Auf hoher See| Fabula Piratarum oder die Geschichte eines Piratenkapitäns


  • Weiße Tupfen am Horizont! Die Sonne strahlte gleißend hell auf die blaugraue Oberfläche des Mittelmeers herunter. Immer wieder hoben und senkten sich die unruhigen Wellen gepeinigt vom kühlen Herbstwind. Noch war es nicht so weit für die schlimmen Winterstürme des Jahres. Aber man konnte nie sicher sein. Der Bug der Harpyia hob und senkte sich. Immer wieder spritzte die Gischt auf die Holzplanken der Triere. Stetig klopfte ein großgewachsener, dunkelhäutiger Mann auf eine große Trommel. Im Takt bewegten sich die Ruder der Männer. Aber es waren keine ausgebeuteten Sklaven, die dort an den Ruderbänken im Bauche des Schiffes saßen. Keine mageren Gerippe, die nur ihrem Tod entgegen fieberten. Es waren muskulöse Männer mit dem Eifer der Gier in den Augen geschrieben. Am Himmel zeichnete sich Beute, reiche Beute ab. Ein Handelsschiff aus Ägypten. Und darauf hatten es die Männer abgesehen, denn sie waren Piraten. „Sie bewegen sich schnell fort. Sie scheinen uns gesichtet zu haben.“, stellte einer der Männer fest.
    „Ja! Furrina möge uns beistehen. Den Brocken lassen wir nicht entkommen. Tabat, Schlag erhöhen. Antegos, dreh’ bei im Wind, luv an, aber zackig. Und setzt das Marssegel. Los, voll und bei! Wir holen das letzte aus der alten Harpyie heraus. Die entkommen uns nicht!“
    Schwere Schritte eilten über das Deck des erbeuteten Kriegsschiffes. Quintus Tullius stand am Heck und spähte nach vorne. Ein breites und diabolisches Grinsen stand in seinem Gesicht geschrieben. Die Entfernung zwischen sich und das feindliche Schiff abschätzend knetete er langsam seine Unterlippe. Etwas, was er nicht lassen konnte. Mit Zufriedenheit beobachtete er seine Männer, die eilig seinen Befehlen nachkamen, wie sich schließlich die Segelfläche vergrößerte und aufblähte. Schon schien das Schiff mit einem Satz, wie eine junge Stute, nach vorne zu springen. Stolz über sein Schiff machte sich in seiner Brust breit. Dieses Handelsschiff würde er nicht entkommen lassen, diese Ägypter dort. Oder vielleicht waren es auch Römer? Noch konnte er es nicht ausmachen. Aber seitdem die Zeiten als Pirat nicht mehr rosig waren, Pompeius hatte schon dafür gesorgt, durfte man sich keine Beute entgehen lassen und musste mit allen Tricks arbeiten.
    „Faustus, hol einen der römischen Banner hervor. Mal sehen, was sie von der Classis aus Misenum halten.“
    Das Grinsen wurde noch etwas boshafter, als ein recht junger Mann unter Deck eilte und kurz danach mit einem Banner der römischen Flotte zurückkehrte. Schnell befestigte er es an einem Tau und zog es hoch. Der Wind erfasste es und ließ es wie einen Peitschehieb entrollen und im Wind flattern.

  • Weiße Schaumkronen flogen durch die Luft als eine blausilberne Welle gegen den Bug schlug, hochspritzte und schließlich als feine Tropfen auf den dunklen Haaren von Quintus Tullius hernieder gingen. Mit einem Bein auf der Rehling abgestellt, stand Tullius vorne am Bug und spähte auf den Horizont, wo sich die weißen Flecken der fremden Segel abzeichneten, denn dies war die Beute, die es zu erobern galt. Immer wieder hob sich das Schiff und fiel mit seiner Galion wie ein eleganter Delphin hinunter in die Wogen des Meeres hinein, jedes Mal den massiven Rammsporn gen Himmel streckend oder tief ins Wasser tauchend. Im Osten war eine feine Linie an der Kimm zu sehen, es war die italische Küste, einige Fischerboote schwammen sicherlich davor und warfen ihre Netze aus, vielleicht war sogar ein Schiff der Classis in der Nähe, doch nicht nahe genug. Tullius wusste, dass ein Blick zu seiner Linken genügen würde, um die Insel Sardinia ausmachen zu können, aber auch nur als hauchdünne Erahnung in der Ferne. Die Segel waren gebläht und der Wind umwehte Tullius frisch und mit dem herben salzigen Duft des Meeres, der sich auf seinen Lippen und auf seiner Zunge festsetzte, es war der Odem der Freiheit.
    Gnadenlos näherte sich die Harpyia dem Opfer des Meeres, welches der Göttin der Diebe dargebracht werden sollte, vielleicht würde auch Neptun mit einigen Goldringen auf seine Kosten kommen. Tullius wusste, wie wichtig es doch war, gerade die Götter auf seiner Seite zu wissen, so wurde auf seiner Triere nie mit den Opfern gespart.
    „Mehr im Wind drehen, schneller rudern.“
    Obwohl das Schiff schon recht nahe schien, zog die Sonne ihre Bahn über dem Firmament ehe sie den Vorsprung des Handelsschiffes aufholen konnten. Der Wind kam günstig, sie hatten eindeutig den Luvvorteil von der Landseite. Zufrieden nahm Tullius das Treiben auf dem fremden Handelsschiff wahr, ihre Segelfläche war stümperhaft ausgerichtet und das Schiff lag wegen falscher Ladung rechtsseitig. Was für Stümper, so dachte es sich Tullius als seine Augen all die kleinen Details am fremden Schiff wahrnahmen.
    „Antegos, wenn wir das Schiff erreicht haben, d’ran vorbei und schließlich voll backsetzen. Und dann rammen. Entermannschaft bereit machen, Faustus, teil die Waffen aus.“
    Fast konnte er die einzelnen Männer auf dem fremden Schiff ausmachen. Ob sie wohl besorgt waren? Mit Sicherheit und ängstlich auch, aber wahrscheinlich wogen sie sich in trügerischer Sicherheit wegen dem Banner der Classis. Tullius drehte sich abrupt um und marschierte unter Deck und in sein privates Reich hinein. Gerüstet war er recht schnell und sein Krummschwert war bereit, zugegeben es war nicht sonderlich römisch, aber sein erstes Beutestück als Pirat gewesen. Er hang daran. Als er wieder an Deck kam, warteten schon einige andere Piraten, bis an die Zähne bewaffnet, und das Handelsschiff war in greifbare Nähe gerückt. Die Harpyia schoss nur in Ballistareichweite an dem Handelsschiff vorbei und drehte plötzlich im Wind. Die Nase der Harpyia richtete sich auf das fremde Schiff und dann barst Holz als der Rammsporn sich tief in die Seite des Schiffes bohrte.
    "Angriff! Vorwärts, Männer!"
    Allen voran sprang Tullius mit blitzendem Krummsäbel und seiner Lederrüstung gewappnet auf die Rehling, als sich das Schiff hob, war er schon auf der anderen Seite und mitten unter den verdutzten Matrosen des Handelsschiffes. Erschrockene Schreie breiteten sich auf dem fremden Schiff aus. „Alarm, Piraten!“ Der Ruf drang über das Schiff, doch es war zu spät, denn die Piraten drangen schon mit gezückten Waffen über die Bugspitze auf das fremde Schiff. Enterbrücken wurden heruntergeworfen und die Piraten begannen um ihre Beute zu kämpfen...

  • Ein schrill geschminkter Ägypter schrie laut als er über die Rehling und ins Wasser fiel. Grausige Schreie gellten über das Deck des Handelsschiff Kleopatra. Mordlustig, gierig, herzlos und ohne Skrupel fielen die Piraten über die Matrosen her, allen voran Quintus Tullius. Sein Säbel sauste immer wieder durch die Luft, stieß sich tief in die Brust eines erschrockenen Mannes hinein oder in den Bauch einer der wenigen Soldaten, die sich ungeschickt gegen die Angreifer wehrten. Das Schiff wogte unter ihm als die Wellen es hin und her warfen und sich langsam die Gaulos zur Seite neigte, nachdem nun Wasser in den Rumpf hinein strömen konnte. Die Planken gaben ächzende Geräusche von sich als das Wasser an ihnen zerrten und zu zerreisen drohten. Auf dem hinteren Teil des Schiffes schienen sich die ersten wirklich wehrhaften Bemühungen zu entwickeln. Einige Männer scharrten sich zusammen, einen dicken und reich gekleideten Ägypter in ihrer Mitte. Mit dem blutigen Säbel in der Hand blieb Tullius stehen und sah mit einem hämischen Grinsen zu der lukrativen Beute. Blitzschnell wirbelte Tullius herum als ein verzweifelter Matrose auf ihn zusprang und mit einem Knüppel angriff. Verächtlich schnaubend machte Tullius einen Schritt zurück und stellte dem Mann ein Bein.
    Mit aufgerissenen Augen schlitterte der über den schon blutigen Boden der Gaulos, dem Handelsschiff. Unerbittlich verfolgte ihn Tullius und hob seinen Säbel. Als sich der Mann herumwälzte und voller Todesangst zu dem Piratenkapitän hochsah, stand Tullius wie ein rächender Mars über ihm. „Bitte...Gnade...!“ flehte der Mann. Nicht einen Moment zögernd, fuhr die Klinge herunter und durchbohrte das schlagende Herz des Matrosen.
    „Gnade ist ein Luxus der Schwachen!“
    Ein Sprung und Tullius setzte mit einem fiesen Lachen über ein Bündel Seile hinweg, balancierte auf einem Fass und griff nach der Takelage eines Segels. Gewandt schwang er sich empor, seine Männer als Rückendeckung wissend, und auf das Heck der Kleopatra. Drei Männer mit Säbeln standen ihm gegenüber, alle sahen ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und grimmiger Entschlossenheit an. Kleine Blutstropfen wirbelten durch die Luft als Tullius seinen Säbel über den Kopf kreisen lies. Unendliche Erregung raste durch seinen Körper. Es war nicht die Lust, wenn er die Macht über eine Frau hatte. Nein, es war die Macht über Leben und Tod, die Macht in die sterbenden Augen eines Mannes zu sehen und zu wissen, dass man das Letzte sein würde, was er in seinem erbärmlichen Leben sehen würde. Es war der Blutrausch, der ihn völlig umgriffen hielt und ihn dabei noch kühler und berechnender machte. So registrierte er jede einzelne Bewegung, das flatterhafte Zucken der Augen seiner Kontrahenten, wie sie ihn mit wachsender Unruhe beobachteten. Als der Erste auf ihn zusprang, war Tullius schon lange gewarnt, blitzschnell duckte er sich unter dem Säbel hinweg und stach von unten zu. Warmer Lebenssaft floss über seine Schwerthand und der Mann fiel wie ein nasser Sack herunter. Ein tiefes Lachen löste sich auf Tullius Kehle, als wieder ein Mann durch ihn starb.
    „Lauft lieber, denn Hades persönlich ist gekommen euch zu holen!“
    Sein Arm in Blut getaucht, ein Blutspritzer an der Wange und mit einem tödlichen und leicht wahnsinnigen Glitzern in den Augen erschien er mit seinem großen Krummsäbel wie eine bösartige Erscheinung zu sein. Die zwei Leibwächter des dicken Ägypter sahen sich an, drehten sich um und sprangen über Bord. Wieder lachte Tullius, wusste er doch zu gut, wie einfach Menschen zu manipulieren und zu beeindrucken waren. Der Ägypter sah ihn mit Angst, aber auch tiefer Verachtung an. „Ich bin ein wichtiger Mann des Praefectus von Aegyptus!“ brachte er mit hoher Fistelstimme hervor.
    Es brachte ihm nicht viel. Brutal trat ihm Tullius gegen die Beine, als der Mann fiel, trat Tullius an dessen Seite und drückte ihm schonungslos mit dem linken Fuß den Kopf auf die Planken. Tullius rechtes Augenlid zuckte leicht und sein Mundwinkel war in gespannter Erregung nach oben verzogen.
    „Du warst es, fetter Mann! Jetzt bist auch nicht besser als all die toten Männer hier an Bord und die Fische werden sich an Dir ergötzen, Dein Kadaver und die Deiner Männer werden Neptun erfreuen und mir seinen Segen sichern!“
    Den erbärmlichen Angstschrei nicht beachtend, stieß er langsam und eiskalt das Schwert in den Rücken des Händlers und riss es rüde wieder hervor. Als Tullius sich umdrehte sah er in die Augen seiner Männer, die unten alle nieder gemetzelt hatten und im Blut ihrer Opfer standen. Stolz erfüllte ihn, wie Kinder waren sie in solchen Momenten für ihn. Kinder, die er zu diesen gierigen und erbarmungslosen Männern gemacht hatte, die keine Gnade mit solchen verachtungswürdigen Kreaturen hier hatten. Ihre Treue hatte er auch sicher, war Tullius doch immer ganz vorne, kämpfte verbissen wie keiner sonst und brachte ihnen immer fette und reichliche Beute.
    „Holt euch, was ihr tragen könnt, Männer!“
    Jubelnd rannten sie unter Deck, wo das Wasser immer mehr eindrang und nach der kostbaren Beute und dem Schiff gierte, dder vielmehr mit Neptuns Fingern nach den Menschenopfern und seinem Anteil des Schiffes verlangte. Er sollte Beides bekommen.

  • Ein zerschnittenes Segel flatterte im Wind, Blut rann an dem weißen und gestärkten Segeltuch herunter und bildete langgezogene Fäden. Ein großer, dunkler Schatten fiel gegen die weiße Oberfläche, ein Pirat mit einigen dicken Bündeln Stoff lief zufrieden grinsend über die Enterbrücke auf die Harpyia zurück. Die Piraten plünderten das Schiff aus, trugen Kisten, Warenkörbe, Stoffballen und Gewürzsäcke hinüber auf das Piratenschiff. Noch mal erklangen aus dem Bauch des Schiffes Todesschreie hervor als einige der dortigen Rudersklaven starben. Indessen war das Rasseln von Ketten zu hören, die Sklaven aus dem Bauche der Kleopatra traten auf Deck und blinzelten als die Sonne ihnen direkt ins Gesicht strahlte. Brutal wurden sie von einigen libyschen Piraten weiter an den Bug getrieben. Tullius, der sich am Plündern nicht beteiligt hatte, trat mit hocherhobenem Haupt und wie ein römischer Kommandant vor die Sklaven, die ihn verängstigt, apathisch oder stoisch ansahen.
    „Pack, Abschaum oder Vieh, das seid ihr für diejenigen, die das Schiff einst beherrscht haben. Ebendiese, die jetzt tot um euch herum liegen. Vielleicht ist der heutige Tag für euch der Segen der Götter oder auch ein Fluch. Es wird in eurer Hand liegen. Denn zehn Männern von euch werde ich heute und hier die Freiheit gewähren, ihr dürft auf meinem Schiff mitsegeln und euren ehemaligen Herren und Unterdrückern beweisen, zu welchen Bluttaten ihr fähig seid. Aber eines verlange ich von jedem von Euch, Loyalität. Niemand stellt meine Befehle in Frage oder mein Handeln. Nichtsdestotrotz verspreche ich euch viel, ihr könnt euch rächen und reichlich Beute machen. Eines Tages werdet ihr mit der Beute wie Krösus an Land glücklich leben. Also, wer will leben und unter mir segeln?“
    Die Sklaven sahen sich unsicher an, doch die Entscheidung war schnell getroffen. „Ich will!“ rief der Erste, der Bann war gebrochen. „Nein, ich...“ „Nimm mich!“ brüllten sie durcheinander. Tullius Schultern zuckten unter einem stummen Lachen. Es war jedes Mal dasselbe. Mit prüfendem Blick schritt Tullius die Reihe der überlebenden Rudersklaven entlang. Immer wieder deutete er auf den einen oder anderen Mann.
    “Du! Und Du! Du bist doch ein Germane? Dann Du auch! Und Du, Du und der auch, Du und Du und Du!“
    Tullius blieb vor einem eher schlankeren Mann stehen, bis dahin hatte er robuste, einigermaßen gesunde und muskulöse Männer heraus gesucht. Doch der trotzige Blick in den Augen des Mannes ließ Tullius verharren. Er sah ihn einen Moment nachdenklich an.
    „Grieche?“
    Der Mann hob überrascht seinen Blick. „Ja!“ Tullius sah ihn fest an, dann nickte er und ging weiter.
    „Der Grieche auch. Gebt dem Rest die Schlüssel. Wenn sie sich selber befreien können, war es ihr Glückstag.“
    Die zehn Auserwählten sprangen über die Enterbrücken auf das Piratenschiff. Alle samt schienen erleichtert zu sein, gerettet worden zu sein. Tullius sah sich auf dem Schiff um. Ein heller Schrei ertönte und ein derbes Fluchen, ein Pirat kam nach oben, auf seinen Schultern trug er einen menschlichen Körper, eine Frau. Tullius warf dieser Beute nur einen kurzen Blick zu ehe er sich an einen nubischen Piraten wandte, Tabat.
    „Wenn der Letzte von Bord ist, zünde das Schiff an!“
    Wie eine lodernde Fackel tanzten die Feuerzungen an dem Segel hoch. Schon längst hatte sich die Harpyia von der Kleopatra losgemacht, die Piraten ruderten von der sinkenden Flammenpracht weg. Eine schwarze Rauchsäule stieg gen Himmel. Hektisch versuchten die zurückgebliebenen Sklaven sich auf der Kleopatra zu befreien, einigen gelang es und sie sprangen hastig ins Wasser hinein. „Kapitän, willste Du die Frau haben?“
    Tullius, der mit einem schiefen Grinsen den Untergang seiner geplünderten Beute betrachtete, sah zu dem älteren Piraten, der ein hübsches junges Mädchen zu ihm führte. Sie trug eine feine Tunika und hatte ägyptische Gesichtszüge. „Bitte, mein Vater wird Dich reich belohnen. Er lebt in Alexandria, bitte, Herr!“ Flehend sah sie zu Tullius und in ihren Augen standen Tränen. Mitleidlos erwiderte Tullius den Blick. Gnade ist ein Luxus für Schwache!
    „Nein, vergnügt euch mit ihr. Tötet sie, wenn ihr fertig seid!“
    Die schönen Mandelaugen weiteten sich starr. Als der Pirat sie um die Taille packte, löste sich ein entsetzter Schrei. Tullius wandte sich ab. Ihr Kreischen verfolgte ihn noch bis er zu seinem privaten Bereich am Heck kam und in seine weitläufige Kajüte trat...

  • Das große und breite Heckfenster der Kapitänskajüte hob und senkte sich, die Wellen spiegelten sich auf der silbernen Fläche wieder und offenbarten schließlich die Gesichtszüge von Quintus Tullius. Ausdruckslos sah dieser in den großen Spiegel, der die eine Wand seiner Kajüte zierte. Es war ein prächtiger, mit Gold gesäumter Spiegel, in dessen Zierschmuck sich eine barbusige Venus räkelte. Auch der Rest der Kabine spiegelte die üppige Pracht seiner reichhaltigen Beute wieder, ein breites Federbett mit feinem koischen und linnen Tüchern bedeckt, ein edler Kirschtisch in der Mitte mit schön geschnitzten, geschwungenen Beinen und Goldintarsien, silbergoldene Öllampen mit Rubinen und Smaragden versehen, massive silberne Teller auf dem polierten Tisch und feines ägyptisches Glas. Und überall standen Kisten voll mit Tüchern, Schmuck und Edelsteinen. Alles, was er in den letzten Jahren erbeutet hatte. Mit dem Gold, was er sich erkämpft hatte, wofür er gemordet und geplündert hatte, hätte man inzwischen eine kleine Legion für einen Monat finanzieren können. Doch immer noch trieb Tullius die innere Unruhe, das Streben nach etwas, was er sich schwer erklären konnte, denn das Piratentum an den Nagel zu hängen kam ihm nicht in den Sinn.
    Seine Hand griff nach einem Stück seidenen Stoffes und tauchte diese in eine feine tönerne Schüssel, die er vor einigen Wochen einem syrischen Schiff abgenommen hatte. Er musterte sein Spiegelbild und wischte sich langsam den Blutstropfen von seiner Wange. Erst dann wusch er seine blutigen Hände und färbte das Wasser in einen blassrosanen Ton. Die Tür der Kabine öffnete sich leise und Schritte kamen hinein. Tullius wandte seinen Blick nicht in die Richtung, er wusste allzu gut, wer es wagte ihn nach einem Gefecht zu stören.
    „Nicht jetzt, Darshi!“
    Der kleine Parther, Dardarshi, schloss ungerührt hinter sich die Tür und ging langsam zu einem der zwei Klinen, die neben dem Kirschholztisch standen. Jeder Schritt war vorsichtig gesetzt, dann seitdem ihm auf der Ruderbank vor fünf Jahren die Beine gebrochen worden waren, konnte er schwer laufen. „Das Mädchen kann uns Geld bringen! Hab doch etwas Mitleid mir ihr. Du weißt, was für Bestien die Männer sind!“
    Der rotverfärbte Seidenstoff landete in der Schüssel. Tullius drehte sich um und sah in das grotesk verzerrte Gesicht des Parthers, dessen riesige Nase noch das Hübscheste in seinem Gesicht war. Die Peitschen- und Brandnarben verzerrten das Gesicht zu einer unmenschlichen Fratze, doch die Augen des Parther waren tiefgründig und dunkel wie die Nacht.
    „Es hebt die Moral, wenn sie ab und an eine Frau haben. Außerdem weißt Du doch, Gnade ist ein Luxus...“ „...für die Schwachen. Ja, ich weiß, Quintus. Doch du tust unrecht. Es ist eine Sache, zu töten, wenn wir es tun müssen. Aber das Mädchen muss nicht sterben, es ist weder eine Bedrohung, noch hat sie sich etwas zu Schulden kommen lassen.“ Tullius sah ihn ärgerlich an und ging zum Tisch, wo ein Weinkelch bereit stand. Er goss sich von dem Falerner, auch erbeutet natürlich, in ein blaugrünschimmerndes Glas hinein.
    „Ich schulde Dir keine Rechenschaft, Amicus!“
    Der laute Schrei des Mädchens, was durch das Schiff drang, ließ Darshi zusammen zucken. Tullius beobachtete ihn genau dabei, wusste er doch um das weiche Herz das Parthers. Doch mehr als Freundschaft verband die Beiden und somit hatte Darshi eine Narrenfreiheit, die Andere auf dem Schiff bei Weitem nicht hatten. „Du sagtest einst, ich soll Dein Gewissen sein, Quintus! Das bin ich jetzt. Halte die Männer zurück und lass das Mädchen laufen, bitte!“
    Tullius Mundwinkel zuckte amüsiert. Er trank einen tiefen Schluck Falerner, er verdünnte nie seinen Wein, und seufzte kehlig. Schließlich lachte er.
    „Ich muss betrunken gewesen sein. Ein Römer aus der Subura kann sich kein Gewissen leisten. Auch nicht in der Gestalt eines gelehrsamen und rührseligen Parther, Darshi! Aber gut, geh zu den Männern. Sie sollen es für heute gut sein lassen. Ich werde überlegen, ob ich meinem ‚Gewissen’ nachgeben soll! Aber nur Dir zu Liebe, Amicus!“
    Darshi stand breit lächelnd auf. „Ich danke Dir! Ach, wie sieht es mit den Neuen aus? Tabat? Und gibt es heute eine Cena bei Dir?“ Tullius stellte den Weinbecher zur Seite und nickte bei beiden Fragen andeutungsweise. Darshi wandte sich um und verharrte nur kurz als er Tullius weitere Worte hörte.
    „Lass Kurs auf Sardinien setzen. Wir müssen uns für einige Tage verkriechen.“
    Die Tür öffnete und schloss sich wieder. Kurze Zeit später hörten die Schreie im Schiffsbauch auf. Tullius beachtete das nicht mehr. Er sah aus dem Heckfenster hinaus und auf das offene Meer, Quell seiner Freiheit. Und trotzdem war er unzufrieden. Warum nur?

  • Der Wind strich durch seine kurzen dunklen Haare als er die Treppen zum Deck erklomm. Seine blutigen Kleider hatte Tullius schon vor vielen, vielen Stunden gewechselt. Tullius war in seinen Kleidungsgewohnheiten durchaus exzentrisch. So trug er eine barbarische, schwarze lederne Hose, darüber eine recht kurze schwarzblaue römische Tunika, die er mit einem Silbernieten verzierten Gürtel um der Taille gerafft hielt und dazu die festen Soldatenstiefel, Caligae. Am Bug war Tabat dabei die Neuen in die Kunst der Segelkunst einzuweisen. Jeder Pirat musste an Bord jeden Handgriff beherrschen, darauf legte Tullius großen Wert. Am Heck angekommen ließ Tullius seinen Blick über den blauen Horizont schweifen. Oft hatte es ihn gereizt weiter in den Westen zu Segeln, die Säulen des Herkules hinter sich zu lassen und, den Erzählungen seines Amici folgend, nach den sagenumwobenen Glücklichen Inseln zu suchen, wo das Gold und die schönen Frauen im Überfluss vorhanden sein sollen. Tullius schloss die Augen, ließ sich mit dem Wind in die Ferne tragen, wo unentdeckte Reiche auf ihn warteten. Doch der Moment der Schwäche verging schnell als er ein Fluchen hinter sich vernahm. Tullius spähte über die Heckabgrenzung aufs Deck hinunter.
    Darshi saß dort auf einer Rolle mit Tauen, in der Hand eine kleine Wachstafel und zu seinen Füßen kauerte die junge Ägypterin. Tullius Augenbrauen zogen sich verärgert zusammen. Darshi, der seinen Blick zu spüren schien, sah auf und dann zu der Ägypterin. Auf einige Worte von Darshi stand sie schnell auf, warf Tullius noch einen völlig verängstigten Blick zu und verschwand hastig durch eine kleine Luke. Tullius wandte sich ab und wieder dem Meer zu.
    Das Schiff senkte und hob sich träge unter den Wellen, am Himmel schwebte eine einzelne weiße Möwe, deren spitze Schreie die Verheißung auf Land sein konnte. Der Ärger über die Frau an Deck verging wieder. Er sah es Darshi nicht nach, vieles verzieh er dem Parther. Denn er war sein ältester Weggefährte an Bord. Tullius war natürlich nicht schon immer Pirat gewesen, eigentlich erst seit einigen Jahren. Er hatte es sogar mit einer ehrlichen Arbeit versucht, war aus Rom weggegangen, um bei der Classis sein Glück zu versuchen, Karriere beim Militär machen, Ansehen gewinnen und so aufsteigen, sich einen Namen machen. Er war gescheitert, gescheitert an einem Mann- Cluvius Calvaster. Immer wenn er an diesen Mann dachte, dann stieg unsäglicher Hass in Tullius auf, aber auch eine tiefe Genugtuung.
    „Land! Land in Sicht! Sardinien!“ Eine sardinische Möwe also.
    Auch Tullius scharfe Augen, wenngleich nicht so scharf wie die von Phestos oben im Mast, sahen die feine Linie und leichten Erhebungen der gebirgigen Insel. Sardinien, ein beliebtes Versteck für Tullius, waren doch so viele prominente Römer dort, dass die Classis dort fast nie nach Piraten suchte, wie bei anderen Inseln.
    Erst viele Stunden später kam die Insel immer näher. Immer klarer wurden die Berge, die scharfkantigen Klippen und das sanfte türkisblaue Wasser um die feinen Sandstrände der Insel. Die Triere umrundete langsam die Insel und fuhr dann in eine Bucht hinein. Der Anker rasselte laut als er durch das Loch in der Bordwand herunter fiel und platschend im Wasser verschwand.
    „Tabat, Du behältst die Neuen im Augen. Ansonsten, macht uns keinen Ärger, Männer, und viel Vergnügen.“
    Beiboote wurden herunter gelassen und grölende, gutgelaunte Piraten ruderten zu dem großen Fischerdorf, was in die Bucht gebaut war. Auch Tullius stand zwischen ihnen und sah mit verschränkten Armen zu den weißgekalkten Häusern, den kleinen Fischerbooten und dem Tempel des Neptuns. Dem Dorf ging es gut, aber auch nur weil die Piraten seit Jahren immer wieder zu ihnen kamen und viel Beute bei ihnen verfeierten. Jeder Dorfbewohner war verschwiegen, wussten sie doch wie schwer das Leben noch ohne die Piraten gewesen war. Auch den Tempel verdankten sie der Harpyia, huldigten doch sowohl die Piraten als auch die Dorfbewohner dem Gott der Meere.
    Der weiße Sand knirschte als die Boote gegen das Land stießen. Mit einem Sprung landete Tullius im seichten Wasser, was an seiner Hose hochspritzte. Watend trat er durch die sanften Wellen auf den Sandstrand, wo schon viele Dorfbewohner und die Dorfältesten auf ihn warteten. Mit freundlichen und lachend gesprochenen Worten wurde Tullius begrüßt, ganz wie ein römischer Kommandant oder Ehrenmann. „Salve, Tullius. Es ist schön, Dich so bald wieder zu sehen. Gab es gute Beute?“ fragte einer der Anführer des Dorfes.
    „In der Tat! Eine fette Beute. Aber wir müssen ein paar Tage bei euch bleiben. Ich hoffe, es stört euch gerade nicht, Decius?“
    Decius schüttelte lächelnd den Kopf. „Aber nicht doch. Ihr alle seid immer bei uns willkommen. Wollt ihr nicht vielleicht noch bis zu den Saturnalien bleiben?“ Tullius zuckte mit der Schulter.
    “Wir werden sehen!“
    Die Piraten, Dorfbewohner und Frauen des Dorfes begrüßten sich wie Familienmitglieder, Freunde und alte Bekannte und das waren sie auch oftmals. Es gab einige Kinder der Piraten in diesem Dorf und so manch einer der alten Veteranen der Harpyia hatte sich hier nieder gelassen. Tullius verwehrte es keinem seiner Piraten, wenn sie schon mindestens ein Jahr auf seinem Schiff gedient hatten. „Quintus!“ Die Stimme drang durch die Menschen als Tullius sich gerade umdrehte, um einen steinigen Felsen zu erklimmen mit der Absicht seine kleine Bucht aufzusuchen. Er drehte sich um, eine brünette Frau im mittleren Alter trat auf ihn zu.
    „Celvina!“
    „Zur Bucht?“ fragte sie und sah mit ihren bernsteinfarbenen Augen zu Tullius hoch. Tullius nickte. „Darf ich Dich begleiten?“ Wieder nickte er und drehte sich um, bestieg nun doch den Felsen, auf dem ein schmaler Weg vom Dorf wegführte...


  • Die Gischt spritzte an den Felsen in einer hohen Fontäne hoch, silberblaue glitzernde Funken tanzten durch die Luft als der feine Niederschlag herunterfiel. Tullius stand am Rande der Steine, die aus dem Wasser mitten in der Bucht aufragten. Einige kleine Meerkrebse tummelten sich zwischen den Felsen und suchten tiefer im Wasser Schutz als sie die Erschütterungen von Tullius Stiefeln auf den Felsen spürten. Tullius dunkelblaue Tunika wurde von der Wasserfontäne durchträngt, es störte ihn nicht. Den Frieden dieser Bucht genießend verharrte Tullius einige Minuten. Erst als er bis auf die Haut mit Wasser durchtränkt war, wandte er sich wieder um und schritt die Felsenbrücke zum Strand zurück. Celvina wartete dort, geduldig, ohne ihn zu stören und Tullius dabei unverwandt beobachtend. Vom letzten Stein sprang er auf den goldenen Sand, einige Muscheln zerbrachen unter seinen Stiefeln. Mit einem Seufzen auf den Lippen setzte er sich neben Celvina, die ihn weiterhin ruhig ansah. Der goldgelbe Sand blieb an seiner Kleidung haften, er stützte sich auf seine beiden Hände ab und sah auf das blaue Meer. Es war Celvina, die schließlich das Schweigen brach. „Ich habe Dich ver...“ Weiter kam sie nicht. Um mögliche sentimentale Gespräche zu unterbinden beugte sich Tullius vor, umschlang sie an der Hüfte und küsste sie fest.
    Celvina, die verstand, was in Tullius vorging, ließ es geschehen, erwiderte den Kuss und ließ sich auf den Sand herunter pressen. Tullius Hände wanderten an ihrer Seite entlang, tiefer und unter ihre Tunika, tastete mit seinen rauen, schwielligen Händen an ihren zarten Innenschenkeln entlang und zog dabei das Gewand immer höher, über ihre Brüste und streifte es ihr schließlich ab. Mit seinem schweren Körper wälzte er sich über sie, zog sich sein Obergewand vom Körper herunter, was nass auf den Sand klatschte und öffnete die Schnürung seiner barbarischen Hose. Tullius war keiner, der sich mit langem Vorgeplänkel aufhielt. Bald erfüllte sein Keuchen das kleine Stück Strand auf dem sie lagen. Er drückte ihre Hände fest in den Sand und spürte fast denselben Rausch wie bei einem Gefecht. Aber nur fast, denn die Macht zu Töten war eine gänzlich Andere als die Macht eine Frau zu besitzen. Und mehr war es für Tullius nicht, Macht und Besitz, das war, was für ihn zählte und wichtig war, Gefühlsdusseleien gab er sich nicht hin, auch das war ein Luxus für die Schwachen und die Frauen.
    Schwer atmend, erschöpft und mit einem leichten Nachschaudern lag Tullius auf dem Rücken, den Sand unter seiner bloßen Haut spürend und in den blauen Himmel schauend. Zärtlichkeiten, Küsse oder sanfte Worte, das erwartete Celvina auch schon nicht mehr, hoffte sie vielleicht noch darauf, aber sie kannte Tullius seit gut drei Jahren und wusste um seine Natur allzu gut. Beide lagen einige Minuten schweigend in der lauen Wintersonne, ließen den Schweiß und das Meerwasser auf ihrer Haut trocknen. „Wie lange bleibt ihr dieses Mal?“
    „Ein paar Tage, vielleicht etwas länger. Aber nicht allzu lange. Wir müssen noch mal zuschlagen vor den Saturnalien. Die Winterstürme sind danach zu unberechenbar!“
    Tullius sah sie nicht an als er die Worte sprach. „Hast Du über meine letzten Worte nachgedacht?“
    „Nein!“
    Tullius richtete sich auf und griff nach seiner nassen Tunika. Mit einigen Handgriffen schnürte er seine Hose wieder zu und richtete sich auf. Celvina sah ihn schweigend an, doch in ihren Augen war kein Vorwurf zu sehen. „Kommst Du heute Abend?“
    „Vielleicht!“
    Tullius zuckte mit der Schulter und marschierte davon. Seine Schritte trugen ihn fort von der Frau und über einen Klippenkamm tiefer ins Land. Er blieb nie lange nach der körperlichen Vereinigung an der Seite einer Frau, hatte keine Lust mit einer längere Zeit zu sprechen, lief es doch zwangsläufig auf Zukunftspläne, Gefühle oder seinem Innenleben hinaus. Das ging keine Frau etwas an. Der dichte struppige Cypressenwald verschlang Tullius.

  • Die Ziege kletterte wendig mit ihren kleinen Hufen den felsigen Abhang hinauf, zwischen denen allerlei Gestrüpp wuchs, ihr schwarzweiß geschecktes Fell glänzte im Sonnenlicht, die kleinen Hörnchen wippten bei jedem Sprung unermüdlich auf und ab. Auf einem Felsvorsprung blieb sie stehen und knabberte an einem dornigen Busch. In dem Moment wurde sie an der Seite von einem Speer getroffen, ein letztes Meckern und sie brach zusammen. „Guter Wurf!“
    “Glück!“
    „Du bist ja nur neidisch!“
    „Ich? Neidisch? Pah, dass ich nicht lache!“
    Tullius stand neben Darshi, der grinsend beobachtete wie ein junger Mann eifrig den schrägen Abhang nach oben zu der toten Ziege kletterte. Nachdenklich betrachtete Tullius den jungen Mann als er die Ziege an den Hörnern packte und hinter sich herschleifte. Schließlich schweifte er mit seinem Blick ab und blieb dann an einem hohen violettrotblühenden Oleanderbusch hängen. Die Zweige bewegten sich sanft in der Brise, die vom Meer herkam und die Blüten hatten sich zur Sonne ausgerichtet. Fahlgelbe Falter tummelten sich um den hohen Strauch. „Hübsch, sehr hübsch sogar!“
    „Ja, schon!“
    „Ha, ich wusste es doch. Ich hab mich schon immer gewundert, dass Du Dich noch nie in eine Frau verliebt hast!“ Darshis Stimme troff vor Triumph und Schalk in der Stimme. Endlich schien er das seltsame Verhalten seines Freundes ergründet zu haben.
    Tullius drehte sich zu Darshi um und seine Augenbrauen wanderten nach oben, fast schon unter seinen Haaransatz. Manchmal und eigentlich nicht selten bargen die Worte des Parthers immer die Unverständlichkeiten und mysteriösen Geheimnisse seiner Herkunft in sich. War das wieder eine Weisheit aus seinem Land, eine Erkenntnis über die menschliche Natur, weil sie sich an der Schönheit der Welt erfreuen kann? Doch stellte sich eine nicht unbedeutende Frage nach den Worten seines Amicus. Was hatte ein Oleanderbusch mit den Frauen in seinem Leben zu tun?
    „Wovon redest Du?“
    Vergnügt lehnte sich Darshi gegen einen Felsen, mit seinem narbigverformten und markanten Kinn deutete er auf den jungen Mann, der, mit seiner schlaffen Beute auf der Schulter, schon fast den halben Abhang herunter geklommen war. „Na, der! Ich hab doch Deinen Blick gesehen. Du bist doch schar...“
    „Hör auf mit dem Unsinn, Darshi! Ich bin doch kein solcher Lüstling wie Du, Parther. Und lass es, mich zu ergründen zu wollen wie ein Weib es tut.“ Somit war das geklärt, oder etwa nicht?
    Ein heiseres, gackerndes Lachen drang durch die Räumlichkeiten. Rauch vom Ofen stieg auf, es roch nach Wein, frisch gebackenem Brot, gebratenem Ziegenfleisch. Das Zicklein von der mittaglichen Jagd lag inzwischen säuberlich zerschnitten auf einem großen, bemalten Tonteller. Dampf stieg auf und vermischte sich mit dem Rauch des Feuers in der Mitte des großen Hauses. Piraten, Männer des Dorfes, die Frauen und Kinder tummelten sich in dem Innenhof, aßen und unterhielten sich angeregt. Tullius lief festen Schrittes durch den Hof, die junge Ägypterin saß direkt hinter Darshi und hatte ihre Finger an seiner Schulter, schon fast in der vertrauten Geste einer Liebhaberin. Unter Tullius strengen Augen zuckte sie verängstigt zusammen und kauerte sich schutzsuchend hinter Darshi.
    „Wir brechen morgen auf, Decius!“
    Decius, der Dorfälteste, sah Tullius nicht sonderlich überrascht an und nickte nur.
    Der nächste Tag, Piraten trennten sich mit viel Abschiedsgetue von den Frauen, ihren Kindern oder Freunden im Dorf. Die Beiboote brachten sie wieder an Bord zurück. Der Anker wurde gelichtet und da eine Flaute herrschte, stießen die vielen Ruder der Triere in das türkisblaue Wasser hinein. Die Harpyia ließ die Insel hinter sich zurück, bereit wieder ihre Fangzähne in ein nächstes Opfer zu schlagen.

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