Da stand ich nun – bestürzt über vielerlei Dinge: Die aus allen Fugen geratene eigene Beherrschung, die unkontrollierbare Atmung, die neue Dimension an Sehnsucht, das riesige schlechte Gewissen und seinen dringlich vorgebrachten Wunsch, der mir wie ein Ultimatum erschien. Wenn all dies aus meinen Gesichtszügen herauslesbar war, musste ich einen nicht nur hilflosen, sondern vor allem fassungs- und ratlosen Eindruck machen, als ich ihn anblickte.
In diesem Zustand blieb der Genuss der empfangenen Liebkosungen auf ein Minimum beschränkt, weil ich mich in einer Art Erstarrung befand, die immerhin ein begrenztes Arbeiten des Geistes ermöglichte, der allerdings keine brauchbare Lösung für die Situation produzierte. Mein Herz wollte für Marc das Beste, aber mein Verstand blockierte mehr und mehr. Meine eigenen Wünsche wurden von dieser Last erdrückt, waren dadurch nicht mehr ergründbar und somit auch nicht erfüllbar. Die empfundene Leere erschreckte mich. Marc hatte die aus meiner Sicht einzige Möglichkeit ausgeschlagen, bei der er zu einer den Umständen entsprechend annehmbaren Erfüllung kommen konnte, und die mir ein, wenn auch eingeschränktes, aber trotzdem lustvolles Erleben geboten hätte. Was blieb, war die reine Ernüchterung.
Natürlich konnte ich seine Lust nachvollziehen, ebenso den Wunsch oder besser Drang nach optimaler Umsetzung, denn es lagen viele Tage hinter uns, die von kühler Distanz geprägt waren, obwohl Nähe und Einvernehmen erstrebenswerter gewesen wären. Und doch musste ich mich zwingen, Verständnis für sein kompromissloses Handeln aufzubringen. Mehr noch: Hatte ich zu Beginn noch mitfühlend an seinem Arm entlang und über den Rücken gestreichelt, und hatte mich sein Herandrängen innerlich wie äußerlich berührt, empfand ich plötzlich eine Ernüchterung der Gefühle, als wäre mir die Fähigkeit zu empfinden, dauerhaft abhanden gekommen. Eine unbekannte Hilflosigkeit hatte von mir Besitz ergriffen, hielt mich umklammert und tötete jeden an einer sofortigen Lösung orientierten Gedanken.
„Ich wollte als ehrbare Frau in die Ehe gehen“, bekräftigte ich meine Ansicht nochmals, aber dieses Mal nicht nur mit leiser, sondern auch monotoner Stimme. „Allerdings hatte ich geglaubt, wir könnten Zärtlichkeiten bis dahin austauschen, könnten uns dem Vorgeschmack und der Sehnsucht hingeben, deren teilweise Stillung mir viel gegeben hätte, dir aber offenbar nicht.“
Ich stockte, weil ein Kloß der Enttäuschung in meinem Hals entstand, den ich mühsam mit Schlucken bekämpfen musste, bevor ich weiter sprechen konnte. Schlagartig, und erst bei den geäußerten Worten, war mir klar geworden, dass die Liebe gering sein musste, die Marc empfand, weil ihm der Hautkontakt und die Liebkosungen offensichtlich nicht viel, aber die Vereinigung alles bedeutete. Ohne Kraft lag mein rechter Arm um seinen Hals und die Schulter, der linke hing herab.
„Es liegt zudem an dir, den Zeitpunkt der Vereinigung fernzuhalten oder ihn in greifbare Nähe zu legen.“ Diese Bemerkung rutschte mir unüberlegt über die Lippen, denn obwohl sie tatsächlich eine zeitnahe Lösung der Problematik darstellte, fragte ich mich gerade, ob nicht eine verlängerte Wartezeit mir Aufschluss über Marcs tatsächliche Gefühle bieten würde.