• Einigermaßen wiederhergestellt streifte ich an einem schönen Spätherbsttag durch die Gänge des Gastgeberanwesens und grübelte über meine mögliche Abreise nach. Während ich in Gedanken verschiedene Varianten durchging, kam mir ein gut bekannter Mann entgegen. Ich nickte auf seinen Gruß hin und stellte im Nachhinein verwundert fest, dass ich den Medicus hier nicht zum ersten Male traf, dabei war ich selbst schon fast gesundet.


    „Hm, in Germanien scheinen Krankheiten an der Tagesordnung zu sein“, murmelte ich. „Ein ungemütlicher Landstrich.“ Unwillkürlich fröstelte es mich.


    Wenig später begegnete mir der Mann erneut. Er hatte offensichtlich nur Medizin gebracht, eine Behandlung war wohl nicht vonnöten gewesen.
    Durchaus neugierig reckte ich den Kopf, vielleicht trat ja der oder die Kranke zufällig aus ihrem Zimmer …

  • Wie es der Zufall wollte, trat Valeria in just jenem Moment in eine dicke Decke gehüllt aus der Tür, in dem Deandra dort entlang ging. Sie war zwar krank und gerade heute plagten sie die Kopfschmerzen wieder sehr, aber allein den Abort aufsuchen würde sie sicher können, während die ihr zugeteilte Sklavin-Aufpasserin gerade unterwegs war, um eine Bettpfanne zu organisieren. Valeria war schließlich keine Oma, sie war nur ein bisschen krank. Der Medicus hätte bei diesen Worten vermutlich mit den Augen gerollt und auf die Bettruhe verwiesen, die er ihr verordnet hatte, aber Valeria war nun einmal Valeria, punktum.


    Als sie nun also aus dem Zimmer trug, stolperte sie beinahe in die ins Zimmer linsende Deandra hinein, erschreckte sich kurz und dachte im ersten Moment, es seien Leah oder Alisea, dann aber stellte sie fest, dass die Frau keine Sklavin war, sondern eben eine Aureliern. Um genau zu sein Aurelia Deandra, was ihr Maximian am gestrigen Abend erzählt hatte. Valeria sah sich verschwörerisch um.


    "Salve - lass uns schnell ein paar Schritte gehen, ehe die Sklavin kommt und mich nicht mehr lässt...."
    Sie schob Deandra einfach an und ging dann schnell selbst ein paar Schritte.
    "Du bist Deandra, stimmt's? Ich bin Valeria."

  • „Ups“, entfuhr mir, als eine junge Dame auf mich zustolperte. „Immer langsam mit den jungen Pferden.“ Ich lächelte amüsiert. „Das ist ein Spruch meines Gestütsleiters“, fügte ich erklärend an, während sie mich bereits durch den Gang schob. Nein, wirklich, ich musste lachen. So etwas war mir lange nicht passiert.


    „Du kennst mich?“, fragte ich nach einigen Abbiegungen in weitere Gänge. Ich wusste jedenfalls nicht mehr, wo wir waren. Na, hoffentlich kannte sie sich hier aus. „Salve, Valeria. Sag nicht, du bist auch krank.“ Überrascht blieb ich stehen und betrachtete erst einmal meine überraschende Gesprächspartnerin.

  • Valeria warf Deandra einen verblüfften Blick zu und wickelte sich enger in die Decke ein, dann kam jedoch gleich schon die Erklärung hinterher und die Decima musste grinsen und vergaß darüber sogar, dass sie sich in die falsche Richtung bewegten, denn der Abort war sicherlich nicht bei der Küche zu finden, auf die sie nun zusteuerten....


    "Doch. Also, eigentlich nicht. Aber Lucius hat mir deinen Namen verraten. Also, Meridius' Sohn."
    Herrjeh, irgendwie waren ihre Gedanken zäh wie Honig. Sie sah sich nach der Sklavin irgendwo hinter ihnen um, die gerade einen germanschen Fluch ausstieß, weil Valeria geflüchtet war, und kicherte. Dass Deandra stehen blieb, war ihr ganz recht, so konnte sie selbst auch einen Moment verschnaufen. Erschöpft lehnte sie sich an die Wand.


    "Ja. Nein. Sagen wir so: Alle behaupten, ich sei krank, aber eigentlich geht es mir ganz gut. Der Medicus sagt, ich hätte Fieber und sollte unter keinen Umständen aufstehen....aber ich bin selbst Medica. Und ich fühle mich fit genug, keine Bettpfanne zu brauchen. Und deswegen bin ich hier. Wir sind zwar hier falsch, aber... naja. Aber...wieso 'auch'? Bist du denn krank?"
    Nun musterte Valeria ihre Gesprächspartnerin

  • Wir sind hier falsch? Ich wollte eigentlich gar nicht auf den Abort“, erwiderte ich grinsend. „Auch bin ich noch nie derart schwungvoll zu einem solchen Ort mitgeschleift worden. So richtig krank bzw. geschwächt kannst du nicht mehr sein. Da muss sich der Medicus wirklich irren.“


    Zunächst blickte ich versuchsweise ernst, dann jedoch bogen sich die Mundwinkel und ich musste ein Kichern hinter vorgehaltener Hand unterdrücken.


    „Ich war krank, erheblich sogar“, antwortete ich wieder ernst auf ihre Frage. „Inzwischen bin ich auf dem Weg der Besserung. Vielleicht lag es an den kuriosen Behandlungsstrategien des Griechen, weswegen es mir schon innerhalb kurzer Zeit wieder besser ging. Ist es denn normal, dass sich in Germania um diese Zeit so erstaunlich viele Menschen auf das Krankenlager legen? Gibt es gar eine Epidemie oder ist alles nur Zufall?“


    Schließlich wurde mir klar, dass ich außer dem Namen nichts von ihr wusste.


    „Valeria, bist du Gast wie ich oder lebst du in diesem Hause?“

  • Valeria zuckte mit den Schultern.
    "Da musst du jetzt durch", sagte sie gespielt in ihr Schicksal ergeben.
    "Was den Medicus betrifft: Davon rede ich die ganze Zeit, nur leider hört mir niemand zu."


    Jetzt grinste sie ebenfalls, doch das Grinsen wich einem forschenden Ausdruck, als Deandra einen Griechen erwähnte. Der Medicus, der sie behandelt hatte, war ganz sicher kein Grieche gewesen, soviel stand fest.
    "Ein Grieche? Hieß er vielleicht Apollonius von Samothrake?" hakte sie nach.
    "Das war mein Lehrmeister. Ein sehr fähiger Mann. Es ist dann kein Wunder, dass es dir schon wieder besser geht. An eine Epidemie denke ich nicht. Es ist wahrscheinlich wirklich nur ein dummer Zufall."


    Sie strich sich das Haar nach hinten und erklärte Deandra.
    "Sowohl als auch. Ich bin Sacerdos und eigentlich arbeite ich in Colonia. Aber man hat mich hergebracht als man von meiner Krankheit erfuhr und, naja, seitdem bin ich hier, bei meiner Familie. Meridius ist mein Onkel. Und was machst du hier so ganz allein? Mir ist der Name der Aurelia von den Wagenrennen bekannt. Ihr stellt die italischen Pferde, nicht wahr?"

  • „Ja, genauso hieß er“, bestätigte ich nickend, als die Rede auf den Medicus kam. „Ich habe mich sehr gut versorgt gefühlt. Er ist ein sehr gebildeter und vertrauenswürdiger Mann. Du kennst ihn also. Hm, wusstest du, dass er erwürgte Nattern als Halsschmuck verschreibt?“


    Am Ende hätte Valeria auch Nattern verschrieben, weil sie offenbar seine Schülerin war. Bald war meine Aufmerksamkeit aber von ihren weiteren Ausführungen gefangen und mir wurde klar, dass ich eine Decima vor mir hatte.


    „Meridius ist dein Onkel?“, fragte ich überrascht. „Eure Familie ist groß und ich kenne überwiegend den italischen Teil. Wir pflegen seit Jahren einen engen und guten Kontakt zu deiner Familie, nicht zuletzt wegen der Factio, wird diese doch in entscheidendem Maße von der Decima und der Aurelia geprägt. Du hast Recht, meine Familie stellt die italischen Pferde und ich bin wegen der Ludi hier. Naja, nun allerdings wurde mein Aufenthalt ungewollt verlängert. Was nicht heißt, dass ich mich unwohl fühle“, fügte ich schelmisch an. „Ich freue mich, mit dir ein neues Mitglied kennen gelernt zu haben.“

  • Valeria kicherte kurz.
    "Er hat dir eine erwürgte Natter verordnet? Dann hattest du ganz gewiss Probleme im Hals. Nattern helfen dabei - ich hätte dir vermutlich auch eine verordnet", bestätigte sie, denn natürlich waren ihr Apollonius' Behandlungsmethoden als seine ehemalige Schülerin geläufig. Schade nur, dass er jetzt auf einer Insel im Mittelmeer lebte. Das erinnerte sie daran, dass sie ihm gleich schreiben musste, wenn es ihr besser ging. Sie ließ die Worte Deandras auf sich wirken und entgegnete dann:


    "Ja. Mir war auch so, als sei der Name der Aurelia schon das ein oder andere Mal gefallen, nur kann ich mich leider nicht mehr an den Zusammenhang erinnern", gestand Valeria verschämt. Sie bekam schon wieder Kopfschmerzen.
    "Ich wollte es gerade sagen - die Ludi sind wirklich schon eine geraume Zeit her. Darfst du denn bald nach Hause? Das Domus scheint inzwischen ein regelrechtes Valetudinarium geworden zu sein."


    Valeria lächelte amüsiert und deutete dann den Gang hinunter.
    "Lass uns noch ein Stückchen gehen. Es tut ganz gut, einmal dem Zimmer und dieser wirklich penetranten Sklavin zu entkommen. Hat Meridius dir auch eine Leibwache ans Bein gebunden? Schrecklich", witzelte sie.
    "Aber er meint es sicher nur gut,.. Ich freue mich, dass ich so liebe Verwandte habe. Und dass ich dich kennengelernt habe."

  • Ich nickte bei dem Vorschlag, den Gang entlang zu laufen.


    „Wollen wir uns einhaken? So können wir uns gegenseitig halten, wenn es einer schwindelig wird.“


    Anschließend dachte ich über ihre Erzählung bezüglich der Natter nach.
    „Ja, ich habe ein Problem mit dem Hals, ein erhebliches sogar“, erwiderte ich erstaunt. Sogleich nutzte ich die Chance. „Valeria, ist es wirklich nötig, dass diese Natter erwürgt sein muss? Was, wenn sie es nicht war?“ Hoffentlich kam jetzt keine nachteilige Auskunft über irgendwelche Spätfolgen. Ich schaute skeptisch, musste dann aber nochmals lachen, als ich mich an den Vergleich zwischen Domus und Valetudinarium erinnerte.


    „Und Meridius avanciert zum Krankenpfleger“, sagte ich aus diesem Gedanken heraus. „Nein, eine Leibwache habe ich nicht verpasst bekommen, aber er wollte mir die verfrühte Heimreise ausreden. Er sagte, ich bekäme dafür nicht seine Zustimmung.“ Wieder lächelte ich. „Weißt du, das erste Mal, als ich Meridius getroffen hatte, war er mir bereits in der Eigenschaft eines umsorgenden Mannes aufgefallen. Es war damals in Ostia, der Krieg war vorbei und er kehrte als Triumphator nach Rom zurück. In seiner Begleitung befand sich seine Schwester, wie ich wenig später auf der Feier herausgefunden hatte. Sein Verhalten hat mich damals durchaus beeindruckt. Das gebe ich zu.“

  • Valeria lächelte erfreut bei Deandras Vorschlag und hakte sich sogleich ein. Als die Aurelierin von der Natter berichtete, musste Valeria kurz kichern und sah sie dann erstaunt an.


    "Wenn sie nicht erwürgt war? Wie meinst du das? Du hast dir eine lebendige Natter um den Hals gewickelt?"
    Jetzt waren ihre Augen groß.
    "Nicht dein Ernst!" stieß sie hervor, las aber in Deandras Augen bereits, dass die Natter wirklich noch gelebt hatte. "Tja also...ich denke, es kommt lediglich auf die Natter an. Dass sie noch gelebt hat, wird keinen negativen Effekt haben. Eine tote Natter ist eben einfacher in der Handhabung, weißt du."
    Und wieder musste Valeria albern kichern. Aber irgendwie mochte sie Deandra.


    Sie nickte bestätigend, als sie die Worte bezüglich Meridius vernahm.
    "Ja, manchmal ist er streng und wirkt unnahbar, zumindest erscheint es dann so. Aber eigentlich kann man immer auf seine Hilfe zählen, wenn man sie nötig hat. Er sorgt sich fast wie ein Vater um mich.
    Du hast bestimmt noch nahestehende Familie, nicht wahr? Meine Eltern sind beide schon über den Styx gereist, mein Halbbruder verstarb vor etwa einem halben Jahr an einem Fieber auf der Seereise nach Germanien. Meridius und die anderen sind die einzigen Verwandten, die ich hier habe"
    , erklärte sie und verschwieg erneut, dass Decimus Praetorianus eigentlich gar nicht ihr Vater war, dass ihre Mutter ihm nur einem Kuckuck gleich ein Ei ins gemachte Nest hatte legen wollen. Valeria litt darunter, nicht zu wissen, wer ihr Vater war, aber sie verbarg es wie all die Jahre ihres bisherigen Lebens. Der Verdacht lag nahe, dass ihr Vater kein Iberer, sondern jemand von heller Haarfarbe gewesen war. Sie wollte nicht darüber nachdenken.

  • Gemeinsam schlenderten sie den Gang entlang, bogen mal hier ab und verweilten an anderer Stelle vor Waldbemalungen. Ich hörte Valeria zu und musste zwischendurch immer einmal wieder lachen.


    „Naja, ich hatte die Idee, dass mir jemand die lebende Natter hält, während sie für die Behandlung um meinen Hals liegen muss. Alles nur, damit sie nicht für mich erwürgt werden muss. Ich finde das gar nicht schlimm. Eine lebende Schlange erwärmt sich an der Haut und fühlt sich dann wie jedes X-beliebige andere haarlose Tier an.“


    Ich schaute mit leicht geneigtem Kopf und einem rätselhaften Lächeln zu Valeria. Ob sie mir wohl glauben wird?


    „Mein Sklave kam schließlich auf die Idee, die Schlange in einen Sack zu stecken. Vermutlich, weil er Angst hatte, sie halten zu müssen.“


    Ich schmunzelte. Schade, dass er diese Erklärung nicht hören konnte.
    Bald darauf kam die Sprache auf Familienangehörige. Ich nickte zu der von ihr geäußerten Vermutung.


    „Ja, meine Eltern erfreuen sich bester Gesundheit, auch wenn das Alter schon manchmal an ihren zehrt.“


    Sehrt traurig, dass Valeria gar niemanden mehr hatte. Auch ich musste bereits Geschwister bestatten helfen, aber nicht alle waren von den Göttern geholt worden.


    „Zwei Brüder habe ich außerdem noch. Ich verstehe mich mit beiden sehr gut, wobei mich mehr mit dem Jüngeren verbindet. Er ist Freund und Bruder zugleich; fast hättest du ihn kennen gelernt, aber er ist bereits abgereist.“


    Ich schaute flüchtig zu Boden und atmete einmal tief durch.


    „Familie ist wichtig, für mich ist sie wichtig, für dich - wie es klingt - offenbar auch. Wir können nicht oft genug den Göttern und Laren dafür danken.
    Tja, und Freunde sind auch sehr wichtig. Schade eigentlich, dass ich bald abreisen muss. Die Götter fügen nicht aller Tage solche Begegnungen wie heute.“

  • Valerias Augen wurden noch größer, als sie davon sprach, die Natter lebendig um den hals zu tragen wie ein Wolfs- oder Kaninchenfell.


    "Aber...?" begann sie, dann wurde sie sich des Gesichtsausdruckes Deandras bewusst und atmete innerlich auf. Ein Sack war zwar keine vornehme Lösung, aber schließlich hatte die Patrizierin das Haus sicherlich nicht damit verlassen. Da hätten wohl selbst die alteingesessensten Germanen sich an die Schläfe getippt und 'Die spinnen, die Römer' gemurmelt. 8)


    "Ah. Gut. Wenn du sie dann wie beschrieben um den Hals getragen hast, dürfte das keine Nebenwirkungen gehabt haben. Wie geht es dir denn inzwischen. Du sagtest ja, dass du bald abreisen musst. Du solltest vorher wirklich gesund sein. Bei diesem Wetter ist es keine Freude, über die Alpen nach Italia zu reisen. Deinen Bruder hätte ich gern einmal kennengelernt. Ach, warte, ist er nicht der Duumvir von Mantua? Corvus oder Corvinus oder so ähnlich? Wir stehen in Briefkontakt zueinander, er hat sich ein schriftliches Angebot eingeholt von meinem Mosaikenleger. Es geht scheinbar um irgendein Parkprojekt. Oh weh. Ich merke, wie schnell ich gesund werden muss. Ich hätte noch so viel Arbeit zu erledigen.... Grüße ihn doch bitte ganz lieb von mir."


    Valeria hustete kurz und dann passierten sie eine weitere Ecke. Nun schlug ihnen der Duft nach frischem Brot entgegen,nach Räucherspeck und Kräutern. Valeria sah bedeutsam zu Deandra.
    "Gehen wir rein?" fragte sie und grinste breit.


    "Die Familie ist ein großes Gut da hast du recht", sprach sie dann, während die dicke Köchin die beiden kranken Nasen skeptisch musterte.
    "Und natürlich sollte man den Göttern danken, wenn man mit diesem Gut reichlich beschenkt wurde. Ich bin Sacerdos, weißt du. Leider denken nicht viele so wie du, das ist sehr schade."


    Valeria schob einen der Stühle zurück und nahm an dem schmalen Küchentisch Platz, an dem sonst nur geschnitten und gewerkerlt wurde oder aber die Sklaven aßen. Ihr schien es nichts auszumachen, dort zu sitzen, und sie seufzte erlleichtert auf, als sie ihr ohnehin schon weniges Gewicht nicht mehr selbst tragen musste, sondern das dem knarzenden Stuhl überlassen konnte.
    "Wann willst du denn abreisen? Ich denke, wir können in Kontakt bleiben, meinst du nicht? Ich finde dich nett", sagte Valeria.
    Die dicke Köchin stellte zwei Becher mit heißem Wein vor Deandra und Valeria auf den Tisch, sagte aber nichts weiter dazu, obwohl ihre Miene aussagekräftig genug war. Diese zwei Herrschaften sollten im Bett bleiben.

  • Ich musste grinsen, als ich Valerias große Augen sah. Vorsorglich legte ich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszukichern.


    „Na, da habe ich ja noch einmal Glück gehabt, wenn mir die lebende Schlange im Sack nun kein dickes Ende beschert“, sagte ich todernst, schüttelte aber alsbald den Kopf und kicherte.
    Flink wechselte Valeria das Thema und nun wurden meine Augen groß.


    „Du kennst meinen Bruder?“ Ich blieb vor Überraschung derart abrupt stehen, dass mein eingehakter Arm plötzlich sehr lang wurde, bis Valeria ebenfalls verharrte. „Das ist ein Ding! Kennt der Kerl eigentlich jede Frau?“


    Dann aber kam die Erklärung. „Ach sooo, daher kennt ihr euch“, fügte ich mit einem Augenzwinkern an und setzte den Spaziergang fort. „Ja, Corvinus, und ja, er ist Duumvir. Aber ob er einen Mosaikleger sucht, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Parkprojekt? Du meinst, er plant ein Mosaik unter freiem Himmel? Tja, warum nicht.
    Ist gut, ich grüße ihn von dir. Ob ganz lieb, muss ich mir aber noch überlegen.“


    Es schien so, als war ich fast wiederhergestellt. Zumindest lachte ich wieder im normalen Umfang.


    „Das war jetzt ein Scherz, aber mir fällt langsam auf, dass dieser Bursche in Bezug auf Frauen ziemlich rege ist. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie stört mich das.“


    Während Valeria annähernd magisch von den Düften der Küche angezogen wurde, sich setzte und sogleich bedient wurde, grübelte ich über das soeben Gesagte nach. Was ging es mich überhaupt an, dass Corvi so viele Bekanntschaften pflegte? Schließlich konnte er ja machen, was er wollte. Eine kleine Falte erschien auf meiner Stirn und ich spürte einen Hauch von Ärger in mir aufsteigen. Soll er doch, kann er doch! Warum denke ich überhaupt darüber nach? Ich hatte ja schließlich auch einen Liebsten und wollte sogar bald heiraten.
    Blöd, die Verstimmung löste sich nicht auf. War ich etwa neidisch, weil er turteln konnte und ich meinen Liebsten während der letzten 15 Monate nur einmal gesehen hatte?


    Alles, was Valeria in der Zwischenzeit gesagt oder gemacht hatte, zog spurlos an mir vorbei. Erst bei ihrem Satz: ‚Meinst du nicht?’ wurde ich wach und blickte auf.


    ‚Oje, was hat sie mich denn gefragt? Wie unhöflich von mir! Gestehe ich den Patzer ein oder nicke ich einfach?’


    Lächeln. Lächeln ist immer gut, also lächelte ich und setzte mich - wohl zum ersten Mal in meinem Leben - in eine Küche, derart neben mir stand ich gerade. Der Duft des heißen Weines stieg mir in Nase und sie kräuselte sich – mochte ich doch noch nicht einmal kalten Wein. ‚Ob er gegen Halsschmerzen hilft? Ich könnte es nachher einmal probieren.’ Zurück zur Frage.


    „Du hast Recht.“ Auch diese Bemerkung war in allen möglichen Situationen passend, aber noch besser ist es, die Wahrheit zu sagen.


    „Ich habe gerade an meinen Liebsten gedacht. Er ist Offizier bei der Legion und ich habe ihn lange nicht gesehen. Was sagt dein Herz, ist es auch schon vergeben?“

  • "Es würde wohl jede Schwester stören, wenn ihr Bruder nur noch wenig oder gar keine Zeit mehr für sie hat", gab Valeria zurück und dachte dabei an das leicht angeknackste Verhältnis zwischen Meridius und Lucilla. Deandras Worte weckten in ihr den Wunsch, ihren Bruder einmal persönlich kennenzulernen. Bisher kannte sie lediglich seine ordentliche Schrift, aber nichts weiter. Sie trank einen Schluck des heißen Weines und genoss das warme Gefühl, das ihr die Kehle herab rann.


    Deandras nächste Frage brachte sie leicht in Verlegenheit. Valeria schmunzelte, um die Verlegenheit zu überspielen, und antwortete ihr, während sie den Becher nachdenklich in den Händen drehte.
    "Ja, es ist vergeben. Auch wenn es einige Schwierigkeiten zu bewältigen gab und gibt. Warum hast du ihn denn so lang nicht gesehen? Ist er so eingespannt?"


    Sie trank noch einen Schluck und merkte, dass sie wirklich bald zum Abort kommen musste. Auch begann sie sich schon wieder schläfrig zu fühlen. Valeria unterdrückte gerade noch so ein Gähnen und sah Deandra entschuldigend an.


    "Verzeih bitte", bat sie.
    "Ich glaube, ich bin doch noch nicht so fit, wie ich gedacht habe. Der kleine Ausflug schlaucht doch sehr."

  • Ich nickte. Bestimmt konnte sie wie sonst niemand nachempfinden, was es bedeutete, Schwierigkeiten wegen einer Liebe meistern zu müssen. Wer hatte schon den Luxus, sich überhaupt eine emotionale Beziehung leisten zu können? Die meisten Ehen wurden ja arrangiert. Tja, und dort, wo das Herz sich hinwandte, schloss sich der Verstand nicht immer an.


    Varelias Frage jedoch brachte mich in größere Schwierigkeiten als geahnt. Wenn ich nur selbst eine Antwort wüsste! Die nahe liegende hatte ich immer wieder verdrängt, weil ich sie nicht wahrhaben wollte. Zwar wusste ich, warum bisher eine Heirat ausgeschlossen war, das erklärte aber nicht sein monatelanges Fernbleiben. Ich wusste, er hatte wenig Zeit – zu wenig für mich.


    Ich senkte den Blick und starrte traurig vor mich hin. Ja, es tat weh, darüber nachzudenken, zumeist vermied ich diese Thematik. Schließlich sah ich wieder auf.

    „Er ist Stabsoffizier und hat einfach keine Zeit“,
    flüsterte ich. Weil sich jedoch meine Augen mit Tränen füllten, senkte ich schnell wieder den Blick. Erst als sich Valeria entschuldigte, schaute ich sie wieder an.


    „Wie unaufmerksam von mir, ich muss mich entschuldigen. Soll ich dich eben noch zum Ort deiner Wahl bringen?"


    Ich vermutete mal den Abort, aber wissen konnte ich es nicht.

  • Valeria biss sich auf die Unterlippe. als sie sah, wie sehr ihre Frage Deandra beschäftigte und auch schmerzen musste, nach den Tränen zu urteilen, die sie in den Augen hatte und zu verstecken versuchte. Augenblicklich machte sich ein schlechtes Gewissen in ihr breit und sie sah die Aurelierin bestürzt an und legte eine Hand auf ihre.


    "Oh das tut mir leid... Weißt du, ich kann das nachvollziehen. Ich war auch mit einem, hm, hochrangigen Offizier liiert...das passt nicht zusammen, glaube ich. Gute Soldaten sind meist auch vielbeschäftigte Männer", erzählte Valeria und lächelte dann bedauernd.
    "Aber es scheint mein Schicksal zu sein. Mein herz gehört einem Mann, der bald in die Legion eintreten wird."


    Sie seufzte und zuckte dann mit den Schultern.
    "Ach, mach dir keine Gedanken. Es war ja mein eigener Wunsch, dieser grässlichen Sklavin zu entkommen. Dass ich dich dabei halb über den Haufen rennen würde, wusste ich ja nicht. Aber es hat sich im Nachhinein als sehr angenehme Fügung erwiesen, dich zu treffen."


    Die junge Frau lächelte ehrlich und trank den Wein aus. Deandra schien ihren noch nicht angerührt zu haben, was ihr nun einen kritischen Blick der Köchin einbrachte, die schnaufend irgendwelches Gemüse schnitt.
    "Doch nun sollte ich wirklich bald mal los... der Wein möchte gern rau", sagte sie und zwinkerte Deandra schelmisch zu.

  • Valeria hatte eine warmherzige Art und ich lächelte dankbar. Dennoch musste ich jede Anstrengung aufwenden, um meine Tränen fortzublinzeln, weil gerade Trost Schleusen öffnen kann. Ihre Geschichte war auch nicht gerade erbaulich: Sie hatte offenbar ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht und steuerte geradewegs auf eine Wiederholung zu. Aber Männer waren so verschieden wie Frauen sich einander unähnlich sind.


    „Ich glaube, es muss nicht zwangsläufig so sein, dass sich ein Soldat vollkommen in seine Arbeit vertieft, sodass er jegliches Zeitgefühl verliert. Nur eben in meinem Fall … was für ihn normal ist, kommt mir wie ein halbes Leben vor. Es gibt Männer, die das anders handhaben, aber wer weiß das schon im Voraus?“


    Es dauerte nur einen Lidschlag, dann schaute ich wenig begeistert und schüttelte den Kopf.


    „Falsch! Ich habe es vorher gewusst. Es war von Anbeginn klar, dass die Legion jeden Vorrang haben wird und ich hatte es hingenommen, weil er mir wichtig war … wichtig ist. Ja, und jetzt habe ich wegen ihm sogar meine Familie verlassen. Er ist Mitglied meiner Gens“, fügte ich erklärend an.


    Noch immer betrachtete ich skeptisch das Trinkgefäß, aus dem ein unangenehmer Duft strömte. Ich runzelte flüchtig, annähernd unauffällig die Nase und konnte mich einfach nicht dazu durchringen, die Brühe zu verkosten. Zum Glück, denn bei Valeria schien sie Folgen zu haben.


    „Oje, schaffen wir das noch? Ich weiß nicht einmal, wo der gewisse Ort von hier aus gesehen liegt, aber ich begleite dich selbstverständlich. Die Götter halten für uns oft unvorhergesehene Fügungen bereit. Sehr schön, dass wir uns dabei in die Arme gelaufen sind und ohne die mir erteilte Aufgabe in diese Angelegenheit werde ich dich auch nicht verabschieden.“


    Von allen mir aufgetragenen Aufgaben war das mit Abstand die lustigste, daher verschwanden die soeben als traurig empfundenen Gedanken. Möglicherweise setzte aber wieder die Verdrängung ein – das beste Mittel für den Seelenfrieden.

  • Unwillkürlich musste Valeria an die Geschichte zwischen Severa und Meridius denken. Bei den zweien kam zuerst eine Ehe ins Spiel und dann die mangelnge Zeit Meridius'. Schließlich hatte sich aber doch alles zum Guten gewendet für die beiden. Sie lächelte kurz. runzelte dann die Stirn. Maximian hatte ihr gesagt, dass dies Aurelia Deandra sei - von einer Adoption in eine andere Familie hatte sie nichts gewusst. Dementsprechend verblüfft war sie nun auch.


    "Oh...heißt das, du bist keine Aurelierin mehr?" fragte sie, vielleicht etwas naiv, aber mehr überrumpelt. Sie schmunzelte bei Deandras letzten Worten und stand auf. Die Köchin legte das erschreckend große Messer nicht aus der Hand und beugte sich demonstrativ über Deandras gefüllten Becher. Missbilligend zog sie eine Augenbraue hoch und verzog den Mund zu einer abfällig-gutmütigen Gerimasse, als sie intonierte: "Na, wenn sie nicht gesund werden will, dann lässt sie den Wein eben unangetastet", wobei "sie" wohl Deandra war, welcher der Blick galt. Valeria grinste, wartete, bis die Patrizierin aufgestanden war, und hakte sich dann wieder bei ihr ein.


    "Ich weiß es. Und ich rechne es dir hoch an, dass du mich begleiten möchtest. Es ist auch gar nicht weit. Hm... weißt du denn schon, wann du abreisen wirst?"

  • Ich beeilte mich, aus dem Einflussbereich, der Köchin, ihres Messers und vor allem der widerlichen Duftwolke dieses Weines zu kommen und erhob mich rasch. Nachdem sich Valeria eingehakt und wir die ersten Schritte hinter uns gebracht hatten, verspürte ich die Ruhe zur Beantwortung ihrer Frage nach meiner Genszugehörigkeit – kein Thema für Hausangestellte.


    „Tja, um ehrlich zu sein, weiß ich das noch nicht einmal. Ich habe vor Wochen meinen Vater einen Brief zukommen lassen, worin ich ihn um meine Freigabe bat. Er kennt ja mein Problem, hat mich daher bis jetzt auch noch nicht zwangsverheiratet, aber ob er bereits gehandelt hat, weiß ich nicht. Du kannst dir sicher denken, dass ich auch deswegen recht bald nach Hause reisen will. Mein ganzes Umfeld steht auf dem Kopf: Ich weiß nicht, wie mein Vater meine Bitte verkraftet hat, ich weiß nicht, was der Rest der Familie sagt, ich weiß nicht einmal, wohin ich derzeit gehöre, wer mein neuer Vater ist, wie mich die neue Familie aufnimmt usw.
    Wenn es nach mir geht, möchte ich schon morgen abreisen, auf jeden Fall aber in den nächsten Tagen.“


    Durch Valerias Richtungsangaben gelangten sie schließlich an jenes Örtchen, dessen Zuflucht Decima suchte.


    „So, da wären wir also. Ich warte gerne, um dich schließlich noch zu deinem Zimmer zu bringen. Irgendwie ist das lustig, so etwas habe ich mein ganzes Leben lang noch nie gemacht.“


    Ich lachte amüsiert.

  • Die zwei beiden schlenderten zuerst noch gemächlich durch die Gänge, dann zog Valeria das Tempo etwas an, weil sie doch langsam einen unnachgibigen Drang verspürte. Bei Deandras Worten stellte sie sich vor, wie das sein musste. Und augenblicklich beschloss sie, sich nicht von irgendjemandem adoptieren zu lassen, auch nicht Maximian zuliebe, obwohl sie ihm das gesagt hatte. Gerade erst hatte sie sich in ihre neue Familie so weit hereingefunden, dass ihr alle vertraut ung lieb geworden waren. Jetzt die gleiche Angelegenheit noch einmal durchzumachen...nein, das wollte sie nicht. Es würde sicher auch einen anderen Weg geben. Hoffentlich gab es den.


    So nickte sie und sah Deandra bekümmert an, während wie vor der Tür zum Abort stehen blieben.
    "Dann wünsche ich dir nur das Beste, Deandra. So. Nun muss ich aber wirklich, sonst passiert ein Unglück. Wäre schön, wenn du warten könntest - es dauert auch ganz bestimmt nicht lang. Und dann bist du mich auch bald wieder los", sagte Valeria grinsend und zwinkerte, ehe sie wirklich eilig in dem Raum verschwand.

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