Durus verfolgte auch das zweite Opfer mit andächtigem Schweigen. Genau beobachtete er den Ablauf, den er gleich wiederholen würde. Sein erstes öffentliches Opfer. Schneller, als er es wünschte, war Furianus fertig und er an der Reihe.
So trat er mit ernstem Blick in die Mitte, wo er den Diener mit dem Waschbecken antraf. Langsam legte er die Hände in das kühle Nass, rieb sie kurz aneinander, wie er es vor jedem Abendessen tat und trocknete sie endlich mit dem Leinentuch des zweiten Händewaschers, nachdem er leicht sein Gesicht benetzt hatte. Dabei tropfte auch ein wenig Wasser auf seine blitzsaubere Toga, was Durus mit einem Zucken des Mundwinkels quittierte.
Als er seine Reinheit erlangt hatte, lockerte auch er die Toga und legte sie über den Ährenkranz, den er noch immer trug, wobei ihm ein geschickter popa zur Seite stand.
Dann konnte das Opfer beginnen. Ein Helfer brachte die weiße Kuh, der man im Gegensatz zu den anderen deutlich die Todesgewissheit an den Augen ablesen konnte - offensichtlich lies die Wirkung der Kräuter nach. Deswegen galt es, keine Zeit zu verlieren und der Aedilis Curulis in seiner Funktion als Frater Arvalis umrundete das Tier, wobei er das weiße Fell betrachtete, dann den leicht wippenden Schwanz, schließlich die andere Seite und zum Schluss den Kopf mit den vergoldeten Hörnern.
Durus sog noch einmal die weihrauchschwangere Luft ein, dann sprach er
"Dieses Tier weihe ich der großen Minerva!"
Langsam bestrich er das Tier mit der mola salsa, dann nahm er die reich verzierte Weinkaraffe, um auf theatralische Weise den Wein über den Rücken der Kuh zu gießen. Diese quittierte die Weihe mit einer kurzen Kopfbewegung - offensichtlich gefiel ihr die Abkühlung wenig.
Endlich wurde das Tier entkleidet, die Helfer entfernten Bänder, die Wolldecke und die übrige Dekoration. Durus stand schweigend daneben, rezitierte gedanklich sein Gebet, das nun folgen würde.
Nun wurde ihm das culter gereicht, mit dem er langsam vom Kopf bis zum Schwanz der Kuh vor, weshalb diese wieder den Kopf hob - allerdings nicht sehr hoch, denn sie war gut am Boden befestigt.
Daraufhin hob er wie Furianus zuvor die Arme zum Himmel, von wo aus die Götter hoffentlich zusahen und sein Opfer annahmen.
"Minerva, Hüterin der Weisheit, Schutzherrin der Handwerker!"
rief er die Göttin mit lauter Stimme an.
"Beschützerin Roms, große Minerva, segne den Imperator Caesar Augustus Lucius Ulpius Iulianus auch dieses Jahr mit Weisheit, aufdass er unser Volk und unseres Volkes Schützlinge weiterhin weise und gerecht regiere!
Dir zu Ehren opfern wir, dir zu Ehren unser Geschenk!"
Das Messer kehrte zum victimarius zurück, woraufhin dieser erneut seine Position einnahm. Durus hatte den Eindruck, dass die Kuh das schwere Opfermesser ein wenig ängstlich betrachtete. Doch die Angst würde in wenigen Sekunden zu Ende sein, denn schon erscholl das
"Agone?"
das Durus promt mit einem
"Age!"
bestätigte.
Nun spritzte das Blut, als die Klinge durch die Kehle der Kuh fuhr und den kurzen Aufschrei des Tieres abbrach. Ehe der Opferhelfer die Schale postieren konnte, trafen einige Tropfen des Lebenssaftes die Toga von Durus. Er hatte in seiner Konzentration vergessen, ein wenig zur Seite zu gehen. Aber der Tiberier ignorierte die Verschmutzung - sie würde Problem seiner Haussklaven sein.
Die nun folgende Zerlegung des Tieres verfolgte Durus mit kritischem Blick. Er bewunderte es, wie rasch und präzise die victimarii dem Leib der toten Kuh die Innereien entrissen.
So hatte er sehr bald die blutigen Eingeweiden der Kuh vor sich. Das Herz erkannte Durus sofort, die übrigen Teile musste er einige Zeit wenden, bevor er sie identifizierte. Sicherheitshalber wendete er die blutigen Innereien ein wenig länger und prüfte sie, ohne genau zu wissen, wie genau eine völlig gesunde Niere aussah. Blutige Opfer und Metzgerei waren eben nicht seine Vorliebe. Endlich ließ er das Herz als letztes Organ in die patera zurücksinken und blickte in die ehrfurchtsvoll schweigende Menge.
Leichte Schweißtropfen standen dem Tiberier auf der Stirn, als er laut die erratene
"Litatio!"
verkündete. Ob die Götter wirklich zufrieden waren? Er hatte nichts falsch gemacht - soweit er wusste - , aber war Minerva am Ende wegen irgendeiner anderen Sache verärgert und nahm keine Opfer an?
Deshalb beobachtete er die Reaktion der Menge gar nicht, sondern blickte sofort beschäftigt auf seine blutigen Hände, die er erneut wusch, um am Ende an seinen Platz im Kreise der Fratres Arvales zurückzukehren.