Zusammen mit Hegesias ging ich über die Agora hin zum Theater, das dem Gymnasion direkt gegenüberstand.
Das Theater war ein gewaltiger Bau, um nicht zu sagen: Klotz! Irgendwie musste ich mich innerlich schütteln, als ich das Ding von der Nähe sah! Ein so hässliches Theater hatte ich während meiner Reisen wirklich noch nie gesehen!
Es bestand aus einem riesigen, steinernen und von außen kaum geschmückten Halbrund, der einfach vollkommen freistehend inmitten in die Stadt hinein geklotzt worden war. Ich konnte es kaum fassen, dass diese schöne Stadt durch solch ein Bauwerk verschandelt wurde! Kein Wunder, dass es damals Cäsar als Festung diente, diesen Zweck schien es mehr zu erfüllen, als den eines Ortes der Politik und schönen Künste. Aber gut, es soll auch Menschen geben, die sowas mögen...
Und tausende von Alexandrinern strömten jetzt in das Gebäude hinein. Hegesias und ich waren mitten unter ihnen. Drinnen wies mir Hegesias einen Platz zu, der direkt an der kreisrunden Bühne lag, so dass ich nach vorne die nächste Sicht zu den Plätzen der Prytanen hatte, die die Versammlung leiteten. Mir war sofort klar, dass ich auf einen Ehrenplatz für eingeladene Beisitzer saß, denn neben mir setzten sich auch ein paar andere wichtige Personen hin, unter anderem der Exarch der Hebräer der Stadt mit dem langen, gelocktem Bart eines jüdischen Priesters und Patriarchen, sowie der Präfekt der Provinz, der zwar in römischer Offiziersuniform dasaß, sich aber wie ein ganz normaler Bürger verhielt. Nur seine Leibwächter hinter ihn, etwas ungeschickt als normale Bürger getarnt, verrieten seinen Stand.
Ich blickte nach vorne auf die riesenhafte Skené, das reich geschmückte Bühnenhaus und das runde Orchester vor mir. Dann drehte ich um und sah die endlosen Reihen des Theatrons, der Zuschauertribünen, wo sich die Bürger in Phylen und Demen geordnet niederließen. Da musste ich meinen ersten Eindruck relativieren: Von innen war das Ding wunderschön!
Nach einiger Zeit hatte sich das Theater endlich gefüllt: Es war bis auf den letzten Sitzplatz besetzt und das war erstaunlich, denn in Alexandria lebten viel mehr Menschen als in den meisten Poleis. Und das Drittel, welches das alexandrinische Bürgerrecht besaß, zählte immer noch fast 200.000 Köpfe und alle waren sie erschienen! 200.000 Köpfe, die all ihre Arbeit stehen und liegen gelassen hatten, um die Politik ihrer Stadt zu bestimmen! Unfassbar, wie wichtig den Griechen ihre Rechte als freie Bürger waren. Gespannt wartete ich auf das unvermeidliche Chaos, das nun folgen müsste...
Aber nichts dergleichen geschah. Der Eponminatograph, der oberste Beamte der Stadt, stand nun von seinem Sitz auf und hob theatralisch die Hand. Sofort kehrte Ruhe ein.
Dann sprach er:
"Das Volk der Alexandriner hat sich hier und heute im Theatrum eingefunden, um frei geboren und unter freien Himmel aus freien Stücken seine Geschicke selbst und unabhängig zu bestimmen!"
Nachdem der Eponminatograph gesprochen hatte, fingen die Bürger an zu klatschen. Jetzt verstand ich auch, dass der Theaterbau unter anderem wohl deshalb so hässlich war, weil die Erbauer wohl darauf geachtet hatten, dass die Stimme eines jeden Einzelnen deutlich und klar im gesamten Gebäude gehört werden konnte. Die Geräuschkulisse des Klatschens war zumindest atemberaubend.