Spaziergang am Morgen

  • Es war ein kühler Herbstmorgen. Nebelfetzen standen noch zwischen den bunten Bäumen, doch die Sonne bemühte sich bereits, den Nebel zu verscheuchen und den Tag erst richtig beginnen zu lassen. Valeria hatte die Nacht über sehr unruhig geschlafen und war schließlich schon weit vor Sonnenaufgang erwacht. Sie hatte die ihr verbleibende Zeit bis zum Sonnenaufgang nachdenklich in den warmen Federn verbracht, sich immer wieder Dinge gefragt und nur selten eine Antwort gefunden. Schließlich aber hatten die ersten Krähen ihr krächzendes Lied begonnen und die Sonne einige verirrte Strahlen in ihr kleines Zimmerchen in dem Gasthaus gesandt, in dem eine Vielzahl der Hochzeitsgöste untergekommen waren. Leah hatte Valeria beim Ankleiden und schminken geholfen und sie schließlich mit warmen Schuhen und einem wolllenen Mantel versorgt. Während Leah zu Livianus geschickt worden war, um ihm Valerias Bitte nach einem Treffen auszurchten, war Valeria schon auf dem Weg nach unten, schüttelte freundlich den Kopf als die Gastwirtin fragte ob sie etwas essen oder trinken wollte, und ging hinaus.


    Es war kalt und nebelig, aber bald würde die Sonne über den Nebel siegen. Valeria fühlte sich seltsam leer und ausgehöhlt, trat abwechsend auf die Füße und wartete auf Livianus.

  • Auch Livianus hatte in dieser Nacht nicht wirklich geschlafen und war bereits sehr früh wieder auf den Beinen, um auf eine Nachricht von Valeria zu warten. Er legte gerade seine Rüstung an, als es an der Tür klopfte und eine Sklavin davor stand, die ihm ausrichtete, dass Valeria bereits vor dem Gasthaus auf ihn wartete. Er ging noch einmal kurz zurück, befestigte seinen Offiziersumhang und schlang ihn um seinen Körper. Dann trat er vor das Zimmer und stieg die knarrenden Stufen hinunter in den Wirtsraum, der außer der Wirtin und einem Sklaven der den Raum fegte, noch völlig leer war. Auf direktem Wege ging er nach draußen und sah sich um. Valeria stand bereits da und wartete.


    „Valeria?“

  • Sie erschrak leicht, als sie so plötzlich aus ihren Gedanken gerissen wurde, weil jemand ihren Namen sagte. Nicht jemand, Marcus, korrigierte sie sich in Gedanken und lächelte sehr kurz zur Begrüßung.


    "Marcus", sagte sie im gleichen Tonfall wie er.
    "Hast du gut geschlafen? Ich dachte mir, wir gehen vielleicht ein Stück."


    Sie wartete noch einen kurzen Moment, dann setzte sie sich langsam in Bewegung, darauf vertrauend, dass Livianus ihr schon folgen würde. Sie versuchte, sich in ihn heineinzuversetzen und zu erkunden, was ihm wohl am meisten zu schaffen machte.

  • Als sie ihn ansprach, trat er näher und betrachtete sie, versuchte etwas aus ihrem Gesichtsausdruck lesen zu können.


    „Um ehrlich zu sein, habe ich nicht wirklich gut und nichts sehr viel geschlafen, aber das bin ich seit einiger Zeit gewohnt. Natürlich können wir ein Stück gehen.“


    Mit der Hand deutete Livianus, dass Valeria vorgehen sollte.

  • So gingen sie eine Weile in unbehaglichem Schweifen nebeneinander her. Valeria musterte Livianus' Profil von der Seite und überlegte sich, wie sie nun am besen anfing. Ihr wollte allerdings nicht so recht etwas einfallen, also zuckte sie ganz leicht mit den Schultern und sprach einfach drauf los.


    "Ich habe Tag um Tag auf einen Brief gewartet. Zumindest eine kurze Nachricht, dass du heil in Mantua angekommen bist. Ich habe dir zwei Briefe gesendet und vergeblich auf Antwort gewartet. Hätte mir dein Primus Pilus nicht mitgeteilt, dass ihr Mantua erreicht habt, so hätte euch auch Neptun in sein reich geholt haben können, ohne dass ich davon gewusst hätte. Irgendwann habe ich dann aufgehört zu warten und mich voll und ganz meiner Arbeit gewidmet."


    Valeria zog den mantel enger um die Schultern.


    "Als du dann gestern so plötzlich auftauchtest, wusste ich nicht, wie ich reagieren soll. Du hast mir sehr weh getan, Marcus. Aber ich weiß nun, dass das Militär immer wichtiger für dich sein wird als ich. Nur bin ich mir noch nicht darüber im Klaren, ob ich das möchte."

  • Mit gesenkten Kopf und einem sehr nachdenklichen Gesichtsausdruck ging Livianus neben Valeria her und ließ die Vorwürfe über sich ergehen.


    „Es tut mir wirklich sehr Leid Valeria. Das alles war wohl etwas viel für mich, was aber natürlich nicht verzeiht, dass ich dir nicht geschrieben habe. Vielleicht habe ich einfach etwas Abstand gebraucht – es war eine sehr turbulente Zeit in Germanien. Ich kann es dir nicht sagen und kann dir auch keine wirkliche Erklärung liefern. Ich kann mich nur entschuldigen.“

  • Valeria blieb stehen und sah Livianus an. Sie wusste, dass er das ernst meinte, konnte aber nicht verstehen, warum er Abstand von ihr brauchte. Langsam schüttelte sie den blonden Lockenschopf.


    "Marcus, ich weiß nicht. Ich meine, ich glaube dir, aber ich kann es nicht verstehen. Vielleicht ist es besser, wenn du wieder gehst. Vielleicht brauche ich auch..hm, Abstand", sagte sie und sah ihn dabei an.

  • Livianus atmete tief durch.


    „Gut, dann werde ich morgen wieder nach Italia aufbrechen. Solltest du deine Entscheidung getroffen haben, so weißt du ja, wo du mich finden kannst. Ich wünsche dir alles Gute Valeria und dass du deinen Weg findest, wie auch immer dieser verlaufen wird. Die Götter mögen dich leiten und beschützen."

  • Dieses ganze Gerede, dieser ganze Abschied, den er da wie auswendig gelernt herunterrasselte, machte sie irgendwie traurig und zugleich wütend.


    "Marcus. Es ist einfach... Realistisch betrachtet... Hmpf."
    Valeria seufzte schwer und hob die Schultern.


    "Du bist in Mantua. Ich bin hier. Wie viele Meilen mögen das sein? Einseitiger Briefwechsel ist nicht das, was ich mir wünsche. Kannst du das nicht verstehen? Ich möchte eine starke Schulter haben, an die ich mich anlehnen kann, wenn mir danach ist - so wie bei der IX. Das geht so nicht. Und das Collegium wird mich nicht nach Mantua versetzen."

  • "Dann wirst du dich entscheiden müssen Valeria - zwischen mir, oder deinem Dienst als Priesterin. Du hast von Anfang an gewusst worauf du dich einlässt. Ich bin Kommandant einer römischen Legion und nicht irgend ein einfacher Unteroffizier. Wenn mich der Kaiser braucht, dann werde ich da sein - in Friedenszeiten sowie auch im Falle eines Krieges. Als Legatus kann ich für uns beide sorgen. Es liegt also ganz allein an dir."

  • "Als läge es mir nicht am Herzen, dem Imperator zu dienen", murrte Valeria, seufzte und setzte sich wieder in Bewegung.


    "Wie kannst du sowas nur sagen? Du weißt, dass das nicht stimmt. Als wir...als es passierte, da warst du in Colonia stationiert und nicht tausende Meilen weit weg."
    Außerdem brauchte der Kaiser ihn nicht 24 Stunden am Tag. Er hätte ruhig mal ein Viertelstündchen für einen kurzen Brief opfern können.
    Valeria merkte, wie sie ungerucht wurde und schwieg eine Weile. Sie konnte ja nicht wissen, dass Livianus sie und Maximian am gestrigen Abend gesehen hatte. Was jedoch verwunderlich war: dass Livianus nicht darauf zu sprechen kam.


    Sie gingen noch eine Weile, in der Valeria überlegte, was sie noch sagen wollte. Zuerst fiel ihr nichts ein, dann entschloss sie sich, diplomatisch zu handeln.
    "Vielleicht haben wir uns wirklich nur etwas vorgemacht, Marcus. ich bin keine Aemilia und du bist kein Maximian."

  • Valeria blieb stehen und sah Livianus mit ausdruckslosem Gesicht an.
    "Wie meinst du das?" fragte sie ihn, obwohl sie genau wusste, was er meinte. Ihr war plötzlich trotz des dicken Mantels kalt und klamm. Der Nebel hatte feine Perlen aus Wasser auf ihre Haare aufgezogen.

  • „Ich habe euch gestern gesehen…. dich und Maximian, als ich euch während des Brautzuges geküsst habt.“


    Livianus schüttelte den Kopf und seine Stimme klang traurig, als er die nächsten Sätze aussprach.


    „Eigentlich schon ein starkes Stück von euch, mich während des Brautzuges meines Bruders so zu blamieren, falls euch auch andere gesehen haben, was sicher der Fall ist. Aber was soll´s. Ich will gar nicht darüber sprechen. Tatsacht ist und bleibt, dass ich zurück nach Italia muss. Es liegt ganz allein bei dir ob du mich begleiten und einen Neuanfang versuchen möchtest, oder ob wir in Zukunft getrennte Wege einschlagen."

  • Valeria presste die Lippen aufeinander und bohrte ihren Blick in den von Livianus.


    "Falls du das meinst, was ich denke, das du meinst, dann ist es nicht das, was du zu sehen geglaubt hast", sprach sie langsam und ruhig.
    "Ich habe dich während der ganzen Zeit nicht hintergangen, seitdem du fortgegangen bist. Und ich habe dich gestern Abend auch nicht hintergangen."


    Es entstand eine unschöne Pause, in der sie sich gegenseitig anschwiegen und in der Valeria nach Worten rang und versuchte, sich darüber klar zu werden, dass Livianus ihr da ein verbales Schwert an den Hals hielt.


    "Das heißt, wenn ich jetzt nicht mit dir gehe, dann war es das", stellte sie nüchtern fest und sah ihn fragend an.

  • „Du selbst hast doch vorhin gerade gesagt, dass eine Fernbeziehung nicht das ist, was du dir wünschst. Also wird es wohl vorbei sein, wenn du hier bleibst. An mir liegt es jedenfalls nicht. Andererseits war es vielleicht wirklich nur ein Traum, der viel zu schnell vorüber war, als wir anfangs dachten. Die Zeit in Germanien war wundervoll, aber ich kann dir wohl in Zukunft nicht das bieten, was du dir erhoffst….. ein normales Familienleben.“

  • Livianus' Worte machten sie traurig. Sie dachte an die Fehlgeburt zurück und daran, wie liebevoll er sich um sie gekümmert hatte. Sie fragte sich, ob das, was sie zu tun gedachte, nicht vielleicht in höchstem Maße töricht war. Aber andererseits hatte sie sich wohl schon entschieden. Ihr Blick war kurz abgedriftet, kehrte aber nun in die Realität und zu Livianus zurück.


    "Das ist mein Wunsch, ja", sagte sie ruhig und nickte.
    "Ich kann nicht fort, Marcus. Du weißt das."

  • Livianus nahm diese Aussage ebenso ruhig hin, wie sie ausgesprochen wurde und versuchte seine wahren Gefühle in diesem Moment zu unterdrücken und sie nicht zu zeigen. Er wollte nun kurz, wenn auch nicht schmerzlos, diese Angelegenheit beenden. Es war wohl für beide das Beste.


    „Ich habe es mir schon gedacht. Dann hoffe ich, dass du bald das findest, nach dem du suchst und was du verdienst. Solltest du mich brauchen, so werde ich immer für dich da sein und tun was in meiner Machst steht, um dir zu helfen. Mögen die Götter dich behüten und leiten. Ich wünsche dir alles Gute.“


    Er beugte sich nach vorn und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.

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