[Cursus Publicus] Postannahme

  • Der Brief fand über einen Umweg durch Caius' Hände schnell den ihm vorbestimmten Platz im Gesamtgefüge dieses Postbüros - dem Ablagekorb für Italien. Unwillkürlich musste er grinsen, als der Fremde von seiner Aversion gegen Schiffe sprach. Ein Gelcihgesinnter!


    »Oh ich mag die Schi....eißdinger genausowenig wie du, glaube ich. Ich war heilfroh, als ich endlich hier ankam. Kommst du auch aus Rom? Wie lange habt ihr gebraucht? Bei uns gab es einen Sturm, ganze sechs Tage hat die Überfahrt gedauert. Die schlimmsten sechs Tage meines Lebens. Naja, des letzten halben Jahres«, erzählte Caius und deutete auf den Stuhl, der für die wenigen Besucher bereitstand, die nicht nur ihre Sklaven schickten. Dabei schob er die Münzen über den Schreibtisch und sortierte sie eine nach der anderen in die Schublade, in welcher das Geld gesammelt wurde.


    Überrascht sah er auf, als der Mann von seiner Arbeit sprach. Ein wenig verdrießlich grinste Caius und zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe nach Arbeit gesucht und eine Herausforderung angenommen«, sagte er.
    »Ich kannte Ägypten noch nicht. Nicht dass ich das jetzt täte, ich habe bisher auch nur Alexandrien gesehen, und selbst hier mit Sicherheit nicht jede Ecke. Aber mich hat die Aussicht gereizt, mir hier einen Namen verdienen zu können. Ah - ich bin übrigens Caius Aelius Archias!« sagte Caius und hielt dem Besucher die Hand hin.
    »Dass hier so wenig Besucherverkehr ist, das hätte ich nicht vermutet. Nun ja, ich versuche, das beste daraus zu machen. Suchst du auch Arbeit, oder warum fragst du?«

  • "Sechs Tage?"


    meinte Scipio und zuckte zugleich mit den Schultern.


    "Da warst du eh noch gut bedient. Ich hatte das unsagbare Glück an einen Idioten von Kapitän zu kommen. Jetzt hat der sich doch nicht glatt verfranst hierher. Ganze neun Tage bin ich auf diesem Seelenverkäufer festgehangen."


    Scipio spürte wie ihm durch die Gedanken an das Schiff wieder ganz mulmig wurde in seiner Magengegend, legte deshalb die Hand auf seinen Bauch und nahm die Sitzgelegenheit dankend an.


    "Was heißt hier ich suche nach Arbeit. Suchen tu ich nicht gerade, aber mein Geldbeutel zwingt mich beinahe dazu. Weißt du villeicht etwas?"


    Dann fiel ihm ein das er sich noch nicht vorgestellt hatte:


    "Mein Name ist Tiberius Prudentius Scipio."

  • Caius sahe seinen Besucher ein wenig verwirrt an. Sechs Tage waren für ihn schon viel zu lange gewesen. Noch mal die Hälfte hintendran gehangen...da wäre er wohl gestorben auf hoher See.
    »Verfranst? Aber Süden ist doch Süden...«, gab Caius verwundert zurück, zuckte dann aber mit den Schultern.
    »Ich? Hmm. Also, wenn du Lust am Reisen kannst, kannst du tabellarius bei der Post werden. Die Stelle des stationarius ist ja schon besetzt«, witzelte der Aelier und grinste kurz.
    »Na im Ernst. Also, die Verwaltung sucht eigentlich immer irgendwelche Schreiber, das Museion auch. Das Militär nimmt auch so gut wie jeden...aber sonst wüsste ich gerade nichts. Was hast du dir denn so vorgestellt?« fragte er.
    »Freut mich, Scipio. Wenn du Lust hast, können wir ja mal was zusammen unternehmen. Hab gehört, die Thermen hier sind der Knaller.«

  • Für den big Boss des Cursus Publicus schien es kein Problem zu sein Schreiben genau auf dem Glühpunkt abzugeben. "Salve Aelius Archias, schöner Tag heut was?!... Na es wird dich freuen..." Vortex grinste breit. "Hier ein Brief aus Rom für dich!" Und schon verwandelte sich sein Gesicht in das eines Honigkuchenpferdes.



    IN NOMINE IMPERII ROMANI
    ET IMPERATORIS CAESARIS AUGUSTI



    ERNENNE ICH



    CAIUS AELIUS ARCHIAS



    MIT WIRKUNG VOM



    ANTE DIEM VI ID MAI DCCCLVIII A.U.C.
    (10.5.2008/105 n.Chr.)


    ZUM PRAEFECTUS VEHICULORUM VON



    ALEXANDRIA et AEGYPTUS



  • Als es klopfte, kaute Caius gerade auf seinem stilus herum und überlegte sich, was er tun könnte. Die Listen waren ausgefüllt, neue Büromaterialen bestellt - und Katander befand sich zusammen mit Firas auf dem Markt, um Frühstück zu organisieren. Schnell nahm er die Füße vom Tisch, legte den Griffel weg und hatte bereits ein freundliches Salve auf den Lippen, als er sah, dass es nur Vortex war.


    »Guten Morgen Vortex, du bist aber ziemlich früh dran. Hast du die Sache mit der Passage nach Ostia regeln können? Ich habe....äh, wie? Für mich?« Irritiert blinzelte der Aelier den tabellarius an und nahm den Brief entgegen. Dabei verwunderte ihn umso mehr, dass sich Vortex scheinbar so freute, dass Caius auch mal nen Brief bekam. So drehte er den Papyrus in den Händen, bis sein Blick auf das Siegel fiel - das des legatus ausgusti cursu publico - und da wurde ihm schlagartig mulmig zumute.


    »Der ist ja...« begann er, fuhr jedoch nicht fort, sondern brach das Wachs und entrollte mit fiebrigen Fingern die Schriftrolle. Hiermit ernenne ich...mit Wirkung vom....zum praefectus vehiculorum von Alexandria et... Caius hob den Blick und sah Vortex an, der immernoch grinste.
    »Das...ich...Beförderung....« stammelte Caius vollkommen perplex. Dann realisierte er, dass damit sein Tätigkeitsbereich auf ganz Ägypten ausgeweitet worden war...und dass er nun der Chef des hiesigen cursus publicus war...und er sprang auf, dass sein Stuhl scharrend zurückrutschte.
    »Ich bin befördert worden!« rief er Vortex zu, der immer noch dastand, als hätte er das von Anfang an gewusst. Der nächste Gedanke galt Seiana. Er musste ihr unbedingt schreiben! So vieles war passiert, und mit einem Mal war er außerdem wichtig geworden. Nunja, zumindest wichtiger als vorher. Vielleicht würde sie nun die Erlaubnis bekommen, ihn zu besuchen!

  • Noch eine Tafel. Und noch eine. Und wieder eine Wachstafel. Und Vortex redete und redete. Inzwischen ging es Caius zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Er hatte den Arm auf den Tisch gestützt und den Kopf auf die Hand. Missmutig sah er dem Wachstafelturm beim Wachsen zu. Dann, endlich, legte der tabellarius die letzte tabula vor ihm ab. Caius hatte inzwischen schon Mühe, den Postumier noch zu sehen. Mit einem markerschütterten Seufzer richtete er sich schließlich gequält auf und spähte zu Katander, der am Fenster in der Sonne saß und irgendwas las.


    »Hätt ich das gewusst...« murmelte er halblaut, seufzte erneut und teilte dann Vortex mit, dass er gehen durfte. Sichtlich erfreut verließ der tabellarius den Raum und ließ den Aelier mit der Arbeit zurück: Berichte aus der Provinz, die nun auf seinem Schreibtisch landeten, statt nach Rom transferiert zu werden.
    »Mal sehen, was haben wir denn da.... Sag mal, Katander, hast du die Route für die Inspektion schon fertig? Dann könnte Firas sich bald mal nach Pferden umschauen, die uns lange und zuverlässig tragen.«

  • »Hmwas? Wie? Achso. Naja, ich dachte mir, die kleineren Nester lassen wir aus. Die haben ja eh keine richtige Poststation, sondern eher sowas wie halbprivate Annahmestellen. Zumindest hat mir das Vortex gesagt, als er sich drüber beschwert hat, dass er und die anderen ständig irgendwelche Tavernen weit ab vom Schuss wegen Briefen besuchen müssen, die vielleicht jemand dort hinterlegt hat.«
    »Das hat er gesagt?« hakte Caius verwundert nach und vermutete, dass Vortex und seine Kumpanen den Zwangsaufenthalt in besagten Tavernen gleich mal mit einem guten Schluck Bier in Verbindung brachten.
    »Hat er. Also, wenn man davon ausgeht, dass wir diese zentralen Annahmestellen auslassen, haben wir nur noch eine Hand voll officii zu besuchen. Da wären...« ....was deutlich mehr als eine Hand voll war. Caius stöhnte, riss sich dann aber zusammen und streckte sich.
    »Ach was soll's. Dann klappern wir die eben ab. Und dann bekommt der legatus augusti cursu publico mal einen saftigen ersten Bericht von uns. Mir, meine ich.«
    »Tjaja«, erwiderte Katander, zuckte die Schultern und wandte sich wieder seinem Papyrus zu. Was gleichermaßen bedeutete, dass Caius sich den tabulae zuwenden musste, denn die wurden schließlich auch nicht weniger.

  • .....Zwei sagenhaft interessante Stunden später....



    »Rot, hab ich gesagt. Nicht Karmesin.«
    »Dann vielleicht.... Das Siegel auf dem Brief da?«
    »Richtig. Du bist dran.«
    »Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist... He, wie wär's, wenn ich uns mal was zu essen hole? Firas wollte heute kochen.«
    »Wollte er?«
    »Wollte er.«
    »Hm. Soll ich schon mal was bestellen oder meinst du, dass es essbar ist?«
    »Weiß nicht. Er meinte, braten könnte er.«
    »Meinte er damit verbrutzeln oder tatsächlich braten im Sinne von kochen?«
    »Gute Frage...«
    Schweigen.


    »Na, geh und hols einfach mal. Dann werden wir's ja sehen.«
    »Aye. Gleich wieder da.« Und so zog Katander aus, um Firas' kulinarische Ergüsse herbeizuschaffen. Da der Weg nicht sonderlich weit und das Essen zudem bereits fertig war, kam Katander recht schnell wieder zurück, in der Hand zwei große Tüten, eine davon mit einem geschwungenen, gelben C darauf.
    »Ein Junio...*hust*....praefectus-Menü. Mit extra Ketschup«, kommentierte Katander und platzierte die Tüte vor Caius, der sie zuerst mit der Nase, dann mit spitzen Fingern inspizierte. Als er die Servietten herausgeholt hatte, kam auch ein kleines, eingepacktes Etwas zum Vorschein. Katander kaute bereits, während Caius noch das Etwas skeptisch beäugte. Sah ziemlich klein aus.
    »Äh, und was soll das sein?«
    »Mmh? Dasch isch'n Bör-Ga. Scheint schowasch wie'n Naschjonalgerischt hier schu schein«, mampfte Katander.
    »Schmeckt gansch gut.« Keinesfalls vorsichtiger als zuvor entrollte Caius auch seinen Bör-Ga und probierte einen Happen. Sonderlich nahrhaft sah das Dingen ja nicht aus, mit seinem viel zu dünnen Scheibchen Fleisch und den beiden aufgedunsenen Brotstückchen. Er zuckte mit den Schultern und kaute.
    »Hm«, meinte er danach und sah den Bör-Ga an, als wisse er nicht so recht, was er davon halten sollte.
    »Mein Geschmack ist das nicht. Ich hatte auch eher an...naja, mehr gedacht als so ein Fitzelchen Fleisch mit dem bisschen Brot und dem Viertelsalatblatt. Oh. Da ist ja auch ein Scheibchen Gurke«, bemerkte er trocken und ließ den Bör-Ga dann sinken.
    »Magst du den nicht?« fragte Katander, und als Caius missmutig den Kopf schüttelte, saß Katander schon da und müffelte auch sein Mittagessen noch.

  • »Naaaaa, nananana naaaaa, nananana naaaaa, nananana naaaaa...Krokodil...mmmh....« Caius wippte im Takt mit dem Fuß und sortierte wichtig aussehende Dokumente schwungvoll nach alphabetischer Reihenfolge. Hin und wieder knüllte er einen Bogen Pergament und warf ihn mit rhythmischer Theatralik quer durch den Raum in den Papierkorb neben der Tür. Jetzt gerade war so ein Moment. Das Pergament raschelte aerodynamisch und segelte dann in einem kunstvollen Bogen dazu an, zwei Meter neben dem Korb auf dem Boden zu landen. Es wäre sogar geglückt, wenn nicht plötzlich ein schwarzhaariger Mann in jungen Jahren mitten in der Flugbahn gestanden hätte. So jedenfalls prallte der Kurzstreckenpapyrus mit einem beinahe sanften Knistern an der Stirn des Mannes ab, der Caius daraufhin entgeistert anstarrte. Und Caius starrte entsetzt zurück, den Mund noch halb geöffnet. Ein letztes Na steckte ihm noch im Halse.


    »Uhm....salve?« versuchte es der Besucher, und der Klang seiner Stimme riss Caius aus seiner Versteinerung und ließ ihn aufspringen.
    »Ich bin doch hier richtig beim cursus publicus, oder?« hakte der Fremde argwöhnisch noch einmal nach. Immerhin kam er sich eher vor, als sei er in ein Büro für Passierscheine gestolpert.
    »Ööääh! Äh, ja, meine ich. Öhm, entschuldige. Also: Natürlich, du bist richtig. Was kann ich denn für dich tun?« haspelte Caius und begann hastig damit, die umherliegenden Papierkugeln einzusammeln (er hatte nämlich nicht einmal getroffen) und wegzuwerfen. Der Mann stand noch immer in der Tür, beobachtete Caius einen Moment fasziniert und zuckte dann mit den Schultern.
    »Hab nen Paket«, entgegnete er und machte en grimmiges Gesicht, als er klatschte. Zwei Sklaven traten ein und brachten ächzend ein gut mannlanges, etwa fünf Hand breites Paket mit sich. Caius' Augenbraue wanderte nach oben, als er sah, wie groß das Paket war und wie sehr sich die zwei Männer damit abschleppten. Kurz darauf ließen sie es vorsichtig zu Boden und entfernten sich wieder. Der Kunde sah Caius an.
    »Das geht nach Rom, und zwar in die casa Laberia, zu Händen Laberia Laterna«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Wie, hm, schwer ist denn das Paket?« wollte Caius skeptisch wissen und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch, um das lange Ding genauer zu mustern. Wofür wohl die kleinen Löcher im Deckel waren?


    Mit tief gefurchter Stirn grübelte er darüber nach, als sich das Paket ein wenig zur Seite bewegte und der Mann daraufhin recht deftig dagegen trat.

  • »Hab's nicht gewogen«, entgegnete der Kunde als sei nichts gewesen und zuckte mit den Schultern. Caius starrte immer noch das längliche Paket an und fragte sich, was zum Henker da wohl drin steckte.
    »Das, äh.. Was ist da drin?« wollte er wissen und konnte nur mit Mühe den Blick von der Kiste reißen, um den Eigentümer der selbigen voller Skepsis anzugucken. Der Mann kratzte sich kurz hinter dem linken Ohr und zuckte erneut mit den Schultern.
    »N' Geschenk«, sagte er.
    »Für meine Schwiegermutter.« Diese Antwort ließ Caius' Augen noch größer werden, als sie ohnehin schon waren. Unauffällig suchte er nach einem Reporter der Acta, der vielleicht alles mitschrieb, um hinterher einen Artikel in der Rubrik Verstehst du Spaß? zu veröffentlichen. Aber hier im ersten Stock war es nahezu unmöglich, durch die Fenster hereinzulinsen, und die Tür war mittlerweile geschlossen. Das musste also tatsächlich ernst sein. Erneut wanderte Caius' Blick zu der Kiste hin.
    »Äh«, machte er und sah verwirrt drein.
    »Also, auf mich wirkt die Kiste gefährlich. Und Gefahrengut transportieren wir nicht. Du müsstest mir schon sagen, was da drin ist. Oder wer.« Durfte man eigentlich Kinder verschicken? Caius machte sich eine mentale Notiz, den Legaten mal danach zu fragen.
    »Hm... Also gut, aber du musst mir versprechen, dass deine Leute die Kiste nur abgeben und die Auslieferung nicht kommentieren!« forderte der Mann mit halb erhobenem Zeigefinger. Caius zuckte mit den Schultern.
    »Von mir aus.«
    »Ein Krokodil.«


    Caius starrte.
    Caius blinzelte.
    Caius begann zu grinsen.
    »Ein Krokodil«, kommentierte er ironisch.
    »Vermutlich soll es deine Schwiegermutter fressen.«
    »Ja«, erwiderte der Kunde ohne mit der Wimper zu zucken. Caius grinste noch einige Sekunden weiter, doch die Miene des Mannes änderte sich nicht. Dann hörte auch Caius auf zu grinsen und sah den Kerl entsetzt an.

  • Sie wurden in einer einfachen Sänfte durch Alexandrien getragen, die einer der Händler, der die Reise organisiert hatte, aufgetrieben hatte. Seiana war froh, dass sie nicht auf eigene Faust nach Alexandrien gekommen war, so wie Elena es ursprünglich vorgeschlagen hatte – „Ach geh, wir kommen doch allein zurecht!“ –, sondern sich nach einer Gruppe umgesehen hatte, der sie sich anschließen konnte. Ihr Gepäck hatten sie noch auf dem Schiff lassen können, dass einige Tage im Hafen von Alexandria vor Anker liegen würde, bevor es erneut die Segel setzen würde. Und sie waren auf dem Weg in die Stadt, genauer gesagt, zum Postbüro. Denn dort würde sie den Aelier um diese Tageszeit wohl finden, davon ging sie jedenfalls aus – ganz davon abgesehen war das vermutlich wesentlich einfacher zu finden.


    Seiana staunte über ihre Umgebung, genoss den Anblick, versuchte so viel zu sehen wie möglich – aber je mehr Zeit verging, je länger sie brauchten, desto mehr machte sich Aufregung bemerkbar. Wie oft hatte sie sich in den letzten Tagen und Wochen, seit ihr Entschluss festgestanden hatte, diesen Moment ausgemalt? Was der Aelier wohl sagen würde… was wenn Meridius etwas missverstanden hatte, in irgendeiner Form? Wie würde es dann aussehen, dass sie auf einmal vor Archias stand, den sie nicht darüber informiert hatte, dass sie kommen würde? Seiana biss die Zähne zusammen und fluchte lautlos. Vielleicht hätte sie den Händler erst einmal darum bitten sollen, Elena und ihr eine saubere und sichere Unterkunft zu organisieren und sich erst einmal dort einrichten sollen, bevor sie Archias besuchte. Dann könnte sie wenigstens so tun, als sei sie einfach nur so hier… Aber dafür war es zu spät, im wahrsten Sinne des Wortes, denn in genau dem Moment, in dem Seiana das dachte, wurde die Sänfte abgesetzt. Sie waren da. Seiana holte noch einmal tief Luft und warf Elena einen empörten Blick zu, als diese sie angrinste. Dann verließ sie die Sänfte, die Sklavin im Schlepptau wie ein Schatten, und betrat nach einem lediglich zur Ankündigung gedachten Klopfen das Officium. Hatte sie sich eben noch ein paar Worte der Begrüßung zurecht gelegt, war ihr Kopf auf einmal wie leergefegt. Ein „Salve“ war alles, was sie über die Lippen brachte – aber das immerhin in einem ruhigen Tonfall, der nicht verriet, wie seltsam sie sich auf einmal fühlte.

  • Caius sammelte gerade die Reste der Feder ein, die zerrupft und ramponiert - zumindest teilweise - auf seinem Schreibtisch lag. Die einzelnen Federteilchen und auch ein zerborstenes Stück des Federkiels befanden sich zerstreut unter und um seinen Schreibtisch herum. Als der Besucher eintrat, sah er also vorerst...niemanden. Das heißt, niemanden, bis auf Katander, der mit vor der Brust verschränkten Armen am Fenster stand und soeben in einer Schimpftirade innehielt. Er wandte sich um und entdeckte Seiana und Elena, und aus seiner missmutigen Miene wurde eine fröhliche Landschaft der Wonne.
    »Elena! Öh, ich meine... Du hast Besuch, Herr«, rief er das erste Wort überrascht aus, ehe die weiteren in eher gelangweiltem Tonfall folgten. Es war offensichtlich, dass hier ein kleiner Disput stattgefunden hatte vor dem Klopfen und vielleicht noch währenddessen.


    Caius grunzte, spähte neugierigerweise aber doch unter dem Tisch hervor, der im Fußraum nach vorn offen war.
    »Seiana?« entwich es ihm verblüfft, und weil er sich abrupt aufrichten wollte, stieß er sich mächtig den Kopf.
    »Ouh...« Caius rieb sich gepeinigt den Hinterkopf. Ein recht unfeiner Fluch folgte hierauf, dann kroch der Aelier unter dem Schreibtisch hervor und stand auf.
    »Na so eine Überraschung!« Er grinste von einem Ohr bis zum anderen, dann argwöhnte er etwas hinter diesem Besuch und blickte sie forschend an. Um ein Haar hätte er sie sogar umarmt, aber nein, rief er sich ins Gedächtnis, das war nicht passend. Und Seiana war eine Frau, die darauf achtete, dass alles passte. Zumindest hatte er sie so in Erinnerung. Also grinste er sie nach einer weiteren, eingehenden Musterung nur schief an und deutete auf den Besucherstuhl.
    »Möchtest du dich setzen? Etwas trinken?«


    Katander war inzwischen an Elena herangetreten und lächelte sie unbefangen an.
    »Wie schön, dich wiederzusehen. Freut mich, dass alles geklappt hat. War die Reise angenehm?« fragte er sie aus und deutete mit einer Hand zum Fenster, wo sie etwas ungestörter miteinander reden konnten als direkt neben Seiana und seinem Herrn.

  • Selbst wenn Seianas Kopf nicht plötzlich leer gewesen wäre, hätten ihr die Worte gefehlt angesichts der Situation, die sie in dem Officium erwartete. Katander schien gerade in voller Fahrt zu sein, die er erst unterbrach, als er auf die beiden Frauen aufmerksam wurde; Archias kroch gerade unter seinem Schreibtisch herein; und verstreut auf und unter dem Möbelstück lag etwas, das verdächtig nach den Überresten einer Feder aussah. Überrascht blieb Seiana so abrupt stehen, dass Elena in sie hineinlief und dann, nachdem sie an ihrer Herrin vorbei gesehen hatte, mit offenem Mund dastand und auf die Szenerie blickte, die sich ihr bot. Katanders Ausruf wurde ignoriert, beide waren zu überrascht von dem, was sie sahen. Der Aelier allerdings hatte seinen Sklaven gehört und sah unter dem Schreibtisch hervor – und stieß sich im nächsten Moment so heftig den Kopf, dass sowohl Seiana als auch Elena unwillkürlich zusammenzuckten bei dem dumpfen Laut, den das Kollidieren des Kopfes mit der Tischplatte erzeugte. Die Zeit, die Archias im Anschluss brauchte, um hervorzukommen und aufzustehen, nutzte Seiana, um sowohl ihre ursprüngliche Sprachlosigkeit als auch ihre Verblüffung zu überwinden und ihre Fassung wieder zu gewinnen. Als der Aelier sie schließlich begrüßte, neigte sie leicht den Kopf. Ihr Gesichtsausdruck spiegelte oberflächlich neutrale Freundlichkeit wider, aber darunter lag etwas Undeutbares, und in ihren Augen war unterschwellig eine Warnung zu erkennen, wenn man sie kannte – oder aufmerksam hinsah. „Archias. Als Überraschung war mein Besuch auch geplant.“


    Während Elena Katander zum Fenster folgte, nahm Seiana Platz auf dem Stuhl, den Archias ihr anbot. „Einen Becher Wasser, bitte.“ Sie schlug ein Bein über das andere und wartete, bis sie das Getränk erhalten hatte. Sie hatte verschiedene Möglichkeiten durchgespielt zuvor, wie das Gespräch laufen könnte, aber konkret geplant hatte sie nichts – und auch jetzt dachte sie nicht bewusst darüber nach, es dem Aelier schwer zu machen oder ihn im Unklaren zu lassen, was ihr Besuch zu bedeuten hatte. Dennoch tat sie nichts anderes als genau das. „Was macht die Arbeit? Und was war hier eigentlich gerade los?“ fragte sie beiläufig, so als ob sie ebenfalls in der Stadt wohnte und auf einen Höflichkeitsbesuch vorbei gekommen war.


    Elena unterdessen lehnte sich an die Wand neben dem Fenster und lächelte Katander an. „Grüß dich, ich freu mich auch. Endlich sind wir da… Ja, die Reise war so weit in Ordnung, ich fand’s ziemlich aufregend. Kann ich dir später noch mehr von erzählen, wenn du möchtest.“ Sie sah kurz zu ihrer Herrin und dem Aelier. „Bin gespannt was das wird…“, murmelte sie so leise, dass nur Katander sie verstehen konnte. „Der Senator hat inzwischen mit ihr geredet. Deswegen sind wir hier – und deswegen hat sie auch nichts geschrieben, und es mir auch verboten. Ah ja genau, das ist eine gute Frage: was war los?“

  • »Ich hatte ja schon vermutet, dass man euch nicht reisen lässt«, sagte Katander und faltete die Hände hinter dem Rücken, um nicht auf dumme Gedanken damit zu kommen. Erstaunt musterte er dann allerdings Elena, die ihm offenbarte, dass Seiana von Archias' Nachfrage wusste.
    »Im Ernst?« wisperte er zurück.
    »Und wie hat sie reagiert?« Wobei das eigentlich eine blöde Frage war, immerhin stand sie samt ihrer Sklavin hier vor seinem Herren. Katander ging das nun auch auf, und er räusperte sich laut, als Caius seiner Besucherin gerade einen Becher Wasser einschenkte.
    »Wenn ihr nichts dagegen habt, werden Elena und ich ein paar Knabbereien besorgen und daheim Bescheid sagen, dass wir heute Abend zwei Gäste haben«, schlug Katander vor und schob Elena schon halb aus dem Raum. Caius blinzelte und sah zu Seiana, hob dann die Schultern.
    »Wegen mir...Knabbereien hört sich gut an. Und ich würde mich freuen, wenn ich euch zum Essen einladen darf...?« entgegnete Caius und sah zu Seiana, der er zeitgleich den Becher hinstellte, ehe er sich selbst auch wieder setzte.


    Als Katander und Elena schließlich verschwunden und damit Caius und Seiana allein waren, breitete sich kurz eine - wie Caius empfand - unangenehme Stille aus, in der er rätselte, wieso sie ihn hatte überraschen wollen. Kurz darauf brach sie das Schweigen und machte eine ziemlich alltägliche Bemerkung, die ihn dazu veranlasste, sie kurz entgeistert anzustarren. Ihm fiel alles ein, nur keine simple Antwort. Die dauerte ein wenig.
    »Hier? Wieso?« fragte er automatisch, während seine Hände schon damit beschäftigt waren, die Federteile, die er zu fassen bekam, zusammenzuschieben und unauffällig verschwinden zu lassen.
    »Also, ich bin ja ganz...also... Was führt dich denn nach Alexandrien?« rettete er sich schließlich. Dicht gefolgt auf diese Worte hin runzelte er die Stirn und musterte Seiana nachdenklich.
    »Ihr seid aber doch nicht alleine gereist?« vergewisserte er sich und konnte den leicht besorgten Ton nicht aus seiner Stimme verbannen.
    »Ach, und die Arbeit... Naja, ganz gut, würde ich meinen. Stell dir mal vor, vor vier Tagen wollte jemand ein Krokodil verschicken, an seine Schwiegermutter! Das konnte ich natürlich nicht zulassen. Äh... Warum hast du denn nicht geschrieben, dass du nach Alexandrien kommst?«

  • „Oh, nein, da gab’s keine Probleme“, meinte Elena. „Seiana steht unter keiner Patria Potestas, und sie hat auch keinen Vormund oder so. Und wenn sie sich was in den Kopf setzt, zieht sie das durch – ich könnt dir Sachen erzählen…“ Elena grinste. „Sie war… milde ausgedrückt: sprachlos. Dann ist sie sauer geworden. Aber sie hat auch angefangen zu grübeln.“ Im nächsten Moment verging der Spanierin das Grinsen, als Katander sie an den Schultern packte und aus dem Raum schob. „Hey“, protestierte sie, wohlweislich wieder so leise, dass nur er sie verstehen konnte. Sie hielt überhaupt nichts davon, die beiden allein zu lassen, ganz im Gegenteil – sie wollte wissen, was passierte. Aber Katander hatte sie bereits zur Hälfte aus dem Raum bugsiert, und im Grunde wusste sie, dass er Recht hatte, also verschwand sie mit ihm.


    Seiana unterdessen warf den beiden Sklaven noch einen kurzen Blick nach und war sich nicht so ganz sicher, ob sie froh sein sollte oder nicht, dass Elena fort war. Je nachdem wie dieses Gespräch lief, hätte ein wenig Unterstützung nicht geschadet, und sei es nur durch das Wissen, dass ihre Leibsklavin da war. Aber gerade eben noch hatte sie nur genickt, als es um die Knabbereien ging, und jetzt war es zu spät. „Gerne“, antwortete sie etwas verspätet auf die Einladung zum Essen. Dann musste sie, fast schon gegen ihren Willen, schmunzeln, als Archias so verblüfft auf ihre Bemerkung reagierte. Bei seiner Gegenfrage zog sie dann nur die Augenbrauen hoch und warf einen bezeichnenden Blick auf die Federreste, die er zusammenschob, und dann auf seinen Kopf, wo sich gerade vermutlich eine Beule bildete. „Nun ja, ich gehe nicht davon aus, dass du jeden Tag um diese Uhrzeit unter dem Tisch herumkriechst – oder doch?“ Die folgende Frage ließ sie vorerst unbeantwortet, stattdessen ging sie auf die Reise ein. „Nein, wir haben uns gegen ein kleines Entgelt einer Gruppe von Händlern angeschlossen – ich habe mich erkundigt, sie machen das öfter und haben einen recht guten Ruf, was Organisation und Betreuung während und auch nach der Reise angeht, wenn das gewünscht ist. Titus Umbonius Imperiosus ist wohl der Hauptverantwortliche, er sprach während der Seefahrt sogar davon, seine bisherigen Handelsgeschäfte gänzlich seinem Partner zu überlassen und sich nur noch auf derartige Reiseorganisationen zu konzentrieren. Als Bezeichnung wollte er ein Akronym aus seinem Namen bilden, meinte er, immerhin habe er bereits einen recht guten Ruf… Allerdings bin ich mir nicht so sicher, ob TUI tatsächlich ein angemessener Name für ein derartiges Geschäft ist.“


    Seiana zuckte leicht die Achseln. Die Unterhaltungen mit Umbonius waren durchaus interessant gewesen, und seine Idee hörte sich gut an – aber für den Moment wollte sie darauf nicht weiter eingehen. Gleich darauf zog sie erneut die Augenbrauen hoch, aber Archias verhinderte, dass sie weiter auf das Krokodil einging, sondern wieder darauf zu sprechen kam, warum sie hier war – oder genauer, warum sie nicht geschrieben hatte. Seiana schwieg einen Moment und musterte ihn nur. Zum ersten Mal stellte sie sich bewusst die Frage, ob sie ihn zappeln, im Unklaren lassen wollte. Sie könnte mit irgendetwas Unverfänglichem antworten, ausweichen, oberflächlich bleiben – obwohl klar war, dass sie nicht einfach nur so nach Ägypten gekommen war. Aber das war nicht ihre Art. Höfliches Geplänkel – sie beherrschte es, aber sie mochte es nicht. In diesem Fall hätte zwar einiges dafür gesprochen, aber es blieb dabei: Seiana gehörte nicht zu dieser Sorte Mensch. Also stellte sie schließlich nur eine simple Gegenfrage: „Warum hast du nicht geschrieben, warum du bei meinem Onkel gewesen bist?“

  • Caius nickte kurz zu der angenommenen Einladung und folgte dann Katander und Elena mit dem Blick, bis sie den Raum verlassen hatten. Gedankenverloren strich er sich über den Kopf, dort, wo sich gerade tatsächlich eine dicke Beule bildete. Glücklicherweise kaschierten seine Haare die Ausbuchtung ein wenig. Nichtsdestotrotz verzog er erst flüchtig das Gesicht und rettete sich in ein breites Grinsen, als Seiana auf die Sache unter dem Tisch zu sprechen kam.


    »Nur wenn ich hübschen Frauen unter die Tunika gucken will«, entgegnete er. Erst im nächsten Moment ging ihm auf, dass sie den Spruch vielleicht missbilligen würde, also bemühte er sich, schnell das Thema zu wechseln. Seiana allerdings kam ihm zuvor und sprach von der Reise. Caius war das recht, da hörte er doch gerne zu. Allerdings konnte er diesen Händler nicht verstehen, der sich auf Reiseveranstaltungen spezialisieren wollte. Er zog die Brauen zusammen und schüttelte mit dem Kopf.


    »TUI. So ein Quatsch. Das wird doch nie funktionieren. Wird sicher so ein Reinfall wie der alte Aulus Ennius Gallicus hatte mit deinem Geschäft. Mit TUI verbindet man doch ebesowenig Reisen wie man Haushaltsgegenstände mit AEG verbindet. Ich hatte dem alten Ennius das gleich gesagt, aber er ist ein alter Sturkopf, und nun ist er fast bankrott. Nur ein paar Germanen kaufen sein Zeug noch. Es kommt eben auch immer auf den Namen an. Deswegen tragen meine Betriebe auch einen gescheiten Namen«, sprach Caius voll inbrünstiger Überzeugung und nickte zufrieden. unerwähnt ließ er, dass die Betriebe ihren Namen nur Katander verdankte, der Caius von solch seltsamen Gebilden wie "Stein für Stein, wir hau'n rein" oder "Schäfchen Knuddelweich" gerade noch einmal hatte abbringen können.
    »Aber gut, dass du nicht allein gereist bist«, fügte er abschließend an und lächelte Seiana zu.


    Das Lächeln allerdings hing im nächsten Moment etwas schief in den Angeln, und zwar, als Seiana eine ganz einfache Gegenfrage stellte, die es allerdings in sich hatte. Sie verriet damit, dass sie von seinem Besuch bei Meridius wusste. Und vermutlich - so schlussfolgerte Caius - war sie auch deswegen hier. Wahrscheinlich, um ihn persönlich zur Rede stellen zu können. Aber Caius wäre nicht Caius gewesen, wenn ihm nun der Mut sank. Er räusperte sich und lehnte sich ein wenig zurück. Das Schweigen zog sich zu einwe kleinen, zähen, Ewigkeit.


    »Hm, dann weißt du es also. Ich hätte es dir selbst sagen wollen, aber in einem Brief wär's mir nicht gerade angemessen erschienen«, wand er sich heraus und schaute zerknirscht.
    »Warum ich dir das nicht gesagt habe... Naja, dein Onkel war nicht gerade begeistert.« Jetzt sah Caius ernst drein, fast ein wenig beschämt.
    »Ich kann ihm das nicht verübeln. Ich meine, was war ich denn vor einem halben Jahr? Ein Niemand. Jetzt bin ich Postpräfekt von Ägypten. Gut, auch keine sonderlich herausragende Stellung vielleicht für deinen Onkel, aber wie soll man mit jemandem mithalten können, den man Stier von Tarraco und Triumphator nennt, der ein Senator ist und dem sicherlich nie jemand recht sein wird für seine Nichte?« Caius runzelte missmutig die Stirn und schnaubte frustriert. Dann hellte sich seine Miene wieder ein wenig auf, und der Schalk kehrte zurück in seine Augen.
    »Aber ich will ja nicht für immer hier bleiben und staubige Akten wälzen. Ich möchte Ritter werden, und dann bin ich hoffentlich gut genug. Also, ihm zumindest.« Caius errötete tatsächlich ansatzweise, wandte jedoch den Blick nicht ab von Seiana, die dort vor seinem Schreibtisch auf dem Besucherstuhl saß und zuhörte. Erneut ergriff Schweigen Besitz von dem Raum.


    »Also.. Hast du vielleicht Lust, vor dem Essen eine kleine Führung durch Alexandrien zu genießen?« fragte er in einem nur allzu durchsichtigen Versuch, das Thema zu wechseln.

  • Seiana musste mit Mühe ein Grinsen unterdrücken, als sie Archias’ Antwort hörte – die konnte über so etwas lachen, aber sie wollte es im Moment einfach nicht. Nicht bevor nicht eine gewisse Sache geklärt war. Also ging sie gar nicht darauf ein, und auch auf die weiteren Worte zu Umbonius und Ennius reagierte sie nur mit wenigen Worten. „Es bleibt abzuwarten. Der Name ist gewöhnungsbedürftig, aber er selbst leistet gute Arbeit – ich war jedenfalls zufrieden.“


    Ihre anschließende Gegenfrage zeigte Wirkung – deutlich genug, dass Seiana einen Hauch von Genugtuung verspürte. Sie hatte sich wochenlang den Kopf zerbrochen, also konnte der Aelier ruhig einen Schreckmoment haben, und das sich in die Länge ziehende Schweigen in Kombination mit seinem Gesichtsausdruck war ihr Beweis genug dafür, dass es so war. „Ein Brief wäre besser gewesen als gar nichts. Davon abgesehen warst du, wenn ich richtig informiert bin, im Anschluss an deinen Besuch bei Meridius bei mir. Warum hast du da nichts gesagt? Aber unschuldig fragen, ob du mir schreiben darfst!“ Ihre Stimme blieb in einer normalen Lautstärke, aber der Ton hatte an Schärfe zugenommen. Ohne die Miene zu verziehen, hörte sie seiner anschließenden Erklärung zu. Und sie konnte ihn, wenigstens zum Teil, auch verstehen. Es konnte nicht leicht gewesen sein, einen Mann wie ihren Onkel mit einem derartigen Anliegen aufzusuchen. Und sie wusste aus eigener Erfahrung wie es war, wenn man etwas erreichen wollte, aber die Chancen dafür gering erschienen. Wenn man sich an die Regeln halten musste, die geschriebenen genauso wie die ungeschriebenen. Trotzdem hätte er ihr erzählen sollen, weswegen er an jenem Tag bei Meridius gewesen war. Ihr Onkel hatte ihm sicher gesagt, dass sie unter keiner Patria Potestas stand, dass sie selbst entscheiden konnte, dass er sie fragen musste. Und davon ganz abgesehen: unabhängig davon, ob sie selbst über ihre Zukunft entscheiden konnte oder nicht, hätte sie verlangt miteinbezogen, oder wenigstens informiert zu werden.


    Erneut breitete sich Schweigen aus. Seiana ging viel im Kopf herum, und sie hätte viel sagen können. Dass ihr Onkel nicht für sie entscheiden konnte. Dass ihr aber die Familie wichtig war, deren Ehre, das Einverständnis ihrer Verwandten zu haben, und seine Ambitionen insofern durchaus eine Rolle spielten. Dass ihr, ihr ganz persönlich, wenn sie Familie und Ansehen und Tradition außen vor ließ, seine Ambitionen völlig egal waren. Sie erwiderte seinen Blick und sagte nichts davon, und schließlich ergriff Archias wieder das Wort und schlug einen Spaziergang vor. Zum ersten Mal wandte Seiana den Blick ab und sah aus dem Fenster. Was sollte sie nun davon halten, dass er auswich, dass er das Thema wechselte und offenbar gar nicht wissen wollte, was sie davon hielt? Im ersten Moment war sie versucht, unwillig den Kopf zu schütteln, aber die Idee an sich erschien ihr gar nicht so schlecht. Sie brauchte Zeit, Zeit, um die Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen, sich darüber klar zu werden, was sie überhaupt von diesem Besuch erwartete. Also wandte sie den Kopf wieder Archias zu und meinte nur: „In Ordnung.“

  • Caius sah Seiana lange an. Zuerst lächelte er noch vage, dann wirkte er ernst und nachdenklich, was gar nicht so recht zu ihm und seinem Wesen passen wollte. Er wusste nicht recht, was er von Seianas Reaktion halten sollte. Was hätte er ihr auch groß sagen sollen nach der kalten Dusche, die er sich von Senator Decimus abgeholt hatte? Es war ihm logischer erschienen, nichts zu sagen. Und eigentlich hatte er Seiana auch gar nicht noch einmal besuchen wollen. Das war Katanders Idee gewesen, und der hatte durchaus recht damit gehabt. Immerhin hätten sie sich wohl so nie geschrieben. In diesem Moment wandte Seiana den Blick von ihm ab. Caius runzelte ansatzweise die Stirn und seufzte. Ihre Antwort überhörte er erstmal. Das hier war wichtiger. Allerdings war er noch nie sonderlich gut darin gewesen, genau das zu sagen, was er dachte.


    »Angenommen, ich hätte dir gleich danach erzählt, dass ich bei deinem Onkel war und er mir unmissverständlich deutlich gemacht hat, dass er nicht mal ein klitzekleines Bisschen in Erwägung zieht, was ich ihn gefragt hab«, begann er. Aus irgendeinem Grund vermied er, genau zu formulieren, warum er nun eigentlich bei Meridius gewesen war.
    »Was hättest du dann gemacht? Ich glaube nicht, dass es dir dann recht gewesen wäre, dass wir uns schreiben. Weißt du, das letzte, was ich will, ist einfach irgendwen zu heiraten, der mich nicht mal ansatzweise leiden kann. Und ich musste nach Ägypten, hatte also keine Zeit, dich überhaupt näher kennenzulernen.« Caius seufzte und schüttelte den Kopf.
    »Aber wenn ich geblieben wäre, hätte mich das in den Augen deines Onkels nicht gerade besser dastehen lassen. Und wenn ich dir gleich gesagt hätte dass...hm, ich dich einfach toll finde, dann wärst du doch nicht gerade überzeugt gewesen davon, wenn ich gleich wieder abgedampft wäre. Nicht? Ich kann mir demnächst ein wenig Urlaub nehmen, da wäre ich vermutlich nach Rom gekommen«, sagte er und fügte den letzten Satz erst nach einer kurzen Pause an.


    Caius stützte nun den Ellbogen auf den Schreibtisch und legte den Kopf seitlich in die Hand hinein. Auf diese Weise sah er Seiana eine ganze Weile nachdenklich an, ehe er abermals das Wort ergriff.
    »Ich hoffe, du bist nicht hergekommen, um mich zur Rede zu stellen«, sagte er und schwieg.

  • Seiana, die sich bereits halb im Aufstehen befunden hatte, sank wieder auf den Stuhl zurück, als Archias keine Anstalten machte sich zu erheben. Mit einem aufmerksamen Blick lehnte sie sich an und überkreuzte erneut die Beine. Der Wasserbecher stand nach wie vor unberührt vor ihr, unbeachtet von den beiden Menschen. Das Angebot mit der Führung schien vom Tisch zu sein, jedenfalls vorerst. Seiana unterdrückte den Impuls, sich auf die Zähne zu beißen. Gerade noch war sie zu der Auffassung gekommen, dass ein Spaziergang ihr ganz gut tun würde, einfach um den Kopf freizubekommen. Aber Archias hatte seinen Entschluss geändert, oder er hatte es nicht ernst gemeint, was auch immer – jedenfalls saßen sie immer noch da und sahen sich an. Seiana war entschlossen, nichts zu sagen, aber warten musste sie gar nicht, denn der Aelier ergriff erneut das Wort. Seiana schüttelte den Kopf. „Ich kann ja verstehen, was du meinst. Trotzdem, es geht um mich, um meine Zukunft, ganz davon abgesehen dass ich inzwischen in der Situation bin selbst zu entscheiden, wen ich heirate.“ Ob das wirklich so glücklich war, wusste Seiana nicht so genau – es machte einiges einfacher, wenn die Eltern einfach entschieden, jedenfalls kam ihr das in diesem Moment so vor, in dem sie im Grunde ihres Herzens zutiefst verwirrt war von der Situation. „Was ich gemacht hätte? Ich weiß es nicht! Du hast mir ja keine Chance gegeben! Aber warum hätte ich was dagegen haben sollen, dass wir uns schreiben?“ Wieder sah sie kurz zur Seite, bevor sie ihn erneut anfunkelte. „Vielleicht hättest du Meridius einfach noch nicht darauf ansprechen sollen. Ich meine, wie ernst war dir das? Wir haben uns kaum gekannt, im Grunde kennen wir uns ja jetzt noch kaum!“


    Auch sie vermied es unbewusst, auszusprechen, weswegen Archias bei ihrem Onkel gewesen war. Allerdings stellte sie beiläufig und mit Verblüffung fest, wie sehr ein paar Briefe und ein solches Ansinnen den Umgang verändern konnte. Das letzte Mal als sie miteinander gesprochen hatten, war sie nicht so form- und zwanglos mit ihm umgegangen. „Ich weiß es nicht, wie ich reagiert hätte. Ich weiß nicht, was ich davon gehalten hätte, dass du mir so was vor die Füße wirfst und dann verschwindest. Ich wär wohl nicht sonderlich begeistert gewesen. Trotzdem hätte ich einfach gern von dir erfahren, welches… na ja, Interesse du an mir hast. Nicht von meinem Onkel. Nicht während du am anderen Ende der Welt bist. Vielleicht wär ich skeptisch gewesen, aber einen Briefkontakt hätte ich noch lange nicht abgelehnt. Und den Posten in Ägypten hattest du schon bevor wir uns kennen gelernt hatten, dass du den nicht aufgibst, um eine Frau näher kennen zu lernen, die dich zwar interessiert, die du aber kaum kennst, ist klar.“ Seiana seufzte und sah wieder zum Fenster hinaus. Was sollte sie denn davon halten? Wie ernst war es ihm gewesen? Wie ernst war es ihm jetzt? Und was wollte sie? Erst als Archias wieder sprach, sah sie erneut zu ihm. Schweigend begegnete sie seinem Blick und musterte ihn einen Moment lang, bevor sie antwortete. „Natürlich bin ich deswegen gekommen. Was hätte ich denn tun sollen? Dich in einem Brief fragen, was du dir dabei gedacht hast? Was du damit bezweckt hast, was du jetzt willst? Oder mir wochenlang Gedanken machen, über dich und was du willst und wer du bist, und was ich will, bis sich alles in meinem Kopf im Kreis dreht?“

  • Caius schwieg noch einen Moment und fühlte sich äußerst unwohl in seiner Haut. Er kam sich wie ein Sündenbock vor, und er schien zu allem Überfluss auch nicht die richtigen Worte finden zu können. Gerade jetzt wünschte er sich Katander her, als kleines Männchen, das ihm die rechten Worte einflüstern konnte. Er gab sich Mühe, das Gesicht nicht zu versziehen, aber ganz gelang das nicht, und so blieb sicher auch Seiana seine enttäuschte Miene nicht verborgen, als er sie fragte:
    »Und du glaubst wirklich, ich würde in dieser Sache deinen Willen missachten?«


    Die Frage stand eine gewisse Zeit lang im Raum, und Caius verspürte das dringende Bedürfnis, tief durchzuatmen und eine zweite Feder zu verbiegen, doch er tat weder das eine noch das andere. Frauen! Warum dachten die nur immer das Schlimmste?
    »Ich habe Meridius um Erlaubnis gefragt, um dich zu werben. Vielleicht war es falsch, was deine Familie angeht. In meiner hat der pater familias das letzte Wort, und er kann es nicht ausstehen, wenn man ihn übergeht. Leicht ist mir das sicherlich nicht gefallen. Aber ich ging davon aus, dass du nicht frei wählen kannst, was ich von Frauen in deinem Alter eigentlich nicht anders kenne.« Genaugenommen war Caius auch jetzt noch ziemlich erstaunt, dass Seiana nicht wenigstens unter einer Vormundschaft stand und einen Tutor hatte, wenn sie schon sui iuris war. Er hatte das schließlich nicht gewusst. Andererseits war es auch ziemlich sinnlos, nun immer weiter darüber zu diskutieren. Er seufzte tief. Seianas Familie war kompliziert. Seiana war kompliziert. Und gerade das machte sie verdammt süß (Seiana, nicht ihre Familie).


    »Ich hätte es dir gesagt, wenn ich nach Rom gekommen wäre«, gab er etwas lahm zurück, da er gerade ihre missmutige Miene studierte, und hob eine Schulter. Beinahe sehnsüchtig sah nun auch Caius aus dem Fenster, hinaus in das bunte Treiben Ägyptens (von dem er hier im ersten Stock nicht mehr sehen konnte als den blauen Himmel und einige Häuser in der Ferne). Bei Seianas letztem Satz alerdings wurde er hellhörig und drehte sich wieder zu ihr um.


    »Was willst du denn?« fragte er sie arglos und hochinteressiert.

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