Reminiszenzen an eine wilde Katze stiegen in Marcus auf, als er die junge Sklavin vor sich betrachtete und ihre Augen für einen Augenblick länger mit seinem Blick erforschte. Nach Verrat oder Niedertracht suchte er dort nicht, denn wenngleich Marcus auch schon vielen schlechten und durchtriebenen Menschen begegnet, mit einer Furie verheiratet war, so hegte er doch stets eine unverbesserliche Naivität gegenüber dem weiblichen und stets schönen Geschlecht gegenüber. Zart, liebreizend, von einem wundervollen Naturell beseelt, so idealisierte Marcus schnell die Frauen im Geiste, wurde zwar immer mal wieder von der bitteren Realität enttäuscht, ließ sich jedoch davon nicht erschüttern. Und das Feuer, die Leidenschaft, die er an Nortruna erspürt, oder es gespürt geglaubt hatte, gefiel ihm sehr. Die wilden und temperamentvollen Frauen hatten ihn schon stets mehr überzeugt als die sanften Lämmer, oder jene, die es vor spielten. So erstaunte es Marcus zwar immer noch, aber weniger, daß durchaus ein kleiner Funke von Begehrlichkeit in ihm aufstieg, obwohl die junge Frau eine Germanin war und zudem auch noch so blass und hellhaarig wie die meisten ihres Volkes- wie es Marcus oft erschien. So hatte ihm die Berührungen von Nortruna nicht mißfallen, seine Haut hatte an der Stelle am Rücken sanft geprickelt, wo sie mit ihren Fingern entlang geglitten war.
Das war etwas, was Marcus bei einer lupa oftmals vermißte, die Initiative und Gegenseitigkeit in dem Liebesspiel, wenngleich Marcus auch mehr ein Mann war, der mehr auf die eigenen Bedürfnisse achtete als die der Frau. Und tatsächlich dachte Marcus einen kurzen Moment darüber nach und über die dunkelhäutige lupa in dem lupanar seines praefectus, deren Name er ständig vergaß, obwohl er sie schon seit einigen Monaten besuchte. Doch Marcus spürte da nicht mal den Anflug von einem schlechten Gewissen, lächelte nur andeutungsweise.
Das Wort einer Germanin? Marcus war sich nicht sicher, wie viel es bedeutete, aber auch in dieser Hinsicht wollte er erst mal vom Guten ausgehen und beschloss ihrem Wort die gehörige Portion Glauben zu schenken.
„Gut, Venustas. Dann werde ich Dir und Deinem Wort vertrauen. Außerdem glaube ich nicht, daß so schöne blaue Augen einen heimtückischen Geist dahinter verbergen können. Nein, das kann nicht sein. Glaube ich doch durchaus, daß die Götter den schönen Menschen auch einen schönen Geist verleihen!“
Daran glaubte Marcus, trotz seiner Lebenserfahrung, immer noch, wenngleich er auch einem häßlichen Menschen einen schönen Geist zugestehen vermochte, doch einem attraktiven und einnehmendem Wesen konnte er- in seiner Art- einfach keine Niedertracht zuschreiben. Auch einer Germanin nicht, wenn er auch einem Germanen gegenüber weniger dies zugestanden hätte. Und außerdem freute sich Marcus mittlerweile sehr über so eine schöne Sklavin in seinem Gefolge. Das machte sich immer gut. So schwand sein Groll gegenüber seinem Sklaven ein Wenig, doch die Erinnerung, daß Hannibal hinter seinem Rücken allerhand trieb, ließ den Ärger wieder erstärken. So nickte er zufrieden darüber, daß er bald jemand hatte, der auch auf seinen Leibsklaven- dem er doch früher blind vertraut hatte und was er heute wohl nicht mehr konnte- ein Auge warf und ihm von Zeit zu Zeit berichten konnte.
„Das Soldatenlager wirst Du noch heute kennen lernen. Da ich dort ein centurio bin, habe ich meine eigene Unterkunft und kann Dich dort ebenfalls unterbringen. Aber ich bin mir sicher, Du hast selbst in Germania von den Soldatenlagern der Römer gehört, nicht wahr? Schließlich gibt es auch einige von diesen in Deiner Heimat. Und wegen Hannibal: Sehr gut, ich bin schon sehr begierig darauf, was Du erfährst. Schließlich ist es mir sehr zuwider, wenn ich mich von meinen Sklaven betrogen fühle.“
Schon schritt Marcus weiter und den Gang hinab, überlegte einen Moment, ob er sich noch ein wenig an die frische Luft wagen wollte, doch es war ihm an jenem Tage noch zu kühl, außerdem wollte er nicht genötigt werden an einem dieser Ballspiele teilzunehmen- körperlich ertüchtigen tat er sich, im Gegensatz zu den meisten Männern dort draußen, wahrlich jeden Tag genug. So strebte Marcus auf die Umkleideräume zu, betrat mit Nortruna diese, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß kein Mann dort drinnen sich umzog. Mit einem schmunzelnden Seitenblick trat er zu seinen Kleidern, die dort warteten. Ungeniert zog Marcus das Badetuch von seinen Lenden, trocknete sich zwischen den Schultern und ließ es achtlos zur Seit fallen, ehe er- nun nackt- nach seiner tunica griff. Scham in dieser Hinsicht hatte Marcus noch nie empfunden, so auch in dem Moment nicht. Während er sich die tunica über den Körper streifte, stellte er mit einem amüsierten Unterton die nächste Frage.
„Sag mal, Venustas, stimmt das eigentlich? Kämpfen die germanischen Frauen Seite an Seite mit ihren Männern und sind ihnen im Kampfe sogar ebenbürtig, wie eine Amazone?“