Um die Geheimnisse der Schriften des Ovids zu ergründen, fanden Deandra und Epicharis sich also in der claudischen Bibliothek ein. Nordwin, dessen Schritte Epicharis' Weg zufällig gekreuzt hatten, bekam den Auftrag, niemanden in den Wissensraum hineinzulassen, immerhin schickte es sich in keinster Weise für eine Patrizierin, in den Lehren des Ovids den Geheimnissen des Geschlechtsverkehrs auf den Grund zu gehen.
Gerade zog Epicharis sich einen Sessel heran und stieg nach oben, sich an Deandras Schulter festhaltend. Gesucht hatte sie nicht, denn sie wusste, wo die Ars Amatoria standen, wenngleich sie sich auch noch nie getraut hatte, sie aus dem Regal zu ziehen und die Staubschicht verräterisch zu durchbrechen. Die Angst, unliebsame Fragen zu beantworten, war stets stärker als die Neugier gewesen. Jetzt aber hatte Deandra mit ihren Fragen dafür gesorgt, dass Epicharis' Neugier wieder angewachsen war. Und zu zweit war man sowieso immer mutiger als allein.
Bald hatten ihre schlanken Finger das schwere Buch gefunden und zogen es aus dem Regal, zusammen mit vielen tausend Staubkörnern. Epicharis musste niesen und reichte Deandra das schwere Werk, stieg dann schnell vom Stuhl und ging zu ihrer Schwester.
"Vielleicht sind da auch Abbildungen drin", flüsterte sie, während sie über Deandras Schulter spähte. Hoffentlich ertappte sie niemand bei dem, was sie hier taten...