• Schon beim Weckruf hatten sich die Signalbläser auf die bevorstehenden Feiertage eingestellt und mit einer fröhlichen Melodie statt des üblichen lärmenden Signals geweckt. Priscus nahm sich die Freiheit, zwar wie üblich wach zu sein, aber trotzdem liegen zu bleiben, bis ihn der jüngste Kamerad aus seiner Stube unsanft und grinsend aus dem Bett holte. Ohne dass er zum Antreten rufen musste, sammelten sich die Männer dann aber vor der Baracke, alle ohne ihre Rüstungen und Helme. Vom Centurio war nichts zu sehen, offenbar wollte sich auch dieser wecken lassen. Also zog Priscus mit ein paar stimmgewaltigen Soldaten vor die Unterkunft des Centurio am Kopf der Baracke und klopfte an die Türe, während die anderen einen fröhlichen Gesang skandierten: "Wir - woll'n - den - Alten seh'n, wir woll'n den Alten seh'n, wir woll'n, wir woll'n den Alten seh'n!"

  • Vom Gesang angelockt, kam Claudius näher, stellte sich schließlich in einiger Entfernung auf und beobachtete das Treiben. So ungefähr zweimal im Jahr konnte man Priscus locker oder über die Stränge schlagen sehen. Heute war wieder einmal so ein Tag.


    "Hey, ihr da", rief er amüsiert und keineswegs militärisch. "Ich dachte, ihr wollt die Saturnalien feiern. Wie erklärt sich, dass es euch dazu nach eurem Centurio verlangt?"


    Der Tribun verbarg nicht sein Grinsen, war er doch bemüht, für sich selbst den Sinn dieses Treibens zu erschließen.

  • Die Soldaten unterbrachen ihnre Gesang und brachten allerlei Begründungen von "Aus Gewohnheit!" über "Wir wollen seine Vitis klauen!" bis hin zu "Irgendjemand muss doch Wasser holen!" vor. Schließlich einigten sie sich aber doch darauf, dass es nur um die Kekse geht, die der Centurio zwar nicht versprochen hatte, die die Männer aber trotzdem einfach erwarteten.


    "Wir - woll'n - die Kekse seh'n, wir woll'n die Kekse seh'n, wir woll'n, wir woll'n die Kekse seh'n!"

  • Claudius verschränkte nun die Arme vor der Brust und sein Grinsen wuchs erheblich.


    "Und ihr glaubt im Ernst, dass euer Centurio Kekse gebacken hat? Für annähernd 80 Soldaten?"


    Auf die neuerlichen Reaktionen war er gespannt. Natürlich gab es Kekse und natürlich war unter den Offizieren in seiner Cohorte alles abgesprochen, aber genauso selbstverständlich war bisher alles geheim gehalten worden.

  • Priscus tat es seinem ehemaligen Centurio und jetzigen Tribun gleich und verschränkte ebenfalls die Arme.


    "Natürlich. Von einem Mann, der uns morgens noch im Dunkeln aus den Betten holen lässt, uns erbarmungslos zu Übungsmärschen ins Gelände führt, uns im Zweikampf gegeneinander antreten lässt, jeden Fehler mit Latrinendienst bestraft und bei dem Wachbefreiung mehr kostet als bei anderen, kann man doch wohl erwarten, dass er Kekse backen kann!"


    Priscus sprach in einem absolut geschäftsmäßigen Ton, auch wenn er selber wusste, dass er es als Centurio kaum anders machen würde und auch nicht unbedingt Spass daran hätte, Kekse zu backen. Und das mit den Kosten für Wachbefreiung wurde natürlich von jeder Einheit über ihren Centurio behauptet.

  • "Genau das ist der springende Punkt: Jemand, der euch noch im Dunkeln von den Pritschen holen lässt, holt Kekse sicher auch zu zeitig aus dem Ofen. Jemand, der euch erbarmungslos zu Übungsmärschen ins Gelände führt, würde euch doch selbst heute nichts schenken. Jemand, der euch gegeneinander antreten lässt, ließe dann wohl eher zwei Soldaten um einen Keks kämpfen. Jemand, der jeden Fehler mit Latrinendienst bestraft, könnte auch bei eurem derzeitigen Vorhaben an diese Möglichkeit denken. Und jemand, bei dem die Wachbefreiung mehr als bei anderen kostet, würde, wenn überhaupt, sicherlich auch für Kekse etwas verlangen. Was also wollt ihr tun?"


    'Mal sehen, wie kreativ die Männer sind und wann sie sich entmutigen lassen', dachte Claudius amüsiert. Dem Priscus, diesem Fuchs, würde sicherlich wieder eine passende Antwort einfallen. Eine kleine Weile wollte der Tribun das Spiel noch fortführen. Hoffentlich trat der Centurio nicht so schnell vor die Türe.

  • Priscus blickte erst tatsächlich etwas ratlos, behielt den Gesichtsausdruck dann aber absichtlich länger bei als nötig.


    "Na und? Heute sind Saturnalien, da kämpfen wir von mir aus auch morgens im Dunkeln auf der Latrine zu zweit um einen Keks, damit die Kameraden drauf wetten können, wer ihn bekommt und der Alte wie üblich die Hälfte des Wetteinsatzes einkassieren kann. Damit wäre dann allen gedient - mal abgesehen von Saturnus, um den kümmern wir uns aber auch noch."

  • "Gut, dieses Angebot nehme ich an", sagte Claudius zufrieden, konnte dabei aber kaum noch das Lachen unterdrücken. "Ich komme euch sogar entgegen und gestatte, dass ihr bei Tageslicht kämpfen könnt.."


    So ein Zweikampf sollte nicht allzu lange dauern, mutmaßte Claudius. Außerdem konnte es Gaudi geben. Er pfiff durch die Zähne, worauf bereitstehende Milites in die umliegenden Kasernen gingen, um sämtliche Centuriones seiner Einheit zu mobilisieren. Als ein Großteil der Centurien versammelt war, legte er die Regeln fest.


    "Austragungsort wird rund um die Latrinen sein, als Waffen stehen euch einzig Kasserollen zur Verfügung, mit der der Gegner an der Brust zu berühren ist, der jeweilige Centurio wird richten. Wer gewinnt, darf sich zuerst einen Keks auswählen … von denen haben meine Küchensklaven nämlich massenhaft - und sicherlich wesentlich schmackhafter als mögliche Schöpfungen eines Offiziers - hergestellt. Wer die Münze in seinem Keks findet, bekommt zusätzlich Falerner von mir. Auf geht’s!"


    Der Tribun hielt kurz inne. "Das gilt natürlich nur für diejenigen, die sich in einen solchen Zweikampf wagen", fügte er einschränkend an.

  • Die Ausgestaltung solch skuriler Kampfregeln hatten einige der Soldaten dem Tribunen nicht zugetraut, aber wenig später fanden sich auf der Lagerstraße vor der Latrine die ersten Kämpferpaare zusammen. Jeder Mann war mit einer Kasserolle bewaffnet und trug ansonsten eine Tunika, Caligae und das Cingulum.


    Auf ein Startzeichen hin begannen die ersten Männer, sich langsam und leicht grinsend in geduckter Haltung zu umkreisen, bis einer einen ersten Vorstoß wagte. Scheppernd krachten die Kasserollen aufeinander, als der andere den Stoß parierte. In mehreren schnellen Bewegungen griffen die Männer weiter an und wichen aus, während ihre Stiefel auf dem Boden Staub aufwirbelten und den Kampf in einen leichten Dunst tauchten. Eine kurze Pause setze ein, bis die Männer wieder aufeinander los gingen und schließlich einer den entscheidenden Treffer setzte und jubelnd seine Arme hochriss.

  • Nach dem Griff in eine der bereitstehenden Keksschalen und dem mageren Gesicht beider Soldaten, das auf eine hundertprozentige Teigmischung ohne Metallgeschmack hinwies, kam das nächste Paar an die Reihe. Während einer schon vor dem Signal herausfordernd auf den Boden seiner Kasserolle klatschte, um Eindruck zu machen, stand sein Kontrahent noch etwas unbeholfen herum, was sich aber nach einem neuartigen Ton aus einem Cornu schnell änderte. In gebückter Haltung umkreisten sich die Gegner, ohne auch nur ein Auge vom anderen zu lassen …


    Es dauerte nicht lange, da zeigte sich, dass die Einschüchterungsversuche vor Kampfbeginn eine durchaus sichtbare Wirkung hinterlassen hatten, denn dem zunächst unschlüssig Gestarteten standen bei Zeiten Schweißperlen auf der Stirn, die unmöglich von der Witterung oder der körperlichen Ertüchtigung stammen konnten. Nach einem Angriff mittels zweier Ausfallschritte, bei dem jener nur knapp der feindlichen Kasserolle entging, beendete der Soldat die nervliche Anspannung unspektakulär, indem er seine Beine in die Hand nahm und auf die nahe Latrine flüchtete. Mit einem Krachen flog die Tür zu.


    "Tjo, unerlaubter Rückzug, würde ich sagen", kommentierte der Tribun die Aktion und hielt dem verlassenen Gegner grinsend die Keksschale hin.

  • Die übrigen Soldaten kommentierten den Rückzug mit Gelächter und konnten sich den Grund nicht so recht erklären. Aber zweifellos würden sie ihn herausbekommen, sobald der Flüchtling die Latrine wieder verließ. Was er bestimmt irgendwann tun würde.


    Währenddessen trat das nächste Kampfpaar an. Nach dem üblichen vorsichtigen Umkreisen der beiden Gegner bewies einer der Männer echte Gladiatorqualitäten. Als hätte er in keinem Kampf je etwas anderes getan bückte er sich, griff auf den staubigen Boden und schleuderte seinem Gegner ein wenig Sand ins Gesicht. Der kurze Moment, in dem der Gegner dadurch orientierungslos war, reichte ihm, um den entscheidenden Treffer zu setzen und unter dem Jubel seiner Kameraden in Richtung Keksschale zu spazieren.

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