Hauptverhandlung IUD IMP I/DCCCLVI - Imperium Romanum vs. Caius Helvetius Tacitus

Tacitus sieht zu dem Ankläger.

"Nur zu, ergieße dein Herz ! Was möchtest Du wissen ?"

Quarto runzelte angesichts der Worte des Beklagten grimmig die Stirn. Zu sehr erinnerte ihn dessen Verhalten an den Habitus seines Vetters Aelius Hadrianus.

"Sehr freundlich, danke.

Dann würde ich gern wissen, ob du tatsächlich bis zur Abnahme deines...oder sagen wir des Edikts, das möglicherweise von dir stammt in Ostia, während dein Siegel nicht bei dir war?"

Tacitus verstand die Frage nicht wirklich, hatte er sich doch bereits lang und breit darüber ausgelassen.

"Sagte ich das nicht bereits ? Mir war so, als tät ich es."

Durus seufzte. Warum musste dieser Helvetier stets mit Gegenfragen antworten. Man konnte fast meinen, er wich aus...

"Also warst du die ganze Zeit in Ostia, während dein Siegel in Roma war."

Daraufhin blickte er kurz auf seine Notizen, dann fragte er

"Und wie genau hast du dann das Edikt ANTE DIEM VI KAL SEP DCCCLVI A.U.C. (27.8.2006/103 n.Chr.) gegen Vesuvia Crispa veröffentlicht?
Hast du das Edikt von Ostia aus verfasst?
Beziehungsweise wer hat das Schriftstück gesiegelt, wenn du es nicht konntest?"

Mit überspielter Größe und nicht ohne eine Portion Arroganz schüttelte Tacitus den Kopf. Jener Advocatus mußte noch viel lernen, so war sein Eindruck.

"Wie ich dem Gericht hoffentlich in ausreichender Form dargelegt habe, pflege ich mein Siegel nicht stets bei mir zu führen, ferner fertige ich auch nicht alle Edikte selber aus, was bei der Fülle an Vergehen in dieser Stadt nahezu unmöglich wäre. Meistens genügt ein flüchtiger Blick, ja muß reichen, denn zu mehr lässt das umfangreiche Pensum an Aufgaben es nicht zu. Und die Tatsache, daß ich in alleiniger Verantwortung die Cura Annonae zu verwalten hatte, machte diesen Umstand auch nicht leichter.

Besagtes Edikt war übrigens schon länger zur Veröffentlichung bereit, diese verzögerte sich jedoch, weshalb ich mich auch gut an jenes erinnere. Daß die Veröffentlichung als just in die Zeit fiel, als ich mich für längere Zeit in Ostia aufhielt, ist nichts als ein einfacher Zufall, und so tut es mir leid, daß ich Dir damit keinen Gefallen erledigen konnte."

Die Antwort war wieder einmal ausweichend. Inzwischen war sich der Advocatus fast sicher, dass der ehemalige Aedil irgend etwas verbarg.
"Also werden die Edikte nicht einmal von dir gesiegelt? Oder genauer gesagt erstellen deine Scribae ohne deine Kontrolle die Edikte?"
Jetzt war Durus tatsächlich äußerst überrascht. Dass er das Siegel nicht bei sich trug, war eine Sache. Aber dass jeder Scriba in der Curia Iulia damit herumsiegeln konnte, war schon fast eine Verletzung der Amtspflicht!

Bösen Blickes sieht Tacitus in Richtung des Staatsanwalts.

"Du hörst mir nicht zu, advocatus ! Habe ich in irgendeinem Wort zu erkennen gegeben, daß ich das Edikt vom ANTE DIEM VI KAL SEP nicht siegelte ?"

Tacitus öffnete die Arme, die Handflächen nach außen gedreht und neigte dabei den Oberkörper ein wenig nach hinten, um seine Verwunderung über die Begriffsstutzigkeit des advocatus imperialis auszudrücken.

"Das Edikt wurde von mir gesiegelt, ja sogar vorbereitet, da es einige Probleme über eine vermeintliche Erbschaft darüber gab, die zu klären waren."

Quarto blickte von seiner Schreibtafel hoch. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Lächeln.

“Man möge mir verzeihen, wenn ich das Wort ergreife, aber wie steht es mit dem Edictum Aedilis Plebis vom…“ – er schaute nochmals auf seine Tafel – “…vom Ante Diem XIII Kal Sep DCCCLVI? Hast du das auch selbst vorbereitet und gesiegelt?“

Tacitus dreht sich ruckartig um, als er der zweite Iudex ihn mit einer Frage konfrontiert.

"Dabei handelt es sich um...? Es tut mir leid, aber ich kann mir auch nicht jedes meiner Edikte merken, und da Du ja bereits schon informiert zu sein scheinst, wie ich Deiner vor dir liegenden Wachstafel entnehme, so bitte ich Dich, Senator Aelius, lass uns alle teilhaben an Deinen Weißeiten und was Du mit ihnen zu erreichen bezweckst ?"

Quarto aber lächelte weiterhin und sagte mit freundlicher Stimme:
“Oh, ich versuche lediglich mir einen Überblick über den Sachverhalt zu verschaffen und der ist mir, wie ich gestehen muss, momentan noch etwas unklar. Der Vertreter der Anklage sprach in seiner Eröffnungsrede von einem Edikt, welches nach seinen Worten Ante Diem XIII Kal Sep DCCCLVI veröffentlicht wurde. Das habe ich mir hier zumindest so notiert.“
Quarto hielt seine Tabula hoch.
“Das ist wohl das fragliche Edictum, weswegen wir hier zusammen gekommen sind, wenn mich nicht alles täuscht.
Der Zusammenhang mit deinem Edictum vom Ante Diem VI Kal Sep diesen Jahres leuchtet mir ehrlich gesagt noch nicht ganz ein.“

"Und wo soll auch dieser Zusammenhang sein, den der Staatsanwalt völlig willkürlich gezogen hat ?"

“Ich weiß nicht, gibt es einen?“

"Wird das hier ein Ratespiel ?"

“Das wäre wohl kaum angemessen, denn schließlich sollen der ehrenwerte Imperator Caesar Augustus Lucius Ulpius Iulianus, Senator Vinicius Lucianus und meine Wenigkeit am Ende dieser Verhandlung Recht sprechen und nicht Recht raten, nicht wahr.“
Quarto nickte dem Vorsitzenden des Gerichts und seinem Mit-Iudex kurz freundlich zu und wandte sich dann erneut an Helvetius Tacitus.
“Bitte erlaube mir also nochmals die Frage: Hast du dieses ominöse Decretum vom Ante Diem XIII Kal Sep DCCCLVI nun selbst gesiegelt oder hast du es nicht?“

"Natürlich nicht. Ich dachte, daß hätte ich zu genüge dargelegt ?"

“Ah ja.“, sagte Quarto, nickte und notierte sich etwas auf seiner Schreibtafel.
“Dann, nur weil mir das jetzt noch nicht ganz klar geworden ist, gibt es aber ein anderes, ein weiteres Edictum aus deiner Amtszeit, dass mit diesem Prozess irgendwie in Zusammenhang stehen muss. Verstehe ich das richtig?“

"Ein weiteres Edikt, das Gegenstand dieses Verfahrens sein will ? Worauf willst Du hinaus, Senator ?"

“Es gibt also kein von dir unterzeichnetes und gesiegeltes Edikt, dass… nun… sagen wir, VERSCHWUNDEN ist.“