• Plotina hatte den Worten des Philosophen aufmerksam und mit immer größerer innerer Beteiligung zugehört. Als er geendet hatte, ergriff sie sofort das Wort.


    "Es drängt mich, Theodorus, dir beizustimmen. Als der arme Junge hier das zweitemal zugelangt hat, entdeckt wurde und die Milites sich auf seine Verfolgung gemacht haben, sind mir ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen. Deine Worte geben mir jetzt die Gelegenheit, sie laut auszusprechen. Denn die Frage ist doch: Wie verzweifelt muss so ein Junge sein, dass er sich in die Gefahr begibt und ganz in der Nähe eines ersten Diebstahls einen zweiten begeht; das erhöht doch nur die Wahrscheinlichkeit, dass er entdeckt wird."


    Plotina hielt einen Moment inne; dann kam ihr ein weiterer Gedanke.


    "Oder vielleicht wollte er entdeckt werden? Habt ihr gesehen, wie verhärmt und ungesund der Junge aussah? Na, ob ausgerechnet die Milites ihm weiter helfen können ... Wer er wohl sein mag? Trotz allem sah er nicht so aus wie ein echter Straßenjunge."

  • Verus konnte nur schmählich mitreden,da er von der Aktion nichts mitbekommen hat.


    "Wir werden es sicherlich herausfinden,wenn wir Metellus noch einmal treffen,Plotina,trotzdem ist dieser Mensch zu bedauern,er muss wahrlich viel Leid im Leben ertragen haben."


    Er überlegte kurz.


    "Aber jeder Mensch kann sich ändern,auch ein Dieb kann zum Helden werden,jeder Mensch ist Wandlungsfähig und dies ist eine Gabe der Götter ,die Wahl zwischen Gut und Schlecht.Diese Wahl bestimmt unser Leben."

  • Theodorus, der jetzt natürlich in seinem Element ist, denkt einan Augenblick über den Einwand des Verus nach. Dann antwortet er:


    "Du hast wohl auf der einen Seite recht, Verus. Der Mensch ist in seiner Gestalt zwar dem Tier gleich und klein und hilflos im Angesicht der Götter bzw. des Göttlichen, aber sein Geist gleicht dem ihren. Er hat die Wahl zwischen Gut und Böse. Aber sein Weg muss zum Guten hin gehen, will er errettet werden.


    Aber das Gesetz des Menschen hat jeden einen eigenen Weg zum Guten festgeschrieben. Der Kaiser hat einen anderen als der einfache Mann. Und der einfache Mann einen anderen als der Sklave. Und du wenn der Sklave seinen Weg verlässt und leben will wie sein Herr, so straft ihn das Gesetz mit Gewalt. Aber was passiert dem Kaiser, wenn er leben will, wie sein Knecht? Prometheus sündigte gegen das Gesetz der Götter als er sich auf die Stufe der Menschen begab. Und er wurde bestraft."


    Theodorus denkt dabei an sein Leben: Er hat früh genug seinen Weg gekannt. Und er hat sich für ihn entschieden, mit Erfolg: Aus dem Kind, der Schande der Familie wurde ein Rabbiner, aus dem Rabbiner ein Schriftkundiger am Museion, der Heimstätte des Wissens.
    Aber er weiß auch: Trotz seines Wohlstands und seiner Position wird er niemals aufhören, der kleine Junge aus dem alexandrinischen Hudenghetto zu bleiben. Zwar mag er als Philiologos eine der höchsten und respektablesten Stellungen in der Gesellschaft der Stadt besitzen und in den höchsten Kreisen verkehren, niemals wird er einer Bürgerversammlung beisitzen und mitdiskutieren, niemals den strahlenden Festen der Feiertage beiwohnen, niemals von der drückenden Steuerlast befreit werden. Für die Griechen blieb Theodoros, Sohn des Ioseph immer Mattihiah ben Joseph bleiben, der Jude, der Ausländer, der Unerwünschte.


    Wirklich, kein blöder Mensch, dieser Verus. Das hat Theodorus ihm gar nicht zugetraut. Ob er wohl eine Synthese finden konnte?


    Beim philosophieren geht der weniger philosophische und mehr pragmatische Einwand Plotinas fast unter. Theodorus bemerkt das aber dann doch noch und versucht, eine Brücke zur Frage der Sergierin zu schlagen:


    "Und vor allem ist der richtige Weg immer schwer und voll mit Steinen. Und nicht immer geht er gerade aus. Man fällt zurück oder macht Ausflüge ins Falsche. Aber auch dieser Junge wird sich zu jedem Zeitpunkt dafür entscheiden können, umzudrehen. Auch wenn das Recht des Menschen ihn richten muss, wir sollten für ihn hoffen, dass er seinen Weg wieder findet." Dabei schaut er bestätigend zu Plotina.

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  • Plotina hatte den Worten des Verus und des Theodorus aufmerksam zugehört. Sie war sehr angetan von der Richtung, die ihr Gespräch eingeschlagen hatte. Als aber Theodorus sie anschaute, nachdem er geendet hatte, war sie doch ein bisschen überrascht.


    "Theodorus, ich glaube, deinen Worten ist nicht viel hinzuzufügen. Während du - und auch du, Verus - während ihr gesprochen habt, habe ich mir gewünscht, der Junge bekäme die Gelegenheit, einmal in aller Ruhe mit jemandem wie euch zu reden. Nicht dass Worte allein alles ändern können, aber bei manchen Menschen bedarf es ja nur eines kleinen Anstoßes, um sich wieder auf den Weg zum Guten hin zu machen."


    Nun, da sie einmal ins Reden gekommen war, keimte noch ein anderer Gedanke in Plotina auf.


    "Du hast, Theodorus, eben die Ordnung erwähnt, in die jeder Mensch eingebunden ist und die jedem seinen Weg vorgibt. Ich bin gelehrt worden, dass gerade Rom für solche Ordnungen steht. Ordnungen durchziehen hier unseren Alltag: unsere Gens, unsere Patrone und vielleicht Klienten, factiones, Kultvereine usw. Was aber ist mit denen, die, aus welchen Gründen auch immer, keiner dieser Ordnungen angehören und die doch unter uns leben? Hat Rom sich nicht auch mit der Idee die halbe Welt unterworfen, dass jeder es hier zu etwas bringen kann, wenn er nur die Gesetze achtet?"


    Plotina machte eine kurze Pause; dann sah sie die beiden Männer eindringlich an und sagte ein wenig leiser:


    "Im Vertrauen gesagt: Ich bin mir nicht sicher, dass dem so ist."

  • Theodorus ist natürlich gerne gewillt, den Disput weiter zu führen. Auch Plotina scheint einen sehr wachen Geist zu haben.


    "Natürlich denke ich, dass auch das Recht des Menschen nicht ohne Fehler ist. Der Gerechte wird oft genug als Frevler vor Gericht gezerrt, während der Verdorbene höchste Ehren genießen mag. Das Goldene Zeitalter, in dem der Mensch unter den Schutz der Götter frei, gut und stark war, ist schon lange vorbei.
    Trotzdem bewegt sich die Geschichte der Menschen fort und eines Tages wird der Mensch sein eigenes Goldenes Zeitalter errichten. Und das Reich der Rhomäer, welches den rhomäischen Staat mit der griechischen Kultur verbindet, beglückt alle Völker rings um das Mare Internum. Schau dir einmal die Völker des Nordens an, die Germanen, Skythen und Briten, welche frei, aber rastlos und voller Sorge und Angst für ihre Zukunft, oder die Völker des Südens, die alten Karthager, Ägypter oder die Parther, welche voller Kultur aber Knechte ihrer Fürsten sind, an.
    In unserem Reich gilt ein gleiches Recht für alle Menschen und niemand ist mehr von Stand und Ansehen seiner Väter abhängig. Nur noch ein dritter Teil der Senatoren kommt aus Italia und nur noch die Hälfte ist als Rhomäer geboren. Und die höchsten Posten im Palast des Basileus werden an Freigelassene vergeben."

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  • "Ich muss sagen, Theodorus, dass ich dir voller Bewunderung zugehört habe. In wenigen Worten ist es dir gerade gelungen, ein Panorama der gesamten gegenwärtigen Welt zu zeichnen."


    Dies aussprechend, sah sie Theodorus dennoch ein wenig traurig an. Glaubte er wirklich alles von dem, was er gerade gesagt hatte? Er musste es doch selbst besser wissen, gerade er ... Aber natürlich war es sein Recht, in dieser Situation darüber nicht zu sprechen, schließlich kannte man sich ja erst kurz. Plotina atmete tief durch.


    "Ich freue mich auch über deinen Optimismus, Theodorus! Alle Bürger Roms sollten ihr Möglichstes dafür tun, dass die Vision, die du gerade gezeichnet hast, Wirklichkeit wird. - Aber, ich gerate ja schon selbst ins Reden, und die Rostra ist ja nicht für uns gemacht. Das sollte ich dann doch wohl Verus und seinen Freunden überlassen."

  • "Ja das ist wohl wahr."


    Verus grinste ein wenig.


    "Ihr beide habt die Wahrheit gesprochen aber eine Vision bleibt eine Vision,eine Idee,die zu verwirklichen wäre aber die einen Kampf erfordert,einen Kampf der viele auf der Strecke lässt.Die Zeit wird die Welt schon verändern in Tausend Jahren wird die Welt anders sein als sie heute ist,sie wird besser oder schlechter sein,ich will hoffen besser und ich will ebenso hoffen ,dass unser Imperium weiterlebt.Es wird weiterleben..."


    Verus wurde kurz angetippt und aus seiner Rede gerissen.Nun musste er einen Gratulanten begrüßen.

  • Theodorus betrachtet seine beiden Gesprächspartner genauer und überlegt. Beide sind keinesfalls ungebildet, ja, durchaus angenehme Zeitgenossen für einen philosophischen Disput, aber man merkt die Unterschiede eindeutig:
    Verus mag kluge Sachen von sich geben, aber in seinem Inneren scheint er gefangen zu sein von den Werten und Konventionen der römischen Lebensweise.
    Fides-Treue, Treue zum Reich, Treue zur Polis, Treue zum Basileus, Treue zu seiner Familia und zu seinem Patronus, jene typischste aller römischen Geisteshaltungen, jene geistige Einschränkung und Unterordnung, welche die Römer immer noch unverkennbar zu Barbaren abstempelt, scheint ihn ihm das höchste Prinzip zu sein.
    Die junge Sergierin dagegen hat offensichtlich von den verbotenen Früchten gekostet, die das Leben in Aegyptus so mannigfaltig bereit hält: Sie hat offensichtlich gelernt, zu zweifeln, zu hinterfragen und nichts als gegeben hinzunehmen. Trotz ihrer Familie ist sie ein freier Mensch, eine Hellenin. Das imponiert Theodorus schon sehr.


    Er lächelt, grinst fast und meint Augenzwinkernd:


    "Die Bürger Roms tun anscheinend schon ihr Bestes, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Sie wissen es nur noch nicht." Dabei bleibt unklar, wie er das meint.


    "Aber du hast recht, wir sollten den Rednern das Reden überlassen. Wie schauts aus? Cena?"

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  • Plotina war noch immer ganz in Gedanken versunken. Das Wort "Cena" riss sie aber aus ihren Erwägungen; sie musste lächeln und schaute wieder die beiden Männer an.


    "Von mir aus, gerne. Ich bin mal sehr gespannt, wie Fisch aus Ostia schmeckt. Von Alexandria her ist man ja verwöhnt."

  • Vorhin, wo er nur mit Plotina geredet hatte, war es kein Problem für ihn gewesen, sie zum Essen einzuladen. Jetzt hier bei der Rostra, wo mehrere Leute anwesend sind, entpuppt sich die ganze Sache für Theodorus als sehr komplex, kompliziert und verwirrend. Soll er jetzt einfach mit Plotina abhauen, darauf warten, was sie sagt, oder noch die anderen beiden fragen. Theodorus hatte schon immer kein gutes Näschen was Kontakt mit mehreren anderen Menschen anbetraf. Menschen waren nicht wie Gedanken. Sie waren nicht rational zu erklären, sondern triebgesteuert und unberechenbar.


    "Ja, der alexandrinische Fisch-" meint er deswegen etwas von sich selbst abgelenkt. Dann entschleßt er sich dafür, noch einmal die anderen beiden zu fragen, vor allem auch, weil eine Gruppe von mehreren Leuten sicherer ist. Da kann man sich auch mal aus einem Gespräch zurückziehen und die eigene Verwirrung fällt nicht so auf.


    Theodorus schaut auch zu Verus und den immer noch nicht reagierenden Minor. "Und ihr zwei? Kommt ihr auch mit? Ein Mittagessen nach einer solchen Rede wär doch sicherlich nicht verkehrt?"

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  • "Ich hätte nichts dagegen ,Essen zu gehen,bei den Götter mein Magen hat schon Feuer gefangen vor Hunger."


    Verus schaute kurz wieder in die Menge,die wild feierte.

    "Wo gedenkst du Essen zu gehen,ich keine eigentlich kein gutes Fischlokal in Rom,sicherlich kenne ich eines in Ostia aber hier in Rom,ich weiß nicht,Theodorus?"

  • "Oh, dann wird es mir ein Vergnügen sein, dir das "Fructae Neptunis" zu zeigen. Es liegt gleich bei den Trajansmärkten und hat eine schöne Terrasse im ersten Stock, von wo aus man über die gesamten Märkte blicken kann. Das Lokal ist eines der besten und angesagtesten Roms. Man kann sich auch persönlich von der Frische und Qualität der Fische und Meeresfrüchte überzeugen. Der Trick ist nämlich, dass diese lebend gefangen und erst vor Ort zum Verzehr vorbereitet werden. Und du kriegst Meeresspezialitäten nach Rezepten aus der gesamten bekannten Welt vorgesetzt.
    Wenn du keinen Fisch magst, kannst du natürlich auch was anderes bestellen."


    Dabei muss Theodorus schmunzeln, denn er hat schon öfters miterlebt, wie eine größere Touristengruppe aus Regionen ohne Meerzugang sich kollektiv das Standardschnitzel mit tonnenweise Garum zu Gemüt gefürt hat.


    "Lass dich einfach überraschen und komm mit. Es findet sich sicher etwas für dich. Auch die Weinkarte ist übrigens hervorragend."

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  • "Klingt interessant,ich werde mich mal von dir entführen lassen in das Reich das Neptun."


    Verus grinste etwas,da Theodorus Ausführung wie eine Werbeschrift klang.


    "Warst du schon oft dort,Theodorus?"

  • "Ja, so das ein oder andere Mal."


    Antwortet Theodorus. Er will keine Werbung machen, sondern ist schlicht und einfach ein Freund guter Küche.

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  • Plotina hatte den Preisungen aus Theodorus's Munde schmunzelnd und mit Gewinn zugehört. Jetzt ergriff sie aber wieder das Wort.


    "Also, Theodorus, das Zeug zum Redner hast du aber wirklich auch, das muss ich sagen. Bei deinen Worten läuft mir ganz schön das Wasser im Munde zusammen; ich habe langsam wirklich Appetit. Ich schlage vor: Wir gehen?"


    Und sie sah die beiden erwartungsvoll an.

  • "Ja, lasst uns losgehen!"


    Dann kommt ihn noch eine andere Idee: "Wir könnten natürlich auch in die Taverna Apicia gehen..."


    Dabei hat Theodorus das Fehlen seines Geldbeutels schon lange vergessen...

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