Der Besuch der kleinen Nichte

  • Severina war nach ihrem Besuch beim Vigintivir lange, sehr lange in Rom herum gegangen. Sie begab sich auf die Märkte, verblieb dort jedoch nicht sehr lange. Sie hatte schon seit Wochen keinen richtigen Appetit mehr gehabt, sogar zu den wenigen Bissen, die sie machte, musste sie sich überwinden. Und da sie ohnehin kaum Geld hatte, wollte sie sich auch nicht selber unnötig quälen.


    Sie nutzte die Zeit von den Märkten bis zur Türe der Casa Helvetia um nachzudenken. Gewiss, ihre Situation war nicht hoffnungslos, aber sie war weit entfernt von einem Zustand, der akzeptabel gewesen wäre. In diesem Moment fiel ihr ein Spruch ein, dem sie bisher nur wenig Bedeutung zugestand. "Erhoffe das Beste, doch sei auf das Schlimmste vorbereitet." Jetzt erst verstand sie ihn. Als sie nur mehr wenige Schritte von der Casa Helvetia entfernt war, blieb sie stehen und setzte sie sich auf eine kleine Bank. Wenn sie kein Geld hatte, musste sie welches verdienen, das war ihr mittlerweile klar und damit hatte sie sich auch schon abgefunden. Allerdings hatte sie kaum etwas gelernt, wie man einen Haushalt führt und den sonstigen üblichen Lehrstoff für Töchter aus gutem Hause. Nein, ihre Lage war wirklich nicht rosig. Sie seufzte, stand wieder auf und ging die letzten Schritte zur Casa ihres Onkels, wo sie an die Türe anklopfte.

  • Falco kam gerade vom Forum zurück. Er lief zu Fuß. Es war nicht weit und er war so oder so schon viel zu sehr verweichlicht. Das Schreiben an den Kaiser hatte er abgeliefert, zum Praetor würde er später noch einmal gehen, bei Geminus Arzt war er nocheinmal. Die Gesundheit würde sich nicht mehr verbessern, egal wo er wäre. Also würde Falco ihn zurück nach Roma holen. Allein seine Anwesenheit, seine Präsenz würde die gens und ihn wieder aufwerten und er könnte in seinem Namen agieren, was ihm mehr Spielraum gab.


    Gerade näherte er sich seinem Domizil, als ihm die reizende junge Frau vor der Türe auffiel. Der Janitor öffnete die Türe gerade schwerfällig, als Falco zu ihr trat und ihn wegwinkte. Die Frau schien etwas verwirrt zu sein.


    "Sei mir gegrüßt. Ich bin Lucius Helvetius Falco. Folge mir! Was kann ich denn für Dich tun?"


    Er stürmte gen Atrium und die Frau folgte ihm zögerlich. Was auch immer sie wollte, sie würde eine Ablenkung darstellen. Und keine notwendig unangenehme, wie er begutachtete.

  • Severina erschrak, als der ihr unbekannte Mann sie gleich ansprach und ins Atrium vorging, wohl eher eilte. In der Tat, sie folgte ihm zögerlich, hallte doch sein Name in ihrem Kopf. Helvetius Falco, der Sohn von Onkel Geminus, der Prätorianerpräfekt, der verschwunden ist bzw. vielmehr war? Er musste es sein, denn sonst hätte ihn der Ianitor nicht reingelassen, geschweige denn sich so einfach wegscheuchen lassen. Erst nach einigem Nachdenken erkannte sie ihn, er hatte sich sehr verändert, fand sie. Seine Gesichtszüge waren sehr hart geworden, oder waren sie das immer schon gewesen und sie erinnerte sich nur nicht wirklich daran?


    "Vielleicht erinnerst du dich an mich." begann sie. Wahrscheinlich hatte er aber keine Ahnung, wusste sie doch selber nicht wirklich, wann sie sich das letzte Mal gesehen haben. "Ich bin Severina, die Tochter von Tacitus und Longina. Ich... Ich wollte eigentlich zu Onkel Geminus."

  • Falco lehnte sich an eine Säule und betrachtete das Grün im Atrium. Er verbrachte viel Zeit damit. Dann schaute er zu dem scheuen Mädchen herüber.


    Severina, Helvetia Severina ...
    Er kannte den Namen wieder, hatte er sich ja jüngst erst erinnern müssen.
    Die Tochter von Tacitus, ja.


    "Severina, ich grüße Dich."


    Seine amourösen Gefühle waren verflogen. Die Familie war heilig, auch wenn es nicht wirklich seine eigene war. Den Bruch mit seiner eigentlichen Familie hatte er ja schon einmal begangen .... er erinnerte sich durchaus gern an die Augusta. Doch er vertrieb den Gedanken sogleich wieder.


    "Ich habe erst heute vom Tode Deines Vaters erfahren. Wir hier in Roma wurden nicht unterrichtet und hatten keine Ahnung. Darum war auch niemand bei seiner Totenfeier."


    Er war sich nicht sicher wie sehr sie auf den Tod ihres Vater emotional reagieren würde. Bei Frauen musste man dabei mit allem rechnen.


    "Ich habe ebenso Post deswegen bekommen, oder besser Du hast. Ich werde Dir das Schreiben später geben. Es geht um Tacitus Nachlass. Ich habe vor deswegen zum Praetor zu gehen, da ich Tacitus Testament, so es eines gibt nicht kenne.


    Und was Geminus angeht ..... der Senator weilt nicht in Roma. Er ist ... krank. Aber ich gedenke ihn wieder heimzuholen.


    Aber was führt Dich nun genau her? Du kannst es mir anvertrauen."

  • Severina war erstaunt. Sie selbst war gerade erst in Rom angekommen, und die Familie wusste schon davon? Als sie ihm weiter zuhörte, dämmerte ihr der Grund für deren Wissen, konnte dies doch nur vom Vigintivir ausgegangen worden sein. Den ganz leisen Vorwurf in den Worten Falcos hörte sie heraus, weswegen sie ihren Blick auf eine Ritze im Marmorboden richtete. "Ich habe euch nicht unterrichten lassen, weil wir zu Gast bei Proconsul Matinius waren, als Vater starb. Es wäre sicher nicht schicklich gewesen, Vater solange im Haus des Proconsuls aufgebahrt zu lassen, bis ihr von seinem Tod erfahren hättet und ... bis ihr dann tatsächlich gekommen wärt." Leise sprach sie den letzten Halbsatz. Hätte sie tatsächlich einen Brief hierher schicken sollen, so wie es der Proconsul ihr vorgeschlagen hatte? Wären dann die Verwandten wirklich gekommen? Wer wäre denn gekommen, wenn kaum jemand aus ihrer Verwandtschaft noch am Leben war? Es wäre zum Heulen gewesen, wenn sie nicht schon die letzten Tage hinweg ihre Tränen vergossen hätte.


    "Was Vaters Nachlass angeht... bitte bemühe dich nicht. Ich war bereits beim Vigintivir Flavius Gracchus und habe ihm Vaters Testament ausgehändigt. Er... er hat sein gesamtes Vermögen dem Proconsul hinterlassen." Und da merkte sie, wie ihr die Tränen wieder in die Augen steigen wollten, doch sie zwang sich zu innerer Ruhe. "Deswegen bin ich hier und wollte zu Onkel Geminus. Geht es ihm gut? Bitte, sag, dass es ihm gut geht!" Sie flehte Falco schon fast an, alles wäre ihr recht gewesen, auch wenn er sie eine dumme Gans nennen würde, weil sie daran zweifelte, die Hauptsache war jetzt für sie, dass es ihm gut ginge.

  • Einen gewissen Biss hatte die Helvetierin also doch. Ihr Vorwurf traf, Geminus hätte die Reise nie machen können und er selbst hätte vieles lieber getan als das. Sich als ein Niemand aus Rom zu entfernen hätte vielleicht seine entgültige Verstoßung bewirkt. Er musste hier bleiben, in der Nähe der Macht, in deren Zirkel er zurück wollte. Diesen Tacitus zu beweinen wäre alles andere als nützlich gewesen. Er war ja mehr Exilant als angesehener Bürger gewesen. Falco wäre sicher auch nicht gefahren.


    "Aber unterrichten hätte man uns können .... es sei denn, Dein Besuch hier ist als Unterrichtung gedacht?"


    Nun fiel ihm erst auf, dass sie ganz allein gereist war, ohne irgendeine Begleitung. Er witterte .... Probleme.


    Bei der Aussage über das Testament zog er eine Augenbraue hoch. Alles dem Proconsul vermacht? Alles? Nichts an einen Verwandten? Sehr merkwürdig. Er würde so oder so zum Praetor gehen. Er wollte sich dieses Testament ansehen, vielleicht ließe es sich ja anfechten. Der Proconsul hatte sicher selbst genug Geld. Und er hatte nichtmal Zugriff auf das Bankfach von Geminus, was er allerdings sehr bald ändern wollte.


    "Dem Proconsul? Ein ehrenwerter Mann."


    Deswegen wollte sie zu Geminus ...... deswegen ..... wegen dem Testament ..... was alles Geld und Gut dem Proconsul gibt. Nun verstand er. Tacitus hatte einige Kinder, die nun eventuell mittellos waren. Er entsann sich nicht was diese für Posten hatten. Und ob sie welche hatten. Möglicherweise erwartete diese Brut nun ausgehalten zu werden. Aber leider wohl zu recht. Auch wenn es ihm nicht gefiel, aber falls es so wäre, dann wäre es eine Familienpflicht. Wenn er doch nur über Geminus Finanzen bescheid wüsste und verfügen könnte. Der Senator hatte seit langem nichts mehr notiert was das anging und der Bankier sagte nichts, gab nichts heraus. Also noch ein Grund mehr an Geld zu kommen.


    Ob es Geminus gut geht ........


    "Nun. Der werte Senator weilt nicht in Rom. Sondern auf dem Land. Zur Genesung. Sein wirklicher Gesundheitzustand ist auch mir nicht bekannt, aber er ist nicht akut lebensbedrohlich, versichern mir die Ärzte. Aber ich werde Titus bald einmal besuchen und ihn wohl wieder nach Rom holen, in den Kreis der Familia."


    Und damit die Ärzte aufhörten Reisekosten geltend zu machen.


    "Es geht ihm also ..... soweit ..... ganz ....... gut."


    Weiter heucheln konnte er nun wirklich nicht um eine Heultirade zu unterdrücken, die er bei ihr kommen spürte. Falco war selber gespannt darauf, wie es Geminus derzeit wohl ginge. Doch waren seine Hoffnungen etwas anders als die von Severina. Nicht, dass er sich ihn totkrank wünschte, keinenswegs, er brauchte ihn ja, aber kontrollierbar.

  • Severina konnte nur schwer einen erleichterten Stossseufzer aus ihrer Brust unterdrücken, doch sichtbares Zeichen ihrer Entspannung war nun tatsächlich ein kleines Lächeln, das sich in ihr Gesicht hineinmogelte. Nicht alle Verwandte starben, sie war nicht allein auf dieser Welt. Noch nicht. Denn so überragend toll hörte sich der Zustand ihres Onkels auch nicht an. Wie gut es ihm wohl wirklich ginge? Irgendwie hatte sie das Gefühl, als würde Falco schon die Wahrheit sagen, aber dieses gewisse Timbre in seiner Stimme verunsicherte sie. Das und der Schlagabtausch, den sich die beiden vorhin gegeben hatten. Es stimmte ja, sie hätte den Brief schreiben können, aber sie wollte so schnell wie möglich weg aus Hispania zurück nach Rom, wozu dann einen Brief schreiben?


    "Gleich nach Vaters Beerdigung reiste ich von Hispania ab, ich wollte nicht die Geduld des Proconsuls über Gebühr beanspruchen. Der Proconsul war so nett, mir etwas Geld für die Überfahrt zu leihen, daher kam ich auf direktem Wege nach Rom." Sie seufzte ganz leicht. "Zwischen meiner Ankunft in Rom und meinem Erscheinen hier steht nur der Besuch beim Vigintivir Flavius Gracchus."


    Und ihre dringendsten Fragen waren keineswegs gelöst. Severina wusste zwar nichts von Falcos Gedanken, doch tatsächlich, sie hoffte auf Aufnahme. Und sie schwor sich, niemals wieder in so eine deplorable Lage zu kommen, nie wieder auf finanzielle Unterstützung anderer hoffen zu müssen. Sie hatte zwar noch keine Ahnung, wie sie ihr eigenes Vermögen aufbauen sollte, war ihr doch der Dienst am Volk durch ihr Geschlecht, wirtschaftliche Aktivitäten hingegen durch ihre diesbezüglich mangelnde Bildung und ihre Erziehung verwehrt.

  • Das mit dem Testament würde er klären. Und Geminus nach Roma holen, das würde hoffentlich einige Probleme beseitigen und ihm wieder ein wenig Oberwasser verschaffen. Und das Mädchen .... es sollte erstmal hierbleiben, so es das will. Er würde später schauen was für Folgen das haben würde.


    "Ich verstehe. Halten sich nicht noch weitere Helvetier in Hispania auf? Wie geht es denen?"


    .... etwas Geld zu leihen. Falco spürte die Summe an sich hängen bleiben.


    Falco wollte heute noch unbedingt zum Praetor und die Reise zu Geminus antreten, um diesen zu holen. Und die Zeit drängte, im kleinen .... und im großen Rahmen.


    "Severina. Ich muss noch einmal in die Stadt. Ich lasse Dir ein Zimmer im Haus bereiten. Ebenso werde ich Rom kurz verlassen um den Senator wieder nach Hause zu holen. Dann werden wir uns eingehender unterhalten und gemeinssam entscheiden, was zu tun ist."


    ... so Geminus dessen noch fähig war.


    "Die Sklaven werden Dir folgen. Wenn Du etwas wünschst, so richte diesen Wunsch an Musa, meinen Maiordomus. Ich werde bald wieder da sein!"

  • Severina schüttelte den Kopf. "Ich weiss es nicht." antwortete sie wahrheitsgemäss. "Nur Gabor soll noch in Hispania sein, aber wo er ist, weiss ich nicht. Ich..." Sie stockte, wusste sie doch nicht, wie sie auch das mit Gabor bloss formulieren sollte. Nein, sie konnte es nicht sagen, sonst würde er sie glatt sofort hinausschmeissen. "Ich habe Agrippa gebeten, er möge Gabor irgendwie ausfindig machen. Er weiss ja selber noch nichts von Vaters und Mutters Tod."


    Innerlich frohlockte sie, als sie hörte, sie bekäme ein Zimmer, hier, in diesem Hause. Das bedeutete, sie hatte eine Unterkunft... und auch wieder eine Zukunft, vielleicht. Jedenfalls waren ihre dringendsten Probleme zumindest für den Moment gelöst. "Ich danke dir. Ich werde dir auf ewig dankbar sein." Genauso war dies gemeint. Falco war in ihren Augen sicher kein strahlender Held aufgrund seiner Worte und sicher auch keine Vaterfigur, aber er hatte sie doch in gewissem Sinne gerettet. "Ich werde auf deine Rückkehr und auf die von Onkel Geminus warten."

  • Sie wusste es nicht. Gabor, ihr Bruder, wenn er sich richtig erinnerte.


    "Er weiß es noch nicht? Na dann. Möge der Proconsul ihn finden."


    Nicht ausfindig zu machen? Wie verschwand man denn spurlos? Das klang suspekt.


    "Ach was, Du gehörst zur Familia und da hilft man sich. Also fühle Dich nicht verpflichtet, Du bist willkommen."


    Zutreffend, aber eine Floskel. Und doch fand er das Mädchen nicht unangenehm. Sie würde das Haus sicher beleben. Wenn es auch noch einiges ... seltsames um sie herum gab. Aber das war in Tacitus Umfeld nie anders gewesen. Falco hatte geheime Berichte über ihn gelesen, die nicht unbedingt stets erfreulich waren. Warum sollte seine Tochter also weniger ... "schwierig" sein?


    "Ich werde nicht lange fort sein!"


    Sprachs und verließ kurz danach das Haus, um den Praetor Urbanus aufzusuchen.

  • "Möge der Proconsul ihn finden." hallte es in ihren Ohren nach. Sie war sich sicher, es war Falco im Grunde egal, ob Gabor auftaucht oder nicht. Es war für ihn sicher nur ein Lippenbekenntnis. Sie selbst konnte jedoch selbst dieses Bekenntnis nicht aussprechen, denn wenn es wahr war, was der Proconsul ihr erzählt hatte, wäre es besser, Gabor würde nicht gefunden werden. Die Schande wäre zu gross.


    Gleich, nachdem Falco das Haus verlassen hatte, war eine Sklavin zu ihr getreten und hatte sie nach ihren Wünschen befragt. Da sie gerade erst spürte, wie gross ihr Durst war, bat sie um einen Becher sehr stark verdünnten Weines, welcher ihr auch gleich gegeben wurde. Schnell war der Becher geleert, aber noch schneller wieder aufgefüllt, doch diesmal war ihr schlimmster Durst gestillt, daher konnte sie sich in Ruhe umsehen und das Atrium begutachten. Es war nach typisch männlichem Geschmack eingerichtet, befand Severina, ein untrügliches Zeichen der Abwesenheit einer Frau, sieht man von den Sklavinnen ab. Vor allem Blumen fehlten, gerade jetzt, wo der Frühling kam, sollten Blumen das Haus verschönern. Doch bevor sie weitere Überlegungen anstellen konnte, kam eine Sklavin zu ihr und führte sie in ihr neues Zimmer.

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