Plutarchs Reisen | Das Gymnasion

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    Nach einiger Zeit des Wanderns über den Meson Pedion erreichte ich eine weite Gebäudewand, die ich sofort als Gymnasion erkannte.


    Zwar war ich nicht mehr unbedingt der Jüngste, aber als alter Grieche interessierte mich von den vier Gebäuden des Zentrums natürlich das Gymnasion. Ein kritischer Blick auf meine Wasseruhr iüberzeugte mich davon, dass noch genug Zeit sei, um vor dem Treffen mit Hegesias, mit dem ich zu Mittag verabredet war, mich noch ein wenig sportlich zu betätigen. Ich ging zum Eingang und studierte erst einmal gründlich die aushängenden Regelungen der hiesigen Schule. Denn obwohl es in jeder Stadt zumindest ein Gymnasion gab, hatte jedes einzelne einen eigenen Regel- und Verhaltenskatalog. Und was in der einen Stadt erwünscht war, konnte schon ein paar Kilometer weiter streng verboten sein.

    Nachdem ich meinte, mich ausgehend informiert zu haben, (Musik stand hier zum Glück nicht auf dem Unterrichtsplan) betrat ich die Palästra, das Hauptgebäude des Gymnasions. Hier gab es um einen zentralen Raum gruppiert unzählige verschiedene Räume. Zum Beispiel das Büro des Gymnasiarchen, den obersten Beamten der Stadt, der ähnliche Aufgaben hatte wie der römische Tribunus Plebis, sich aber auch um die Einhaltung der Geschäftsordnung und die Pflege des Gymnasions kümmerte. Das allein zeigt schon, wie wichtig das Gymnasion den Griechen ist.
    Aber auch eine großzügige Thermenanlage konnte ich sehen, die die Römer erbaut hatten. Damit musste ich mir auch keine Sorgen mehr machen, total verschwitzt und stinkend vor Hegesias zu erscheinen.


    Bevor ich mich der Leibesertüchtigung widmete, wollte ich mich aber dennoch ein wenig im Gebäude umschauen. Gymnasien hatten wirklich eine magische Anziehungskraft für mich. Schließlich war das Gymnasion nichts geringeres als die öffentliche Lehranstalt einer Stadt. Hier lernten die Kinder alles, was man so im Leben brauchte: Lesen, Schreiben, das Rezitieren der Klassiker, Musik und natürlich Sport. Diese Tradition hat sich aus der Vorzeit unseres Volkes erhalten, als die einzelne Polis sich noch selbst militärisch verteidigen musste.


    Ich betrat zuerst die große Halle der Palästra. Dort lasen die Schüler gerade zusammen mit einem Paidagoigos Homer. Ich stellte mich an den Rand des Peristyls und hörte gespannt zu, wie sich die jungen Knaben so machten...

  • Die Schüler im Raum waren allesamt Heranwachsende, so zwischen 14 und 19 Jahren. Neben dem Pädagogen gab es noch mehrere Paidiotriben, Angestellte, die darauf achteten, dass die Schüler wirklich aufmerksam folgten. Taten sie es nicht, wurden sie von den Paidiotriben angemessen, also mit Rügen, kleinen Stupsern mit dem Stock, Aufgaben oder Arrest, bestraft.


    Man muss allerdings noch einmal erwähnen, dass der Unterricht, welcher von den Griechen Ephebie genannt wird, nicht an allen Gymnasien gleich verläuft. Auch die einzelnen Gymnasien kennen keinen festen Lehrplan oder so. Das alles ist davon abhängig, wieviel Personal zur Verfügung steht und was der Gymnasiarch, der die Spesen zahlt, sich alles leisten kann. So stellt der Gymnasiarch für jeden Tag einen neuen Lehrplan zusammen.


    Neben der Grundausbildung durch die Pädagogen versucht ein guter Gymnasiarch aber auch, ab und zu andere, speziellere Lehrmeister einzuladen, um den Unterricht abwechslungsreicher zu gestalten. Je nach Lage und Größe der Polis können das Wandergelehrte, umherreisende Dichter und Philosophen, gerade in der Stadt weilende Musiker oder Athleten sein.


    Diese Sondervorstellungen sind meist gut besucht, denn auch die erwachsenen Bürger der Polis sind angehalten, so oft wie möglich ins Gymnasion zu kommen um die Kinder mit ihrem Rat und ihrer Erfahrung zu unterstützen. Und es ist klar, dass das Interesse am Beisein im Unterricht besonders groß ist, wenn sich ein weit bekannter weiser Mann oder ein berühmter Athlet im Gymnasion die Ehre gibt. Die Schüler mögen diese Stunden in der Regel auch gerne, denn für sie hieß es meistens: nur Schweigen und Zuhören und nicht Lernen und: kein Ärger von Seiten der Lehrer. Außerdem sorgt so ein Auftritt immer für Abwechslung im tristen Schulalltag.


    In einer so großen und berühmten Stadt wie Alexandria kann man dem entsprechend natürlich annehmen, dass solche Sondervorstellungen besonders oft an der Tagesordnung sind und der Unterricht auch sonst herausragend verläuft.


    Nicht nur die Art des Unterrichts ist verschieden, auch das Alter der Epheben und die Dauer der Ephebie sind nicht genau festgehalten. Im Prinzip kann jeder kommen und teilnehmen. Es gibt keine formelle Aufnahme und keinen formellen Abschluss. Aber wer die Ephebie durchgemacht hat, wird von allen Griechen der Welt als gleichwertig anerkannt, egal wie lange und egal, in welcher Stadt.

  • So beobachtete ich das Lernen eine Zeit lang und sinnierte. Da kam mir eine Idee: Wenn ich mich gerade in der Stadt aufhielt, dann könnte ich doch den Unterricht hier genauso gut unterstützen und ebenfalls einen kleinen Beitrag hier halten. Ich beschloss diesbezüglich, gleich nach dem Unterricht den Gymnasiarchen zu konsultieren.


    Im Geiste rückte ich mir schon eine Rede zurecht: Zu den griechischen Tugenden werde ich die jungen Epheben auf jeden Fall anhalten, dachte ich mir. Und ihnen natürlich von den richtigen Sitten erzählen. Das war das Grobgerüst, das auf keinen Fall fehlen durfte. Denn einzig und allein das war der Zweck des Gymnasions: Nicht ein gesunder Geist im gesunden Körper, wie der Römer vielleicht glauben mag. Bildung und Sport waren nur nebensächlich. Worum es eigentlich ging, war die Erziehung des jungen, unbedarften Menschen zum echten und vollwertigen Griechen.


    Die Kinder sollten Werte erhalten! Sie sollten lernen, wie man richtig spricht und wie man sich richtig verhält. Welche Kleidung wie wo angemessen ist und was man wo sagen darf und was nicht. Darüber hinaus wurden sie mit allen Bereichen des öffentlichen Lebens vertraut gemacht.


    Deswegen war die Ausbildung im Gymnasion immer nur ein Teil der Ephebie. Außerhalb des Gymnasions ging die Ausbildung weiter: Die Epheben wurden verschiedenen Amtsträgern zugeteilt, denen sie bei ihrer täglichen Arbeit ministrieren mussten. Sie begleiteten den Archonten überall hin und lernten so, was es bedeutete, ein Amt auszuführen und Verantwortung für die Bürger zu tragen. Denn der Ephebe muss den späteren Anforderungen der Politik gewachsen sein.


    Aber nicht nur den Archonten dienten die Epheben. Auch bei den Tempeldiensten, bei der Ausführung der Riten und Feste spielten sie eine wichtige Rolle. Denn der Dienst für die Götter ist mindestens ebenso wichtig wie der politische Einsatz für die Stadt.

  • Nachdem der Unterricht vorbei war, besuchte ich den Gymnasiarchen. Dieser war ganz begeistert von meiner Idee und wir machten einen Abend in einer Woche aus. Dann plauderten wir noch eine Weile.


    Mir war während meiner Beobachtung aufgefallen, dass sich unter den Epheben nicht nur griechische Kinder befanden. Auch Ägypter, Lybier und Äthiopier konnte ich unter den kleinen Köpfen erkennen. Neugierig fragte ich, was es sich damit auf sich hatte.


    Der Gymnasiarch schmunzelte und antwortete mir:


    "Alexandria ist eine große Stadt und groß ist die Herkunft der Menschen, die sie bevölkern. Nur ein kleiner Teil der Bewohner sind auch Bürger. Nun kannst du dir natürlich vorstellen, dass es für viele Menschen in der Stadt, vor allem für die, die wohlhabend sind oder wollen, dass ihre Kinder einmal etwas besseres werden sollen wie sie selbst, unzufrieden damit sind, dass sie an den Rechten des Bürgers nicht teilhaben können.


    Und wie du weißt, ist das, was den Hellenen und wahren Menschen vom Barbaren unterscheidet, nicht angeboren oder abhängig von seiner Herkunft. Nein, die Kultur ist es und diese kann man erlernen oder auch verlieren. Aus diesen Gedanken heraus ist es nur konsequent, wenn wir hier den vielen Nichtgriechen erlauben, die Ephebie abzuschließen. Denn wer sind wir denn, dass wir den Menschen sein Streben nach Höherem und Besseren verwehrten? Das tun nur die Barbaren. Jeder soll bei uns die Möglichkeit haben, Grieche zu werden."


    Dann schaute er mich vertraulich an und meinte zwinkernd: "Meine Eltern zum Beispiel kommen aus einem kleinen unterägyptischen Dorf am Nil. Die wenigsten Griechen hier sind aus der alten Heimat gekommen. Wenn in Alexandria nur "echte" Griechen leben würden, wäre Achaia ja menschenleer wegen der vielen Auswanderer."


    Da musste ich natürlich lachen. Sass ich darauf nicht selbst gekommen bin! Alexandria war eben keine der kleinen, provinziellen Städte meiner Heimat. Und die zahlreichen Einflüsse der Stadt, die ägyptischen Götter und fremden Gewänder sprachen natürlich Bände. Ich dankte den Gymnasiarchen, verabschiedete mich und schickte mich an, mich für den Sport tauglich zu machen.

  • Splitternackt und vegnügt betrat ich das eigentliche Gymnasion, einen riesigen, von Säulenhallen umstellten und mit feinem Sand ausgelegten Platz, auf welchem bereits mehrere Athleten, ebenfalls nackt und bereits eingeölt verschiedenen Sportarten nachgingen. Ich sah Jungen beim Speer- und Diskuswerfen, beim Bogenschießen, Weitspringen und verschiedenen Arten von Zweikämpfen.


    Die körperliche Ertüchtigung war eine der urältesten Traditionen des Griechentums. Wie ich bereits erwähnte, entstammte sie der alten Zeit, in der die Bürger sich im Waffentraining übten. Heute jedoch hat der Sport andere Bedeutung: Zum einen zeigt er die Verbundenheit der Griechen in aller Welt, was sich vor allem in den Panhellenischen Spielen, von denen die Olympischen Spiele die Wichtigsten sind, zeigt. Aber auch sonst veranstaltet jede Polis ab und zu einem friedlichen Kräftemessen und alle Städte zwischen Indus und Gallien schicken ihre Athlethen.


    Um die besten Athleten der griechischen Welt hat sich mit der Zeit auch ein regelrechter Kult gebildet. Die Namen der größten Sieger sind überall bekannt und es gibt Vasen und Statuetten von den größten Athlethen zum Spielen und Sammeln. Alexandria hat schon lange keinen berühmten Athleten hervorgebracht. Zur Zeit gewinnt aber eh alles Orodes von Chalchedon, von dem auch ich ein großer Fan bin.


    Zum zweiten geht den Griechen schon lange nicht mehr um den blutigen Wettkampf oder die Gewalt des Spektakels sondern vielmehr um die Ästhetik des Sports. Ja, die Ästhetik: Es war auch mir eine wahre Freude, den jungen Körpern beim Kräftemessen zuzusehen.


    Ein Blick zu den Säulenhallen verriet mir, dass ich damit nicht allein war. Einige Männer, ungefähr so alt wie ich oder noch älter, umstreichelten das junge Fleisch mit ihren lüsternen Blicken. Und nachdem einer der jungen Athleten mit seinem Kampfe fertig war, löste sich einer der Alten aus ihren Reihen und ging auf den Kämpfer zu. Sie redeten kurz und verschwanden eng umschlungen aus dem Stadion.


    Vor allem von Seiten der Römer wird uns Griechen dieser erotische Brauch oft zur Last gelegt. Und obwohl viele Gymnasien die öffentliche Ausübung der Knabenliebe mittlerweile verbieten, kann ich nicht nachvollziehen, was denn verwerflich daran sein soll, dass man am Anblick eines nackten, jungen Körpers Freude findet. Warum das verdrängen, was die Natur einen befiehlt?


    Außerdem werden von den Römern oft immer zwei Dinge vergessen: Erstens dient der Paidophilos, der Knabenliebende, dem Jüngling auch als Lehrer in vielen Dingen und trägt Verantwortung über diesen, zweitens gehen die Jungen nicht unfreiwillig mit den Alten. Sie sind keine Kinder mehr und alt genug, um selbst zu entscheiden, ob sie dem Alten folgen oder nicht...


    Sim-Off:

    Hier sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der obrige Text die Meinung Plutarchs widerspiegelt und das Denken eines Griechen veranschaulichen soll. Der Autor hinter Plutarch hat mit Pädophilie nix am Hut.

  • Auch meiner nahm sich jetzt endlich einer der Kosmeten (Trainer und Schiedsrichter) an. Er nahm seine Amphore mit dem Olivenöl und rieb mich von oben bis unten ordentlich ein. Dann fragte er, in welcher Sportart ich mich üben wolle. Ich meinte, dass ich noch rüstig genug sei für einen Ringkampf. Als Kind war ich der beste Ringer der Region. Da schmunzelte der Kosmet und meinte nur: so soll es denn sein.


    Voller Mut betrat ich den Kampfplatz. Ich war schon sehr gespannt, gegen wem ich denn antreten würde. Aber als ich meinen Gegner sah, staunte ich nicht schlecht: Der Gegner war vielmehr eine Gegnerin!


    Siegessicher und herausfordernd schaute mir das vollkommen nackte und eingeölte Mädchen in die Augen. Ich hingegen wusste nicht genau, wie ich reagieren sollte: Sicher hatte ich schon davon gehört, dass es Gymnasien gab, in denen auch Frauen bei der Ephebie und dem Sport teilnahmen. Aber gegen eine Frau gekämpft hatte ich noch nie!


    An dieser Stelle sei mit einem weiteren weit verbreiteten Vorurteil über uns Griechen Schluss gemacht: Die Art und Weise, wie wir unsere Frauen behandelten. Die Zeiten, in denen die Frau tagein tagaus in ihren eigenen, abgeschlossenen Zimmerchen sitzen musste, sind nämlich schon lange vorbei. Mit dem Kontakt mit den Kulturen des Ostens durch die Feldzüge Alexanders lernten wir Griechen nämlich viele Vorzüge anderer Kulturen kennen. Und in vielen dieser Kulturen galten die Frauen als normale Menschen. Zum Glück für die Frauen haben wir diese Sitten auch übernommen. In vielen Städten können Frauen heute in der Volksversammlung mitbestimmen und sogar Ämter bekleiden.


    Dies gilt vor allem und ganz besonders auch für Ägypten. Hier hatte die Frau nämlich schon immer eine hohe Stellung in der Gesellschaft inne. Sie durfte frei entscheiden, wen sie heiratete und sich scheiden lassen, außerdem konnte sie Grund und Eigentum besitzen und war auch in allen anderen Dingen rechtsfähig.


    Und man stelle sich vor, wie das für die ersten Alexandriner wirken musste, zu sehen, dass die Frauen der Unterworfenen und Fellachen mehr Rechte hatten, als ihre Eigenen! In Ägypten hat sich dem entsprechend auch schnell der Brauch durchgesetzt, dass die Königinnen zusammen mit den Königen regierten. Die Münzen und Inschriften der Ptolemäer stellten immer das Königspaar dar. Und Frauen wie Arsinoé, Berenike II. und Kleopatra VII. leiteten die Staatsgeschäfte ganz alleine mit großem Geschick.


    Aber zurück zu meinem Kampf: Ich war heillos überfordert. Zuerst beschloss ich, sanft anzupacken, da ich Angst hatte, dem Mädchen weh zu tun. Ein schwerer Fehler: Kaum war der Kampf begonnen, lag ich schon am Boden, meine triumphierende Partnerin über mir. In den nächsten Kämpfen gab ich mir dann mehr Mühe: Vergebens! Jedes Mal warf sie mich in den Sand! Ich war eben auch nicht mehr der Jüngste.


    Die Geschichte hatte dann noch ein nettes Nachspiel, denn nach dem Kampfe plauderte ich noch ein wenig mit ihr und wir verabredeten uns für den Abend. Alles weitere bleibt mein Geheimnis, aber man kann sich seinen Teil denken. Nur so viel: Eintönig wäre die Welt, wäre die Ästhetik des Sportes nur auf Männer beschränkt. Und für manche Dinge wird man eben nie zu alt...


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