Plutarchs Reisen | Das Hafenbecken

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    Nachdem wir den Pharos hinter uns gelassen hatten, befand sich unser Schiff im Becken des großen Hafens von Alexandria. Wer jetzt ein normales Hafenbecken erwartete, der irrte sich: Der große Hafen, eine viereckige Wasserfläche, abgegrenzt von der Insel Pharos im Norden, der Halbinsel Lochias mit den alten Palästen der Ptolemäerkönige im Osten und der Stadt im Süden gleicht an Größe fast schon einem eigenen Meer. Wegen ihrer Form hatten ihm die Alexandriner scherzhaft den Namen "Kibotos" verpasst, was "Kasten" heißt.


    Auch um diese Tageszeit war unser Schiff nicht alleine: Überall leuchteten die Lichter anderer Schiffe auf dem Wasser wie dutzende von Öllampen in einem Teich: Große, bauchige Handelsfrachter und wendige Galeeren sowie kleine Fischerkähne und die schnellen und wendigen Lotsenschiffe, die benötigt wurden, um die Ordnung in diesem riesigen Hafenkomplex aufrecht zu erhalten, was nicht leicht war, da vor allem die zahlreichen kleinen Fischerboote nicht leicht zu kontrollieren waren.
    Aber auch Vergnügungsschiffe konnte ich ausmachen, in denen sich betuchte Einwohner der Stadt und Touristen wie ich bei Speisung, Trank und Unterhaltung der Romantik des Hafens bei Nacht frönten.


    Und auch außen herum leuchtete es von allen Seiten: Die Ausmaße der Stadt mussten wahrhaft gigantisch sein: Sie verdeckte das gesamte sichtbare Festland. Und auch die Insel Pharos und die vor uns im Hafenbecken liegende Insel Antirhodos, so genannt wegen ihrer geographischen Lage direkt gegenüber der Insel Rhodos, leuchteten und glitzerten aufgrund der kleinen Siedlungen und Heiligtümer, die sich dort befanden.


    Ich versuchte, das Heptastadion im Westen auszumachen, eine circa 2 km lange künstliche Brücke vom Festland zur Insel Pharos, konnte es aber bei Dunkelheit nicht erkennen, ich werde es mir aber sicher beizeiten bei Tage anschauen können.


    Unser Lotsenschiff gab dem Kapitän ein Zeichen, ihm zu einem freien Kai zu folgen und während ich ganz gebannt war von der Pracht dieser Stadt, die man an Schönheit und Maß wohl nur mit Rom oder Antiochia vergleichen konnte, näherte sich das Schiff seinem Bestimmungsort...

  • Bei all der Schönheit und Imposanz, die das Hafenbecken ausstrahlt, muss ich dennoch auf ein paar Wunder zu sprechen kommen, die leider dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen sind: Die legendäre Prunkflotte der Lagidenkönige oder Ptolemaier.


    Die Herrschaft dieses mazedonischen Königsgeschlechtes, welches fast 300 Jahre lang die Geschicke Ägyptens lenkte, erstreckte sich nämlich nicht nur über das Festland. Berühmt, berüchtigt und gefürchtet waren diese Herrscher vor allem wegen ihrer Kriegsflotte, die lange Zeit als die Größte und Beste der Welt galt. Sogar Iulius Caesar hatte noch seine rechte Mühe mit ihr, und das war bereits zu einer Zeit, in der das Ptolemäerreich seinen Zenit schon längst überschritten hatte, während der Stern Roms bereits hoch und hell am Himmel strahlte.


    Um diese Herrschaft über die See zu verdeutlichen, ließen sich die Könige repräsentative Prunkschiffe bauen. Vor allem Ptolemaios IV. Philopator tat sich dabei besonders hervor. Er ließ sich eine Seegaleere bauen, die eine Länge von 130 Metern, eine Breite von 20 Metern und eine Durchschnittshöhe von 30 Metern besaß. 6280 Mann und 400 Sklaven, deren einziger Zweck es war, die Ansprüche des Königs zu erfüllen, hielten sich dauerhaft auf diesem Monstrum auf. Über fünf Etagen lenkten 400 Ruder das Schiff, welches weniger ein Kriegsschiff, sondern ein riesiger Palast war. Auf dem Schiff gab es eine Bibliothek, ein Garten mit einem Schwimmbasin und einen riesigen Prachtsaal.


    Ein weiteres Kunstwerk, kleiner zwar und nur für die Nilfahrt geeignet, war die "Thalamegos", das Schiff seiner Gemahlin Arsinoë III., ein 100 Meter langer Katamaran, der die andere Galeere an Pracht weit in den Schatten stellte. Dieses Schiff versuchte erst gar nicht, den Eindruck zu erwecken, es sei etwas anderes als ein schwimmender Palast: Auf der Grundfläche stand einfach ein zweistöckiges Gebäude, ganz aus bunt bemalten Marmor, verziert mit den schönsten Malereien, Mosaiken und Kunstgegenständen aus Gold, Silber, Elfenbein und Edelhölzern. Es besaß mehrere große Empfangsräume in ägyptischem, griechischem und indischem Stil und war mit allen technischen Raffinessen ausgestattet: Es gab zahlreiche Springbrunnen und eine Windmaschine, die auch noch bei größter Hitze kühle Luft durch das Schiff blies. Die Thalamegos kann man noch heute im Hafenbecken bestaunen.


    Das dritte Schiff in der Sammlung des Ptolemaios IV. schließlich war eben jenes Schiff, das Archimedes für den Tyrannen von Syrakus, Hieron II., konstruiert hatte. Dieses Schiff wurde oft als das "achte Weltwunder" bezeichnet: Was dieses Schiff so bewundernswert machte, war weniger die Größe, sondern die Aufmachung: Es war eine schwimmende Festung. Die acht Masten des Riesen waren fünfstöckige Verteidigungstürme und in der Mitte stand ein mit Kupfer gepanzerter mastähnlicher Aufbau, auf dem eine Götterstatue thronte, die einen riesigen, beweglichen Hohlspiegel hielt. Dieser konnte die Sonnenstrahlen bündeln und so feindliche Schiffe in Brand setzen.


    Daneben diente dieses Schiff als Laboratorium: Es beherbergte eine große Bibliothek und zahlreiche astronomische Messinstrumente für Forschungsreisen. Und auch als Frachter diente es: ca. 4200 Tonnen fassten die Ladungsräume.


    Aber diese Schiffe hatten allesamt ein Problem: Kaum ein Hafen auf der Welt war in der Lage, sie aufzunehmen. So endete die Ära der Riesenschiffe so schnell wie sie begonnen hatte.

  • Nachdem das Schiff an einem großen Kai neben vielen anderen Schiffen vertäut wurde, was durch laute und ruppige Schreie der Matrosen geschah und die Planken herunter gelassen wurden, verabschiedete ich mich freundlich vom Kapitän und den restlichen Offizieren und wünschte ihnen viel Glück bei ihrer weiteren Reise. Doch der Kapitän schmunzelte nur und meinte:


    "Oh nein, bei Hermes, ich wünsche dir viel Glück, du wirst es wirklich brauchen in dieser Stadt."


    Aber mir als weltgewandten Mann brauchte er so etwas natürlich nicht zu sagen. Auf die Tücken der Großstadt war ich bestens vorbereitet.


    Worauf ich allerdings weniger vorbereitet war, war der Trupp römischer Soldaten, der auf einmal schnell und martialisch das Schiff stürmte. Befehle auf Latein, Griechisch und in schlechterer Aussprache in vielen anderen Sprachen wurden gebrüllt, die den Passagieren bedeuteten, dort zu bleiben, wo sie sind.


    Ich bekam es regelrecht mit der Angst zu tun. War der Kapitän ein Schmuggler oder hatte er irgendwas verbrochen? Ich schaute zum Kapitän hinüber, der aber damit beschäftigt war, einem Centurio der Hafenwache über irgend etwas Rede und Auskunft zu stehen, während ein Scriba alles gewissenhaft festhielt. Immer mehr Soldaten stürmten das Schiff. Einige verschwanden unter Deck, vielleicht um das Gepäck zu konfiszieren und andere machten sich daran, ein paar verdächtige Passagiere zu durchsuchen und zu befragen.


    Zum Glück bemerkte ein neben mir stehender Mitreisender, ein freundlicher Sarmather aus Chersonesos, meine Angst und erklärte mir, dass dies nur die übliche Einreiseprozedur war. Der Kaiser gab nämlich besonders Acht darauf, welche Personen und Waren in Ägypten ankamen und Ägypten wieder verließen. Das waren aber nur Formalitäten und wer nichts zu verbergen hatte, hatte auch nichts zu befürchten. Diese Nachricht beruhigte mich etwas.

  • Einige Zeit des Wartens auf dem Schiff verging. Die Waren wurden ausgeladen und von den Soldaten kontrolliert, einige Reisende durchsucht und der Rest, zu dem auch ich gehörte, stand einfach nur sinnlos und dumm auf dem Deck herum. Endlich brüllte ein Centurio:


    "Alle Passagiere mitkommen zur Hafenkommandantur!"


    und die Soldaten machten sich daran, die Passagiere zu ordnen, es begann ein Geschubse und Gedränge. Unser Reisegepäck durften wir nicht Ich hatte schon von dem seltsamen Brauch gehört, dass in Alexandria alle Schriftrollen beschlagnahmt und kopiert wurden. Die Originale wurden der Bibliothek des Museions übergeben, die Kopien konnte man, wenn man lange genug in der Stadt verweilte wieder zurück kriegen. Als Freund der schönen Künste hatte ich natürlich daran gedacht, auch einige Werke aus meinem Besitz mitzunehmen, denn die Bereicherung der Bibliothek erschien mir als ehrenvoll. Lächelnd nickte ich dem Sarmather zu. "Na dann ist ja alles klar.", meinte der.


    Langsam bewegte sich die Schlange vom Schiff weg über den endlos langen Hafenkai. Das Gehen auf festem Boden war etwas ungewohnt nach so langer Zeit auf See. Dann stand ich auf einmal in einer Schlange.


    "Jetzt kommt die Personenkontrolle.", meinte der Sarmather. "Die fragen jeden ganz genau. Das kann dauern." Das wiederum ärgerte mich, denn langsam war ich echt erschöpft und wünschte mir nichts anderes als ein warmes, weiches Bett. Langsam, wirklich sehr langsam ging die Schlange voran, als ich endlich an die Reihe kam.


    Im Officium der Hafenkommandantur stand ich vor einem Legionär und einem Scriba mit Schreibpult.


    "Name?", schnauzte mich der Legionär an.


    "Plutarchos, Sohn des Autobulos."


    "Herkunft?"


    "Chaironeia in Böotien."


    Ich hatte gehofft, dass mein guter Name den Zöllner vielleicht etwas milder stimmen würde, aber dem war nicht so. Lange musste ich noch eine peinliche Befragung über mich ergehen lassen, was ich in der Stadt mache, wie lange ich bleiben wolle, ob ich vorhatte, mir in Ägypten eine Arbeit zu suchen, ob ich vorhatte, weiter zu reisen, ob ich römischer Bürger und Senator wäre, ob ich vorhatte, etwas gegen den Kaiser zu unternehmen, ob ich was zu verzollen hatte und dergleichen mehr.


    Irgendwann wurde ich dann doch raus gelassen. Erleichtert atmete ich die freie Luft Alexandrias ein!

  • Lange hielt meine Erleichterung aber nicht an, denn kaum, dass ich aus der Wache war, stürzten hunderte von Männern, Frauen und Kindern, wie mir schien, auf mich zu, betatschten mich und verfolgte mich mit jedem Schritt. Diese Meute schien nur auf mich gelauert zu haben, um mich in irgendeiner Form des Handelns um mein Geld zu erleichtern: Manche priesen ihre Dienste als Reiseführer, manche kannten eine gute Herberge oder ein gutes Lokal, manche hatten ein Fuhrwerk für mich, manche verkauften kleine Naschereien, Brot und Bier und wertlosen Tand, der in den vielen Manufakturen des Landes für die Massen an Touristen produziert wurde, damit diese sich zuhause ein Stück Ägypten in ihr Atrium stellen konnten. Dennoch beschloss ich, mir einen Moment Zeit zu nehmen um das Treiben am Hafen zu betrachten.


    Hier am Hafen schien sich die Situation nicht zu bessern: Egal wo ich hinging, überall priesen und lobten Händler im Schein ihrer kleinen Öllampen allerlei Nippes: Ketten, Amulette, Schutzzauber, schlecht gearbeitete Kopien ägyptischer und griechischer Kunstwerke, bunte Tücher und Teppiche. Dazwischen immer wieder Akrobaten, aber auch gewöhnliche Bettler, Verstümmelte und Kranke. Solche Art von Nepp kannte ich zur Genüge aus fast jeder größeren Stadt, in der ich jemals war.


    Die meisten Händler hier schienen auch keine Konzession zu haben, denn sobald eine Patrouille erschien, waren die Sachen eingepackt, die Stände abgebaut und die Besitzer verschwunden, als wären sie nie da gewesen, nur um einen Moment später wieder am gleichen Ort zu sitzen und zu schreien, als wäre nichts geschehen.


    Obwohl mich der Lärm und das Geschrei der vielen Leute betäubte und meine Sinne trübte, versuchte ich, Ruhe zu bewahren und ging gelassen weiter. Ich schaute die Gesichter der Verkäufer genauer an: Meistens waren es Ägypter, aber auch Äthiopier und andere waren darunter, ausgemergelte Körper, Dreck verkrustet, Kinder bis zu alten Greisen. Allesamt krakeelten sie ein gebrochenes Griechisch. Zweifellos die Ärmsten der Stadt, die sich hier an den Reisenden ihr bescheidenes Einkommen verdienten. Und immer wieder sah ich auch Reisende, die die Waren begutachteten und für einen Spottpreis kauften, um ein gutes Schnäppchen zu machen. Die Händler ließen sich einfach herunter bieten, die meisten waren wohl froh, irgendwas zu verkaufen.


    Dennoch wechselte ich ein wenig Geld bei einen zwielichten Geldwechsler und kaufte mir einen kleinen Imbiss, denn ich war sehr hungrig von der Reise. Dann ging ich weiter und suchte mir einen mietbaren Sänftenträger, der mich zur Haus eines Freundes bringen sollte, ein kluger Mann sorgt nämlich vor, wo er im Ausland schläft. Nur so kann er nämlich unbequeme und gefährliche Schlafsäle, harte Strohmatten, Wanzen, Flöhe und Läuse vermeiden.


    Die Sänfte erhob sich und durch das Mondtor, eines der vier Tore der Stadt, welches sich im Norden am Hafen befand, hindurch bewegte sich mein Gefährt über den Argeus-Boulevard hin zu meinem Bestimmungsort.


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