Ein höchst brisantes Anliegen

  • An jenem Tage, der auf das Bankett folgte, fand ich mich früh in der villa claudia ein. Mein Kopf schmerzte nur wenig, denn der Wein war ein guter gewesen und der Kater im Vorfeld mit genügend Wasser an seiner Entstehung gehindert worden. So sah ich mich durchaus in der Lage, bei Deandras Vater vorzusprechen, auch wenn er mich am Abend zuvor noch für Epicharis hatte begeistern wollen und ich jenes zuerst nicht gemerkt hatte. Ein Sklave öffnete die porta - des guten Wetters und der Bewegung wegen hatte ich bei dieser geringen Entfernung zwischen den villae auf eine Sänfte verzichtet und war zu Fuß gekommen. Ich trug dem Sklaven auf, Claudius Vesuvianus, sollte er denn schon wach und noch zu Hause sein, um ein Gespräch zu bitten, dessen Wichtigkeitsstufe für mich bedeutsam hoch war, und vertrat mir derweil die Beine im atrium, indem ich bedächtig immer wieder mit verschränkten Armen um das impluvium herum schritt, ohne es jedoch wirklich zu sehen. Meine dunkelblaue, mit goldenem Rand verzierte toga schwankte bei jedem Schritt mit.

  • Nach dem reichlichen Weingenuss hatte es Vesuvianus ausnahmsweise vorgezogen, in der heimischen Villa und nicht im Castellum zu nächtigen. Ebenfalls entgegen seiner Gepflogenheiten war er heute spät aufgestanden, weil er keinen der Sklaven angewiesen hatte, ihn zu wecken. Nach dem Waschen und Einkleiden, das er selbst als Soldat bestenfalls in den Mannschaftsdienstgraden eigenständig vorgenommen hatte, ließ er sich ein Frühstück servieren, zu dessen Einnahme er das kleine Triclinium aufsuchte. Er hatte kaum mit der Mahlzeit begonnen, als ihm die Nachricht vom Besuch des Aureliers überbracht wurde.


    "Er kann mir beim Frühstück Gesellschaft leisten", gab er anstelle einer Anweisung, doch der Sklave verstand und richtete alsbald dem Gast den Wunsch des Hausherren aus.

  • Als Schritte hinter mir laut wurden, wandte ich mich mit pochendem Herzen um. Statt des Hausherren war es allerdings nur ein Sklave, der mich aufforderte, ihm zu folgen und etwas von einem gemeinsamen ientaculum murmelte. Angespannt folgte ich dem Blondschopf, der mich ins triclinium dirigierte, wo Vesuvianus sich bereits aufhielt. Ich straffte mein Erscheinungsbild und trat nach einem Durchatmen ein.


    "Salve, Vesuvianus", grüßte ich. Schon länger benutzte ich nur noch den cognomen zum Gruß, denn ihn Claudius zu nennen, erschien mir unpassend, da wir uns inzwischen recht gut kannten. Konnte ein Vorteil sein, musste es aber nicht.


    "War deine Nacht angenehm? Ich scheine Glück zu haben, dich heute früh hier anzutreffen und nicht von einem Sklaven ins castellum verwiesen zu werden. Das Fest war...." Ich dachte an die vergangene Nacht.
    "...oh, es wird mir gewiss in Erinnerung bleiben."

  • Der Claudier schlürfte gerade eine Auster aus, als der Gast den Raum betrat. Er blickte auf. Da er selbst mit seinem Cognomen angesprochen wurde, wäre es sicherlich merkwürdig gewesen, wenn er den Gast nun mit "Aurelius" angesprochen hätte, was er ansonsten gemacht hätte. Selbst sein langjähriger Präfekt wurde von ihm stets Aurelius genannt, auch wenn sie eine enge Freundschaft verband.


    "Corvinus, grüß dich und nimm Platz. Bei ein paar Köstlichkeiten lässt es sich besser über weitreichende Entscheidungen sprechen als mit leerem Magen, denn ich gehe doch in der Annahme, dass du genau deswegen mich zu dieser ungewöhnlichen Stunde aufgesucht hast."


    Vesuvianus' Worte hatte eine einladende Armbewegung begleitet. Er war sich ziemlich sicher, dass der Aurelier über seine Tochter Epicharis und seine Anmerkung über die Pläne mit ihr über Nacht nachgedacht hatte.
    Er winkte einem Sklaven, um Becher und Teller für den Gast herbeizuschaffen.

  • Ich nickte mehr zu mir selbst als zu Vesuvianus und folgte seiner einladenden Geste, während der Sklave schon hinfort eilte, um mir Essgeschirr zu organisieren. Noch darauf wartend, dass er wieder zurück kam, sah ich dem Claudier einen Moment beim Essen zu, ehe ich gen Fenster blickte und mühsam eine Einleitung zusammenstrickte.


    "Entschuldige vorab, dass ich dich beim wohlverdienten ientaculum störe", sagte ich und dachte daran, dass ich es sonst vorzog, allein zu frühstücken. Wenn Vesuvianus nun ebenfalls diese Angewohnheit hatte, war dies ein bedeutend schlechter Start gewesen. Nun ja, wie dem auch war, nun saß ich hier und blickte zum Fenster hinaus.


    "Ich weiß nicht, ob du es bereits vernommen hast, doch der Kaiser wird mich bei der Vergabe der senatorischen Tribunenämter bedenken. Die Ernennung findet während der Renntage in Rom statt, ich erhielt eine Ladung."


    Hier verstummte ich und wandte den Blick wieder Vesuvianus zu, der kurzzeitig vom Körper des Sklaven verdeckt wurde, der mir nun Teller und Becher bereit stellte, doch noch rührte ich nichts der köstlich anzusehenden Speisen an, sondern dachte darüber nach, wie ich fortfahren sollte.


    "Dieses Amt wird meine Zukunft verändern, dessen bin ich mir sicher. Doch ich gedenke, selbst auch etwas an meiner Zukunft zu ändern. Gestern sprachst du von der Verbindung unserer beiden gentes. Ich würde dieses Thema gern aufgreifen, Vesuvianus."

  • Mit der freien Hand winkte Vesuvianus ab, als sich Aurelius entschuldigte. Er setzte den Becher mit reinem Quellwasser, das er zu dieser Stunde bevorzugte, ab und wies mit den Augen, unterstützt von einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung, einen der bereitstehenden Sklaven an, etwas nachzuschenken.
    Mit einiger Verwunderung folgte er sodann den Ausführungen seines Gastes bezüglich der Tribunenämter. Natürlich interessierte ihn dieses Thema, aber zu dieser Stunde? Deswegen kam der Aurelier auf ein Gespräch zu ihm?


    "Ich weiß von den Ernennungen, die Prima ist auch betroffen. Hoffentlich kommt nicht so ein gänzlicher Vollidiot zu uns", grummelte der Tribun, dem bereits die derzeitige Anzahl an Möchtegernsoldaten in seiner Elitelegion mehr als ausreichte. Inzwischen hatte er jedoch verstanden, dass dies nicht der Anlass des Besuches war. Er stellte daher das Kauen ein und lauschte den Fortführungen seines Gastes. Er lächelte mit den Mundwinkeln, als Aurelius geendet hatte.


    "Epicharis ist eine schöne und kluge Frau, ich gebe sie nur in beste Hände. Die Gens muss stimmen und die betreffende Person. Ja, grundsätzlich habe ich nichts gegen eine Verbindung unserer Gentes einzuwenden, gar nichts. Du bist also zu einer Entscheidung gekommen und erfragst hiermit meine Meinung?"


    Endlich kamen die Sklaven mit dem Gedeck, stellten es vor Corvinus und boten Schalen und Schüsseln mit schmackhaften Delikatessen an.

  • Na, das war ja ein Aneinander-vorbei-reden sondergleichen. Ich vermutete vermutlich korrekt, wenn ich die Person vermutete, die sich hinter dem Titel des Vollidioten vermuten würde, ließ das Thema allerdings auf sich beruhen und deutete dem Sklaven ersteinmal davon, mir dieses und jenes auf den Teller zu schaufeln. Zeit schinden war eine akzeptable Lösung, um überlegen zu können, was genau ich nun sagen sollte, um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen und das zu erwirken, was ich eigentlich wollte.


    "Ja, das ist sie wirklich, und wäre ich ihr Vater, würde ich es nicht anders als du handhaben. Und doch betrifft meine Frage nach deiner Meinung nicht Epicharis, sondern Deandra."


    Ein Kloß in meinem Hals machte es mir nun gänzlich unmöglich, mit dem Frühstück zu beginnen. Auch der schnelle Griff nach dem wassergefüllten Becher verschaffte keine Linderung. Viele Dinge gingen mir durch den Kopf. Was, wenn er nein sagte? Was, wenn er dem traumhaften Vesuvianus gleich, der erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Parzen gehabt hatte, anschwoll und mich auslachte? Und was sollte ich sagen, wenn er auf die vermeintliche ehemalige Blutsverwandschaft zu sprechen kam? Wusste er überhaupt von der Adoption in die Aurelia? Fragen über Fragen.

  • Aurelius ließ sich mit der Antwort Zeit. Daher griff Claudius zu einem Stück Brot, das er im Wechsel mit Schafskäsestücken verzehrte. Das derzeitige Stück war noch nicht zur Gänze zerkaut, als Aurelius sein Anliegen äußerte. Der Tribun hielt im Kauen inne und lauschte den Worten nach. Hatte er sich gerade verhört? Zuerst nahm er den Aurelier mit den Augen ins Visier, schließlich wandte er den Kopf. Er kaute zunächst, schluckte und räusperte sich.


    "Deandra? Du kommst im Auftrag von Sophus nehme ich an."


    Na klar, mahnte sich der Claudier und schlug sich im Geiste vor die Stirn. Wie konnte er die Anfrage nur derart falsch verstehen. Er schmunzelte und genoss einen Schluck des Wassers.

  • Der Blick ging durch und durch, auch wenn er vermutlich nicht einmal so geplant war. Mechanisch griff nun auch ich zu einer Scheibe Brot und begann damit, sie über meinem Teller zu zerbröckeln, um etwas zu tun. Sophus. Herrje, an den hatte ich nicht einmal gedacht, seitdem sich mein Kopf in einer claudischen Zisterne befunden hatte. Stumm sah ich den Krümeln nach, wie sie auf die Speisen meines Tellers fielen und auf ihnen einen großen Haufen bildeten.


    "Nicht ganz. Um ehrlich zu sein, ist es mein eigener Wunsch, sie, also... ich wollte dich fragen, was du von einer Verbindung zwischen ihr und mir hältst", beendete ich den Satz dermaßen plump, dass ich mich augenblicklich über mich selbst ärgerte. Leider war nun auch die Scheibe Brot zu Ende gekrümelt, also nahm ich eine neue, drehte sie aber vorerst nur in den Händen und sagte nichts weiter.

  • Ne, der erste Gedanke war doch der richtige gewesen. Vesuvianus prustete kurz, bevor er aus Sicherheitsgründen den Becher abstellte. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, zog es dann aber doch vor, zusätzlich ein Tuch zu benutzen. Es verschaffte ihm Gelegenheit, die Gedanken zu sortieren. Bedächtig legte er es zur Seite, bevor er sich seinem Gast erneut zuwandte.


    "So leid es mir tut, aber ich habe von deinem Vater im Zuge der Adoption Sophus als den Auserwählten genannt bekommen. Zudem musste ich zusagen, der Verbindung nicht im Wege zu stehen."


    Claudius blickte seinen Gast mit ratloser Miene an, wobei er nicht einmal wusste, ob er über die Frage, wie er sich nun verhalten sollte, wenn Corvinus trotz der vorgebrachten Einwände auf seinem Wunsch bestand, oder über die Tatsache, dass er offensichtlich niemand für nötig gehalten hatte, ihn vorab zu unterrichten, ratloser war. Möglicherweise war das Vorpreschen des jungen Aurelier auch keinem bekannt. Gespannt wartete er auf dessen Erklärungen.

  • Mit fahriger Bewegung hörte ich auf, das Brot zu drehen, und legte die Scheibe auf den Tellerrand. So leid es mir tut... Das sagte schon alles, oder nicht? Eiseskälte hatte sich in Windeseile in mir ausgebreitet, und ein jeder wusste, das Wind die Kälte nur noch verstärkte. Das Herz klopfte bis zum Hals und zwang den Kloß nun heraus, den ich fort schluckte und mir beinahe zurückwünschte, denn irgendwie fühlte ich mich nun nackt und offenbart. Ich musste mit Vesuvianus über mein Innerstes reden. Etwas, das ich bisher nur Deandra vollkommen anvertraute hatte. Leicht fiel es mir nicht, doch die Belohnung würde sie sein, und dieser Gedanke milderte die Kälte im Inneren etwas und veränderte mein Auftreten. Ich räusperte mich.


    "Vesuvianus, mein Vater befindet sich gegenwärtig auf einem Gut auf Corsika. Weder er noch sonstige Mitglieder meiner Familie wissen von diesem Treffen oder meinen Absichten. Ich muss gestehen, dass ich um Sophus' Vorrecht weiß, doch werde ich gewiss nichts unversucht lassen, es ihm streitig zu machen. Meines Wissens nach war es zudem Sophus, der sich, der Verbindung gewiss, nicht weiter um jene bemüht hat. Ich wäre dir zutiefst verbunden, würdest du dies bei deiner Antwort berücksichtigen. Falls Deandras Wunsch ebenfalls zählt, solltest du sie ebenfalls befragen."


    Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich reinen Tisch machen konnte. Ich hatte es nie sonderlich gut gefunden, dass Sophus alles so schleifen ließ. Nun war ich am Zuge, und Vesuvianus sollte sehen, dass ich das Ziel durchaus ernsthaft und energisch verfolgen würde. Ein Stück Brot mit Käse wanderte in meinen Mund, und kauend wartete ich auf eine Reaktion, die besser ausfallen würde als die vorherige.

  • Der Claudier hob erstaunt die Brauen. Es war also nicht Unwissenheit, die den Aurelier trieb, sondern er ging bewusst gegen bestehende Vereinbarungen vor. Vesuvianus stellte augenblicklich das Essen ein und setzte sich auf. Seine Hand strich zunächst über das Kinn, später über die Kopfhaare, um kurzzeitig im Nacken zu verweilen. Schließlich erhob er sich und versuche in der Bewegung zu einer Entscheidung zu gelangen.


    Sophus war sein langjähriger Freund und Weggefährte in der Legion. Entgegen dessen Interessen zu handeln, war für Vesuvianus indiskutabel. Die Frage war: Was für Interessen lagen derzeit bei Sophus vor? Der ehemalige Präfekt hatte fast ausschließlich im Lager geweilt, besuchte seine Familie, obwohl diese in Mantua lebte, höchst selten, hatte im Grunde nie über Deandra und seine Absichten gesprochen. Gut, das war nicht jedermanns Sache, Vesuvianus war ähnlich gelagert, verstand also dieses Verhalten. Verwunderlich war allerdings, dass er vor Monaten bereits Deandra adoptierte, um den Weg für die Verbindung mit Sophus zu ebnen. Claudius wusste, dass zu den Aureliern keine Blutsverwandtschaft bestand, weswegen er dem Vorhaben letztlich zugestimmt hatte. Sophus allerdings hatte bis auf den heutigen Tag nicht bei ihm vorgesprochen. Dafür wiederum gab es die Erklärung, dass der Aurelier extremst beruflich eingespannt war, das wusste Claudius, wie er wusste, dass sich dieser Zustand in Bälde ändern sollte.


    Tja, abwarten oder jetzt entscheiden? Claudius war ratlos. Schließlich kamen ihm die letzten Worte seines Gastes wieder in den Sinn. Er beendete seine Wanderung und blickte Aurelius an.


    "Du scheinst dir sicher zu sein, dass Deandra sich in deinem Sinne äußern würde?" In Unkenntnis der Neigungen seiner Tochter formulierte Claudius ungewollt eine Frage. Die Meinungen seiner Töchter würde Claudius öffentlich ganz sicher als unrelevant bezeichnen, innerlich und im Rahmen dieses Gesprächs mit einem Mitglied der in Freundschaft verbundenen Aurelier mochte das noch etwas anderes sein.

  • Die Reaktion des Claudiers wies zunächst schockierten Charakter auf. Ich bedauerte es einerseits, ihn auf diese Weise mit meinem Anliegen entgegenzutreten, andererseits gab es wohl kaum eine andere Möglichkeit, ihn damit zu konfrontieren. Während Vesuvianus Für und Wider gegeneinander abwog und dabei auf und ab ging, kam seltsamerweise ein Hungergefühl in mir auf, vermutlich angeregt vom Happen, der eben in meinem Mund gelandet war. Ich widerstand dem Wunsch, mir die Speisen unter dem Brotkrumenberg zuzuführen, denn es wäre vermutlich sehr kaltblütig erschienen, und folgte Vesuvianus mit den Augen, wie er hin und her ging. Draußen schrie eine Katze - vermutlich ein gut gezielter Tritt - dann war es wieder ruhig und auch der Claudier blieb stehen und betrachtete mich durchdringend.


    "Ich bin mir sicher", antwortete ich schlicht und untermalte meine solide Antwort mit einem einzigen Nicken. Vesuvianus mochte nichts vom gestrigen Abend wissen, doch würde er sicher eins und eins zusammenzählen und vermuten, dass ich mir bei Deandra schon die Sicherheit geholt hatte, um diese Behauptung nun verlauten zu lassen. Angespannt, aber gleichzeitig ruhig, harrte ich der nun folgenden Reaktion.

  • Claudius nickte, weil er im Grunde weniger an der Aussage des Aureliers gezweifelt als vielmehr eine zusätzliche Bekräftigung angestrebt hatte. Ihm war klar, dass da bereits Vorgänge in seinem Rücken abgelaufen waren, die er nicht unbedingt guthieß. Dennoch kam er zu einem Schluss, setzte sich jedoch zunächst. Die Unterarme auf die Knie gestützt begann er:


    "Gut, kürzen wir die Angelegenheit an dieser Stelle ab. Wenn ich die Absichten deines Vaters einmal unberücksichtigt lasse, kann ich ruhigen Gewissens behaupten, dass ich sowohl einer Verbindung zu den Aureliern über Sophus als auch über dich positiv gegenüber stehe. Bleibt einzig zu entscheiden, ob ich bereits jetzt meine Zustimmung zu einer konkreten Verbindung gebe oder aber die Angelegenheit offen lasse und somit dir wie deinem Verwandten die Möglichkeit einräume, um Deandra zu werben. Ich tendiere zu letzterem, weil ich damit weder dir Steine in den Weg lege noch Sophus in seinem Vorrecht beschneide. Die Entfernung Mantua/Rom ist zudem nicht unüberwindbar, für keinen von euch.
    Sollte er sich länger unentschlossen zeigen, hat er sich die Folgen selbst zuzuschreiben. Unentschlossenheit stand noch nie einem Manne gut zu Gesicht, diesen Vorwurf müsste sich dann auch ein hochrangiger Offizier, wie es Sophus ist, gefallen lassen. Allerdings, vor dem Ablauf eines ganzen Mondwechsels erteile ich keinem von euch die Erlaubnis zu einer Verlobung, um dem anderen ausreichend Handlungsmöglichkeiten einzuräumen."


    Abschließend nickte Vesuvianus. Er fand die Lösung den Umständen entsprechend passabel, gerecht sowie umsetzbar und erwartete ein zustimmendes Verhalten des Aurelius, dem er mit einem gefüllten Quellwasserbecher zuprostete. Er hatte nach dem überraschenden Verlauf des Frühstücks verstärkt Durst bekommen, fast verlangte es ihm bereits um diese Stunde nach Wein.

  • Mit vollkommener Zustimmung allerdings konnte Vesuvianus meinerseits nicht rechnen. Zum einen missbilligte ich die Entscheidung Sophus betreffend, stand doch außer Frage, dass er während der zwei verganenen Jahre keinerlei Anstalten gemacht hatte, um Deandra zu werben und sich vollkommen auf die Absprachen verlassen hatte. Außerdem schien es dem Claudier nicht gänzlich unwichtig zu sein, was Deandra dazu zu sagen hatte, weswegen ich seine Reaktion noch weniger verstand. Vermutlich aber, so glaubte ich, war es der einzige Mittelweg, den er als angemessen erachtet, um Sophus nicht zu erzürnen. Es tat sich allerdings noch ein weiteres Problem auf. Ich würde nach Germanien gehen, Deandra wollte mich begleiten. Meine Stirn legte sich in Falten, und ich sah nicht glücklich aus, was sicherlich auch Vesuvianus auffiel.


    "Ich möchte weder dich in deiner Entscheidung kritisieren noch den Zorn Sophus' auf mich lenken, doch frage ich mich, ob denn die Unentschlossenheit meines Vetters und die Bestätigung Deandras nicht aussagekräftig genug ist, um deine Entscheidung in anderer Weise zu beeinflussen. Hm. Ich könnte dir allerdings auch nicht sagen, wie ich an deiner statt reagieren würde, dazu bin ich vermutlich zu jung und definitiv zu unerfahren was die Vaterschaft anbelangt."


    Auch mir dürstete es, deswegen trank ich ebenfalls einen Schluck und überlegte, wie ich es bewerkstelligen sollte, Deandra mit nach Germanien nehmen zu dürfen. Ich stellte den Becher ab und betrachtete den ergrauten Mann mir gegenüber genauer. Statt Sophus' Chance zu berücksichtigen, entschloss ich mich, egoistisch zu sein.


    "Vesuvianus, du weißt, dass ich in wenigen Tagen nach Germanien reisen werde, um unserem Kaiser dortin der secunda germanica als tribunus laticlavius zu dienen. Wie könnte ich meinen Konkurrenten nötigenfalls ausstechen, wenn ich doch in der Ferne weile?"


    Ein kritischer Blick, in dem sich auch Besorgnis widerspiegelte, traf den Claudier, der als Soldat wissen musste, dass man auch nur wenig Freizeit zum Schreiben in die Heimat hatte.


    "Ich bitte dich, wenigstens den Termin der Entscheidung herauszuschieben, bis ich meinem Anliegen angemessen Handeln kann. Und dir größte Bitte, die ich derweil habe ist, mir Deandra für die Zeit anzuvertrauen, die ich in Germanien weilen werde. Bevor du etwas sagst, Claudiius, höre mir zu", bat ich ihn, noch ehe er etwas einwenden konnte.


    "In Mogontiacum steht eine aurelische villa, längst nicht so groß und geräumig wie die hiesige, und doch groß genug für alle. Meine Cousine wird mich ebenfalls begleiten, sodass sie in bester Gesellschaft wäre, solange ich im castellum meiner Tätigkeit nachgehe. Ich werde dir beim Steiin des iuppiter schwören, sie nicht anzurühren und ihr stets das beste angedeihen zu lassen, wenn du mir nur erlaubst, sie mitzunehmen."


    Ich senkte den Kopf auf die Brust. Eine demütige Haltung, die mir in diesem Moment der Bitte jedoch mehr als angebracht erschien. Schweigend wartete ich ab, ob nun Stille oder ein Donnerwetter folgen würde.

  • Hatte Claudius zunächst mit Genügsamkeit über die Lösung, die für beide Seiten Chancen offen hielt, gerechnet, sah er sich schnell darin getäuscht. Aurelius war mitnichten zufrieden und äußerte sich entsprechend. Vesuvianus hörte sich die Einwände schweigend an, musste ihnen zum Teil sogar zustimmen, sah sich aber dennoch in erheblichem Maße an das Wort gegenüber Sophus gebunden. Doch als ob die Situation nicht schon genügend kompliziert war, brachte Corvinus ein weiteres Problem zur Sprache: Seinen bevorstehenden und nicht eben kurzzeitigen Aufenthalt in Germanien.


    "Bei den Götter, mir bleibt auch nichts erspart", grummelte Claudius, rieb sich die rechte Braue und versank in Nachdenklichkeit. Irgendwann blickte er auf und stieß dabei Luft durch die Nase aus. "Corvinus, jetzt sag mir mal eins: Warum sollte ich den Termin der Entscheidung nach hinten versetzen, wenn du zusätzlich darum bittest, Deandra zu deinem neuen Dienstort mitzunehmen?"


    Vesuvianus blickte den Jüngeren an, dessen Hartnäckigkeit ihm in der Vergangenheit nie aufgefallen war, kannte er ihn doch aus den Versammlungen der Provinzkurie. Immerhin konnte das ja auch ein Hinweis darauf sein, wie entschlossen der Aurelier sich dieses Ziel gesetzt hatte und nun verfolgte. Ein Charakterzug, der dem Claudier durchaus gefiel.

  • Ich ließ dem Claudier die Zeit, die er benötigte, betrachtete ihn während dieser Phase jedoch aufmerksam. Es gab nichts, das ich nicht anders hätte sagen wollen oder auch können, und so war auch die Bitte nach der Entscheidungsverschiebung auf einen späteren Zeitpunkt gerechtfertigt und an die Worte Vesuvianus' angelehnt.


    "Wenn du deine Entscheidung auf ein Datum setzt, dass sich rund einen Mondwechsel nach unserer Rückkehr aus Germanien befindet, so würdest du Sophus nicht außen vor lassen. So ungern ich diesen Vorschlag auch mache, aber wir hätten alle etwas davon. Und zusätzlich bliebe dir stets die Möglichkeit offen, einen von uns beiden noch vorher abzulehnen."


    Unsere Blicke trafen sich, und Vesuvianus mochte erkennen, dass ich ganz sicher nicht gewillt war, Deandra hier zu lassen. Immerhin räumte ich mir selbst sogar die Möglichkeit ein, gegen Sophus zu verlieren, sollte jener sich wider erwarten an die altvordere Abmachung erinnern. Gedankenverloren griff ich nach dem Becher mit Wasser und drehte ihn abwägend in den Händen.

  • Claudius schüttelte den Kopf. "Nein, das geht nicht. Ein Tribunat dauert ein Jahr oder länger. Ich kann unmöglich die Entscheidung so lange hinauszögern. Gleichzeitig kann ich unmöglich in eine monatelange Begleitung meiner Tochter für einen Mann, an den sie nicht gebunden ist, einwilligen. Das schadet ihrem Ruf, meinem eigenen und dem meiner Familie. Wenn Deandra mit dir geht, dann mit meiner Zustimmung für diese Verbindung. Ansonsten bleibt sie hier."


    In dieser Sache ließ der Claudier keinen Zweifel daran, dass er bereits entschieden hatte. Umstimmen würde er sich nicht lassen, allerdings stand noch immer die endgültige Klärung von Corvinus' Anliegen aus. Eine verdammt verfahrene Kiste, dachte sich Claudius und stützte nachdenklich das Kinn in die Hand. Schließlich winkte er mittels Kopfbewegung einen Sklaven heran.


    "Meine Tochter soll kommen." Während der Sklave davoneilte, richtete Claudius den Oberkörper auf, behielt aber die sitzende Position bei. Hunger verspürte er keinen mehr, dafür aber Durst, und zwar mehr und mehr nach Wein. Dabei hielt er sich in aller Regel an die Gewohnheit, nicht vor dem Mittag auf den Rebensaft umzusteigen. Mit eiserner Disziplin zwang er sich auch jetzt dazu, nach dem Becher Wasser zu greifen. Er trank in großen Zügen und stellte das Gefäß geräuschvoll ab. Sodann blickte er den Gast wieder an.


    "Hast du noch irgendetwas zu sagen, etwas mitzuteilen, was ich wissen müsste, bevor ich mich definitiv festlege?"

  • Natürlich wusste Camryn nicht, wo Deandras Zimmer lag, aber sie eilte dennoch fliegenden Haares davon, um die junge Dame zu holen. Unterwegs ließ sie sich den Weg weisen, damit sie auch an der richtigen Tür klopfen würde. Das cubiculum war schnell gefunden, und ebenso schnell war geklopft.


    "Salve, dein Vater bittet dich zu einem Gespräch ins triclinium. Mein Herr ist ebenfalls anwesend und es hörte sich wichtig an", beeilte sie sich ihren Auftritt zu erklären.


    Wenigs später befand sich Deandra in Camryns Schlepptau, als sie neuerlich den Raum betrat und sich unscheinbar wieder in eine Ecke stellte, um da zu sein, wenn man sie brauchte.

  • Ich nickte geflissentlich. Es würde sich also hier und jetzt entscheiden, ob ich allein und mit Trauer nach Germanien reisen musste oder die Frau mit mir nehmen durfte, die ich dereinst ehelichen würde. Vesuvianus' Sicht der Dinge konnte ich durchaus nachvollziehen und hätte an seiner Statt vermutlich gleichwertig gehandelt, aber er hatte eben bereits deutlich gemacht, dass er viel Wert darauf legte, die alten Absprachen gebührend zu beachten. Die innere Anspannung in mir wuchs. Allerdings war es so wie es nun kam, besser als wenn Deandra und ich noch während meines gesamten Aufenthaltes in Germanien, mit ihr oder ohne sie, warten mussten und uns im Ungewissen befanden.


    Wir beide saßen uns nun also gegenüber und die Spannung im Raum war kaum mehr auszuhalten. Gern wäre ich aufgestanden und etwas auf und ab spaziert, aber der Anstand gebot mir, sitzen zu bleiben und auf Deandras Ankunft zu warten.


    "Ich würde sie stets mit meinem Leben beschützen, wie deine Entscheidung auch immer ausfallen mag", gab ich betont wider und offenbarte damit, dass ich gewiss nicht nur eine zweckfördernde Ehe eingehen wollte, sondern ausnahmsweise einmal echte Gefühle dahinter standen, was heutzutage rar war in der Gesellschaft.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!