispania gehört die Herrschaft an sich gerissen. Sie nennen sich Republikaner, und doch ist es eine Schande, daß sie sich als Römer sehen. Sie rufen offen zum Kampf gegen den Imperator aus und jeden, der sich als ein Anhänger des göttlichen Caesar zu erkennen gibt, bringen sie um.


    O edler Senator, Abkömmling von bester römischer Tradition, ich schreibe Dir diese Zeilen, Dich zu informieren über die Zustände, die in diesem Reich plagen. Auf Deinen Einfluss und Deine Macht bauend, vertraue ich darauf, daß diese Zeilen bei Dir in richtigen Händen liegen. Schildere dem Imperator von diesen Zuständen, prangere es öffentlich im Senat an ! Rom muß begreifen wie weit sich diese Provinz von ihr entfernt hat.


    In der Hoffnung, daß dieser Brief sein Ziel erreicht, doch um nicht unnötig in die Hände der republikanischen Rebellen zu fallen, verzeih meine anonyme Unterschrift. Es ist gefährlich geworden, kaisertreu zu sein.


    Untertänigst


    P A Domitianus


    Ich war erleichtert. Das Schreiben hatte mir viel Kraft gekostet. Ich ließ den stilus auf den Tisch fallen und griff nach dem Kelch mit Wein, doch er war schon wieder leer.
    Seufzend erhob ich mich von meinem Platze, der Weinvorrat war im unteren Bereich des Hauses und so stieg ich die schmale Wendeltreppe hinunter, als ich im Schatten des Hauses aufeinmal ein Rascheln und Atmen vernahm. Mein Herz klopfte. Meine Aufmerksamkeit erreichte wieder ihr Zenit.


    "Wer da ?" zischte ich.

  • Die Bewegungen verstummten, doch den Atem konnte ich deutlich vernehmen.


    "Sprich, wer bist du ? Zeig Dich !"


    Ich war auf alles gefasst. Mein Arm verkrampfte, meine Finger ballten sich zur Faust.


    Langsam tastete ich mich in der Dunkelheit, in der Hoffnung, den Eindringling am Schopfe zu ergreifen. Ich bewegte mich langsam voran.


    "Wo bist Du ?"


    Dann erwischte ich etwas, ein Stück Stoff. Das Ende einer Tunika oder eines ähnlichen Gewands. Ich zerrte mein Opfer in die Mitte des Raumes, wo der Lichtschein des Mondes durch die Deckenöffnung die Szenerie spärlich erhellte.


    Ich erschrak, als ich sah, wen ich sah und sprach voller Verwunderung "Scantilla !"

  • Wie ein Blitz traf es mich, als ich ihren Namen auf der Zunge hatte. Kein Schurker, kein republikanischer Handlanger, kein gemeiner Einbrecher. Sie. Wie kam sie hier rein ?


    Sie hatte Tränen in den Augen. Ihre sanften Lippen zuckten gar weinerlich und erwartungsvoll sah ich sie an, ich war sprachlos.


    "Scantilla, du bist es ! Wie kommst du hier her ?" flüsterte ich. Der Mond lag stille über dem Impluvium in der Mitte des Raumes.


    In einem Schwall emotionsgeladener Kräfte brach sie ihr Schweigen.


    "Mei...mein Vater, ee..r..er ist gefangen genommen. Sie haben ihn erwischt."


    Ihre dünne Stimme vibrierte und mehrmals mußte sie schlucken.


    Entführt ? Gefangen ? Ich konnte es ahnen. "Von wem ? Scantilla, von wem ?"


    Die Aufgewühltheit in ihren Worten entsprach ihrem momentanen Gemütszustand und sie mußte sich mehrmals fangen, bevor sie die Frage beantworten konnte.


    "Soldaten" krächzte sie. Es war als hätte sie ihre Stimme verloren. "Am Stadttor. Ich bin ihnen gefolgt. Dann wurden sie ergriffen."


    Sie hatten es nicht geschafft. Trauer spiegelte sich in meinem Gesicht. Fabius und Mummius, gefasst, dazu Mephisto. Jetzt war niemand sicher. Ich nicht, und auch nicht Scantilla. Sie mußte hier so schnell wie möglich weg.
    Fieberhaft suchte ich nach einem Plan, doch ich fand keinen.


    Da es schon spät war, führte ich Scantilla in eines der leerstehenden cubiculi und begab mich selbst in meines.

  • Aufgrund einer fehlenden Anschrift auf dem Brief hatte es mal eben länger gedauert, als vielleicht erwartet. Doch angekommen war er doch...


    Lucius Annaeus Florus Publio Annaeo Domitiano suo salutem petit. S.V.E.Q.V.


    Anschrift by CP:
    Publius Annaeus Domitianus
    Casa Annaea
    Corduba - Provinz Hispanien


    Dein Brief hat mich doch sehr in Staunen versetzt, wusste auch ich doch bisher nicht, dass es in Hispania noch Angehörige unserer Sippe gibt. Bisher ging ich immer davon aus, dass die Gens Annaea bei meiner Rückkehr ins Imperium Romanum vor vielen Jahren ausgestorben gewesen war. Zumindest hatte man mir dies von kaiserlicher Seite her damals versichert, weil der Kaiser unser Vermögen und Land hier in Italia eingezogen hatte.


    Wie dem jedoch auch sei freue ich mich ausserordentlich, dass dies nicht der Fall ist! Mein Vater war Tiberius Annaeus Otho und meine Mutter war Roscia Annaea Pia. Beide sind leider schon verstorben. Wenn ich mich nicht täusche, dann war Annaeus Mela ein Onkel meines Vaters?


    Es freut mich auf jeden Fall dem Stammbaum weitere Mitglieder hinzufügen zu dürfen und ich hoffe, die Götter sehen auf dich und die Deinen in Hispania gnädig herunter.


    Vale in pace deorum, Lucius Annaeus Florus
    Praefectus Classis Misenensis
    Castra Classis in Misenum

  • Die Ankunft in die stille und einsame Casa zum Einbruch der Dunkelheit war begleitet von einer Woge der Melancholie. Die Tür öffnete sich und ich betrat das Atrium, in dem die Schatten der Nacht bedrohlich zur Decke hinaufragten. Die zwei Sklaven, denen ich vertraute, waren bereits schlafen gegangen.
    Auf einer Kline im Atrium, direkt unter der Öffnung des Impluvium, die Sterne funkelten vom Firmament, legte ich mich nieder und ertränkte meinen Gemütszustand, den manch einer als Hoffnungslosigkeit bezeichnen würde, im Wein. Die Amphore leerte sich schneller, als die Stunden zerrannen.


    Ich hatte sie verloren. Doch zu begreifen, dies fiel mir schwer. Ihr Vater hatte es mir nicht leicht gemacht. Er hatte reagiert wie ich es erwartet hatte. Ich sah mich um. Der Kopf in den Nacken gelegt, wanderte er herum und meine Augen von einer Ecke zur anderen. Hier hielt mich nichts mehr. Ich seufzte. Nach über dreißg Jahren, die ich hier aufwuchs, fiel mir der Umzug leichter, als ich angenommen hätte.


    ...


    Irgendwann schließlich mußte ich eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen würde ich meine Abreise vorbereiten, außerdem plante ich einen Brief zu schreiben an die Hafenverwaltung von Carthago Nova, dem nächstgelegenen Mittelmeerhafen. Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

  • Der Morgen des PRIDIE KAL IUL DCCCLVII A.U.C. war ein einschneidender Tag für mich gewesen. Von hieran sollte sich vieles ändern. Wehmut übermannte mich, als ich der Gewissheit folgte, jene traditionsreiche Casa, so voller Geschichte und Erlebnisse, ihrem Schicksal überlassen sollte.


    Einen Karren mit dem nötigsten hatte ich zusammengepackt, das Mobilar ließ ich zurück, bis auf einige wertvolle Kunstgegenstände wie Kerzenständer und Geschirr. Ich hatte das Glück, daß ich in einer Gesandtschaft der Praetorianer mitreisen konnte, denn die hispanischen Straßen waren noch immer nicht gesäubert von diesen Räubern, die seit Monaten die Wege unsicher machten und sich die Elephanten nannten. Es ist eine Schande wie in einer befriedeten Provinz, die seit Jahrhunderten fester Bestandteil des Imperium Romanum war und dessen Bevölkerung sich einst dem heutigen Imperator treu zur Seite stand, solche Räuber gegen die römische Ordnungsmacht es sich erlauben konnten vorzugehen, während die hispanische Verwaltung in Tarraconensis untätig blieb. Ich hoffte, daß der neue Statthalter frischen Wind bringen würde.


    Ich hatte erfahren, daß in der Gesandtschaft ein ranghoher Offizier in Begleitung war und ich dachte, vielleicht ließe sich auf diesem Wege Kontakt nach Rom knüpfen.


    So polterte der schwer beladene Wagen schließlich einsam vondannen und ließ die leere Gasse, in der Haus und Hof über Jahrzehnte meine Heimat waren, liegen. Ich blickte nicht mehr zurück.

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