Plutarchs Reisen | Das Haus des Hegesias

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    Nachdem ich mich durch die halbe nächtliche Stadt transportieren ließ (es dauerte ziemlich lange, da der Fahrer, ein ausgebufftes Schlitzohr, meine Ortsunkenntnis ausnutzte, um den Weg und damit das Fahrgeld künstlich zu erhöhen), erreichte ich endlich das Haus meines alten Freundes Hegesias, den ich noch aus Athen kannte.


    Hegesias hatte es im Laufe seines Lebens anscheinend zu Geld gebracht, denn das Stadthaus, in dem er wohnte, lag in einer der reicheren Gegenden des Brucheions, des alten Alpha-Bezirkes der Stadt, ganz in der Nähe des Stadtzentrums. Es handelte sich dabei um ein dreistöckiges, großes Haus, dass den anderen Häusern der Phratrie verblüffend ähnelte. - Phratrie ist die alexandrinische Bezeichnung für einen Häuserblock. 720 Phratrien bilden eine Deme (Gemeinde), 12 Demen eine Phyle (Stadtviertel) - Die Fassade des Hauses war reich durch Stuck und Arkaden verziert, die ein paar Läden beherbergten, welche um diese Uhrzeit allerdings alle schon geschlossen waren. Nur drei Häuer weiter schien noch Licht auf die Straße. Den Lauten dort nach zu urteilen, handelte es sich wahrscheinlich um eine Taverne.


    Trotz der gleichförmigen Architektur der Häuser - für die Griechen gilt ein einheitliches Stadtbild als die ästhetisch ansprechendste Form der Polisarchitektur- sahen diese Häuser im Inneren keineswegs alle gleich aus.
    Im Gegenteil: Das eigene Haus war ein wichtiges Statussymbol für den Alexandriner und jeder Hausbesitzer setzte alles daran, seinen Wohnraum so zu gestalten, wie er es am liebsten mochte. Deswegen ragten kleine Türmchen aus dem Block und die ursprünglich quadratischen Grundhäuser waren schon lange miteinander verschmolzen, die Wohnungen verteilten sich chaotisch und ohne Ordnung im Kern des Häuserblockes.
    Hegesias konnte es sich anscheinend sogar leisten, zwei nebeneinander liegende Häuser zu kaufen und hatte eine Wohnung daraus gemacht.


    Für die Hellenen ist das Haus übrigens im Gegensatz zu den Römern vor allem ein privater Raum. Das Atrium dient nicht dem öffentlichen Empfang und die Hausbesitzer haben ihre Arbeitsräume woanders in der Stadt. Gäste kommen nur auf Einladung hinein. Zum Glück hatte ich in diesem Fall eine solche per Post bekommen. Deshalb trat ich vor das Tor zum Innenhof und klopfte laut an. Eine andere Eigenart ist die, dass Männer und Frauen getrennte Wohnbereiche haben.

  • Dann öffnete mir der Hausherr höchstpersönlich die Türe. Etwas irritiert musterte er mich zuerst. Dann schien er sich wieder zu erinnern und sein Gesicht erhellte sich:


    "Nein! Plutarchos! Chairon, alter Freund! Das ist aber eine Überraschung! Komm nur rein! Was führt dich nach Alexandria?"


    Er umarmte mich und küsste mich von allen Seiten ab. Ich wurde sofort durch einen Flur in den Oikos des Hauses (so nennen die Griechen ihren Atriumshof) gedrängt und ausgefragt, was ich die ganze Zeit getrieben hatte und so weiter. Dann führte er mich durch das ganze Haus, in Umwegen, schien mir, denn wahrscheinlich wollte er mit seinem relativen Reichtum Eindruck schinden ins Speisezimmer geführt, wo ich mich auf eine Kline legte. Ohne Widerspruch ließ ich alles über mich ergehen. "Du brauchst sicherlich eine Stärkung, mein Lieber!" meinte Hegesias und ich wagte nicht, ihm zu erklären, dass ich schon am Hafen gegessen hatte.
    Man servierte uns Wein, Wasser und eine Mischung aus Honig, Harz und würzigen Kräutern, um den Wein nach Geschmack individuell zu verfeinern. Die Honigmischung war ein typisches Beispiel der von den Römern so verpönten dekadenten Lebensart der Griechen, welche für die Griechen selbst jedoch als Tugend gilt. Er erzählte mir, dass er jetzt Agoranom der Stadt sei und deshalb viel zu arbeiten hatte, weswegen er noch wach war.


    Hegesias war älter geworden, das fiel mir sofort auf. Älter und wohlhabender. Die Haare waren nicht mehr dicht und schwarz, dafür aber von einen Experten fein gelockt und drapiert. Die dick aufgetragene, ganz ungriechisch bunt gestaltete Schminke in seinen Gesicht konnte die Falten nicht ganz verbergen. Ja, die Schminke: Eine vornehme Römerin würde vor Neid erblassen. Er hatte sich auch einen Philosophenbart wachsen lassen um seine Bildung zu symbolisieren, ein prächtiger Vollbart, ebenso gut gepflegt wie die Haare. Unter seinen feinen Gewändern zeichnete sich eine Wohlstandswampe ab


    Gut ist, dass er an diesem Tage wohl viel Arbeit hatte und deshalb erst kurz vor mir nach Hause gekommen war, sodass ich gleich ein Exemplar eines Alexandriners in voller Parademontur begutachten konnte: Die Stirn schmückte ein weißer Haarreif. Er trug eine violette Tunika aus Seide, die reich mit Pflanzenornamenten bestickt war. Das Violett sollte wohl Purpur imitieren. Darüber trug er immer noch seinen weißen Chiton, die griechische Toga, die leichter anzulegen war als ihr römisches Gegenstück. Auch dieser war fein gewebt und mit schimmernden Mustern an den Rändern versehen.


    Unterschied ihn seine Kleidung eigentlich wenig von den meisten Männern Griechenlands, so setzte er sich vor allem durch seinen Körperschmuck ab: Die Finger waren überfüllt mit Ringen, Armreifen bedeckten seine Oberarme und Handgelenke und um den Hals hatte er ein wüstes Sammelsurium von Ketten, Amuletten, Glücksbringern und magischen Gegenständen verschiedenster Formen und Arten. Ich konnte auch ägyptische und persische Formen ausmachen. Manche der Amulette waren wirklich merkwürdig, zum Beispiel eine kleine Glasflasche an einen Lederband mit einer roten Flüssigkeit und ein anderer Behälter mit irgendeiner kleinen Papyrusrolle dahin, was mir sehr nach exotischem Zauberwerk aussah.


    Zu erwähnen wäre noch, dass er sehr penetrant nach irgendwelchen edlen Parfümen und Essenzen roch.

  • Das Haus des Hegesias war sehr groß, geräumig und repräsentativ ausgestattet: Die Wände waren von offenkundigen Meistern ihres Faches mit lebhaften Bildern, Landschafts- Meeres- und Theaterszenen bemalt. Es gab große Hallen, Perystile, Brunnenspiele und Plastiken verschiedenster Art. Um den Oikos herum erhob sich der dreistöckige Bau.


    Das Erdgeschoß beherbergte vor allem die Werkstatt eines Schusters und eine Taverne, die die von Hegesias gepachtet wurde. Hegesias selbst verdiente kein Geld mit Handwerk, denn solche Berufe schickten sich nicht für einen vornehmen Bürger. Ansonsten beherbergten die Räume die Familiengemächer wie den Speisesaal, die Küche, das Bad und die Quartiere der wenigen Sklaven. Im ersten Stock lebten die männlichen Mitglieder der Familie und der zweite Stock war für die Frauen reserviert. Im dritten Stock hatten ein Maler und ein Bildhauer ein Atelier.


    Einen Römer hätte es wahrscheinlich verwundert, wie wenige Menschen in diesem großen Haus wohnten. Im Gegensatz zum römerischen Gegenstück war das Haus nämlich nicht öffentlicher Treffpunkt und Lebensraum der gesamten Großfamilie mit Sklaven, Bediensteten und Klientel, sondern ein Ort privater Abschottung vom öffentlichen Leben. Hier wohnten nur Hegesias, seine Frau Kassandra, seine vier Kinder und zwei Sklaven. Die Werkstätten im Erdgeschoß hatten keinen Zugang zum Rest des Hauses und auch die Künstler erreichten ihren Arbeitsplatz durch eine Freitreppe von außen.


    Es lohnt sich sicher, noch einen Blick auf Castor und Pollux, die beiden Sklaven zu werfen: Zwei Äthiopier mit anmutigen und schönen Körperformen. Sie trugen beide aufwändige und exotische Fantasiekleidung, die wohl afrikanisch wirken sollte, aber für den Kundigen eine wüste Mischung verschiedenster Trachten darstellte. So zierte zum Beispiel beide ein persischer Turban, weite Partherhosen und ägyptische Pantoffeln. Die in den Stoff gewebten golden schimmernden Muster hingegen waren eindeutig griechischen Ursprungs. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, sie wären neben den Bildern, Statuen und Mosaiken nur zwei weitere Kunstwerke im Haus. Zwar wurden Familie und Gäste von ihnen bedient, ansonsten hatten sie aber nicht viel zu tun, fast als wollte man ihre Schönheit nicht zerstören. Die Familienmitglieder legten viel mehr selbst Hand an oder leisten sich Bedienstete, die nach Verrichten der Arbeit wieder in ihre eigenen Häuser zurückkehrten.


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