Zum ersten Mal, seitdem sie nun wieder in Italien weilte, hatte Epicharis das Gefühl verspürt, etwas Zeit für sich ganz allein beanspruchen. zu müssenNachdem sie intensive Gespräche mit ihrem Vater und ihren beiden Schwestern geführt hatte, wollte sie über das Gesagte nachdenken. Was eignete sich da besser als ein Spaziergang nahe der Natur? Dieser Park, der weder weit entfernt vom Kaiserpalast noch von der claudischen Villa lag, schien ihr hierfür bestens geeignet zu sein, und so machte sie sich an diesem sonnendurchfluteten Wintermorgen auf den Weg hierher, natürlich begleitet von zwei Sklaven, die ihr folgten und auf sie acht geben sollten.
Langsam schritt Epicharis einen der zahlreichen Kieswege entlang. Unter ihren Schritten knirschten die kleinen Steinchen, und wenn man die Augen schloss, hätte man nur anhand des Geräusches beinahe denken können, dass man sich nicht mehr in Rom, sondern vielmehr an einem kiesigen Strand bei Ostia befand, wo die salzige Seeluft eine dünne Schicht auf der Haut bildete und man das Gefühl hatte, freier atmen zu können. Einzig die Tatsache, dass man am Meer vielmehr Möwen denn andere Vögel hörte, trübte diesen Eindruck, sodass Epicharis bald des Augenschließens und Träumens müde wurde und nun mit nachdenklicher Miene einherschritt, gelegentlich ihre Palla auf den richtigen Sitz prüfend oder sich die Umgebung zu Gemüte führend.
Ihr Vater sähe es gern, wenn sie ihm einen Enkel gebar, einen Erben, in dessen Adern claudischen Blut floss. Doch wessen Blut würde es noch sein? Epicharis war viel zu lange in Hispania gewesen, um sich einen Eindruck von der hiesigen patrizischen Männerwelt machen zu können. Darüberhinaus glaubte sie einfach nicht an die plötzliche, unerwartete Liebe. Nein, dazu waren ihr zu viele Geschichten von unglücklichen Frauen erzählt worden, die zu viel Leid ertragen und ihr Leben lang eine Rolle spielen mussten. Dennoch, ihr Vater sorgte sich doch um ihr Wohlergehen. Gewiss würde er niemanden auswählen, der ein Monster war. Das würde er ihr nicht antun, dessen war sie sich ganz sicher. Und diesem Gedanken zum Trotze schlichen sich immer wieder Bilder in ihren Verstand. Bilder von einer schlimmen Sorte, Bilder, in denen Epicharis einem alten, aufgedunsenen und reichen Patrizier das Eheversprechen geben musste, um keine Schande über die Familie zu bringen. Sie würde es tun, wenn man das von ihr verlangte, wenn sie dieses Opfer bringen sollte, wenn die Familie dies von ihr erwartete. Aber ob sie glücklich sein würde, das wussten dann allein die Götter. Vielleicht war es doch besser. in den Kult der Vesta einzutreten, solange ihr Vater noch niemandem gestattet hatte, um sie zu werben. Epicharis tat nichts anderes, als Für und Wider gegeneinander abzuwägen. Vesuvianus war schon gestraft genug damit, dass er dereinst das Eheweib verloren hatte. Es stand Epicharis einfach nicht zu, ihm nun auch noch den Enkel zu verwehren, den er sich von ihr als erstgeborener Tochter wünschte.
Epicharis blieb stehen, als sie bemerkte, dass ihre Schritte nun ein anderes Geräusch verursachten. Sie war auf die Wiese hinausgegangen, ohne es zu bemerken. Stumm betrachtete sie ihre Umgebung. Nicht weit von ihr befand sich ein kleiner, kreisrunder Teich, auf dem einige Wasservögel lautstark ihre Runden drehten und an dessen abfallendem Ufer acht Götterstatuen standen. Zu Mars zog es die junge Frau nicht hin, doch fand sich auch eine wunderschöne Statue der Iuno unter den mamornen Gebilden. Mit einer Ziegenfellkappe und einigen Opfergaben stand sie auf einem Sockel und sah auf den Teich hinaus, als ob sie den Enten beim Planschen zusah. Epicharis ging direkt zu der Statue hinüber, wobei der morgendliche Tau ihre Füße benetzte, denn obwohl es später Morgen war, so war die Kraft der Sonne doch nicht stark genug, um die Wassertropfen verdunsten zu lassen.
Ehrfürchtig strich sie über den Sockel der Iunostatue, die an einigen Stellen etwas Moos angesetzt hatte, was ihre Schönheit allerdings nicht minderte.
"Ach, währte die Schönheit der Menschen doch auch so lang wie jene in den Marmor gemeißelten Nuancen", sagte sie laut vor sich hin, ohne sich vorher zu vergewissern, dass auch niemand in der Nähe die Laute vernehmen konnte.
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