In einem strahlendblauen Himmel stand hell die Sonne im Zenit. Die Zikaden sangen ihr eintöniges Lied. Eine sanfte Brise strich Rutger durch das Haar. Er saß, den Rücken an einen Felsen gelehnt und ein Bein von sich gestreckt, hoch oben an einem steinigen Abhang, und blickte hinab in die sonnendurchfluteten Täler der Apenninen.
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An das große Unwetter, das tags zuvor so zerstörerisch hereingebrochen war, erinnerten noch ein paar Wasserlachen, verstreut liegende Äste, hin und wieder ein geknickter Baum. Sie hatten Glück gehabt, dass sie während des Gewitters eine Zuflucht gefunden hatten, dachte sich Rutger - und noch mehr Glück, dass sie die Nacht in dieser grauenvollen "Zuflucht" so einigermaßen heil überstanden hatten... aber daran wollte er lieber nicht zurückdenken.
Er wandte den Kopf, und sah neben sich, auf Arrecina. Zugedeckt mit einer Pferdedecke lag sie da, auf dem vergilbten Gras, und schlief. Unter dem schmutzigen Kopfverband quoll ihr kastanienbraunes Haar hervor, schmiegte sich um ihr von der Erschöpfung gezeichnetes Gesicht, floss über ihre Schultern, und lag glatt ausgebreitet auf der groben Decke. Sachte strichen Rutgers Finger darüber hinweg, mit ein wenig Abstand, denn er wollte sie nicht wecken. Er spürte auch so, wie sonnenwarm ihr Haar war, sah die kleinen Lichtreflexe goldbraun in der dunklen Fülle schimmern, und er roch dessen Duft. Schön.
Von einem aufwallenden Gefühl der Zärtlichkeit überwältigt, streckte er sich neben ihr aus, stützte das Kinn auf den Ellbogen, und betrachtete völlig versunken ihr Gesicht. Begierig, jede Einzelheit in sich aufzunehmen, ließ er seinen Blick darüber wandern. Wie fein geschwungen ihre Brauen waren. Wie zierlich wölbte sich ihre Ohrmuschel. Einen eigenwilligen Zug hatte sie um den Mund. Ein bisschen schelmisch auch, fand er. Ruhig strich der Hauch ihres Atems über ihre zarten Lippen, und... - sein Blick verharrte an einer Stelle, wo ihre Unterlippe von geronnenem Blut dunkel verkrustet war.
Sein Lächeln erlosch, er wandte beschämt die Augen ab, stand auf, und ging hinkend ein paar Schritte weiter. Die beiden Ponys, die er aus der Villa Aspera gestohlen hatte, rupften gemächlich das trockene Gras. Er klopfte ihnen kurz auf den Hals, dankbar für ihre Genügsamkeit und Trittsicherheit, und fragte sich kurz, was wohl aus Phaidra geworden war.
Mit seiner selbstgebauten Frame in der Hand setzte er sich schließlich auf einen flachen Stein, und streckte wieder das verletzte Bein lang aus. Unter sich sah er den schmalen Pfad, auf dem sie gekommen waren, wie er sich in Serpentinen, an Klüften und Geröllhalden vorbei, den Hang hinaufwand. Er zog dann weiter, einen felsigen Grat entlang; diesen Weg würden sie später nehmen, wenn Arrecina sich ein wenig ausgeruht hatte. Rutger hätte nach den zumeist schlaflosen letzten Nächten etwas Ruhe ebenfalls bitter nötig gehabt, doch er wußte, dass er sie sich nicht leisten konnte, und noch hielt ihn sein Wille aufrecht, in einem überwachen, angespannten Zustand. Ein Windhauch raschelte leise in den Blättern eines struppigen Dornbusches, und schon dieses verhaltene Geräusch ließ Rutger unruhig aufblicken, und die Frame fester fassen.
Über sich selbst den Kopf schüttelnd, zog er das Messer aus dem Gürtel, und arbeitete weiter an seiner Waffe, zog hier eine Schnürung fester, glättete da eine Unebenheit, glich dort eine Unausgewogenheit aus. Dann legte er sie quer über seine Knie, atmete tief ein, und beschwor vor seinem inneren Auge die Formen der Runen des Kampfes und des Sieges. Leise kam der archaische Singsang über seine Lippen, der ihre Kräfte rief und band, während er ihre Formen mit der Klinge in den Schaft seiner Waffe ritzte. Zuletzt fügte er sich selbst einen kleinen Schnitt in den Handballen zu, und färbte die Runen mit seinem Blut rot.
Gerade als er die Hand zum Mund führte, um sich das Blut abzulecken, ertönte laut und vernehmlich ein 'Klack', und ein Stein kullerte von oben, vom Grat her, den Berg hinunter. Sofort war Rutger auf den Beinen, starrte mit erhobener Waffe kampfbereit dorthin - und sah, gegen den blauen Himmel, eine Gemse, die, anmutig ihre Hufe setzend, da oben entlang spazierte. Vor Erleichterung leise auflachend ließ er die Waffe wieder sinken...