Eine Wohnung ohne Fenster

  • Eine nahezu leerstehende kleine Insula in Rom. Hinter einem Laden, der kein Laden mehr ist, weil er niemandem gehört oder niemand ihn betreibt geht eine schwere Tür ab. Hinter dieser Tür befindet sich eine Wohnung die niemandem gehört. Weil sie niemandem gehört, gehört sie nun Nikophileaus Graecus.

  • Diese Wohnung hat erstaunlich viele Räume, was daran liegen mag, dass die Räume selbst für eine Wohnung in einem mittelmäßigem Teil der Subura sehr klein sind. An der Tür ist übrigens ein einfaches Schild befestigt:


    "Casa Graecorum. Societas Graecorum Peregrinorumque. Aula Apollonei et Triclinum Dionysi."


    Es gibt in dieser Wohnung vier ganze Räume. Der größte Raum liegt gleich hinter der Tür, er ist gewissermaßen ein Empfangszimmer und Gesellschaftszimmer. Bis zu dreißig Menschen passen hinein. Stehend und dicht an dicht. In einer Wandnische steht ein Altar, der selbstgezimmert aussieht, die Ausstattung wie zusammengesammelt. Von diesem relativ großem Raum gehen drei Türen ab. Hinter einer verbirgt sich ein fensterloses Triclinum, in Idealform, denn nur wirklich drei Liegen passen hinein und ein Tischchen. Hinter einer weiteren Tür eine enge Schlafkammer, die nur aus einem Bett einem Tisch mit Waschschüssel und einer Truhe besteht, zwei drittel Raum nimmt allein das Bett ein. Die dritte Tür führt zu einer noch kleineren Kammer, mehr ein Schrank. Darin stapelt sich Gerümpel, das wie die Wohnung niemandem gehört.

  • Eine Erklärung:


    Das Triclinum heißt Triclinum Dionysi: Wenn nicht ausdrücklich angekündigt, ist dieser Raum für Männer reserviert. Das impliziert: jede unbekannte Frau, die sich hier aufhält, ist entweder Sklavin oder Hure oder Beides. Eine Ausnahme bilden da besondere Veranstaltungen, wie Gastmähler, die Nik.Graec. plant, bei denen die Gäste angehalten sind, selbst die Speisen mitzubringen.


    Der große Vorraum nennt sich übertrieben hochgestochen Aula Apolloni. Hier kann Apollon gehuldigt werden. Männer und Frauen sind gleichermaßen erwünscht.


    Die Schlafkammer gehört Nikophileaus Graecus. Er ist aber bereit, sie zwecks Gewerbeausübung zu verleihen.


    Das ganze ist als Stätte der Zusammenkunft für in Rom lebende oder reisende Griechen gedacht. Aber jeder ist willkommen, jeder der frei ist und nicht allzu kriminell. Zu Orgien wird unter Triclinum eingeladen. Es gibt dort entsprechende Aushänge.

  • Antipater klopfte an die Türe der Societas Graecorum Peregrinorumque. Er war allein und war unauffällig gekleidet. Würde er hier die Informationen finden die er brauchte? Eine Katze stob davon, ein Fensterladen wurde geöffnet und ein Waschweib starrte ihn an. Antipater kratzte sich im Schritt.

  • Nach einiger Zeit, während der aus dem inneren der Wohnung Geräusche vielleicht Stimmen zu hören waren, wurde die Tür geöffnet. Rost ließ die Angeln aufeinanderkratzen. Aus dem Dunkel des Eingangs trat eine kleine, dünne Gestalt, ein Mädchen, nur mit einer dünnen Palla bekleidet, unter der sie ihre nackte Haut zu verbergen suchte. Die Palla schimmerte wie aus Seide, und sie war an einigen Stellen dünngescheuert und fadenscheinig und wies einige Löcher auf. Das Mädchen sah den Mann aus schwarzen Augen an, sie wirkte zart, jedoch nicht hilflos. Sie biss sich mehrmals auf die schmale Unterlippe. Ihre Wangenknochen sprangen ungewöhnlich weit vor, ihre Haut glänzte dunkel, ihr Haar war zersaust und fiel offen über ihre nackten Schultern, die zitterten, wie auch ihre Hände. Lange sah sie den Mann regungslos an. Ihr Blick schien glasig und wie abwesend. "Bin Hrakhilimu.", sagte sie. Die Worte tropften zähflüssig dahin, sie hatte offenbar Schwierigkeiten mit der Sprache. "Was. Will, er? Ich, habe Mann. Gerade. Komm wieder. In einer. Stunde. Oder. Will, er ein. Anderes? Will er, den Griechen. Sehen? Der wohnt hier. Auch." Sie atmete schwer und schüttelte sich krampfhaft.

  • "Ja, ich würde gerne den Griechen sehen." antwortete Antipater und gab ihr ein paar Sesterzen "Falls dies möglich ist. Ich bin Pompeius Antipater, sag ihm er brauche nicht nachdenken, er kennt mich nicht"

  • "Es ist möglich. In bald. Hinterlasse Nachricht. Für Grieche. Wo er ihn treffen kann. Oder warte bis .Der Grieche da. Ist." Das Mädchen besah die Sesterzen und steckte sie ohne zu danken ein. "Es wird. Nicht lange. Dauern. Wenn er wartet kann. Ich. Ihn unterhalten." Sie deutete an, ihre linke Brust zu entblößen, legte dann scheinbar schamhaft den unechten oder vielleicht doch echten zerfetzten Seidenstoff darüber. "Will er warten, oder. Will er Nachricht, hinterlassen?"

  • Was sie ihm zu bieten hatte bot sie ihm aus der Not oder Pflicht aber nicht aus tiefem Empfinden einer religiösen Inbrunst, folglich hinterließ Antipater nur die Nachricht, er sei in der Casa Pompeia zu finden und dass er sich auf einen Besuch des Griechen freuen würde.

  • Nikophileaus Graecus öffnete die verrottete Tür, die niemand mehr abschließen konnte. Er betrat die enge dunkle Wohnung. Gestank kroch ihm entgegen. Er wollte sofort wieder verschwinden, denn ihm kam dieser Ort trostlos vor. Er betrachtete sein "Firmenschild". In einem Anfall von Sarkasmus hatte er es geschrieben. "Lächerlich." Er sah sich um, blickte durch die halb geöffnete Tür in sein Cubiculum, das weder ein anständiges Cubiculum noch wirklich sein eigenes war. Aus dem Türspalt schimmerten zwei Augen wie von einem Körper losgelöst aud der Dunkelheit. Aus dem dazugehörigen Mund: "Mann, war da. Pompaeh. Juss. Anlenpa. Casa, Pompaeha.... ." Graecus unterbrach seine Mitbewohnerin, bedankte sich bei ihr und fragte sich, wie er es übers Herz bringen würde, sie vielleicht mit einem selbstgebauten Türschloss auszusperren. Auf der anderen Seite war er zu stolz, um ihr Zuhälter zu werden. Und ohne einen Nutzen von ihrer Anwesenheit zu haben, wollte er sie nicht länger aushalten. Wobei sie ihm als Torsklavin sogar etwas bessere als schlechte Dienste leistete. Graecus verließ die Wohnung. Die Tür ließ er offen stehen, eine Lüftung würde den Räumen sicher gut tun.

  • Graecus kehrte zurück. Ihn wunderte, dass die Insula noch stand. Hrakhilimu oder wie seine Mitbewohnerin heißen mochte, lungerte in einer Ecke der "Aula Apollonei" herum. Auf sein Kommen reagierte sie erst gar nicht. Graecus verschwand in der Abstellkammer und schloß die Truhe auf. Er zog aus ihr einen Lederbeutel hervor, den er sich über die Schulter schwang. Der Truhe in der Schlafkammer entnahm er einige Tuniken und eine Palla, verschiedene Griffel, Wachstafeln, winzige Papyri (die er hütete wie einen Schatz), seinen bescheidenen Besitz an Geld, einige Gemmen mit Götterbildnisssen oder den Portraits von Menschen, die ihm in Athen wichtig gewesen waren, einige halbzerfallene Schriftrollen, Behältnisse für Tinte, einen Topf, der mit feinem Sand gefüllt war, einige grobe Leinentücher. Graecus verließ die Wohnung, zuvor hatte er die Truhen wieder verschlossen und die Schlüssel eingesteckt.

  • Nikophileaus suchte noch einmal, ein letztes Mal, die verfallene Wohnung in der verfallenen Insula auf. Als er die Tür öffnen wollte, wäre er beinahe zusammen mit ihr in den Raum gefallen. Die Angeln waren zu Staub zerfallen, die Tür lehnte nur noch gegen den Rahmen. Ein widerwärtiger Gestank empfing ihn beim Betreten der Wohnung. Es roch nach verwesenden Fleisch. Wobei es in der sauerstoffarmen Luft eher verfaulen als verwesen dürfte. Nikophileaus sah sich im Halbdunkel um und entdeckte gleich im Vorraum vier tote Ratten. Ihm schauderte. Er betrat nacheinander alle Räume. Die wenigen Möbeln waren zerstört oder lagen ohne Ordnung herum und übereinander. An den Wänden klebte Dreck. Das Bett in der kleinen Kammer, die eher ein Loch war, war in der Mitte durchgebrochen. In der kleinen Kammer lagen zerfetzte Kleider. Vielleicht hatten sie einmal der jungen Hure gehört, die hier gehaust hatte. Nikophileaus hielt es nicht länger in diesem finsteren Loch aus. Er stürzte zur Tür. Er vertrieb die Gedanken aus dem Kopf, die ihn beschlichen. Das Grausame war: Was auch immer dem Mädchen geschehen war, es würde außer ihm niemanden kümmern. Niemand außer er wusste überhaupt, dass es sie gab, denn ihre Freier hatten sie sicher nicht als Person wahrgenommen. Mochte sie tot in einer Gasse liegen, an einer Krankheit der Venus verreckt, erfroren, verhungert oder grausam getötet, es würde keinen Praetor kümmern. Vielleicht trieb ihr Körper irgendwo leblos im Tiber, viellleicht kauerte sie zitternd in einem Hauseingang. Und niemanden ging es etwas an. Nikophileaus würde nun abreisen und sie vergessen. Der Mensch vergaß doch erstaunlich schnell... .

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